DER ROMAN: Casino Royale

  • Dann lasst uns doch in 1 Monat etwas detaillierter über CR diskutieren, ich werde versuchen, mir das Hörbuch davor nochmal reinzuziehen. Nur bei LALD und DAF möchte ich mir nicht nochmal das ganze Buch antun.

    Nach @Sprees Vorschlag und @Martins Vorarbeit zu einem eigenen Romanbereich :love: :love: diskutieren wir also ab Ende April über Flemings Romanerstling "Casino Royale"!

    Bisher haben die Genannten und Scarpine Interesse bekundet, alle anderen dürfen aber natürlich auch fleißig spontan mitdiskutieren 8o Ich freu mich schon auf den "Bond-Book-Club" 8)

  • Ich habe CR 2 mal in der alten und 2 mal in der neuen Übersetzung gelesen. Ist aber auch schon eine Weile her.

    Ich fand den Roman eher langweilig. Aber es ist ein guter Film draus geworden. :)

  • Ich fand den Roman eher langweilig.

    Wirklich? Der ist doch über größere Strecken sogar wörtlich an den Film angelehnt? Ich hab neulich mal Bonds 4,5.-Liter-Bentley aus den 30ern, den er darin fährt, gegoogelt =O Irgendwie weiß ich immer noch nicht, was ich davon halten soll... ?( Ist der nun ziemlich cool oder hoffnungslos altmodisch?

  • Ich hab den Roman glaube ich zweimal gelesen. Damals kurz vor der Premiere von CR und ein paar Jahre später wieder.


    Ich war überrascht wieviel davon im Film verwertet wurde. Mir hat der Roman gut gefallen.

  • In der Scherz-Übersetzung hatte ich ihn auch mindestens zweimal gelesen, in der neuen Übersetzung einmal. Insgesamt auch nicht mein Favorit unter den Romanen. Das Kartenduell fand ich in Moonraker etwas spannender, und den romantischen Part nach dem Tod von Le Chiffre hab ich auch etwas langatmig in Erinnerung. Da war die Kürzung durch den Scherz-Verlag vielleicht ganz sinnvoll. Mal schauen, wie er jetzt wirkt.

  • So, wir wollten uns ja Ende April über CR unterhalten - vor lauter TWINE komme ich aber erst jetzt dazu und mache mal den Anfang.

    In Corona hat mir mein Mann den Roman aus der Bibliothek mitgebracht. Ich wusste zwar vorher schon, dass Fleming Bond erfunden hat und dass es Romane und Kurzgeschichten gibt, hatte bis dato aber nur "Octopussy" gelesen, weil es in einer meiner Krimianthologien drin war.

    Ich fand es zwar gut, wirklich gepackt hat es mich aber nicht - zumindest nicht so sehr, dass ich mir die restlichen Bücher besorgt hätte.


    Film:

    CR hat mich dagegen sofort gepackt - ich war erstaunt, wie nahe es trotzdem am Film ist (z.T. wörtlich) und - mag Django noch so sehr die Augen verdrehen :prost: - dass Fleming keineswegs die Bahnhofstrivialliteratur geschrieben hat, die ich erwartet hätte - vor allem vor dem Hintergrund der Connerybonds, in der Bond nie mit der Wimper zuckt, alles umballert und (Ellenbogenalarm!) unfassbar cool ist. Der Buchbond ist ganz anders, er reflektiert viel mehr und will am Ende von CR auch ohne Vesper ursprünglich den Dienst quittieren. Ich mag ihn in seiner Menschlichkeit, auch wenn er immer noch ein Profi ist.

    Inzwischen besitze ich die Romane von Cross Cult nicht nur auf Deutsch, sondern auch (fast vollständig) im Original (nicht nur Cross Cult allerdings). Für unseren Bond-Book-Club habe ich diesmal das Original gelesen.


    Sprache und Stil:

    Breiter, zum Teil sehr artifizieller Wortschatz, tolle, glaubwürdige Figuren (ich mag es, wie Fleming Felix und Mathis beschreibt!) und diverse, kunstvoll eingesetzte literarische Techniken. Grundsätzlich gibt es ja einen personalen Erzähler aus der Sicht von Bond, um weitere Elemente einzubringen, wird auf diverse Techniken zurückgegriffen, etwa den Einbezug eines Berichts, Vespers Brief etc.

    Auch, dass sich Fleming die Zeit nimmt, Essen sowie Materialien und Schnitte von Kleidung zu beschreiben. Ich mag seine sehr sinnlichen (in der wörtlichen Bedeutung) Beschreibungen.


    Action:

    Action ist durchaus angelegt - Explosion der Bulgaren, Crash mit dem Bentley, aber natürlich deutlich, deutlich weniger als im Film. Bond prügelt sich auch nicht.

    Dagegen ist die Stockszene ziemlich, ziemlich spannend!


    Die Folterszene hat mich im Original irgendwie noch mehr gepackt als vorher ohnehin schon, da kriege ich wirklich die Bilder nicht aus dem Kopf. Vom coolen Craig-Bond a la "weiter rechts" ist nichts zu spüren, stattdessen ist Bond wirklich dem Tode nahe (gefühlt so nahe, wie auch später nicht mehr). Und es reicht auch keine Rasur a la Brosnan, um ihn wieder hinzukriegen.


    Umso beängstigender fand ich, dass ich mir gut vorstellen kann, dass Fleming hier Augenzeugenberichte von Gefolterten integriert hat (an einer Stelle wird auch geschildert, dass Bond über Bericht von Kollegen nachdenkt). Den Romanen wird ja häufiger ein gewisser Sadismus angelastet - konnte ich aber nicht nachvollziehen, es wird eher so beschrieben, dass man wirklich Mitleid mit Bond hat.


    Mädels:

    Der Nachklapp mit Vesper wirkt erstmal irgendwie fehl am Platze - und auch das ist für mich eher ein Indiz, dass das Ganze eben doch nicht so einfach als "Trashliterateratur" abzuhandeln ist ( Django, du verdrehst doch nicht etwa schon wieder die Augen? 8o).

    Statt des erwarteten Happy Ends mit Vesper entspinnt sich ein dichtes Beziehungsdrama, bei dem die Agentengeschichte Zutat ist, es aber doch im Kern um Verrat und Ausweglosigkeit geht. Egal, wie sich Vesper entscheidet - irgendeiner stirbt. Am Ende entscheidet sie sich für sich selbst (und ihren polnischen Geliebten).


    Zwischendrin kriegt er sie zwar ins Bett (glücklicherweise ist Fleming zu klug, um das genauer zu beschreiben - allein die Ansätze sind doch schon leicht peinlich...), allerdings bekommt er bereits hier (wie in fast? allen Romanen) nicht, was er will - nämlich eine Ehe/längere Beziehung.


    Dass Bond so schnell heiraten will, fand ich allerdings irgendwie unglaubwürdig - und welche Qualitäten er an einer Frau sucht, befremdlich. Vielleicht merkt man daran aber auch, wie alt das Buch ist.


    Dass Fleming sich für solche Beziehungsdramen interessiert und sie auch darstellen kann, hat er meines Erachtens nach mit "Ein Quantum Trost" bewiesen. Ebenso wie in "Octopussy" ist Bond hier nur Zugpferd, eigentlich gehts aber gar nicht um ihn. Schade, dass er sich nicht wirklich getraut hat, etwas ganz ohne Bond zu schreiben (das Kinderbuch lasse ich jetzt mal beiseite), obwohl es ja durchaus einige Versuche der Reduzierung gibt (z.B. Spy).



    Wie siehts bei euch aus?

  • Django, du verdrehst doch nicht etwa schon wieder die Augen? 8o

    Die verdrehe ich höchstens, weil Du mir unterstellst, ich für die Bond-Romane von Fleming als Trash- oder Bahnhofs-Trivialliteratur bezeichnen ;) . Denn sowas habe ich nie behauptet :saint: . Nur, dass ich Flemings Werk jetzt nicht grade als Klassiker der Weltliteratur bezeichnen würde und dass ich einige seiner Romane - auch wenn es schon etwa 30 Jahre her ist, seit ich sie gelesen habe, als recht dröge empfunden habe und eigentlich nicht das Bedürfnis habe, die wieder zu lesen. Da gibt es doch noch vieles Anderes zu entdecken, das ich noch nicht kenne :)

  • Ich fand CR beim ersten Lesen auch nur mittelmäßig, das Erscheinen von CR06 und weitere Lese-/Hör-Durchgänge haben dem Roman aber sehr geholfen, sodass er bei mir zu den eher besseren Fleming-Werken zählt. Jedoch muss auch ich zugeben, dass sich einige Stellen schon ziehen bzw. mich weniger packen. Die Explosion der Bulgaren und den letzten Akt mit Vesper hat Anya ja schon erwähnt.


    Merkwürdigerweise habe ich beim ersten Lesen bzw. Hören (es war die engl. Version, eventuell aber gekürzt) die Folterszene gar nicht wirklich mitbekommen, die wurde mir erst beim Sehen des Films bewusst (in CR54 sieht man das ja auch nicht). Ob das am euphemistischen Begriff "Teppichklopfer" lag, ich abgelenkt war, das viele Englisch dabei nur habe vorbeirauschen lassen, meine männliche Psyche das ausgeblendet hat oder es tatsächlich eine gekürzte Version war, weiß ich heute nicht mehr, aber bewusst wurde mir das alles erst mit dem Film 2006. Dort finde ich die Folter auch am besten dargestellt.


    Interessanterweise sind ja Orson Welles (CR67) und besonders Peter Lorre (CR54) vom Aussehen her deutlich näher am Roman-LeChiffre, Mikkelsen können sie aber beide - trotz ihres Renommés - nie das Wasser reichen.


    Und zu guter Letzt: Schon in CR läuft mein "shrugged his shoulders"-/Schulterzucken-Counter auf Hochtouren. Würde ich jedesmal einen trinken, wenn Fleming jemanden (meistens Bond) die Achseln zucken lässt, würde ich keine 5 Seiten am Stück schaffen. Zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit reagiert Bond mit dieser (angedeuteten) Gleichgültigkeit. Ob das Bonds Überdrüssigkeit seiner eigenen Gedankenspiele und Abschweifungen darstellen soll, weiß ich nicht, dafür wirkt Bond sich zu sehr bewusst all der Details, die um in herum geschehen oder ihm auffallen. Trotzdem erfolgt stets der gleiche körperliche Schlusspunkt solcher geistigen Exkurse. Das fiel mir sogar schon beim ersten Hören auf bzw. wiederholt es sich auch unzählige Male in allen Nachfolgeromanen.

  • Hier noch das m.E. sehr schöne Cover der Erstausgabe. Ich glaube, die Herz9 rettet Bond ja im Entscheidungsspiel.

    casino-royale.jpg


    Und hier 2 Cover der Hörbuch-Ausgaben, welche ich übrigens - zumindest im Deutschen mit Oliver Siebeck - äußerst gelungen finde:


    cr.jpg


    Das hier erinnert etwas an die geniale Titelsequenz von Kleinman:

    cr2.jpg

  • chon in CR läuft mein "shrugged his shoulders"-/Schulterzucken-Counter auf Hochtouren. Würde ich jedesmal einen trinken, wenn Fleming jemanden (meistens Bond) die Achseln zucken lässt, würde ich keine 5 Seiten am Stück schaffen.

    Bullshit Bingo à la Bond 8o



    Ich fand CR beim ersten Lesen auch nur mittelmäßig, das Erscheinen von CR06 und weitere Lese-/Hör-Durchgänge haben dem Roman aber sehr geholfen

    Ich will nicht behaupten, CR sein ein schlechter oder langweiliger Roman. Wie könnte ich auch - schliesslich war CR ja der Grundstein für den Erfolg der Bond-Roman von Ian Fleming. Ohne ohne diese hätte es die Verfilmungen nie gegeben. Aber Dein Post stützt dennoch meine Ansicht, dass erst die Verfilmungen James Bond "gross" gemacht haben. Sogar, wenn sie über 50 Jahre nach erscheinen des Romans gedreht wurden. Ohne die Filme wäre James Bond längst vergessen. Und das soll keine Kritik und erst recht kein Bashing an Flemings Werk darstellen. Denn es ist oft so: Nicht unbedingt an den Erfinder einer Sache erinnert man sich, sondern an denjenigen, welcher der Erfindung zu Erfolg verholfen hat und sie mit jenen Faktoren kombiniert hat, die für den Durchbruch notwendig waren ;)

  • Die verdrehe ich höchstens, weil Du mir unterstellst, ich für die Bond-Romane von Fleming als Trash- oder Bahnhofs-Trivialliteratur bezeichnen ;) .

    HA, aber du verdrehst sie :D

    Tut mir leid, dann habe ich dich offensichtlich tatsächlich falsch verstanden. Dröge und Weltliteratur schließt sich allerdings ja grundsätzlich nicht aus (wenn ich da an den Goethe denken... naja). Und ehrlich gesagt, habe ich auch schon viel deutlich schlechtere sogenannte "Hohe Literatur" gelesen (lesen müssen), bei der ich bis heute nicht weiß, warum das eigentlich Literatur sein soll.

    Aber ja, gibt auch Literarischeres als Fleming, definitiv. 8o

  • HA, aber du verdrehst sie :D

    Das war ja schon eine Aufforderung zu Duell - ich musste da einfach reagieren :P


    Flemings Werk würde ich übrigens der "Unterhaltungsliteratur" zuordnen. Also klar über der Trivialliteratur, jedoch auch genauso klar unter der Hochliteratur. So oder so...:

    Dröge und Weltliteratur schließt sich allerdings ja grundsätzlich nicht aus

    Wohl wahr, langweiliges Zeuchs findet sich überall :D . Und gerade viele "Klassiker" wirken heute sprachlich etc. sehr veraltet, sind schwer lesbar (und dazu muss man nicht erst zurückgehen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, als Goethe und Schiller die Deutsche Dichtkunst neu definiert haben), was der ganzen Sache auch nicht gerade förderlich ist. Die Zeiten ändern sich halt: Ich meine, irgendeinen Grund muss es wohl gegeben haben, dass einige Leser (ja, das waren wohl fast ausschliesslich männliche Leser), damals ob "Die Leiden des jungen Werthers" angeblich tatsächlich Selbstmord begangen oder es zumindest versucht haben! Und auch Fleming würde heute einen anderen Schreibstil pflegen als vor über 60 Jahren.


    PS: Hast Du nun eigentlich schon mal was von Alistair MacLean gelesen ;)? Ähnliches Genre wie die Bond-Romane und zu einer ähnlichen Zeit verfasst, dennoch stilistisch "anders". Ich würde Flemings Werk insgesamt als "hochwertiger" bezeichnen, das von MacLean dafür als spannender und unterhaltsamer zu lesen :pop:

  • Aus Zeitgründen und weil ich auch noch einen anderen Lese-Marathon am laufen habe, hab ich CR als Hörbuch in der gekürzten Fassung, von Hannes Jaenicke gelesen, angehört. Viele Details fallen in dieser Fassung leider weg, wie etwa die Geschichte des fiktiven Handlungsortes Royale-Les-Eaux. Die Figur des Adolf Gettler fehlt völlig. Aber die Kern-Handlung kommt trotzdem sehr gut rüber. Mein Eindruck von CR war beim ersten Lesen auch nicht so überragend, vielleicht auch weil ich andere Romane wie MR, die mehr Action bieten, vorher gelesen hatte.


    Insgesamt würde ich aber doch sagen, dass CR neben OHMSS Flemings ambitioniertester Roman ist. Das serielle und pulpige, das er später einführte, kommen hier noch gar nicht zum Tragen. Die Handlung steht für sich, und wirkt - anders als im 2006er Film - auch nicht unbedingt wie eine Origin-Story. Und vielleicht hätte es dem Vermächtnis und dem Ansehen des Romans sogar geholfen, hätte Fleming aus Bond danach keinen Serienhelden gemacht. Was ihn von späteren Büchern abhebt, ist dass das zwischenmenschliche Drama hier deutlich mehr Gewicht hat als die Spionage-Geschichte und das Duell mit dem Schurken. Das ist vielleicht auch der Grund, warum ihn viele Bondfans gar nicht so toll finden. Immerhin stirbt der Hauptschurke schon sehr zeitig, und wo die üblichen Bondstories abblenden, ist die Geschichte hier noch lange nicht zu Ende. (Die 2006er Verfilmung hat das Problem durch gewisse Suspense-Elemente, den Ausbau von Gettler und ein Action-Finale sehr clever gelöst.)


    Dass die Agentenwelt nur Aufhänger für menschliche Dramen ist, erinnert stark an Flemings erklärtes Vorbild William Somerset Maugham. Dessen Kurzgeschichtensammlung Ashenden hab ich kürzlich mal gelesen. Quantum of Solace ist sogar eine sehr direkte Hommage an eine bestimmte Geschichte. Bei Somerset Maugham treten die Spionage-Geschichten aber noch viel mehr in den Hintergrund, beziehungsweise wird sehr oft sogar gezeigt, wie lächerlich und sinnlos der ganze Geheimdienstzirkus oft auch ist. Da werden schon mal aus Versehen harmlose Bürger mit Agenten verwechselt und ermordet. Bis zu einem gewissen Grad spricht Fleming das auch in CR an, vor allem gegen Ende, insgesamt nimmt Fleming die Arbeit der Geheimdienste aber deutlich ernster als Somerset Maugham. Das ist vielleicht auch ein Grund, warum Fleming insgesamt nicht so viele Kritiker überzeugen konnte. Während Somerset Maugham mit Witz und Menschlichkeit auf seine Tage als Agent zurückblickt, ist Fleming beim Schreiben in gewisser Weise immer noch Agent und beschwört mit einem gewissen Pathos und ohne jedes Augenzwinkern die entsprechenden Feindbilder.


    Obwohl Fleming, anders als Somerset Maugham oder auch John Le Carré, das ganze Geheimdiensttreiben nie vollständig in Frage stellt, zeigt er in CR aber trotzdem sehr gut die extremen Risiken und Gefahren dieser Tätigkeit. Das Duell am Spieltisch benutzt er sehr schön als Metapher für das Spionagegeschäft und den Kalten Krieg an sich, bei der der Einsatz das eigene Leben ist. Überhaupt finde ich die Konstruktion der Handlung, durch die ein simples Baccarat-Spiel in einem Casino zu einer Sache von Leben und Tod für ganze Nationen wird, sehr gut gelungen. Vielleicht sogar genial. Das ist vielleicht Flemings bedeutendster Beitrag zum Agentengenre, dass er durch geschickte Story-Konstruktionen den doch eher grauen bis banalen Agenten-Alltag der Realität mit eigentlich völlig abwegigen und exotischen Themen wie Casinobesuchen, Schatzsuchen, Voodoo, Heraldik, und sonstiges verbindet und erweitert. Damit hat er das Genre viel interessanter und massentauglicher gemacht, es langfristig wohl aber auch trivialisiert und mit Klischees angereichert.


    Der Gegenspieler: Le Chiffre ist einer der gelungensten Bösewichter Flemings. Ähnlich wie später Drax oder No hat er sich einen anderen Namen gegeben und hat einen interessanten und mysteriösen Hintergrund. Er tauchte als Staatenloser mit vermeintlicher Amnesie im KZ Dachau auf, was die Vermutung nahelegt, dass er ähnlich wie Hugo Drax ein Täter war, der sich unter die Opfer gemischt und seine Identität verschleiert hat. Seine Kaltblütigkeit beim Foltern später würde das auch nahelegen. Er wird als eher klein und übergewichtig beschrieben, mit einer kalten, fisch-artigen Art. Das kommt im 2006er Film leider überhaupt nicht rüber, wo er sogar eher sympathisch wirkt. Peter Lorre und vor allem Orson Welles kommen dem theoretisch schon näher. Vom Typ her finde ich, dass jemand wie Bob Hoskins eine gute Besetzung wäre.


    Die Dame: Vesper Lynd ist sehr plastisch und realistisch beschrieben, und wird, genau wie Le Chiffre, beim Lesen lebendig. Ich sehe das wie Anya, beim Beschreiben seiner weiblichen Figuren beweist Fleming ein erstaunliches Gespür, welches einem "Misogynisten" oder "Chauvinisten" völlig abgehen würde. Das ist fast das Gegenteil von den später oft recht stereotypen Frauen in den Filmen. Grundsätzlich finde ich auch, dass Vespers Konflikt durch eine Organisation wie Smersh, die scheinbar jeden überall ermorden kann, im Buch besser rüberkommt als im Film. Das ist ein kleines Manko der 2006er Verfilmung. Während jeder weiß, wie mächtig und skrupellos die Sowjets in den 50ern waren, bleibt die Organisation hinter Le Chiffre und Vesper im Film eher nebulös, und ebenso die Verstrickungen der Figuren. Und die späteren Filme haben da leider auch nicht so viel mehr Klarheit geschaffen.


    Die Helfer: Fleming erschafft hier mit Leiter und Mathis gleich zwei wiederkehrende Verbündete. Das Zusammentreffen mit Leiter und dessen wunderhafte "Marschall-Hilfe" beim Kartenspiel etablieren die Freundschaft der beiden sehr schön. Das hat der 06er Film auch kongenial übernommen. (Aber auch hier machten die Filme daraus später nicht wirklich viel.)


    Die Action: Ist hier noch sehr dosiert. Der erste Anschlag auf Bond ist eine simple Bombe, die zu früh los geht. Die Autojagd mit dem Gegner ist noch recht kurz. (Auch hier war der Film clever, statt einer simplen Kette mit Spikes Vesper auf die Straße zu legen.) Auch ein echtes Finale gibt es nicht, was das Buch für einen Spionagethriller vielleicht etwas enttäuschend macht. (Auch hier war der Film wesentlich geschickter.) Es wirkt auch etwas unglücklich, dass Vesper einfach tot gefunden wird, und ihre Motive über ihren Abschiedsbrief geschildert werden. Hier wäre irgendeine Form von 'show, don't tell' vielleicht effektiver gewesen.


    Der Titel: Viele Fans mögen ja Casino Royale nicht so besonders als Titel, aber ich finde ich ähnlich gut wie viele spätere. Er hat etwas einmaliges, griffiges, und gleichzeitig eine gewisse geerdete Poesie. Er beschreibt die politische Dimension des Kartenspiels recht treffend.


    Die Schauplätze: Die Cote d´Azur ist immer ein dankbarer Ort für Lovestories und Spannung. Dass Fleming in diese gut bekannte Gegend einen fiktiven Ort etabliert, finde ich jetzt nicht unbedingt notwendig. Den Titel hätte man auch ohne begründen können. Das Feeling dort muss in den 50ern und 60ern grandios gewesen sein. Die Nähe zum Meer trägt auch sehr zur Stimmung bei, etwas, was ich beim 06er Film auch etwas als Manko empfinde.


    Insgesamt finde ich aber doch, dass Fleming hier ein erstaunlicher und sprachlich-stilistisch sehr ansprechender und runder Roman gelungen ist, der den Vergleich mit seinen Vorbildern nicht zu scheuen braucht. Immerhin sind ja sowohl der erste als auch der letzte Satz legendär geworden. Vor allem "The bitch is dead now". Ich denke, Fleming hat all sein Talent in das Buch gelegt, und war dementsprechend wohl auch enttäuscht, dass der ganz große Erfolg erstmal ausblieb und eine schnöde TV-Folge daraus wurde. Diese Ironie, dass Fleming eher mit seinen trivialen Werken berühmt wurde, und nicht mit seinen ambitionierten,, verbindet ihn mit vielen anderen Künstlern, wie etwa Wilhelm Busch, der immer anspruchvolleres schaffen wollte als Max und Moritz. Du bekommst zwar den Ruhm, den du wolltest, aber nicht so, wie du ihn wolltest.

  • Vielen Dank für das umfassende, spannend zu lesende Review :)

    Viele Fans mögen ja Casino Royale nicht so besonders als Titel, aber ich finde ich ähnlich gut wie viele spätere

    Ich finde den auch gut.. für den Roman. Für den Film eher mässig, da die Casino-Szenen (und auch die ganze Filmhandlung dort) doch im Vergleich zum Film nicht den Stellenwert einnehmen, als das es diesen Titel "rechtfertigen" würde. Aber das ging halt nicht anders, denn wer hätte schon diesen Fleming Titel verschenkt?


    Die Nähe zum Meer trägt auch sehr zur Stimmung bei, etwas, was ich beim 06er Film auch etwas als Manko empfinde.

    Das finde ich auch ungeschickt. Warum man hier Montenegro (das übrigens immerhin sogar auch am Mittelmeer liegt!) und dieses dann noch durch Tschechien doubeln lässt, das mit der darzustellenden Location so ziemlich gar nichts gemein hat, erschliesst sich mir beim besten Willen nicht :/

    Die Figur des Adolf Gettler fehlt völlig.

    Es ist offenbar schon viel lange her, dass ich den Roman gelesen habe. Keine Ahnung, wer Adolf Gettler war/ist - kann mich nicht mal mehr an den Namen erinnern... :S


    Quote

    Und die späteren Filme haben da leider auch nicht so viel mehr Klarheit geschaffen.

    Aber sicher doch: "Das war alles ich"-Blofeld steckte dahinter und es ging ihm von Anfang nur darum, Bond eines auszuwischen 8o





  • Es ist offenbar schon viel lange her, dass ich den Roman gelesen habe. Keine Ahnung, wer Adolf Gettler war/ist - kann mich nicht mal mehr an den Namen erinnern... :S

    Im Film ist das Richard Sammel, der mit dem dunklen Glas in der Brille. Im Buch taucht er gegen Ende auch öfter auf. Es gibt auch eine Passage, wo Bond sich an der Hotelrezeption nach ihm erkundigt, und der Rezeptionist sagt, dass er im Zuge eines Uhrmacherkongresses da ist. Das hat man sogar verfilmt, die Szene aber dann rausgeschnitten. Im Film wird er nur Gettler genannt, vermutlich weil der gesamte Name irgendwie ungute Assoziationen weckt.

  • Das war ja schon eine Aufforderung zu Duell - ich musste da einfach reagieren :P

    Der Tag, an dem wir beide hier tatsächlich vollständig einer Meinung sind, wird ein sehr langweiliger Tag für das Forum :D Manchmal müssen einfach ein paar Klingen gekreuzt werden :P


    Insgesamt würde ich aber doch sagen, dass CR neben OHMSS Flemings ambitioniertester Roman ist. Das serielle und pulpige, das er später einführte, kommen hier noch gar nicht zum Tragen. Die Handlung steht für sich, und wirkt - anders als im 2006er Film - auch nicht unbedingt wie eine Origin-Story. Und vielleicht hätte es dem Vermächtnis und dem Ansehen des Romans sogar geholfen, hätte Fleming aus Bond danach keinen Serienhelden gemacht. Was ihn von späteren Büchern abhebt, ist dass das zwischenmenschliche Drama hier deutlich mehr Gewicht hat als die Spionage-Geschichte und das Duell mit dem Schurken. Das ist vielleicht auch der Grund, warum ihn viele Bondfans gar nicht so toll finden. Immerhin stirbt der Hauptschurke schon sehr zeitig, und wo die üblichen Bondstories abblenden, ist die Geschichte hier noch lange nicht zu Ende. (Die 2006er Verfilmung hat das Problem durch gewisse Suspense-Elemente, den Ausbau von Gettler und ein Action-Finale sehr clever gelöst.)

    Dem ist wenig hinzuzufügen, werter Kollege. Ich mag CR als Roman besonders gerne und denke auch, dass Flemings Ruf als nicht ernstzunehmender Pulpautor in erster Linie durch Folgeromane und auch ganz besonders durch die Conneryfilme begründet wurde. Dass er als Autor einiges kann, hat er nicht nur in CR bewiesen.

    Mir fällt da immer Heine ein, der sagt: "Wer wird nicht einen Klopstock loben? Doch wird ihn jeder lesen? - Nein. Wir wollen weniger erhoben und fleißiger gelesen sein."


    Ohne den Filmbond wäre Fleming in der Versenkung verschwunden. Aber gerade der (frühe) Filmbond sorgt dafür, dass Flemings CR-Ambitionen sich deutlich verändern.

    Die Schauplätze: Die Cote d´Azur ist immer ein dankbarer Ort für Lovestories und Spannung. Dass Fleming in diese gut bekannte Gegend einen fiktiven Ort etabliert, finde ich jetzt nicht unbedingt notwendig. Den Titel hätte man auch ohne begründen können. Das Feeling dort muss in den 50ern und 60ern grandios gewesen sein. Die Nähe zum Meer trägt auch sehr zur Stimmung bei, etwas, was ich beim 06er Film auch etwas als Manko empfinde.

    Fleming siedelt Royale-les-Eaux interessanterweise gar nicht an der Cote d´Azur an, sondern an der französischen Nordwestküste (in der Nähe von Le Torquet und Rouen, wohin Bonds Rolls Royce zur Reparatur gebracht wird.) Fleming kannte die Gegend sehr gut und war unter anderem auch am sogenannten "Dieppe raid" währende des 2. Weltkriegs beteiligt.

    Ich war im letzten Sommer auf den Spuren Bonds in der Gegend, auch wenn die alten Streckenführungen der Straßen teilweise verändert wurden bzw. durch neue Schnellstraßen ersetzt wurden. Das Vorbild für Royale-les-Eaux zu finden ist nicht ganz einfach, weil die Beschreibungen in CR und OHMSS nicht 100ig konsistent sind. Ein möglicher Ort ist jedoch Cayeux-sur-mer. Das Casino ist zwar ein hässlicher, amerikanisierter Bau aus den späten (?) 60ern, aber ein bisschen was vom alten Badeortflair sieht man trotzdem noch :P Nordwestfrankreich auf den Spuren von Bond und Vesper kann ich nur empfehlen.

  • Dem ist wenig hinzuzufügen, werter Kollege.

    Danke für die Zustimmung. Allerdings stammt das Zitat nicht wie angegeben von mir, sondern vom Kollege Martin ;) :S



    Ich mag CR als Roman besonders gerne und denke auch, dass Flemings Ruf als nicht ernstzunehmender Pulpautor in erster Linie durch Folgeromane und auch ganz besonders durch die Conneryfilme begründet wurde.

    Welchen der Connery-Filme findest Du denn so pulpig? Ich finde das nämlich nicht bzw. nicht übermässig. Am ehesten vielleicht noch DN, aber das ist ja in erster Linie dem Romanvorlage geschuldet.



    Fleming siedelt Royale-les-Eaux interessanterweise gar nicht an der Cote d´Azur an, sondern an der französischen Nordwestküste

    Danke für die Präzisierung. Ich hatte das nämlich auch leise so in Erinnerung. Nach Martins Post dachte ich, ich hätte mich geirrt (was ja nach rund 30 Jahren schon mal passieren kann). Aber offenbar lag ich doch richtig

  • Danke für die Zustimmung. Allerdings stammt das Zitat nicht wie angegeben von mir, sondern vom Kollege Martin ;) :S

    Du hast natürlich recht, tut mir leid, Martin (Vorher war Djangos Zitat nochmal drüber und beim Rauslöschen war der Text weg, aber nicht der Name).

    Welchen der Connery-Filme findest Du denn so pulpig? Ich finde das nämlich nicht bzw. nicht übermässig. Am ehesten vielleicht noch DN, aber das ist ja in erster Linie dem Romanvorlage geschuldet.

    Vermutlich bricht gleich ein Sturm der Entrüstung los, aber wie wärs mit TB? Zumindest die prügelnde Witwe und die Rucksackrakete haben ja doch wirklich, wirklich wenig mit der Realität zu tun...

  • Also ich verstehe unter Pulp... naja - Pulp halt ;) :S . Das hat aber nur bedingt was mit "realistisch" zu tun, sondern für mich eher mit von der Idee her billig, trashig, comichaft. TB würde ich denn auch nie als Pulp bezeichnen. Dann eher schon YOLT (ja...) und erst recht DAF. Für mich sind diese beiden Filme aber auch keine typischen Connery-Bonds. Und (ja - haut mich jetzt!) auch spätere Bond-Filme haben für mich pulpige Elemente (also wenn etwa Jaws kein Pulp ist, weiss ich auch nicht 8o ). Hach - das Thema wäre eigentlich einen eigenen Thread wert :/ :)

  • Fleming siedelt Royale-les-Eaux interessanterweise gar nicht an der Cote d´Azur an, sondern an der französischen Nordwestküste (in der Nähe von Le Torquet und Rouen, wohin Bonds Rolls Royce zur Reparatur gebracht wird.) Fleming kannte die Gegend sehr gut und war unter anderem auch am sogenannten "Dieppe raid" währende des 2. Weltkriegs beteiligt.

    Klar. Ich lese auch gerade "Rebecca" von Daphne du Maurier, das am Anfang an der Mittelmeerküste spielt. Vermutlich irgendwie zusammengewürfelt im Kopf.


    Und ehrlich gesagt, habe ich auch schon viel deutlich schlechtere sogenannte "Hohe Literatur" gelesen (lesen müssen), bei der ich bis heute nicht weiß, warum das eigentlich Literatur sein soll.

    Gibt es eigentlich überhaupt von Kritikern gelobte Literatur, die auch richtig spannend und flüssig zu lesen ist? Wenn ich da so an Hermann Hesse oder Joseph Conrad denke, da musste ich mich immer eher durchquälen. Es war nicht schlecht, aber irgendwie auch nicht gerade Pageturner.

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