Agentur ARGUS

  • Agentur ARGUS








    Ian Flemings
    James Bond 007




    in




    einer
    Kurzgeschichte




    von




    Thorsten Beckmann



























    1 – Ein unmoralisches Angebot






    Der britische Geheimagent James Bond saß im Büro seiner
    Chefin. Es ging um einen neuen Auftrag, doch Bond war nicht richtig bei der
    Sache. Seine Gedanken kreisten unaufhörlich um eine Frau, Havanna Westham, der
    Tochter der MI6-Legende und früherem 007 Sir Henry Westham. Er hatte sie bei
    seinem letzten Auftrag in Bath kennen gelernt und einige tragische Ereignisse
    mit ihr in Kuba durchgemacht. Er hatte Havanna wieder neuen Lebensmut geben
    können, nachdem sie von dem größenwahnsinnigen und rachedurstigen Pflanzer
    Perez vergewaltigt und ihr Vater und ihr Cousin von Perez’ Tochter ermordet
    worden waren. Nicht ganz zu Unrecht, wie sich herausstellte, war doch Sir Henry
    Westham in Wirklichkeit ein skrupelloser Mann und einer der größten
    Drogenbarone Europas gewesen. Doch nun war Havanna weg, hatte sich von Bond
    getrennt, um endgültig mit ihrer Vergangenheit abzuschließen. In seinem Inneren
    fühlte Bond, dass es die richtige Entscheidung war, doch schmerzte es ihn
    trotzdem. Ein leises Seufzen entrang sich seiner Kehle.






    „Haben sie mich verstanden, 007?“ Ms schneidende Stimme riss
    den Agenten aus seinen Gedanken und ließ ihn auffahren. Schuldbewusst
    schüttelte er den Kopf. M stöhnte. „Reißen sie sich zusammen, 007! Ich weiß ja,
    dass sie die Wahrheit über Sir Henry erschüttert hat und es ist auch tragisch
    dass seine Tochter nun auch weg ist, aber Sir James Molony hat sie für
    einsatzfähig erklärt und ich erwarte, dass sie diesen Auftrag gewohnt
    professionell angehen.“






    Bond nickte und schluckte all seine Gefühle hinunter.
    „Jawohl, Madam.“






    „Gut“, erwiderte M ganz ruhig. „Dann beginne ich noch einmal
    von vorne. Man hat uns auf sehr ungewöhnliche Weise ein verlockendes Angebot
    unterbreitet. Es geht hierbei um Entwicklungsergebnisse von geheimer
    amerikanischer Forschung im Bereich der Nachrichtentechnik. Ergebnisse, die
    unserem eigenen Satellitenprojekt um Dr. Reginald Jameson und dem unglücklichen,
    verstorbenen Sir William Otterborough sehr zugute kommen könnten, wenn sie denn
    wirklich echt sind und halten was uns da versprochen wird.“






    „Ein sehr zwiespältiges Angebot“, gab Bond nachdenklich
    zurück. „Es hieße ja fast unsere eigenen Freunde drüben beim CIA zu bestehlen.
    Wer macht uns denn das Angebot?“






    M zuckte mit den Schultern. „Der kalte Krieg ist vorbei,
    007. Mittlerweile haben wir auch bei den Russen Freunde. Sehen sie es einfach
    als Industriespionage bei einem benachbarten Konzern an. Heutzutage geht es
    hauptsächlich um Informationen und nicht mehr darum dem anderen zu schaden.“
    Sie macht eine ausladende Geste mit den Händen. „Aber jetzt wird es wirklich
    interessant. Das Angebot stammt von der Agentur Argus. Schon einmal davon
    gehört?“ Bond musste verneinen. „Dachte ich mir. Wir wissen selbst nicht sehr
    viel darüber. Eine international operierende Detektivagentur mit Sitz in Bern,
    Eigentümer ein gewisser A. R. Gus. Über Gus selbst ist praktisch gar nichts
    bekannt, außer dass er ebenfalls Schweizer ist. Uns liegen keinerlei Daten über
    ihn vor. Kein Geburtsdatum, keine Beschreibung. Gus scheint nur als
    Unterschrift und Stimme am Telefon zu existieren.“ M öffnete die Akte, die vor
    ihr auf dem Schreibtisch lag und reichte Bond ein Blatt Papier daraus. „Hier
    sehen sie auf welchem Wege uns das Angebot unterbreitet wurde.“ Bond nahm das
    Papier entgegen. Es war die Kopie von Vorder- und Rückseite einer Visitenkarte.
    „Eingeworfen in den Briefkasten der Universal Exports Filiale in Bern von einem
    vermummten Unbekannten. Der Stationsleiter Weber kam ohne Umschweife zu der
    Entscheidung diesen Fall uns zu übertragen und forderte für den Fall einen
    Doppelnullagenten an. Nach der uns bekannten Sachlage eine verständliche und
    richtige Entscheidung. Das Original befindet sich zurzeit zur Analyse in der
    Abteilung Q.“






    Bond nickte und betrachtete noch einmal die Kopie. Auf der
    Vorderseite befand sich ganz normal die Adresse, während auf der Rückseite
    etwas handschriftlich geschrieben stand.






    Biete Ergebnisse der Forschungen des Nachrichtentechnikers Masterson,


    derzeit tätig im gleichnamigen amerikanischen Projekt.


    Senden sie einen Vertreter an umstehende Adresse.


    A. R. Gus





    Gefolgt wurde dieses Angebot von einer Chiffrenummer. Bond
    vermutete, dass diese Nummer in direktem Zusammenhang mit dem Masterson-Projekt
    stand um die Echtheit der angebotenen Dokumente zu beweisen. Er ließ die Kopie
    wieder sinken. „Und ich soll jetzt die Qualität der Ware und die Person des
    Verkäufers überprüfen, nehme ich an.“






    „So ist es“, bestätigte M. „Aber seien sie auf der Hut.
    Möglicherweise hat Mr. Gus auch noch anderen Parteien die Unterlagen zum Kauf
    angeboten um einen Höchstpreis zu erzielen.“






    „Daran habe ich auch schon gedacht.“






    M lächelte leicht. Es hätte sie auch gewundert, wenn Bond
    diesen Punkt nicht auch schon mit eingerechnet hätte. „Miss Moneypenny gibt
    ihnen das Flugticket und Q die Ausrüstung. Sie kennen das ja. Viel Glück,
    Bond.“






    Der Agent stand auf und verließ das Büro. Im Vorzimmer wurde
    er von Moneypenny schon sehnsüchtig erwartet. „Interessanter Auftrag, James?“






    „Routine“, entgegnete Bond und griff nach seinem Mantel am
    Garderobenständer. „Als ich das letzte Mal in Mitteleuropa war, war das um eine
    CD wiederzubekommen, jetzt wird uns eine angeboten.“ Moneypenny nickte wissend
    und seufzte. „Ja, ich habe Stunden damit verbracht Informationen über diese
    Agentur Argus zu suchen. Internetrecherche und Unmengen an Anrufen, Abteilungen
    hier im Hause, Weber in Bern, alle anderen großen europäischen Detekteien und
    dergleichen mehr. Sehr frustrierend das Ganze.“






    Bond sah Moneypenny lächelnd an. „Das kann ich mir denken.
    Und wie gerne würde ich dir beim Frustabbau helfen, Penny, doch leider ruft die
    Pflicht.“






    „Wäre ja auch noch schöner, wenn ich hier die ganze Arbeit
    hätte und du nur auf der faulen Haut liegen könntest“, gab die Sekretärin
    zuckersüß zurück und reichte dem Agenten das Flugticket und alle weiteren
    wichtigen Unterlagen.






    Wenige Augenblicke später fand sich James Bond in der
    Abteilung Q wieder. Vorbei an den tüftelnden Technikern und Unmengen an
    technischen Geräten und profanen Gegenständen, die es aber mit Sicherheit auch
    in sich hatten, fand Bond Q schließlich
    in einem kleinen Nebenraum. Q stand neben einem Schreibtisch mit Mikroskop,
    Reagenzgläsern und einem speziellen Hochleistungsscanner darauf und hatte die
    Hände in den Taschen seines weißen Kittels vergraben. Am Schreibtisch saß ein
    hagerer Mann mittleren Alters mit dunkelbraunen Haaren und einem ebensolchen
    Vollbart. Er untersuchte gerade die Visitenkarte mit einem Uhrmacherglas.
    „Hallo Q.“






    Q wendete sich zur Tür. „Ah, 007. Kennen sie schon Mr.
    Holmes?“






    „Den berühmten Detektiv?“






    Q verdrehte die Augen. „Nein, unseren Graphologen. Warum
    bestrafen sie mich eigentlich immer mit ihren vorsintflutlichen Witzchen?“






    Bond nickte Mr. Holmes kurz zu und grinste dann Q an. „Oh,
    immerhin hielten sich die von mir verursachten Schäden bei der letzten Mission
    in Grenzen. Mal schauen ob ich sie noch zusammenbekomme… eine Fensterscheibe,
    ein Hemd, den Lack und die Titanversiegelung des Jaguars und… das war es
    eigentlich. Den Taschenrechner und den Kugelschreiber habe ich ihnen unversehrt
    zurückgebracht.“






    „Ich hörte da noch von einem ganzen Haus, dass sie in Schutt
    und Asche gelegt haben…“






    Bond wurde wieder etwas ernster. „Nun, Havanna hätte es
    sowieso abreißen lassen. Es hat zu viele schlimme Erinnerungen in ihr geweckt.“






    „Nun gut“, gab sich Q schließlich zufrieden. „Aber über den
    Jaguar müssen wir noch reden.“ Er wendete sich dem Graphologen zu. „Was hat die
    Analyse ergeben?“

  • Holmes legte das Uhrmacherglas beiseite und schaute zu Bond
    und Q. „Nun, die energisch zu nennende Schrift zeigt eindeutig, dass wir es
    hier mit einem sehr selbstsicheren Mann zu tun haben. Zudem scheint er
    mittleren Alters oder jünger und überdurchschnittlich intelligent zu sein. Vom
    Typ her eher ein Abenteurer“, führte er aus, während Bond einen skeptischen
    Blick aufgesetzt hatte. „Interessant auch Papier und Druck der Karte“, bemerkte
    Holmes weiter. „Italienische Leichtpappe, Wasserzeichen einer Druckerei aus
    Florenz, sehr edle Ausführung.“






    Q nickte. „Danke, Holmes.“






    „Elementar, mein lieber Watson“, entgegnete der Graphologe
    fröhlich und zwinkerte Bond zu. Dieser konnte sich das Grinsen nicht
    verkneifen. Dieser Holmes schien ein netter Kerl zu sein, auch wenn Bond nicht
    recht wusste was er von dessen Schriftdeutung halten sollte. Q erwiderte
    stillschweigend gar nichts und machte rasch weiter im Text. „Kommen wir zu
    ihrer Ausrüstung. Folgen sie mir, 007.“






    Q und Bond verließen das Büro und gingen zu Bonds Wagen.
    „Ah, ein guter alter Aston Martin“, meinte Bond erfreut als sie das Auto erreichten.
    „Ich nehme einmal an die Neulackierung des Jaguars gestaltet sich sehr
    zeitaufwendig.“






    „Sie haben es erfasst und sind damit selbst schuld, dass er
    ihnen jetzt nicht zur Verfügung steht“, stimmte Q ihm zu. „Deshalb jetzt ein
    Aston, nur minimal verbessert. Keine großen Extras drin und daher optimal für
    ihre kostspielige Fahrweise. Kugelsicher und Maschinengewehre vorne und hinten,
    quasi die MI6-Standardausführung für Routinemissionen. Ich bezweifle, dass sie
    ihn überhaupt brauchen werden.“ Q wendete sich um und einem Tisch zu. „Kommen
    wir nun zu etwas, dass sie aber ganz bestimmt brauchen werden.“ Bond trat neben
    ihn und erblickte ein Laptop. „Alle nötigen Daten und Programme darauf um
    Proben der angebotenen Dokumente auf ihre Echtheit zu überprüfen.“






    „Und bringen sie alles heil zurück, 007“, ergänzte Bond
    grinsend in Qs üblichem Tonfall, woraufhin Q nur entnervt den Kopf schütteln
    konnte.






    2 – Alte Bekannte






    Noch am selben Abend saß der britische Geheimagent James
    Bond im Büro des Berner Stationsleiters Weber. Weber war ein grauhaariger,
    etwas nervös wirkender Mann um die fünfzig. Er hatte seine schmale, eckige
    Brille abgenommen und putzte sie mit einem weißen, textilen Taschentuch,
    während er Bond weitere Informationen zukommen ließ. Viel konnte er allerdings
    auch nicht sagen. „Die Agentur ist in einem modernen Geschäftsgebäude direkt an
    der Aare untergebracht. Und es ist eine Schande, dass wir so wenig wissen. Wir
    könnten ihnen den Lebenslauf des Pförtners in allen Einzelheiten darlegen, aber
    wir wissen überhaupt nichts über die weiteren Mitarbeiter. Die Agentur wurde
    vor fünf Jahren von A. R. Gus gegründet und hat sich seitdem durch die Lösung
    einiger obskurer Fälle einen Namen gemacht. Einige davon auch im Ausland. Sie
    müssen über ein recht ansehnliches Netz an Detektiven und Informanten verfügen.“
    Weber seufzte. „Ich wünschte, ich könnte einen von denen abwerben und auf Gus
    selbst ansetzen. Wenn wir überhaupt etwas über Gus wissen, dann sind es
    widersprüchliche Aussagen. So will der eine wissen, dass A. R. Gus für Adolphe
    René Gus steht, eine andere Quelle nennt als wirklichen Namen Gustav Asbach-Roth.
    Einige sagen, er wäre ein aufstrebender junger Geschäftsmann, andere hingegen
    sprechen von ihm als alten Sonderling. Wie sie sehen, liegt es an ihnen mehr
    über ihn herauszufinden, wenn sie mit ihm in Kontakt treten.“






    Bond nickte langsam. „Ein Treffen mit einem Phantom also.
    Hat sich Gus in der Zwischenzeit noch einmal gemeldet?“






    Weber schüttelte den Kopf und setzte seine Brille wieder
    auf. „Nein. Nach der Visitenkarte kam nichts mehr. Es liegt anscheinend jetzt
    an uns zu handeln. Sie werden die Agentur als Vertreter von Universal Exports
    aufsuchen. Ich bin sicher, man wird sie dort schon erwarten.“ Weber begann
    unruhig mit dem Taschentuch in seiner Hand zu spielen. Bond beobachtete dies
    misstrauisch und fragte sich wie so ein nervöser Mensch es überhaupt zum
    Stationsleiter gebracht hatte. Als Weber Bonds Blick bemerkte, steckte er das
    Taschentuch, in dem sich mittlerweile mehrere kleine Knoten befanden, rasch
    zurück in seine Hosentasche. „Ich bin bei dieser ganzen Angelegenheit sehr
    skeptisch, Mr. Bond. Aber notfalls kann ich auf gute Verbindungen zur Kantonspolizei
    zurückgreifen, um sie aus etwaigen Schwierigkeiten herauszuhauen.“






    „Gut“, bestätigte Bond. „Hoffen wir aber mal, dass es nicht
    soweit kommt.“






    „Äh, ja, ja“, nickte Weber, der immer das Schlimmste
    vermutete, geschäftig und fuhr fort. „Sie sind untergebracht im Hotel Bellevue
    Palace in der Altstadt, neben dem Parlament und nicht weit von der Aare
    entfernt. Fünf Sterne und damit genau das Richtige für den Geschäftsreisenden
    von Welt. Ihr Termin in der Agentur Argus ist morgen um 11 Uhr. Das wäre dann
    eigentlich alles. Oder haben sie noch Fragen, Mr. Bond?“






    Der Agent verneinte, verließ das Gebäude der Universal
    Exports und fuhr zum Hotel. Er überantwortete seinen Aston Martin einem
    Bediensteten des Hotels und checkte an der Rezeption ein. Während die nette und
    hübsche Empfangsdame den Schlüssel heraussuchte, blickte sich Bond in der Lobby
    um. Für einen Moment stockte er und kniff die Augen zusammen. War das möglich?
    Die blitzenden graublauen Augen, das ebenmäßige, helle und jugendliche Gesicht,
    die braunen, leicht gewellten, schulterlangen Haare… Anna? Bond schaute
    abermals in die Richtung. Es war keine Frau mehr zu sehen. Hatte er sich
    geirrt? „Ihr Schlüssel, Mr. Bond“, riss ihn die Empfangsdame aus seinen
    Gedanken.






    „Danke.“ Bond nahm den Schlüssel entgegen und ging in seine
    Suite. Er packte seinen Koffer aus und ließ noch einmal alle Informationen
    Revue passieren. Viel weiter brachte es ihn allerdings nicht. Natürlich war es
    möglich, dass die Agentur zufällig in den Besitz von Mastersons
    Forschungsergebnissen gekommen war, gingen doch viele Arten von Informationen
    durch ihre Hände, und es war auch verständlich, dass nun versucht wurde, damit
    Geld zu machen, besonders wenn A. R. Gus, wie der Graphologe analysiert hatte,
    tatsächlich ein Abenteurertyp war. Doch wurde Bond das unbestimmte Gefühl nicht
    los, dass da noch etwas mehr hinter steckte. Etwas unbefriedigt ging er
    schließlich zu Bett.






    Punkt 11 Uhr fand James Bond sich schließlich nach einem
    ausgedehnten Frühstück mit viel Rührei und schwarzem Kaffee im Geschäftsgebäude
    der Agentur Argus wieder und ließ sich von dem kräftigen Pförtner durch die
    hellen, modernen Gänge führen. Hier und da waren Schreibmaschinen,
    Computertastaturen und Nachrichtenticker zu hören. Schließlich blieb er an
    einer dicken Bürotüre stehen und öffnete sie. „Hier bitte, Mr. Bond.“ Bond
    bedankte sich und trat ein. Hinter ihm wurde die Tür wieder geschlossen. Der
    Brite blickte sich um.



    Er war in einem großen, abgedunkelten Büro mit moderner,
    beinahe steriler Einrichtung. Aktenschränke standen an den Wänden und durch die
    Jalousien vor dem Fenster konnte man die Berge sehen. Außer ihm selbst waren
    noch zwei andere Personen in dem Raum. Links von ihm an einem kleinen
    Schreibtisch saß eine attraktive Frau mit langen, glatten, braunen Haaren an
    einer Blindenschreibmaschine. Bond konnte ganz deutlich ihre toten, glasigen
    Augen erkennen. Am anderen Ende des Raumes saß ein Mann hinter einem großen
    Schreibtisch mit zwei Besucherstühlen davor. Der Mann schien die besten Jahre
    seines Lebens schon hinter sich zu haben, hatte langsam ergrauende Haare und
    ein feistes Gesicht. Eines seiner Augen war merkwürdig starr. „Herzlich
    willkommen, Mr. Bond von der Universal Exports“, begann der Mann mit
    volltönender Stimme zu sprechen. „Ich weiß, es muss für sie einen sehr
    surrealen Eindruck machen, die Führung der Agentur Argus blind oder mit einem
    Glasauge.“ Er hatte ein belustigtes Grinsen aufgesetzt.






    Vorsichtig trat Bond näher. Die Frau hatte sich nun von der
    Schreibmaschine abgewendet und verfolgte aufmerksam jeden einzelnen Schritt des
    Agenten. „Mr. A. R. Gus?“






    Der feiste Mann lachte. Es war ein donnerndes, wenig
    anziehendes Lachen. „Nein, wo denken sie hin. Mein Name ist Bates. Ich bin der
    Geschäftsführer von Mr. Gus. Das da vorne ist Miss Allison. Zwar blind, aber
    durch ihre geschärften Sinne das Gehirn unserer Agentur“, stellte Bates die
    Frau vor.






    „Von Geburt an blind“, fügte Miss Allison hinzu und blickte
    unverwandt in Bonds Richtung. Sie hatte wirklich ein hübsches Gesicht. „Setzen
    sie sich doch, Mr. Bond“, tönte Bates.






    Bond, dem die ganze Situation etwas unheimlich war, leistete
    Bates’ Angebot Folge und ließ sich in einem der beiden metallenen
    Besucherstühle nieder. Sie waren genauso unbequem wie sie aussahen und sicher
    nicht für längeres Sitzen gedacht. „Wir haben ein Angebot von Mr. A. R. Gus“,
    begann Bond nun hart. „Ich verlange mit ihm persönlich darüber zu verhandeln.“






    Bates schaute den Agenten ein wenig betrübt an und rieb sich
    die breiten Hände. „Da muss ich sie leider enttäuschen. Sie werden wahrscheinlich
    denken, dass ich ihnen gestehe, dass es keinen A. R. Gus gibt und sich dieser
    Name nur sehr gut als Aushängeschild für die Agentur macht, aber diese Illusion
    muss ich ihnen nehmen. Es gibt Mr. Gus wirklich, nur ist er leider die meiste
    Zeit außer Landes. Wir erwarten erst für übermorgen eine seiner üblichen
    Stippvisiten. Was den angebotenen Deal angeht, so werden sie schon mit mir und
    Miss Allison vorlieb nehmen müssen. Mr. Gus hat alles in meine Hände gelegt.“






    „Na toll“, dachte Bond und seufzte innerlich, bevor er etwas
    erwiderte. „Ich nehme an, sie haben dann schon eine Probe des zum Verkauf
    stehenden Objektes zur Prüfung durch mich vorbereitet.“






    Bates nickte. „Miss Allison?“






    Die Frau erhob sich, ging zielstrebig zu einem Aktenschrank
    und holte dort eine CD vor. Sie trat zu Bates’ Schreibtisch und streckte Bond
    die CD entgegen. „Bitte sehr.“ Bond hatte jede ihrer Bewegungen genau verfolgt.
    Sie wirkten etwas ungelenk, aber man merkte, dass ihr die Umgebung sehr
    vertraut war. Bond nahm ihr die CD ab, steckte sie sorgfältig weg und schaute
    wieder zu dem Geschäftsführer. „Danke. Ich werde die Daten bis morgen überprüft
    haben.“






    „Lassen sie sich ruhig Zeit“, entgegnete Bates genügsam. „Es
    gibt zwar das Sprichwort ‚wer zuerst kommt, mahlt zuerst’, doch bei uns mahlt
    derjenige mit dem besseren Angebot.“






    „Es gibt also tatsächlich mehrere Interessenten? Wen?“






    Bates schüttelte den Kopf. „Geschäftsinterna werden nicht
    verraten“, lächelte er. „Wir sehen uns hier morgen früh um die gleiche Zeit
    wieder und verhandeln über den Preis. Bringen sie Mr. Bond zur Tür, Miss
    Allison.“






    Miss Allison nickte und wartete. Bond erhob sich und ging
    mit Miss Allison, die sich im Büro wirklich sicher bewegte, zur Tür. „Bis
    morgen dann, Mr. Bond“, lächelte sie, nachdem sie mit kleinen Unsicherheiten
    die Tür geöffnet hatte. Bond blickte noch einmal kurz zu Bates zurück, der
    selbstgefällig in seinem Bürostuhl saß, und verließ dann den Raum.






    Ohne Umschweife kehrte der britische Agent in sein Hotel
    zurück und zückte in seiner Suite angekommen eine Flasche Wodka, ein Glas und
    Qs Laptop. Während der Computer hochfuhr, goss Bond sich etwas ein und trank
    das kleine Glas in einem Zug leer. Die Begegnung mit Bates und seiner
    Sekretärin hatte einen merkwürdigen Geschmack in seinem Mund hinterlassen, den
    er unbedingt wieder loswerden wollte.



    Bond hatte gerade die CD eingelegt und die Überprüfung
    bestätigt, als es an seiner Zimmertür klopfte. Bond senkte den Monitor des
    Laptops, ging zur Tür und öffnete. Es war der Hotelpage mit einem Tablett, auf
    dem ein Brief lag. „Eine Nachricht für sie, Mr. Bond. Wurde eben an der
    Rezeption für sie abgegeben.“ Bond nahm den Brief entgegen, gab dem Pagen ein
    angemessenes Trinkgeld und schloss die Tür. Er schaute kurz zu dem Laptop, der
    aber immer noch arbeitete und ließ sich auf seinem Bett nieder. Der
    Briefumschlag war nicht zugeklebt. Der Agent faltete die Lasche um und holte
    einen kleinen Zettel heraus.






    In einer Stunde im Art Café, Gurtengasse 3,


    Anna




    Anna! Er hatte sich also nicht getäuscht und sie war
    tatsächlich auch hier. Wahrscheinlich hatte Gus dem russischen Geheimdienst das
    gleiche Angebot gemacht und sie wurde als Unterhändlerin geschickt. Bond musste
    unwillkürlich lächeln. Wie damals als er und Major Anya Amasowa Unterhändler um
    das U-Boot-Ortungssystem waren. Ungeduldig wartete der Agent die Analyse ab,
    packte die CD und den Laptop sicher weg, als er ein positives Ergebnis
    angezeigt bekam, und machte sich auf zu dem angegebenen Treffpunkt.






    3 – Gemeinsame
    Recherchen






    Der britische Geheimagent James Bond betrat das Art Café in
    Bern. Hier sollte er sich mit seiner russischen Berufskollegin Anna Aprewski
    treffen. Er schaute sich in dem hellen, schicken Café um und erblickte die
    blitzenden graublauen Augen und das jugendliche Gesicht sofort. Anna saß in
    einer ruhigen Ecke und lächelte ihn an. Freudig ging er auf sie zu. „Und so
    sehen wir uns erneut im Schatten der Alpen wieder“, lächelte Bond. „Ich hoffe,
    du hattest keinen Ärger damals, weil ich dir die CD wieder abgenommen habe.“






    Anna schüttelte ihren Kopf, verlockend flogen ihre braunen
    Haare durch die Luft. „Nein, sie haben es mir geglaubt, dass ich nur Morris’
    Leiche und keine CD mehr vorgefunden habe. Setz dich, James.“






    Bond nahm Platz und beide bestellten beim Kellner einen
    Milchkaffee. „Was macht dein Bruder?“






    „Staatsgeheimnis, James“, lächelte Anna. Sie hatte ein
    natürliches Lächeln, das Bond erneut in ihren Bann zog. „Aber es geht ihm gut.
    Er hat mir berichtet, wie ihr zusammen Perez ausgeschaltet habt. Er war sehr
    angetan von der Zusammenarbeit mit dir.“

  • „Das Kompliment kann ich nur zurückgeben“, nickte Bond. „Wir
    waren wie ein eingespieltes Team.“






    „Dann ist wohl jetzt ein guter Zeitpunkt um noch einmal mit
    einem Aprewski zusammenzuarbeiten“, gab Anna freundlich zurück, während der Kellner
    die Getränke brachte. Als er wieder außer Hörweite war, fuhr sie fort. „Ich
    hatte um 10 Uhr einen Termin bei Bates, du warst um 11 Uhr bei ihm, nicht wahr?
    Ich habe dich gesehen.“ Bond nickte. „Unheimliche Menschen dieser Bates und
    seine Sekretärin, nicht wahr? Ich nehme an, ihr wisst über die Agentur Argus
    und ihren Inhaber auch nicht mehr als wir, oder?“






    „Nein“, schüttelte Bond bedauernd den Kopf und nahm einen
    Schluck vom Milchkaffee. „Allerdings scheinen die angebotenen Dokumente echt zu
    sein.“






    „Das haben meine Untersuchungen auch ergeben“, bestätigte
    Anna. „Aber irgendetwas ist da faul. Ich spüre es.“ Anna machte eine kurze
    Pause und schaute Bond an. „Was hältst du von einem kleinen inoffiziellen
    Besuch in der Agentur heute Nacht?“






    Bond blickte ernst zurück. „Das halte ich für eine gute
    Idee. Unser Stationsleiter Weber hat versichert, mir notfalls alles Erdenkliche
    an Rückendeckung zu geben.“






    „Dann müssen wir nur noch entscheiden, was wir in der
    Zwischenzeit machen, es ist noch lange hin bis heute Abend.“ Verführerisch sah
    sie Bond an.






    „Zu dir oder zu mir?“ erwiderte der Agent lächelnd.






    „Lieber zu dir“, gab Anna zurück. „Der SWR ist was die
    Hotels angeht nicht so spendabel wie der MI6.“






    Lachend nahm Bond Annas Hand. Ihre erfrischende und herzliche
    Art war wirklich das Richtige, um den fauligen Geschmack, den die Begegnung mit
    Bates hinterlassen hatte, loszuwerden.






    James Bond und Anna Aprewski flanierten noch ein wenig durch
    die Berner Altstadt und sahen sich das Figurenspiel des Zeitglockenturmes, das
    jeweils vier Minuten vor jeder vollen Stunde lief, in der Kramgasse an, bevor
    sie einige schöne Stunden in Bonds Hotelsuite verbrachten. Als es dunkel wurde
    machten sie sich schließlich an die Vorbereitungen der nächtlichen Aktion.
    Vorausschauend hatten sie auch Annas Sachen am Nachmittag aus ihrem Hotel
    abgeholt, so dass sich beide nun im Bellevue Palace umzogen. Bond prüfte noch
    einmal die Batterien seiner Taschenlampe, Anna lud ihre Waffe und so fanden
    sich beide eine halbe Stunde später vor dem Geschäftsgebäude der Agentur
    wieder. „Es sieht ziemlich leer und verlassen aus“, flüsterte Anna. „Siehst du
    irgendwo einen Nachtwächter?“






    Bond schüttelte den Kopf. „Merkwürdig“, raunte er und sah
    sich um. Schließlich nickte er in eine bestimmte Richtung. Anna folgte seinem
    Blick. „Eine Überwachungskamera!“ Bond nickte. „Aber sehr ungeschickt
    platziert. Wenn aus dieser Richtung ein Auto kommt, blenden die Scheinwerfer
    die Kamera. Das ist unsere Chance.“






    Zehn Minuten mussten die beiden noch warten, bis sie die
    Gelegenheit hatten an der Kamera vorbei zum Haupteingang zu huschen. Doch es
    gelang ohne Probleme. Der Brite sicherte die Umgebung, während die russische
    Agentin das Schloss mit einem Dietrich bearbeitete. Schließlich sprang es auf
    und Bond und Anna schlüpften in die Eingangshalle. „Die Hauptgeschäftsräume
    sind im zweiten Obergeschoss. Wir nehmen am Besten die Treppe.“






    Vorsichtig und lauernd schlichen die beiden durch das
    Gebäude und schalteten die Taschenlampen nur im Notfall an. Alles war still und
    ruhig. Gerade als Bond dachte, dass es fast schon zu ruhig war, gelangten die
    Agenten an ein weiteres Hindernis im Flur des zweiten Stockwerkes: Eine wild
    zuckende Laserbarriere!






    „Ich glaube, wir haben den wichtigen Bereich der Agentur
    entdeckt“, seufzte Anna. „Wie sollen wir da nur durch kommen?“






    Bond erwiderte nichts, sein Blick hing gebannt an den
    Lasern. „Da ist ein System drin, Anna.“






    „Du hast Recht“, entgegnete die Russin, die nun ebenfalls
    auf die Lichtlanzen blickte, während Bond sich in die Mitte des Flures stellte,
    tief durchatmete, durch die Laserblitze sprang und unbeschadet auf der anderen
    Seite abrollte. Fast hätte Anna erschrocken aufgeschrieen. Der Agent stand auf.
    „Komm Anna, du schaffst es auch, du musst nur den richtigen Moment abwarten.“






    Anna nickte, stellte sich ebenfalls in die Mitte des Flures
    und versuchte ihre Angst zu unterdrücken. Mit einem geschmeidigen Flickflack
    erreichte auch sie sicher die andere Seite. Erleichtert atmete sie aus. „Ich
    hatte den roten Strahl direkt vor Augen… ich dachte, ich packe es nicht…“






    „Es ist ja alles gut gegangen, Anna“, tröstete sie Bond, die
    ihn dankbar anlächelte. „Wohin jetzt?“






    Der Brite schaute sich um. Die Wahl war sehr einfach, es gab
    auf dieser Seite der Barriere nur eine Tür. Wieder übernahm Bond die Sicherung
    und Anna das Aufbrechen. Im Inneren des Raumes befanden sich unzählige
    Aktenschränke. Ein vergittertes Fenster warf das fahle Mondlicht herein. Die
    Agenten schalteten ihre Taschenlampen ein und machten sich daran den Inhalt der
    Schränke zu untersuchen. Es waren alles streng geheime Informationen aus den
    verschiedensten Geheimdiensten der Welt. „Das ist keine Detektei, das ist ein
    privater Spionagering! Nicht auszudenken, wenn das alles in falsche Hände
    gerät“, meinte Anna fassungslos.






    „Wahrscheinlich ist es das schon und dies sind nur
    Sicherungskopien“, befürchtete Bond. „Wir müssen das gemeingefährliche Treiben
    dieser Agentur mit allen Mitteln beenden!“






    „Aber das müssen die doch geahnt haben… warum hat man uns da
    jetzt mit hineingezogen?“ Anna blickte Bond an, dessen Augen sich in düsterer
    Erkenntnis weiteten. „Bei Gott, du hast Recht! Dann muss das hier jetzt…“






    „Eine Falle sein, ganz recht“, tönte Bates’ Stimme durch den
    Raum. Wie vom Blitz getroffen fuhren Bond und Anna herum! Lachend stand Bates
    im Türrahmen, in der einen Hand ein Revolver, in der anderen Hand ein
    Molotowcocktail. „Trotz Einäugigkeit sieht Argus alles“, höhnte er. „Die
    Laserbarriere war übrigens ungefährlich und nur eine einfache Lichtschranke,
    auch die Kamera im Hof war absichtlich so positioniert und sie sind voll darauf
    hereingefallen.“ Bates lachte abermals, gnadenlos und schadenfroh. Die beiden
    Agenten hatten zwar noch ihre Waffen, waren ihm aber dennoch hilflos
    ausgeliefert. Er würde ihnen mit Sicherheit keine Gelegenheit lassen, diese zu
    ziehen. Zudem hatte er ein brandgefährliches Argument gegen den Waffengebrauch
    in der Hand. Plötzlich verstummte Bates und warf den Molotowcocktail mit aller
    Kraft gegen die hintere Wand. Die Explosion ließ Anna und Bond zusammenfahren,
    langsam breitete sich das Feuer aus, der Rauch ließ ihre Kehlen trocken werden.
    Doch zu ihrer großen Überraschung trat Bates einen Schritt zurück. „Kommen sie
    heraus hier. Und ja keine Mätzchen. Dies ist nur die Vernichtung von belastendem
    Beweismaterial, sie beide brauchen wir noch lebend.“






    Rasch eilten die beiden zur Tür, bevor ihnen der Rauch
    völlig den Atem nahm oder das Feuer sie erreichte. Bond ließ Anna dabei den
    Vortritt. Als sie draußen war, nahm Bond seine ganze Kraft zusammen, spannte
    seine Muskeln an und sprang Bates wie ein wildes Tier an. Überrascht schrie
    dieser auf und versuchte sich zu wehren, wollte einen Schuss abgeben, doch
    schon hatte Anna die Hand mit dem Revolver ergriffen und schlug ihn Bates aus
    der Hand. Ein Schlüssel glitt Bates bei der Rauferei aus der Tasche, den Anna
    sofort aufhob. Mit einem gekonnten Schulterwurf beförderte Bond den feisten
    Geschäftsführer in das Inferno und schloss hinter diesem die Tür. Rasch steckte
    Anna den Schlüssel ins Schloss und sperrte Bates in seiner selbst geschaffenen
    kleinen Hölle ein. Nach kurzer Zeit erstarben Bates’ verzweifelte Schreie.






    Bond und Anna atmeten tief durch und wollten sich gerade
    wieder aufrichten, als zweimal kurz hintereinander etwas durch die Luft surrte
    und beide einen kurzen stechenden Schmerz im Oberkörper spürten. Bond wendete
    sich um und konnte noch Miss Allison erkennen, die mit erhobenem Revolver vor
    der abgeschalteten Laserbarriere stand, und sich die Kontaktlinsen aus den
    Augen entfernte, bevor er von einer gnadenlosen Schwärze umfangen wurde.






    Mühsam und mit hämmernden Kopfschmerzen kam Bond wieder zu
    sich. Langsam schlug er die Augen auf, gewöhnte sich zögernd an das Halbdunkel
    und sah sich um. Er saß an einen Stuhl gefesselt in einem Kellerraum. An der Wand
    vor ihm hingen, mit Handschellen an Eisenhaken befestigt, Anna und ein ihm
    unbekannter, bewusstloser Mann. Miss Allison stand erwartungsvoll neben ihm.
    „Wo bin ich?“






    4 – Jagd nach A. R.
    Gus






    „Wo bin ich?“ wiederholte der britische Geheimagent James
    Bond müde. Er neigte den Kopf und schaute Miss Allison an. Trotz der fehlenden
    weißen Kontaktlinsen, die ihr Gesicht wieder viel lebendiger wirken ließen, war
    doch alles Hübsche aus ihrem Antlitz verschwunden und einer Eiseskälte
    gewichen. „Das spielt keine Rolle“, erwiderte sie.






    „Was haben sie mit uns vor? Wer ist der Mann?“






    „Nur die Ruhe, Mr. Bond. Ich werde ihnen gleich alles
    erklären und sie können sich schon einmal freuen, denn sie werden der einzige
    der Anwesenden sein, der diesen Keller wieder lebendig verlässt. Außer mir
    natürlich“, grinste sie. „Und der Mann ist nur ein unwichtiger kleiner
    CIA-Agent auf der Suche nach unserem Informanten und den Kopien von Mastersons
    Forschungsergebnissen.“ Ein melodisches Handyklingeln unterbrach Miss Allison.
    „Verzeihung. Einen Moment bitte, Mr. Bond.“ Miss Allison holte ihr Handy hervor
    und nahm den Anruf entgegen. „Allison… Ach, sie sind es… Ja, stimmt, Bates ist
    tot… Nein, das ändert nichts. Es wird alles weiterhin planmäßig ablaufen. Gus
    kommt wie besprochen morgen um 15 Uhr bei ihnen vorbei… Wiederhören.“ Sie
    steckte ihr Handy wieder weg und ging zu einem kleinen Beistelltisch, auf dem
    eine Spritze und drei Waffen lagen, eine davon war Bonds Walther, die andere
    gehörte Anna und die letzte war wohl die Ausrüstung des CIA-Mannes. Miss
    Allison nahm die Spritze und ging zu Bond. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie
    Handschuhe trug. „Dies hier ist ein Betäubungsmittel, Mr. Bond, in einer ganz
    speziellen Dosierung. Es wird sie ermatten, aber ihnen noch ein Mindestmaß an Bewusstsein
    lassen. Sie werden damit zu meinem willenlosen Werkzeug. Ich werde ihnen dann
    ihre Walther in die Hand drücken und mit ihrem Finger tödliche Schüsse auf die
    beiden anderen abgeben. Danach werde ich sie hier mit den Leichen zurücklassen
    und Polizei und Presse von ihrer Bluttat informieren. Ihre Waffe, ihre
    Fingerabdrücke, ihre Schmauchspuren. Sie selbst werden durch das Mittel nur
    noch eine sehr dunkle Erinnerung an alles haben, möglicherweise bleiben ihnen
    nur die beiden Schüsse und das Feuer in der Agentur im Gedächtnis.“ Sie machte
    Bonds Arm frei und injizierte ihm das Mittel. Er war ihr hilflos ausgeliefert.
    Dem kurzen Stich folgte ein leichtes Kribbeln. „Warum das alles?“






    „Ganz einfach, alle Welt wird von dem Amoklauf des
    britischen Agenten James Bond erfahren, der für eine CD über Leichen geht. Und
    es wird niemanden geben, der beweisen kann, dass sie weder die beiden anderen
    Agenten auf dem Gewissen noch Bates nicht in Notwehr ermordet haben. Sehen sie
    es als Beginn einer neuen Welle subtilen Terrors oder als Erprobung und Zurschaustellung
    unserer Macht, ganz egal. Sie werden sowieso bald vergessen. Der Chef wird sehr
    zufrieden sein.“ Mit Genugtuung sah sie James Bond langsam in sich
    zusammensacken, seine Augen waren halb geschlossen. Eine unendliche Müdigkeit
    legte sich auf seinen Körper und seine Gedanken. Miss Allison öffnete Bonds
    Fesseln. Er war wie gelähmt. „James!“ rief Anna verzweifelt. „Sie Teufelin!“
    Doch Miss Allison lachte nur, griff sich Bonds Walther und legte sie ihm
    beinahe zärtlich in die rechte Hand. Sie selbst griff den Abzug von links aus,
    zielte und schoss! Blut breitete sich auf der Brust des CIA-Agenten aus. Mit
    einem diabolischen Grinsen führte sie Bonds Hand nun in Annas Richtung…






    Bond stöhnte. Was war los? War da ein Schuss? Hatte er etwa
    geschossen? Von Ferne hörte er verzweifelte Rufe. War das eine Frau? Die Stimme
    kam ihm so bekannt vor. Er versuchte zu lauschen. „Kämpfe, James!“ schien die
    Stimme zu rufen. Kämpfen? Ja, kämpfen musste er… Ankämpfen gegen diesen Schleier
    in seinen Gedanken, die Schwere in seinen Gliedern. Nur wie? Wie? Ein Gefühl!
    Ein tiefes Gefühl! „Sir Henrys Ruhm fußt in Wahrheit nur darauf, dass er immer
    genau wusste wann er wen bestechen, liquidieren oder Bestechungsgeld annehmen
    musste... liquidieren… liquidieren…“, tönte es in Bonds Kopf. Liquidieren? War
    er nicht gerade selber dabei jemanden zu liquidieren um an irgendetwas zu
    kommen? Ein Bild nahm langsam vor seinem inneren Auge Gestalt an: Havannas
    Cousin, der ihm mit erhobener Waffe hämisch die Wahrheit über Sir Henry ins
    Gesicht schleuderte! Und da war sie! Wut! Unbändige Wut!






    Miss Allison schrie erschrocken auf, als sie plötzlich
    Widerstand spürte und Bond anfing wild nach ihr zu schlagen. Anna nutzte den
    Moment ihrer Unaufmerksamkeit und versuchte abermals sich zu befreien während
    Bond und Miss Allison miteinander rangen. Sie fand schließlich mit ihren Füßen
    Halt an der Wand, konnte sich von dem Haken lösen und den eiskalten Todesengel
    mit ihren Handschellen in einen Würgegriff nehmen und von Bond zurückziehen.
    Schreiend wehrte sie sich, doch Bond drückte ab! Leblos sank ihr Körper auf den
    Steinboden. Bond bekam noch mit wie die Tür aufgebrochen wurde und Weber mit
    der Kantonspolizei erschien, bevor er den Kampf gegen das Betäubungsmittel wieder
    aufgeben musste. Anna atmete erleichtert durch. „Sie sind Mr. Weber? Wir müssen
    den letzten Anrufer auf Miss Allisons Handy feststellen, dann kommen wir an Mr.
    Gus heran!“






    „Schwarzenberg, ein Bankier“, berichtete Weber noch am
    selben Abend in seinem Büro Anna und dem wieder vollkommen hergestellten Bond.
    „Ein korrupter Bankier“, verbesserte Bond Weber, der ihn daraufhin fragend
    ansah. „Ich hörte von ihm bei meinem letzten Fall“, erklärte der Agent. „Wie
    haben sie uns eigentlich gefunden, Weber?“






    Der Stationsleiter lächelte. „Nun, wir fanden eine Leiche in
    der brennenden Agentur. Anhand des Glasauges konnten wir den Mann
    identifizieren, ein bekannter Gangster. Das Haus in dem man sie gefangen hielt
    war früher sein Unterschlupf.“ Nun wusste Bond, dass der nervöse Weber durch
    Scharfsinn und Tatkraft zum Stationsleiter aufgestiegen war und er empfand
    wirkliche Achtung vor ihm.






    Schwarzenberg, ein schwarzhaariger Mann Mitte Dreißig mit
    runder Nickelbrille und äußerst gepflegtem Äußeren, tupfte sich mit seinem
    Taschentuch einige Schweißtropfen von der Stirn. Er wusste, was er zu sagen
    hatte und er hatte gewusst, dass die Herren kommen würden. A. R. Gus hatte es
    ihm vorausgesagt. Doch war ihm bei der Sache nicht geheuer. Er blickte noch
    einmal in die Runde. Es waren zwei Kantonspolizisten, ein hart und etwas
    verwegen aussehender Engländer und eine junge Russin. „Ich weiß wirklich nicht,
    was sie meinen, meine Herrschaften. Hier war niemand. Ich war hier ganz
    allein.“






    „Machen sie uns doch nichts vor, Schwarzenberg“, fuhr ihn
    Bond an. „Wir haben eine Abhöranlage in ihrem Büro installiert. Sie haben eben
    mit Mr. Gus gesprochen!“






    „Ach so, das meinen sie“, gab Schwarzenberg mit gekünsteltem
    Lächeln zurück. „Das ist ein älteres Gespräch auf einem Tonband gewesen. Es enthält
    wichtige Anweisungen zu seinen Investitionen, die ich gerade schriftlich
    fixieren wollte.“ Er holte ein Tonbandgerät hervor, spulte etwas zurück und
    spielte dann einige Sekunden davon ab. Es war tatsächlich das eben mitgehörte
    Gespräch. Rasch schaltete Schwarzenberg wieder ab. Misstrauisch trat Bond zum
    Schreibtisch und schaltete das Tonbandgerät zum Schrecken des Mannes wieder an.
    Nun hörte man eine Tür gehen, die harten Schritte der Polizisten, eine Klinke
    und Bond, der den Bankier aufforderte die Tür zu öffnen. „Sie können uns nicht
    reinlegen, Schwarzenberg. Sie haben das eben selbst mitgeschnitten.“ Bond
    blickte zu den Polizisten. „Wände absuchen, hier muss eine versteckte Tür
    sein.“ Die Polizisten klopften die Holzverkleidung des Raumes ab und fanden
    tatsächlich eine Stelle an der es hohl klang. „Was ist dahinter?“






    Schwarzenberg blickte berechnend zu Bond. „Das ist nur ein
    altes Treppenhaus, es ist schon Jahrzehnte unbenutzt. Einige Zentimeter über
    dem Fußboden befindet sich zwar noch ein Schlüsselloch in der Vertäfelung, aber
    ich habe dafür keinen Schlüssel.“





    „Aufbrechen“, befahl Bond. Schwarzenberg nutzte die
    Bemühungen der Männer, um eine Schublade seines Schreibtisches aufzumachen und
    eine Pistole zu zücken. „Hände hoch!“ Er trat einen Schritt zurück zum Fenster
    seines Erdgeschossbüros und öffnete es. „Wehe sie folgen mir!“ Er kletterte auf
    den Hof hinaus und wurde dort sogleich von drei weiteren Kantonspolizisten
    gestellt. Kapitulierend ließ der Bankier seine Waffe fallen, während Bond ans Fenster
    trat. „Es ist aus, Schwarzenberg. Reden sie endlich.“ Schwarzenberg ließ den
    Kopf sinken, seufzte und blickte dann wieder auf. Zu Bonds Erstaunen lächelte
    er überlegen. „Ja, Mr. Gus war eben bei mir. Das Treppenhaus führt zu einer
    Tiefgarage. Ich sollte sie so lange wie möglich aufhalten, damit er Zeit hatte
    zu fliehen. Sie erwischen ihn nicht mehr. Er ist schon wieder auf dem Weg ins
    Ausland.“ Widerstandslos ließ er sich von den Polizisten die Handschellen
    anlegen und abführen. Anna machte Anstalten noch etwas zu sagen, doch Bond
    hielt sie zurück. „Ich weiß wo Gus hin ist“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Was
    hältst du von einem Trip mit dem Aston Martin nach Florenz? Seine Visitenkarte
    wurde dort gedruckt.“






    James Bond und Anna Aprewski betraten, getarnt als Ehepaar,
    die beeindruckend luxuriöse Lobby des Grand Hotels. Alles war aufgrund des gerade
    stattfindenden Karnevals schon festlich geschmückt. „Mr. und Mrs. Fleming? Es
    ist schon eine Nachricht für sie eingetroffen“, begrüßte sie der ältere
    Empfangschef und reichte dem Agenten einen Briefumschlag. Bond öffnete ihn
    sofort und entnahm ihm eine Visitenkarte der Agentur Argus. Er drehte sie um,
    während Anna neugierig über seine Schulter schaute.






    Ich wusste, dass sie über die Karte auf meine Spur kommen würden.


    Ich erwarte sie heute um 22 Uhr an der Ponte Vecchio.


    Sie werden mich erkennen.


    A. R. Gus




    „Das riecht doch wieder nach einer Falle“, bemerkte Anna
    leise. Bond nickte. „Aber diesmal werden wir uns von vornherein vorsehen.“






    Der Arno schimmerte silbern im Mondlicht, die Nachtluft war
    angenehm frisch und von überall her erklang noch Musik als die beiden Agenten den
    Weg vom Hotel zur ältesten Brücke von Florenz zurücklegten. Unter den vielen
    maskierten und stilvoll kostümierten Menschen, die immer noch unterwegs waren,
    fielen die beiden zwar auf, doch es war ihnen egal. Sie hatten all ihre Sinne
    auf die Umgebung ausgerichtet. Wie leicht konnte man hier in einen Hinterhalt
    geraten. „Dort!“ Anna blieb stehen und griff nach Bonds Arm. Dieser folgte
    ihrem Blick. Rechts von ihnen war ein Mann in einem schwarzen Mantel
    aufgetaucht. Er trug eine weiße Halbmaske und eine weiße, mit blauen
    Edelsteinen besetzte Kappe. Um die Steine waren mit schwarzem Garn die Formen
    von Augen gestickt. „Mr. A. R. Gus, nehme ich an“, begann Bond. Dieser nickte. „Verzeihen
    sie mir diese ominöse Einladung, aber ich liebe bühnenreife Abgänge.“ Bond
    schaute sich aufmerksam um, doch nichts schien auf verkleidete Helfer von Gus
    hinzudeuten. „Sie können ihre Waffe ruhig stecken lassen, Mr. Bond. Ich bin
    unbewaffnet und allein. Nicht sie verlassen die Bühne, sondern ich. Die Agentur
    ist ausgebrannt und ausgehoben, A. R. Gus ist hiermit tot.“ Gus zog sich die
    Maske vom Kopf und warf sie auf den Boden. Der britische Agent konnte noch das
    entschlossene Gesicht des etwa dreißigjährigen Mannes erkennen, bevor plötzlich
    aufstiebender, heller Rauch ihm die Sicht nahm. Als sich dieser wieder verzogen
    hatte, war Gus spurlos verschwunden.

  • Epilog






    Brief an Mr. Fleming, Grand Hotel, Florenz




    Ich möchte sie zu dem glücklichen Ausgang ihrer Mission
    beglückwünschen, sowie ihnen gleichzeitig mitteilen, dass A. R. Gus aufgrund
    ihrer Beschreibung als Gus Hartmann, Sohn des bekannten Industriemagnaten
    Wilhelm Hartmann, identifiziert und von der Interpol bei der Ausreise aus
    Italien verhaftet werden konnte. Unser ‚lieber’ Freund Falco von der NSA hat
    sich bei mir gemeldet und seine Freude darüber zum Ausdruck gebracht, dass sie
    die Agentur ausgehoben haben anstatt die Forschungsergebnisse von Masterson für
    Königin und Vaterland zu erwerben. Außerdem steht ihnen bald wieder eine Ehrung
    ins Haus für alles, was sie für die Vertiefung der anglo-russischen
    Zusammenarbeit getan haben. Zu guter Letzt darf ich sie auch noch um drei
    Wochen Urlaub bewundern, die ihnen hiermit genehmigt werden. Es ist alles mit
    dem SWR abgesprochen. Machen sie sich mit Mrs. Fleming ein paar schöne Tage in
    Florenz und gönnen sie sich mit den Uffizien ruhig einmal etwas Kultur.


    M




    Bond schüttelte lächelnd den Kopf und schaute Anna ihn ihrem
    bezaubernden Taftkleid an. „Wer besucht denn schon die Uffizien, wenn auf allen
    Straßen Karneval ist?“ Er warf den Brief ins Kaminfeuer, setzte sich eine mit
    dezenten Federn geschmückte Augenmaske auf, schlang einen Arm um Anna, küsste
    sie und verließ mit ihr das Hotelzimmer.









    THE END




    BUT




    JAMES BOND WILL RETURN




    IN




    „MASTERMIND“

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