Ich freue mich auch über die Thread-Eröffnung,
Martin.
Zumal ich mir die Frage in der Überschrift, die gewiss nicht leicht zu beantworten ist, selbst auch schon oft stellte.
Der gravierenste Problem ist sicherlich, das man für eine faire objektive Beurteilung eigentlich jedes Filmjahr selbst erlebt haben müßte, was ja leider aufgrund des Alters des Mediums unmöglich ist.
Zum anderen glaube ich das das eigene Lebensalter, oder die Lebensdekade in der man sich als Kinofan befindet, ebenfalls eine wichtige Rolle dabei spielt, wie man ein jeweiliges zeitliches Kinostartfenster wertet.
Ich persönlich sehe, als leidenschaftler Besten-Listenfan und cineastischer Hobby-Statistiker, bei der Einteilung der Kinojahre schon immer ein Problem im unterschiedlichen Veröffentlichungsdatum von Filmen zwischen dem ausländischen (vorallem natürlich dem amerikanischen) und dem deutschen Markt.
Da ich von klein auf unseren heimischen Kinomarkt bei der Einteilung der Kinojahre, als den für mich relevanteren ansah, habe ich es mir angewöhnt die Filmwelt primär nach den deutschen Veröffentlichungsdaten einzuteilen. Schließlich bevorzuge ich beim Erstkonsum eines jeweiligen Film in der Regel auch stets die deutsche Synchronfassung und diese existiert ja fast immer auch erst in 'unserem' Veröffentlichungsjahr.
Unser seit 2004 alljährlich zelebrierter Filmjahresrückblück hier im Forum und die Jahresrésumés der deutschsprachigen Magzine und Zeitungen setzen ja stets genau die selben Direktiven.
Ich sehe das übrigens nebenbei bemerkt zusätzlich als eine Art Retourkutsche zur us-amerikanischen Mentalität, da die wenigen nicht-amerikanischen Filme, die dort ein wenig Aufmerksamkeit von Filmfans bekommen, oft auch nur in den Filmjahreslisten aufgezählt werden, in denen sind in den USA gestartet sind, unabhängig vom tatsächlichen Uraufführungsdatum im Entstehungsland.
Genau wie Du,
Martin, sehe ich auch das Ende der 90er Dekade und den direkten Übergang ins neue Jahrtausend als eine sehr starke Film-Phase an, wobei ich aufgrund der oben ausgeführten Problematik, hier gar nicht mal speziell das Filmjahr 1999 unterstreichen möchte, da beispielsweise Werke wie
Snow Falling on Cedars, American Beauty, Being John Malkovich, The Green Mile, Galaxy Quest zum deutschen Kinojahr
2000 zählen.
Ich bin gerade dabei eine zweite, alternative Jahres-Bestenlisten-Statistik aufzustellen, die sich speziell nach den Uraufführungsdaten richtet, aber bis dahin kann ich die Threadfrage erstmal nur mit der erwähnten nationalen Marktpriorität beantworten.
Außerdem beschränke ich mich jetzt erstmal bewußt auf die Kinojahre, die ich selbst erlebt habe, da mir der restliche Zeitozean der Filmgeschichte einfach zu gigantisch für eine Beurteilung ist, zumal ich wie wohl die meisten hier, immernoch zu wenig Werke gesehen habe.
Bestes deutsches Filmjahr:
1994
Meine persönliche Jahres-Top-20:
- Schindler's List
- Forrest Gump
- The Lion King
- Pulp Fiction
- True Romance
- Interview with the Vampire: The Vampire Chronicles
- True Lies
- Clear and Present Danger
- Natural Born Killers
- Short Cuts
- Four Weddings and a Funeral
- What's Eating Gilbert Grape
- Trois couleurs: Rouge
- La reine Margot
- Trois couleurs: Blanc
- Speed
- The Crow
- Nightmare Before Christmas
- Reality Bites
- Philadelphia
Quasi im 2 wöchtlichen Takt trudelten hier ständig Superknaller in unsere Kinos, die heute noch oft Erwähnung finden. Allein die ersten 6 sind ein zementierter Teil meiner All-Time-Top-50.
Man werfe nur mal ein Blick auf die Genre oder die Filmmacher. Herr
Spielberg serviert uns
Schindlers Liste, Herr
Tarantino startete mit
Pulp Fiction durch,
Disney präsentierte den
König der Löwen,
Robert Altman beeindruckte mit
Short Cuts,
Zemeckis triumphierte mit
Forrest Gump, und auch unser hier so heißgeliebtes Action-Kino war durch
True Lies, Das Kartell und
Speed gleich mit 3 starken Werken unterschiedlicher Ausrichtung präsent usw. Für all diese Herren und Genre war es ein ruhmreiches deutsches Veröffentlichungs-Jahr.
Vielleicht lag es auch an meinem damals 20-Jährigen Alter, das ich in diesen Zeiten das Gefühl hatte, Zeuge einer wahrhaft goldenen Ära des Medium zu werden.
Das gilt übrigens für die gesamte Dekade, die ich liebe wie kein anderes Filmjahrzehnt.
Als zweitbestes deutsches Filmjahr will ich
1998 nennen, das mit
Fear and Loathing in Las Vegas, Boogie Nights und
The Big Lebowski gleich 3 meiner Lieblingsfilme beinhaltet. Sowie mit Werken wie
Titanic und
Saving Private Ryan Hollywoodgeschichte schrieb und eine ganze Reihe unterbewerteter oder weniger im Fokus stehende Spitzenfilme bot, wie Tarantino's
Jackie Brown, Scorsese's
Kundun, Atom Egoyan's
The Sweet Hereafter, die brilliante Neuverfilmung meines Lieblingsroman's
Lolita, sowie
Gattaca,
Hana-bi, Good Will Hunting, The Truman Show, Elizabeth, U-Turn, Buffallo 66, The Red Violin - alles sehr schöne und erinnerungswürdige Filme. Auf dem Animationssektor wußte
The Prince of Egypt von Dreamworks zu überzeugen, Woddy Allen präsentierte
Deconstructing Harry, den ich als einen seiner stärkeren Filme (zumindest von denen, in welchen er selbst die Hauptrolle spielte) schätze, und als Trekkie muß ich natürlich noch erwähnen das Captain Jean-Luc Picard von Regisseur Jonathan Frakes durch ein weiteres Enterprise-Kinoabenteuer geführt wurde.
Auf Platz 3 steht für mich
2006, das ebenfalls mit so vielen gehaltvollen Knallern gefüllt war, das ich nochmal ne persönliche Top-15-Rangliste liefere:
- Casino Royale
- The New World
- Where the Truth Lies
- Little Miss Sunshine
- Children of Men
- Good Night, and Good Luck
- Brokeback Mountain
- Capote
- Candy
- Stay
- Syriana
- Lord of War
- The Departed
- Babel
- Das Leben der Anderen
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Über die vielen Filmjahre vor meiner Zeit bin ich gespannt, was dieser hoffentlich lange Thread noch für Erkenntnisse bringen wird.
Das 1939 bei vielen Experten als Favorit gilt, habe ich auch schon oft gelesen. Wobei mir dieses Jährchen aber etwas überbewertet vorkommt. Klar ist das nicht irgendein Jahr, sondern eins, in dem nicht nur die Filmwelt in und vor gravierenden Veränderungen stand.
Aber so sehr die aufgezählten filmischen Meisterwerke auch Evergreens geworden sind, so waren auch viele andere Filmjahre nicht minder faszinierend, und brauchen sich vor dem Jahrgang 1939 nicht zu verstecken.
Ohne dies nun stichhaltig und fachlich ausgefeilt begründen zu können, will ich hier als Beispiel mal den legendären Jahrgang
1968 aufführen, der die etablierten Genre zu ultmativen Höhenflügen in ungeahntem Ausmaß führte:
Krimi:
Bullitt
Horror:
Rosemaries Baby
Western:
Spiel mir das Lied vom Tod
Science-Fiction:
2001: Odyssee im Weltraum, Planet der Affen, Solaris
Historien/Theater/Kostüm-Film:
Der Löwe im Winter
Komödie:
Der Partyschreck
Heist-Movie:
Thomas Crown ist nicht zu fassen
Nebenbei drehte der junge Spielberg seinen ersten Super-8-Film
Amblin und im Oktober begannen in der Schweiz die Dreharbeiten zu OHMSS. Wenn das kein bedeutendes Jahr für das Medium ist, dann weiß ich auch nicht.
------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Zu den eher schwachen deutschen Kinojahren zähle ich:
1988 und
2005, die insgesamt verhältnismäig wenig Highlights boten.
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------
@Daniel Schweikert 1996: Ich schätze 1989 auch für seinen mehr als kuriosen Blockbuster-Sommer, in dem sich zum ersten Mal etliche große Franchise-Filme gegenseitig die Luft abschnürten. Aber mal abgesehen von diesem Aspekt bin ich erstaunt, das dieser Jahrgang bei Dir so hoch gewertet ist.
Bei mir zählt er qualitativ eindeutig zu den schwächeren Jahren, weil ich da wenig 'anspruchsvolle' Kost ausmachen kann.
Deine 2011er Wahrnehmung finde ich auch interessant. Das Jahr habe ich nämlich umgekehrt gar nicht als auffällig schwach empfunden, da es mit
The Tree of Life, Melancholia, Black Swan, Super 8, Midnight in Paris, X-Men: First Class, Mission: Impossible - Ghost Protocol, dem Finale der
Harry Potter-Saga,
The King’s Speech, Winter's Bone etc. jede Menge Qualitätsstreifen innerhalb eines sehr breiten Spektrums bot.
Immer spannend wenn die Wahrnehmungen so auseinander driften.