• Mastermind



    Ian Flemings
    James Bond 007


    in


    einer
    Agentengeschichte


    von


    Thorsten Beckmann



    1 – Cox Orange


    James Bond, Agent im Geheimdienst ihrer Majestät, verbrachte einen wohlverdienten dreiwöchigen Urlaub mit der russischen Agentin Anna Aprewski in Florenz, nachdem sie zusammen die Detektivagentur Argus, die sich als weltweit agierender Spionagering entpuppte, ausgehoben hatten. So verloren sie sich zwischen den geschichtlichen Renaissancebauwerken der Stadt, flanierten über die Piazza della Signoria und den Domplatz, bewunderten das burgartige Palazzo Vecchio und den Dom Santa Maria del Fiore, spazierten an den Ufern des Arno und nahmen auch noch einige Tage vom italienischen Karneval mit. Ausflüge in die ländliche Toskana rundeten die Aktivitäten ab, einzig um die Uffizien machte der britische Agent einen Bogen. „Warum sollen wir uns die Kunstsammlungen nicht auch noch gönnen, James?“


    „Nun, sagen wir ich habe einen kleinen Museenkomplex seit ich vor einigen Jahren in Venedig ein Glasmuseum zerlegt habe. Und das schönste Kunstwerk bist sowieso du“, lächelte Bond und gab Anna einen Kuss auf die Stirn. Gemeinsam gingen sie ins Grand Hotel zurück wo ihnen der Empfangschef eine aktuelle Tomorrow und eine Mitteilung reichte. Bond bedankte sich und begab sich mit der hübschen Russin auf ihre Suite, die sie unter den Decknamen Mr. und Mrs. Fleming bewohnten. „Arbeitsteilung, Mrs. Fleming?“ Bond reichte Anna die Zeitung und griff selbst zu dem Brieföffner auf dem Sekretär.


    „Dass du nach der Carver-Affäre immer noch diese Zeitung liest, erstaunt mich, James“, äußerte sich die Agentin und schlug die Zeitung auf.


    „Seit der Carver-Affäre“, verbesserte sie der Brite. „Mittlerweile ist der Tomorrow durchaus ein sehr seriöser Hort der Information.“ Er setzte sich auf das Bett und öffnete den Umschlag. Anna überflog derweil die Schlagzeilen. „Skandal um Wahl in der Ukraine.“ „Zwei weiße Tiger aus dem Besitz der beiden Las-Vegas-Showmagier Siegfried und Roy gestohlen.“ „Papst gibt in Rom Gebeine zweier Kirchenväter an den orthodoxen Patriarchen von Konstantinopel zurück.“ „Sexskandal um führende CIA-Mitglieder.“ „Tragischer Unfall beim Mastersonprojekt, russische Sabotage vermutet.“ „Überläufer in Paris ermordet. Gibt es einen Maulwurf in der Sécurité?“


    „Hör mal her James“, unterbrach Anna Bond beim Lesen der Nachricht und wiederholte die letzten drei Schlagzeilen. „Das klingt ganz nach der Welle des Terrors von der Miss Allison sprach. Die Arme der Agentur Argus scheinen auch nach ihrem Ende noch sehr weit zu reichen. Und es ist dasselbe Schema. Es muss etwas inszeniert und dann anschließend an die Presse weitergegeben worden sein. Ansonsten würden solche Meldungen die Öffentlichkeit doch gar nicht erst erreichen.“


    Bond nickte ernst. „Es scheint als hätte A. R. Gus, bzw. Gus Hartmann auch noch nach seiner Verhaftung gute Kontakte nach draußen.“


    „Darauf kannst du wetten“, bestätigte Anna und las weiter. „Hier: Hartmann-Erbe nach sensationellem Prozess freigesprochen. Und: Die Verdachtsmomente gegen den der Gehilfenschaft beschuldigten Bankier Schwarzenberg konnten nicht zu einer Anklage erhärtet werden. Was sagt man dazu?“


    „Eigentlich war das zu erwarten. Bates und Miss Allison geben doch gute Sündenböcke ab, noch dazu wo sie beide tot sind. Und die Beweise sind in der Agentur in Flammen aufgegangen. Schwarzenberg zahlt wegen Behinderung polizeilicher Ermittlungsarbeit ein Bußgeld und die Sache ist gegessen. Zudem gehören beide der Schicht an, die sich exzellente Anwälte leisten können.“ Bond seufzte. „Außerdem habe ich gerade andere Probleme. Diese Nachricht ist von M. Wie spät ist es?“


    Anna blickte auf ihre Uhr. „Viertel nach zwei. Warum?“


    „Weil ich mich um zwei bei M melden sollte.“ Bond verzog das Gesicht und griff zu seinem Laptop. „Hätte Q mir gesagt, dass dieses Ding auch noch andere Funktionen hat als Daten zu überprüfen, dann hätte ich es nach dem Kontrollieren der CD sicher sofort entsorgt. Nicht einmal im Urlaub hat man seine Ruhe.“ Die Russin sah ihn fragend an. Bond stellte den Laptop auf den Schreibtisch und klappte ihn auf. Nachdem der Computer hochgefahren war machte der Brite einige Eingaben und Ms Antlitz erschien auf dem Bildschirm. Anscheinend hatte sie eine Kamera in ihrem Büro. An dem Laptop war ebenfalls eine Kamera angebracht. „Sie können auch nie pünktlich sein, 007“, begann M kühl.


    „Hätte ich gewusst, dass sie mich sprechen wollen, dann hätte ich…“


    „Ist schon in Ordnung, Bond“, unterbrach ihn M, nun etwas versöhnlicher. „Ich weiß ja, dass noch zwei Tage Urlaub übrig haben und bedaure die Störung auch sehr, aber trotzdem habe ich einen Auftrag für sie, wo sie schon gerade in Florenz sind. Wir bräuchten dann nicht extra jemanden herschicken und könnten die Sache rasch erledigen.“


    Der Agent nickte. „Gut, ich höre.“


    „Andrew Cox.“ Das Bild eines dunkelhaarigen Mannes mittleren Alters erschien. Er hatte brutale Züge, einen Dreitagebart und ein vernarbtes Gesicht. Bond prägte sich das Aussehen genau ein. „Waffenhändler aus Dover, hat sich nach Florenz abgesetzt und sich ins Hotel Nizza in der Via del Giglio 5 einquartiert. Er ist extrem gefährlich.“ M erschien wieder auf dem Bildschirm. „Bei seiner Flucht wurden zwei Zollbeamte schwer verletzt, außerdem hat er einen MI6-Mitarbeiter auf seinem Gewissen. Passen sie also auf, 007. Notfalls gebe ich unserer Station in Italien Bescheid, dass die ihnen noch jemanden zur Seite stellen.“


    Bond schüttelte den Kopf. „Nein danke. Ich will das mit so wenig Aufsehen wie möglich über die Bühne bringen.“


    „Viel Glück, Bond.“ M schaltete ab und auch James Bond ließ den Laptop herunterfahren. Anne schaute etwas beunruhigt zu ihm. „Möchtest du das wirklich alleine durchziehen?“


    „Ja“, nickte Bond hart. „Was soll schon großartig passieren? Schlimmer als der Hinterhalt in der Agentur Argus kann es nicht werden. Hier weiß ich wenigstens mit wem ich es zu tun habe.“ Er zog sich das Schulterhalfter an. „Wie M sagte, wir werden die Sache rasch erledigen.“


    „Soll ich mitkommen?“


    „Nein, Anna. Ich möchte nicht, dass du dich wegen unserer Angelegenheiten in Gefahr begibst. Du bist beim russischen Geheimdienst angestellt und nicht beim Secret Service.“ Der Agent zog sich eine helle Jacke über, blickte Anna in die Augen und umfasste sanft ihre Schultern. „Ich werde den Job ausführen und heil zu dir zurückkommen, das verspreche ich!“


    Anna schaute Bond an. Sie lächelte, doch in ihrem Blick lag etwas Trauriges. „Ich denke schon jetzt so ungern an übermorgen, wenn wir uns wieder trennen müssen. Dass ich dich überhaupt wieder sehen und dann noch drei wunderschöne Wochen mit dir erleben durfte, war sowieso schon mehr als ich mir je erträumt hätte.“


    „Mir geht es genauso“, gab der Brite zu. „Ich werde auf mich aufpassen und dich auch nach unserem gemeinsamen Urlaub nie wieder vergessen.“ Er schlang zärtlich seine Arme um Anna, beugte sich vor bis ihre samtweichen Lippen die seinen berührten und küsste sie leidenschaftlich und liebevoll. Nur sehr zögerlich lösten sich beide wieder voneinander. „Nimm deinen Wagen mit, James. Man weiß ja nie.“


    James Bond fuhr vom Hotel den Arno entlang über die Lungarno Amerigo Vespucci und bog nach links in die Via del Moro ab. Er brauchte der Straße nur zu folgen, denn sie ging nach einer Kreuzung in die Via del Giglio über. Das Nizza war schließlich ein kleines Hotel mittlerer Qualität mit einer sehr häuslichen Atmosphäre. Bond wandte sich an die südländische Dame an der Rezeption. „Sie wünschen, Signor?“


    „Bei ihnen soll ein gewisser Mr. Cox abgestiegen sein. Er ist ein Geschäftsfreund von mir und ich habe eine wichtige Nachricht für ihn.“


    „Ich wehre mich gegen den Ausdruck ‚abgestiegen’, Signor. Wir führen ein seriöses Haus. Aber einen Mr. Cox gibt es hier nicht. Tut mir leid.“


    Bond lächelte entschuldigend. „Verzeihung, natürlich. Aber ich habe gesicherte Informationen, dass sich Mr. Cox hier aufhält.“ Er beschrieb ihn. Die Augen der Empfangsdame hellten sich auf. „Ach so, sie meinen Mr. Wilson. Ja, der logiert hier. Zimmer…“ Sie hielt kurz inne, so als wäge sie etwas ab. „Zimmer 24 im zweiten Stock. Er dürfte zugegen sein. Soll ich sie anmelden?“


    „Nein, danke. Das wird nicht notwendig sein“, entgegnete Bond und ließ sich die Treppe zeigen. Auf dem Flur vor dem Zimmer zückte er seine Pistole und klopfte an die Tür. „Zimmerservice!“


    „Herein.“ Bond drückte die Klinke hinab, trat die Tür auf und machte mit erhobener Waffe einen schnellen Schritt in das Zimmer. Er konnte gerade noch zwei kräftige Männer erkennen ehe aufsteigender Rauch ihm den Atem und die Sicht nahm. „Rauchbombe. Nicht sehr originell und in dieser Ausführung sehr klein, aber dafür auch sehr effektiv wenn sie einen unvorbereitet trifft“, höhnte einer der Schläger, während der zweite Bond einen Hieb in den Bauch verpasste. Stöhnend krümmte sich der Agent und ließ die Waffe fallen. Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss. Er spürte wie sich zwei starke Arme von hinten um seine Oberarme schlossen und ihn in einem stahlharten Griff festhielten. Langsam lichtete sich der Rauch und gab den Blick auf das kleine Zimmer mit den weißen Wänden und den dunklen Möbeln frei. Vor dem Agenten stand grinsend ein grobschlächtiger Schläger. „Nimm das, elender Schnüffler!“
    Unabwendbar sauste seine Faust auf Bonds Gesicht zu, der geistesgegenwärtig seinen Kopf zur Seite schmiss. Der überraschte Ausruf und der etwas schwächer werdende Griff des Schlägers hinter ihm, gaben ihm nun die Oberhand. Er bündelte seine Kräfte, benutzte den zweiten Schläger als Rückhalt, drückte sich vom Boden hab, gab dem ersten Schläger mit beiden Beinen einen kräftigen Tritt und warf anschließend den Zweiten über seine Schultern. Ächzend schlugen beide auf dem Boden auf. Bond hechtete zu seiner Waffe, strauchelte und fiel. Der Erste hatte seine Beine umfasst. Der andere rappelte sich auf und griff zu einem schweren hölzernen Beistelltisch. Bond gelang es noch gerade rechtzeitig sich frei zu strampeln, dem Ersten einen Tritt zu geben und sich zur Seite zu rollen, bevor der Tisch splitternd neben ihm auf dem Boden aufschlug. Er nutzte die wenigen Sekunden dieser kleinen Verschnaufpause um seine Walther zugreifen als der Beistelltisch abermals drohend über ihm niederging, um seinen Schädel zu spalten. Ohne groß zu überlegen drückte er seinen Zeigefinger gegen den Abzug. Das gurgelnde Geräusch, das dem Knall folgte gab ihm die Gewissheit, dass er getroffen hatte. Der Schläger sackte in sich zusammen und blieb reglos liegen. Doch kaum hatte Bond sich wieder aufgerichtet, traf ihn die harte Faust des anderen Schlägers im Gesicht und ein zweiter Schlag traf seinen rechten Unterarm. Abermals ließ der Agent seine Waffe fallen. Den nächsten Schlag parierte er und konterte seinerseits mit einem gut gezielten Kinnhaken. Mit vor Wut verzerrtem Gesicht holte der Schläger aus, um den Agenten mit einem donnernden Schlag das Bewusstsein zu rauben. Geschickt wich Bond aus, die Faust traf das Fenster. Glas splitterte, Blut breitete sich auf der Hand des Schlägers aus. Der Agent reagierte schnell, glitt hinter den breiten Mann und beförderte ihn mit einem gezielten Tritt nach draußen. Ein kurzer Schrei, dann das Auftreffen eines Körpers auf dem Pflaster. Bond atmete tief durch, deponierte seine Waffe wieder im Halfter und verließ den Raum.


    „Haben sie gefunden, was sie suchten, Signor?“ fragte die Empfangsdame mit einem Anflug von Unbehagen als Bond wieder bei ihr erschien, sichtlich angegriffen und mit etwas Blut am Mundwinkel.


    „Nein“, entgegnete Bond kalt. „Und sie täten gut daran mir den wirklichen Aufenthaltsort von Mr. Cox-Wilson zu nennen oder ich muss ihrem hübschen Körper ernstlich Leid antun!“


    „Es… es tut mir leid“, die Frau senkte den Kopf. „Ich sollte jeden, der nach ihn fragte in dieses Zimmer schicken. Er hat mir ein gutes Trinkgeld gegeben. Sein Zimmer ist dort hinten.“ Sie zeigte in einen kleinen Gang. „Zimmer 8.“


    „Danke.“ Bond nickte und wiederholte an diesem Zimmer seine Prozedur, allerdings ohne sich als Zimmerservice auszugeben und mit der Einberechnung etwaiger unangenehmen Überraschungen. Als er in das Zimmer trat war es leer und das Fenster offen. Vorsichtig schaute er hinaus. Cox kniete bei dem Schläger, dessen Blut ein kleines Rinnsal gebildet hatte. Der Waffenhändler schaute auf, erblickte Bond am Fenster und zückte seine Maschinenpistole. Gerade noch rechtzeitig konnte der britische Agent zurückweichen. Zischend schlugen die Kugeln in die gegenüberliegende Wand. Bond hörte das Starten eines Motors und wagte einen weiteren Blick auf die Straße. Cox war in einen alten Lancia gestiegen und trat aufs Gaspedal. Rasch stieg der Brite aus dem Fenster und hechtete zu seinem Aston Martin. Gehetzt stieg er ein und drehte den Schlüssel im Zündschloss um. „Na komm schon, komm schon, starte…“


    Schließlich sprang der Motor an und Bond folgte dem fliehenden Cox vorbei an dem Kloster Santa Maria Novella und dem Bahnhof durch die Straßen hinaus aus der Stadt. Gekonnt steuerten beide ihre Autos durch den dichten Verkehr bis sie eine leere Landstraße erreichten. Es war eine typische Alleestraße der Toskana mit Pinien und Zypressen an beiden Seiten. Immer wenn Bonds Aston näher kam beschleunigte Cox weiter. Es war unglaublich was er aus dem alten Wagen alles herausholte. Er musste den Motor frisiert oder gar einen leistungsfähigeren ganz neu eingebaut haben. Bond drückte auf einen Knopf, seine Frontscheinwerfer klappten weg und gaben die Mündungen von zwei Maschinengewehren frei. Er feuerte eine Salve auf den Lancia ab, ein Rücklicht zerplatzte. Doch die hügelige Landschaft stand einem genauen Zielen im Weg. „Mit Q habe ich noch ein ernstes Wörtchen zu reden“, grummelte Bond. Von wegen Standardausführung für Routinemissionen, nur MGs und Kugelsicherheit… Q hatte wirklich keine Ahnung von den Bedürfnissen an der Front. Bond hätte den Jaguar vielleicht wirklich etwas pfleglicher behandeln sollen, aber es war nicht seine Schuld, wenn seine Gegner ihn mit Widerhaken in die Zange nahmen. Er atmete tief aus und konzentrierte sich wieder auf den Lancia vor ihm. Der Aston schloss immer mehr auf, anscheinend war der Wagen seines Gegners nun vollständig ausgereizt. Bond gab eine weitere Salve ab. Ein Hinterreifen des Lancias platzte, das Auto kam ins Schlingern. Cox versuchte verzweifelt gegenzulenken, doch es war zu spät! Der Wagen geriet auf die Gegenfahrbahn und prallte frontal gegen die Ladefläche eines Obstlasters und explodierte. Bond stoppte. Der Laster kollidierte mit einer Zypresse am Straßenrand und kippte auf die Seite. Unzählige Obstkisten fielen von der Ladefläche, rotbäckige Äpfel mit hellen Einsprengseln kullerten über die Fahrbahn in alle Richtungen.


    „Cox Orange, wie passend.“ Der britische Agent stieg aus, griff sich einen vorbeirollenden Apfel und biss genüsslich hinein.

  • 2 – Nachricht von Gus


    „Kann ich ihnen behilflich sein?“ Die junge Angestellte im Souvenirladen des Hotels wendete sich an die deutsche Touristin, die gerade an einem Ständer mit Postkarten stand.


    „Nun, wissen sie, ich suche eine besonders schöne Karte für einen lieben Bekannten von mir. Er hat mir von seiner letzten Studienfahrt so viele hübsche Karten mitgebracht, da muss ich mich ranhalten um da nachzuziehen“, lächelte die sympathisch aussehende Frau Ende dreißig.


    Dermot schüttelte den Kopf. Die hatte Sorgen! Er wendete sich von dem Laden ab und schaute zur Rezeption. Dort war gerade ein plumper Araber angekommen. Ein Hotelboy nahm sich sofort seiner Koffer an. „Ich übernehme das, Julie.“ Ein Mann Anfang dreißig drängte die junge Frau hinter dem Tresen beiseite. Dermot erkannte ihn als Assistenten des Geschäftsführers.


    „Sie haben Zimmer 011.“ Der Mann reichte dem Araber den Zimmerschlüssel und eine kleine Broschüre. „Sie sollten auf keinen Fall die Ausflugsfahrt über den See verpassen, mein Herr. Auf den Spuren der Seeschlange.“


    Der Araber nickte, er sprach mit hartem Akzent. „Gut, buchen sie mich auf den nächsten freien Termin.“ Der Mann an der Rezeption nickte und der Araber folgte dem Boy zu seinem Zimmer.


    Lächerlicher Touristenquatsch! Dermot verzog das Gesicht und betrat die Terrasse des Hotels. Es war windig und leichter Nebel stieg auf. Seufzend ging er über die Steinplatten zum schwarzen, schmiedeeisernen Geländer und holte ein Fernglas heraus. Ein Irrsinn war das. Ein MI5-Agent auf der Suche nach dem Ungeheuer von Loch Ness! Schon seit fast dreihundert Jahren lockte dieser Mythos nun schon Touristen und allerlei kuriose, aber auch einige aufrichtige Wissenschaftler an. Letztere konnten natürlich nie Beweise für die Existenz von Nessie finden. Dermot hob das Fernglas vor seine Augen und blickte hindurch. „Verfluchter Nebel…“ Er drehte ein kleines Rädchen an der Seite des rechten Rohres und langsam wurde das Bild klarer. „Na also.“


    Der Agent war natürlich nicht wirklich hinter dem Ungeheuer her, sondern hinter den Komplizen des Waffenhändlers Cox, die die alte Legende um das Monster als Deckmantel für ihren Waffenschmuggel benutzten. Cox selbst dürfte mittlerweile in London verhaftet worden sein. Eine einfache, aber doch irgendwie geniale Idee eine Attrappe des Seeungeheuers als Transportmittel für die heiße Ware, die über den Norden Schottlands eingeführt wurde, zu benutzen. Doch bisher hatte Dermot weder das umgebaute Boot, noch den geheimen Umschlagplatz gefunden. Er ließ seinen Blick über den See schweifen. Hm, dort hinten war eines der Ausflugsboote. Der Agent hatte in den letzten Tagen schon viele davon gesehen, doch nun stockte er. Ein zweites Motorboot lag nun neben dem Ausflugsboot. Seltsam! Die Touristen schienen auf das andere Boot hinüberzuwechseln, nur um sofort wieder auf das erste zu gehen. Doch Dermot hatte keine Gelegenheit mehr darüber nachzudenken. Ein harter Schlag traf ihn am Kopf! Er wurde über das Geländer gewuchtet und versank im kalten, morastigen Uferwasser.


    James Bond war derweil wieder aus seinem Urlaub zurückgekommen und auf dem Weg zu seiner Wohnung in Chelsea. Er parkte den Aston vor dem Haus, schloss die Tür auf und betrat den Flur. Als er seinen Mantel an der Garderobe aufhängte, kam seine ältliche, schottische Haushälterin May aus der Küche. „Schön sie wieder zu sehen, Mr. Bond. Der Urlaub scheint ihnen gut getan zu haben. Sie sehen richtig erholt aus“, lächelte sie mütterlich.


    „Das bin ich auch, trotz einer kleinen Zwangsreaktivierung durch die Firma. Nette Begleitung, gute Luft und auch ein wenig Obst.“


    „Obst? Anscheinend werden sie endlich vernünftig“, antwortete May nicht ohne eine gewisse Befriedigung. Bond lächelte still in sich hinein. „Ach, bevor ich es vergesse. Es hat hier gestern jemand etwas für sie abgegeben mit der Nachricht, dass es dringend sei.“


    Der Agent blickte seine Haushälterin ein wenig tadelnd an. „Wenn es so dringend war, warum haben sie mich nicht schon eher informiert?“


    „Nun, es war schon spät am Abend, ich wollte schon ins Bett gehen und ich wusste ja, dass sie heute schon wieder hier sind, Mr. Bond.“ Bond nickte. May ging hinüber in das kleine Arbeitszimmer und kam dann mit einer Visitenkarte wieder. Der britische Agent war nicht wenig überrascht und eine dunkle Ahnung legte sich über seine Gedanken und schnürte ihm ein wenig den Brustkorb zu. Langsam, fast mechanisch streckte er die Hand nach der Karte aus, nahm sie an sich und las sie.


    Sehr geehrter Mr. Bond,
    ich habe wichtige Informationen für sie.
    Bitte suchen sie mich schnellstmöglich auf,
    Adresse umseitig.
    Gus Hartmann



    Der Agent wendete die Karte. Hartmann schien neuerdings in Las Vegas zu residieren. Das konnte doch nur eine Falle sein!
    May sah wie sich Bonds Gesicht verdüsterte. „Schlechte Neuigkeiten, Mr. Bond?“


    Dieser nickte. „Ich muss sofort ins Büro!“


    Besorgt betrachtete M die Karte von Hartmann. Es war nicht viel mehr als eine Stunde vergangen, allerdings eine Stunde regen Treibens für den Geheimdienst. Sie nickte Bond, der ihr gegenüber in ihrem Büro saß, zu. Tanner, der Stabschef war ebenfalls anwesend. „Ich denke auch, dass das eine Falle ist. Wir wissen ja mittlerweile wie gefährlich Hartmann ist.“


    „Er ist nahezu teuflisch genial“, bestätigte Bond. „Aber was wissen wir überhaupt von ihm? Ich meine, jetzt wo wir wissen, dass Hartmann hinter der Agentur Argus und dem Pseudonym A.R. Gus stand, dürfte doch so einiges herauszufinden sein.“


    M blickte von Bond zu Tanner, der abwartend neben dem Schreibtisch stand. „Tanner.“


    „Gus Hartmann, Industriellensohn, typischer Sohn der Oberschicht, verzogen und vernachlässigt“, begann dieser seine Litanei. „Zunächst besuchte er ein schweizerisches Eliteinternat, danach halbherzige Ausbildung in der Firma des Vaters, Anzeigen wegen Ruhestörung und Drogenbesitz - die üblichen Partys in der Familienvilla eben, während die Eltern auf Reisen sind; Investitionen in den Pferderennsport, Golfclubs, Szene-Bars, archäologische Expeditionen und weitere abenteuerliche Projekte; Börsenspekulationen – meistens ohne viel Erfolg; gescheiterter Versuch als Schauspieler, was wohl seinen theatralischen Abgang in Florenz erklärt. Nachdem seine Nebenrolle wieder aus der Daily Soap herausgeschrieben wurde, Aufkauf einer heruntergewirtschafteten Detektei. Nach und nach Zusammenschluss mit anderen Detekteien zur Agentur Argus. Der Rest dürfte bekannt sein. Zurzeit führt er ein Casino in Las Vegas“, beendete Tanner seine Ausführungen.


    „Und dort soll ich nun hin“, fügte Bond noch hinzu. „Für wie wahrscheinlich halten sie es, dass er wirklich Informationen für uns hat?“


    „Ausgehend davon, dass hinter Agentur Argus in Wirklichkeit ein weltumspannender Spionagering steckte, kann er natürlich sehr viele Informationen für uns haben“, bemerkte der Stabschef. „Wir haben keine Garantie, dass mit dem Brand in diesem Archiv tatsächlich alles vernichtet worden ist.“


    „Allerdings…“ Bonds Augen wanderten von Tanner zu der nun sprechenden M. „Allerdings haben sich, wie sie vielleicht schon in den Zeitungen gelesen haben, seit dem Ausheben der Agentur und der Verhaftung von Hartmann weitere Fälle ergeben, die der Falle, die für sie aufgebaut worden war ähnlich sind.“ Bond nickte. „Der Terror geht also weiter und das könnte nun der zweite Versuch sein, sie zu erwischen.“


    Der Agent schüttelte etwas ungläubig den Kopf. „Aber Hartmann ist doch nicht dumm. Er wird wissen, dass es für uns wie eine Falle aussehen muss.“ Er stockte. M sah ihn fragend an. „Ich… ich musste nur an eine frühere Mission denken. Es war ebenfalls eine Falle und der Köder war eine Lektor.“


    „Und sie haben den Fall damals bravourös abgeschlossen“, unterbrach ihn M. „Und das werden sie nun wiederholen. Wir müssen herausfinden, was dahinter steckt. Sie werden den nächstmöglichen Flug nach Las Vegas nehmen, 007.“ Damit entließ sie die beiden Männer aus ihrem Büro.


    Im Vorzimmer hatte Moneypenny schon das Flugticket parat. Bond blickte noch einmal nachdenklich zurück auf die geschlossene, gepolsterte Doppeltür. „Täusche ich mich oder hat M heute einen schlechten Tag?“


    Tanner und Moneypenny wechselten kurz einen wissenden Blick. „Nun, ganz im Vertrauen, James“, erklärte der Stabschef, „auch wenn sie damals der Falle noch entronnen sind, so hat doch dieser von Hartmann heraufbeschworene Schauprozess dem Ansehen des Secret Service alles andere als gut getan. Es war Schadensbegrenzung natürlich, wenn man bedenkt was ein Amoklauf von James Bond für uns bedeutet hätte, aber es liegt ihr immer noch schwer im Magen.“


    „Aber du scheinst richtig aufzublühen, James“, wechselte Moneypenny gekonnt das Thema. „Der Urlaub muss dir wirklich gut getan haben.“


    „Da mir das alle sagen, wird da wohl etwas dran sein“, erwiderte Bond lapidar und ging nicht weiter darauf ein. Er nahm rasch das Flugticket entgegen und wendete sich an Tanner. „Was muss ich noch alles für den Auftrag wissen?“


    Der Anflug eines schadenfrohen Lächelns zeigte sich auf dem Gesicht des Stabchefs. „Sie werden Damian Falco unterstellt sein. Das hat sich leider nicht verhindern lassen, die NSA ist bereits an Hartmann dran wie wir festgestellt haben. Untergebracht sind sie im Bellagio und ihr direkter Kontaktmann ist ein gewisser Stansfield.“


    Bond schwieg betreten. Na wenigstens etwas. Falco war ihm ganz und gar nicht sympathisch, sondern eher lästig. Und es stimmte, Falco hatte sich bei der Graves-Mission wirklich nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Warum musste Hartmann ausgerechnet in Las Vegas sitzen? Warum nicht Moskau? Dann würde man mit dem SWR zusammen arbeiten, wahrscheinlich sogar wieder mit Anna… Anna…
    Bonds Blick hatte sich verklärt. „James? Ist irgendetwas?“ Moneypennys halb besorgte und halb misstrauische Stimme riss ihn aus den Gedanken. Ein wenig barsch schüttelte er den Kopf.


    „Nein, alles in Ordnung.“ Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und verließ den Raum. Moneypenny und Tanner sahen ihm verwundert nach.

  • 3 – Swiss Nights


    Von der Abteilung Q ausgestattet mit einem kleinen Betäubungsrevolver, der laut Q sogar einen Elefanten ins Reich der Träume schicken könnte – träumen Elefanten eigentlich überhaupt? – und einem todschicken Gürtel mit einer kleinen Rolle Stahlfaden in der Schnalle, traf der britische Geheimagent James Bond termingerecht auf dem Flughafen ein. Ein unbestimmtes Gefühl der Gefahr überkam ihn als das Flugzeug startete und den englischen Erdboden hinter sich ließ. Bond lehnte sich in seinem Sitz zurück, ließ sich von einem Steward einen Wodka Martini bringen und sinnierte über Las Vegas nach. Sein letzter Besuch, seine letzte Mission dort musste schon Jahre her sein oder war es doch erst gestern? Zumindest war eines sicher: Blofeld war tot und würde nicht wieder unter dem Deckmantel eines anderen dort residieren. Oder wurde er nun doch mit Hilfe eines seiner Doppelgänger ein Wiedergänger? Bond schüttelte den Kopf. Absurd! Sein Gegner war vollkommen klar: Gus Hartmann. Doch irgendetwas war dem Agenten dabei nicht ganz geheuer, nur konnte er nicht sagen was genau. Irgendetwas musste noch hinter dieser Fassade schwelen. Vorsicht war geboten, absolute Vorsicht! Dass ein ehemaliger Feind sich als Freund tarnt war schließlich um so viel wahrscheinlicher als dass er wirklich zu einem Freund werden würde. Bond verbrachte den ganzen Flug mit seinen Grübeleien, abgesehen von einem Imbiss und einer kleinen Mütze Schlaf, die er sich irgendwo über der Ostküste Amerikas gönnte.


    Ausgeruht und gekleidet in einen modisch geschnittenen hellen Anzug, den obersten Knopf seines Hemdes offen, stieg er aus dem Taxi und stand schließlich vor dem Eingang des Bellagios. Bond betrachtete den bogenförmigen, großen und prächtigen Bau nicht ganz ohne Ehrfurcht. „Hier lässt es sich leben“, stellte er zufrieden fest, wenngleich er wieder an seinen letzten Aufenthalt in Las Vegas denken musste. Warum hatte man ihn nicht wieder im Whyte House untergebracht? War doch Willard Whyte damals eine Schlüsselperson und die Zusammenarbeit mit ihm sehr fruchtbar gewesen. Aber nun gut. Bond zuckte kurz mit den Schultern und betrat dann die Eingangshalle. Der Empfangschef war ein freundlicher älterer Herr, der den Briten sehr zuvorkommend bediente. Er trat zurück und holte ein Kuvert aus dem Fach für Bonds Zimmer. „Hier ist auch schon ein Brief für sie, Mr. Bond. Und ich wünsche ihnen einen angenehmen Aufenthalt und viel Glück.“


    „Danke“, nickte Bond nur kurz, nahm den Brief entgegen und ging zu den Aufzügen. Im Zimmer angekommen stellte der Agent fest, dass es sich lediglich um ein Einzelzimmer handelte. „Wie unpraktisch.“


    Er gab dem Hotelboy ein angemessenes Trinkgeld und öffnete dann das Kuvert. Es war eine chiffrierte Nachricht von M. Er sollte sich bei den Hochzeitskapellen des Bellagios melden und einen interessierten Bräutigam spielen. Bond stutze. „Was soll das denn?“ Kopfschüttelnd verbrannte er die Nachricht im Aschenbecher. War das schon ein erster schlechter Scherz von Hartmann? Zuzutrauen wäre es ihm und er hätte sicher einen Weg gefunden um an die Chiffre heranzukommen. Wenn es sein Ziel gewesen war Bond gegen alles und jeden misstrauisch zu machen so hatte er es schon geschafft.


    Mit einem flauen Gefühl im Magen stand der britische Agent schließlich vor einer bebrillten Sekretärin, die ihn schon erwartet zu haben schien. „Ah, Mr. Bond. Ihr Schwiegervater in spe hat uns ihren Besuch schon angekündigt.“


    „Mein Schwiegervater in spe?“ Bond war abermals verdutzt. „Doch nicht etwa Mr. Hartmann?“ Nun würde es sich ja herausstellen.


    Misstrauisch schaute die Sekretärin zurück. „Nein, Mr. Falco. Oder wie vielen armen Frauen haben sie sonst noch die Ehe versprochen?“


    Mr. Falco! Dann war diese ganze Sache also auf dem Mist der NSA gewachsen! „Nur einer einzigen“, antwortete der Brite ehrlich und überspielte gekonnt seinen Fauxpas. „Doch ihre Eltern sind geschieden und Mr. Hartmann ist der zweite Mann ihrer Mutter.“


    Die Sekretärin schien wieder beruhigt zu sein und lächelte sogar. „Ach so, und ich dachte schon wer weiß was von ihnen. Entschuldigung. Noch dazu wo Mr. Falco so von ihnen geschwärmt hat, dass sie seiner Tochter diese Überraschung machen und ihr ihren sehnlichsten Wunsch erfüllen wollen.“ Bond erwiderte nichts. „Sie können dann gleich durchgehen.“ Die Sekretärin wies auf eine beschnitzte Tür. „Der Reverend wird alles mit ihnen abklären.“


    Bond bedankte sich und trat durch die Tür in die kleine Kapelle. Am Rednerpult auf der anderen Seite stand ein agiler Mann mittleren Alters mit gebräunter Haut, dunklen Haaren und gepflegten Schnurrbart. Bond blieb stehen, diese ganze Atmosphäre in der Hochzeitskapelle wurde für ihn mehr und mehr zu einem Kloß im Hals. Einzelne Bilder flackerten immer wieder in seinem Inneren auf… von seiner eigenen Hochzeit, von Tracy, von Anna… von Anna? Ja, von Anna! Seit ihrer zweiten Begegnung in Bern war sie nie mehr ganz aus seinem Kopf gewichen. Sie war so schön, hatte eine so herzerfrischende Art… doch das Bild wechselte wieder. Tracy, tot, erschossen, kurz nach der Hochzeit, rotes Blut auf ihrem weißen Hochzeitskleid. Es kostete den Agenten viel Kraft um sich von diesen Bildern loszueisen und den Weg zu seinem Gegenüber fortzusetzen, doch irgendwie schaffte er es und stand schließlich vor dem Mann, der wohl nur der erwähnte Reverend sein konnte. Er zwang sich zu einem Lächeln und fragte wie diese ganze Farce wohl enden würde. „Mein Name ist Bond. Es hieß sie erwarten mich bereits?“


    Der Reverend nickte. „Angenehm, Mr. Bond. Ja, ihr Besuch wurde uns angekündigt. Sie wollen also hier in Las Vegas den Bund der Ehe eingehen. Es heißt zwar immer, das wäre sehr unkompliziert, aber auch hier ist dabei einiges an Papierkram notwendig. Wie heißt denn die glückliche Braut?“


    „Elizabeth II.“ Wäre dieses Codewort eine Idee von Hartmann gewesen hätte Bond noch darüber schmunzeln können, doch fand er diesen Auswuchs Falcos einfach nur idiotisch.


    „Ein sehr majestätischer Name“, erwiderte der Reverend darauf und streckte Bond die Hand entgegen. „Reverend Stansfield.“


    Stansfield! Deshalb also. Sein Kontaktmann verheiratete also im Bellagio die Leute. Deshalb wurde nicht das Whyte House als Unterkunft gewählt. „Nun, das erklärt einiges“, lächelte der britische Agent und nahm die Hand erleichtert an.


    „Ich dachte schon, dass diese ganze Prozedur etwas merkwürdig auf sie wirken musste“, nickte Stansfield verstehend. „Aber kommen sie doch mit in mein Büro.“ Der Reverend visierte die nächstgelegene Tür an und hielt darauf zu. Bond folgte ihm. Das Büro war recht klein, doch dabei relativ gemütlich und sehr funktional. Es wirkte nicht so prunkvoll wie der Rest des Bellagios. „Nehmen sie doch Platz.“ Bond setzte sich. Stansfield schloss die Tür und ließ sich dann hinter dem Schreibtisch ebenfalls nieder. „Gus Hartmann ist also unser gemeinsames Ziel“, begann er das Gespräch. „Doch hat man mir noch nicht gesagt, was genau sie von ihm wollen.“


    „Nun“, erwiderte Bond und zückte die Visitenkarte. „Er hat mich selbst zu sich eingeladen.“ Er reichte die Karte seinem Gegenüber. Dieser musterte sie eine zeitlang und nickte. „Ja, Swiss Nights. Das ist sein neues Casino hier. Er scheint seine Spielchen wohl weiterhin zu treiben. Ich wäre sehr vorsichtig an ihrer Stelle. Es geht hier schließlich nicht nur um ihr Leben, sondern auch um das Ansehen der Geheimdienste. Aber das wissen sie ja selbst. Erst dieser Schauprozess und dann die ganzen Affären, die in der Presse breit getreten wurden obwohl sie davon hätte gar nichts erfahren dürfen.“


    Bond nickte wissend. „Ich habe es gelesen, diese Sexgeschichte in der CIA und der Unfall beim Mastersonprojekt. Wie viel ist eigentlich an der Geschichte dran, dass russische Sabotage dahinter vermutet wird?“


    „Nichts“, antwortete Stansfield und gab Bond die Visitenkarte zurück. „Zumindest nicht viel. Natürlich müssen wir den Hinweisen in dieser Richtung folgen und uns wird wohl auch bald nichts anderes übrig bleiben, denn wie es scheint ist Hartmann völlig unschuldig an diesen Geschichten. Es gibt nicht die Spur einer Verbindung zwischen Hartmann und diesen Vorfällen. In Anbetracht dessen, was wir mittlerweile über Hartmann wissen ist das natürlich nicht erstaunlich, dafür aber in größerem Maße ärgerlich. Ich bin also sehr gespannt was Hartmann ihnen zu sagen hat, wenn er überhaupt etwas sagt. Wissen sie schon wie sie mit ihm in Kontakt treten wollen?“


    „Nun, ich denke, das wird ganz automatisch passieren“, erwiderte Bond. „Er hat sich damals nicht umsonst das Pseudonym A. R. Gus zugelegt. Er hat schon mehr als einmal bewiesen, dass er seine Augen überall hat. Er wird sicher schon von meiner Ankunft hier erfahren haben.“


    Stansfield wirkte etwas nachdenklich. „Nun, sie kennen Hartmann besser als ich, sie haben ihn schließlich schon einmal getroffen. Aber wenn ich sie richtig verstehe, dann wollen sie sich also direkt in die Höhle des Löwen, respektive ins Swiss Nights begeben?“


    „Exakt.“ Die Miene des britischen Agenten war sehr entschlossen.


    „Nun, wenn sie meinen, dass das der richtige Weg ist will ich sie nicht daran hindern. Gibt es denn irgendwas, dass ich, bzw. die NSA für sie tun kann, Mr. Bond?“


    Bond verneinte. „Gehen sie einfach nur weiterhin ihrer Arbeit nach, überwachen sie Hartmann und halten sie mir den Rücken frei. Sollte es tatsächlich eine Falle sein, möchte ich keinesfalls, dass sie auch hineintappen.“


    „Nun gut.“ Stansfield stand auf. „Dann viel Erfolg, Daniel.“


    Bond stand ebenfalls auf und schaute den Amerikaner fragend an. „Daniel?“


    Stansfield musste lächeln. „Ja, Daniel. Daniel in der Löwengrube, altes Testament.“


    Es war schon früher Abend als James Bond in derselben Aufmachung das Swiss Nights betrat. Es hob sich mit eher gedeckten Tönen und einer dunkleren Atmosphäre angenehm ab von der bunten, aufdringlichen Welt ringsum. Die noble, moderne Ausstattung sollte die Menschen auf viel subtilere Weise einfangen und zum längeren Verweilen auffordern und es gelang nicht schlecht, Hartmanns Casino war gut besucht. Bond flanierte durch die Reihen der Glücksspielautomaten, vorbei an den Würfel- und Kartentischen hin zu den Roulettespielen. Er machte sich nicht viel aus Roulette, es war ihm zu unberechenbar und zu unpersönlich. Seine Vorliebe galt den Karten und den Würfeln, wo man sein Schicksal selbst in der Hand hatte, doch war er laut der Karte des Casinos, die Stansfield ihm besorgt hatte, hier am Nahesten an Hartmanns Allerheiligstem, den Geschäftsräumen. Und so gesellte er sich zu den anderen Roulettespielern und versuchte sein Glück mit Rot. „Rien ne va plus.“ Der dunkelhäutige Croupier setzte das Rad in Gang und warf die Kugel ein. Gespannte Augen verfolgten den Lauf der Kugel, den Lauf ihres Schicksals. Eine junge, blonde Frau, augenscheinlich noch sehr unerfahren im Glücksspiel wie im Leben, hatte ihr ganzes Geld auf schwarz gesetzt. Andere, darunter ein barhäuptiger, dicklicher Kanadier mit einem Holzfällergrinsen, der wohl gerade versuchte mehr aus den Erträgen seines Sägewerkes zu machen, waren mit ihren Jetons sparsamer umgegangen, wenngleich auch oft mit höherem Risiko. Das Rad wurde langsamer, die Kugel hatte ihr Ziel gefunden. „33, noir, impair,…“ Doch Bond hörte dem Croupier nicht weiter zu, auch das verzückte Aufschreien der jungen Blonden und das kapitulierende Husten des Kanadiers nahm er nur am Rande wahr. Sein Blick wurde gefesselt von einer atemberaubend schönen, schwarzhaarigen Frau in einem engen, geschmackvoll gewählten, schwarzen Kleid, das ihre Schultern frei ließ. Eine dünne, funkelnde Brillanthalskette schmückte ihren reizvollen Hals und ihre sinnlichen Lippen schimmerten dunkelrot. Sie war wie aus dem Nichts aufgetaucht. „Sie hätten auf schwarz setzen sollen, Mr. Bond.“


    „Das scheint mir auch so“, brachte der Agent hervor.


    Ein berechnendes Lächeln umspielte den Mund der rassigen Schwarzhaarigen. „Folgen sie mir, Mr. Hartmann erwartet sie schon.“ Sie drehte sich um und gab Bond ihre tief ausgeschnittene Rückansicht preis. Dieser folgte natürlich sofort dieser, mit eiskaltem Charme vorgetragenen Aufforderung, doch war er weit davon entfernt in diese Venusfliegenfalle zu tappen. Nein, mit professioneller Distanziertheit nahm er weiterhin alles um sich herum wahr und prägte sich den Weg genau ein. Der Plan von Stansfield gab den Grundriss des Gebäudes wirklich erstaunlich gut wieder, so dass Bond stets wusste wo er sich befand, auch wenn er um so manche Ecke und durch so manche Treppenhäuser geführt wurde, bis die schwarzhaarige Schönheit schließlich eine dicke Flügeltür öffnete. „Bitte treten sie ein.“


    Der Geheimagent leistete auch dieser Bitte folge, betrat den Raum und blickte sich aufmerksam darin um. Das Geschäftszimmer Hartmanns war modern und düster und erinnerte Bond sofort an die Räume in der Agentur Argus. Ein schwerer, dunkler Läufer lag auf dem Boden und führte den Besucher durch den lang gestreckten Raum zu Hartmanns breitem Schreibtisch. Die Glasfassade an der Seite ließ nur spärlich das Licht der bunten Leuchtreklamen von Las Vegas hinein, da sie von einer Jalousie verdeckt wurde. Von Hartmann war nichts zu sehen. Der schwarze Bürosessel mit der großen, hohen Lehne war mit dem Rücken zur Tür gerichtet. „Treten sie doch näher“, hörte Bond Hartmanns Stimme, die ihm irgendwie schon vertraut war obwohl er sie erst einmal kurz gehört hatte, damals in Florenz, auf der Ponte Vecchio. Dicht gefolgt von der schwarzhaarigen Frau trat Bond zu dem Schreibtisch, während Hartmann sich zu den beiden umdrehte. Er hatte ein Tigerjunges auf dem Schoß und streichelte es. Die Szenerie kam dem Agenten irgendwie bekannt vor. „Man trifft sich also immer zweimal im Leben, Mr. Bond. Bitte setzen sie sich, wir haben einiges zu besprechen.“ Hartmann lächelte. „Sie brauchen keine Angst zu haben. Dies ist keine Falle, A. R. Gus ist tot. Ich bin nur der harmlose Gus Hartmann.“


    „Dass sie harmlos sind, bezweifle ich“, gab Bond offen zu und setzte sich vorsichtig hin. Die schwarz gewandete Schöne bückte sich zu einem gefüllten Futternapf und stellte ihn vor Hartmann auf den Schreibtisch. Dann stellte sie sich etwas abseits hin und beobachtete das Geschehen. „Danke, Vera“, meinte Hartmann, griff nach einem kleinen, saftigen Stück Fleisch und fütterte den kleinen Tiger, der immer wieder spielerisch nach Hartmanns Hand schnappte, damit. Nach einiger Zeit blickte Hartmann zu Bond. „Wollen sie auch mal? Der Kleine ist an Menschen gewöhnt und ganz zahm.“


    „Nein, danke“, meinte Bond hart. „Können wir bitte zur Sache kommen? Sie schrieben mir, dass sie Informationen hätten. Ich bin nicht hier um meine Zeit mit exzentrischen Schoßtieren zu vergeuden.“


    Als ob es jedes Wort verstanden hätte, drehte das Tigerjunges seinen Kopf zu Bond und fauchte ihn an, wurde aber gleich wieder von einem weiteren Stück Fleisch abgelenkt. „Sie sind ein sehr ungeduldiger und nervöser Gast, Mr. Bond. Ich finde es doch sehr unhöflich von ihnen, wo ich ihnen doch schon versichert habe, dass ihnen keine Gefahr droht.“


    „Nun, in diesem Fall muss ich leider noch unhöflicher werden. Ich traue ihnen absolut nicht und gebe auf ihr Wort nicht viel mehr als auf das von Politikern in ihrem Wahlkampf“, gab Bond rüde zurück, er war äußert angespannt. „Und wenn sie mich noch weiter auf die Folter spannen, dann werde ich ihnen zeigen wie ungeduldig und nervös ich wirklich sein kann.“


    Der junge Millionär lachte leise. „Mr. Bond, sie sind mir sympathisch. Aber gut, kommen wir halt zu den ernsteren Dingen des Lebens, wenn sie es wirklich wünschen.“


    „Ich bitte darum.“


    „Vera.“ Vera trat zu Hartmann, stellte den Futternapf beiseite und nahm ihm den kleinen Tiger ab. Dann verließ sie den Raum. Hartmann beugte sich vor und stützte seine Ellenbogen auf dem Schreibtisch ab, die Hände ineinander. „Nun, Mr. Bond. Sie halten mich augenscheinlich für ein verbrecherisches Genie, jemanden, der gekonnt mit anderen Leuten spielt und keine Skrupel kennt.“ Bond gab keine Reaktion. „Nun, damit erweisen sie mir zuviel der Ehre und überschätzen mich maßlos. Ich bin nur ein Abenteurer, der es versteht sich in Szene zu setzen.“


    „Ja, ja, diese Geschichte kenne ich schon aus dem Gerichtssaal. Natürlich waren Bates und Miss Allison die treibenden Kräfte hinter der Agentur, führten nicht nur aus, sondern hatten alles auch sorgfältig geplant. Alte Kamellen“, winkte Bond ab.


    „Das mag sein“, lächelte Hartmann. „Dennoch stimmen sie größtenteils. Bates und Miss Allison waren die treibenden Kräfte, die Ausführenden. Doch geplant wurden diese Coups weder von ihnen noch von mir und das ist jetzt wirklich die Wahrheit. Ich wurde dafür bezahlt ein Phantom zu werden und ein bisschen Show zu machen und wer würde zu einer großzügigen Entlohnung und der Möglichkeit, ins Agentenleben einzutauchen und die Geheimdienste ein wenig zu foppen schon nein sagen?“


    Nun wurde Bond hellhörig. Was Gus Hartmann da sagte passte durchaus zu dessen Persönlichkeitsprofil und zu dem Umstand, dass man zu den neuerlichen Geschehnissen keine Anhaltspunkte gefunden hatte, die auf ihn hindeuteten. „Sprechen sie nur weiter.“


    Hartmann nickte. „Ich wurde also zu A. R. Gus. Diesen Teil der Geschichte kennen sie ja. Doch mit diesem Schauprozess habe ich diese ganze Sache abgeschlossen. Die Zeit als A. R. Gus liegt hinter mir. Jetzt mache ich in Casinos. Aber mein Hintermann hat mich noch um einen letzten Gefallen gebeten, nämlich sie mit ihm in Kontakt zu bringen.“


    „Wer ist dieser Hintermann?“


    Hartmann lächelte wieder und lehnte sich zurück. „Ich weiß es nicht. Ich bin ihm nie begegnet. Ich kenne auch seinen Namen nicht. Er nennt sich selbst der ‚Master’.“


    „Eine nette Geschichte.“ Bond war weiterhin misstrauisch und musterte Hartmann skeptisch. „Und wie wollen sie einen Kontakt zu ihm herstellen, wenn sie ihn gar nicht kennen?“


    Der Millionär blieb locker. „Oh, das geht ganz leicht. Ich habe in dieser Hinsicht eine sehr einfache Rolle. Ich brauche sie nur an Vera weiterleiten, sie wird sie zum ‚Master’ bringen, sobald dieser bereit für ihren Besuch ist. Das wäre von meiner Seite aus dann alles, Mr. Bond.“ Er erhob sich und schien von Bond das gleiche zu erwarten. „Vera wartet draußen auf sie und wird sich um sie kümmern.“ Bond stand auf. „Da es heute wohl nichts mehr mit einem Treffen zwischen ihnen und dem ‚Master’ wird, kann ich ihnen wohl guten Gewissens versichern, dass Vera sicher alles tun wird um ihnen die Wartezeit mit einigen äußerst reizvollen Schweizer Nächten hier in Las Vegas zu versüßen“, lächelte Hartmann mehr als nur ein wenig anzüglich und entließ Bond.

  • 4 – Tatsächlich in der Löwengrube


    Vor Hartmanns Büro wartete tatsächlich schon Vera auf den britischen Geheimagenten James Bond. Bond musterte sie abermals, sie vereinte auf eine äußerst reizvolle Weise Kälte mit Schönheit, Distanz mit Verführung und wäre sie nicht als Frau zur Welt gekommen, so wäre sie – dessen war sich Bond sehr sicher – ein eleganter Rappe geworden. War es doch nicht nur ihr schwarzes, seidiges Haar, sondern auch die Energie, die sie ausstrahlte, die sie mit einem dieser edlen Tiere verband. Und für einen Moment ärgerte Bond sich, dass man für ihn nur ein Einzelzimmer, statt eines Doppelzimmers gebucht hatte. Er war sich der Gefahr, die von Vera ausging sehr wohl bewusst, aber trotzdem…


    „Sie sehen aber noch nicht sehr befriedigt aus, Mr. Bond“, bemerkte Vera und hob ihre Augenbrauen. Ihre Augen blitzten neckisch unter langen schwarzen Wimpern hervor.


    „Nein. Mr. Hartmann hat es tatsächlich nicht geschafft, mich zu befriedigen“, gab Bond zurück.


    Vera lächelte. „Oh, das ist aber Pech. Bei mir schafft er das jedes Mal spielend. Alle anderen werden es da sehr schwer haben.“ Dies mochte nun der Wahrheit entsprechen oder auch nicht, sie spielte jedoch offensichtlich mit Bond und verfehlte ihre Wirkung auf ihn nicht. Ebenfalls mit einem leichten Lächeln ging der Agent auf ihr Spiel ein. „Nun, soweit ich mich erinnere will Mr. Hartmann auch gar nicht, dass ich sie befriedige, vielmehr hat er mich an sie weitergeleitet, dass sie mich befriedigen.“


    Vera lachte leise. „Oh, Mr. Bond. Das eine wird mit dem anderen einhergehen. Dessen können sie sich sicher sein. Ich mache prinzipiell nichts ohne entsprechende Gegenleistung. Folgen sie mir.“


    Geschmeidig setzte sie sich in Bewegung und ging in das Casino zurück. Bond folgte willig, aber auch gewillt. Gewillt auf der Hut zu sein vor dieser gefährlichen Frau, die offensichtlich viel mehr war als nur Hartmanns Geliebte, Assistentin oder Gesellschafterin. Ihre Art über den Dingen zu stehen und völlig Herrin der Lage zu sein ließ Bond für einen Augenblick erschauern, doch er fühlte, dass er sich ihrem Charme nicht für lange würde entziehen können. Aber immerhin bestand die Chance, dass auch sie dem Charme des englischen Agenten erlag. Er war sich sicher, dass sie viel mehr wusste als Hartmann und vielleicht würde es ihm gelingen tiefer in sie einzudringen – in jeglicher Hinsicht. Oder war alles nur eine geschickte Ablenkung des genialen Hartmann, der eben noch vorgegeben hatte gar nicht so genial zu sein? Wie auch immer, Bond war fest entschlossen dieses Wildpferd namens Vera zu zähmen.


    Als sie an den Würfeltischen entlang und an dem großen Salon vorbei gingen, aus dem eine männliche durch Retro-Sound verstärkte Stimme über Las Vegas sang, hielt der britische Agent kurz inne und blickte über die Köpfe der Nachtschwärmer hinweg zur Bühne. Die Melodie kam ihm bekannt vor. „Wer ist das?“


    „Was?“ Vera folgte seinem Blick. „Oh, das ist Martin Stenmarck. Im Rahmen von europäischen Abenden hat Mr. Hartmann eine Eurovision Song Contest Soiree aufgestellt. Stenmarck war der diesjährige Teilnehmer von Schweden. Leider konnte auch Mr. Hartmann Abba nicht davon überzeugen noch einmal zusammen aufzutreten, aber immerhin hat er Celine Dion von einem Konkurrenten abgeworben. Gleich kommt auch noch die diesjährige Gewinnerin, die Griechin Elena Paparizou, eine hübsche und charismatische junge Frau und großer Star in ihrem Land.“ Vera fand nichts dabei Bond auf andere Frauen aufmerksam zu machen, sie wusste genau, dass alle anderen neben ihr sowieso verblassen würden.


    Bond schüttelte den Kopf. „Kein Interesse.“ Und das hatte er auch wirklich nicht. Aber er erinnerte sich, dass seine Haushälterin May dieses Jahr den Eurovision Song Contest geschaut hatte und deshalb war ihm die Melodie vertraut. Bond hatte allerdings für diese Art der Musik nicht viel übrig und hatte sich das damals nur angetan, weil er durch eine Grippe an die Wohnung gefesselt und so liebevoll von May umsorgt worden war.


    Also gingen Bond und Vera weiter. Der Brite musste unwillkürlich schmunzeln als andere Männer bewundernd zu ihm blickten und andere Frauen Vera mit eifersüchtigen Augen anstarrten, die allerdings keine Miene verzog und wie eine große Dame über dem neidischen Pöbel stand, sich ihrer großen Ausstrahlung trotzdem bewusst. Bond musste anerkennen, dass Vera wirklich genau die Art Frau war mit der Hartmann sich schmücken würde. „Wohin wollen sie mich eigentlich entführen?“ fragte er ganz locker.


    „Was für eine Frage? Sind sie denn nicht der Mann, der sich mit hübschen Damen auf sein Hotelzimmer zurückzieht?“ bemerkte sie schelmisch, sprach aber sofort weiter. „Nein, ich weiß natürlich ganz genau, dass für sie nur ein Einzelzimmer gebucht wurde. Wir werden in mein kleines Landhaus gehen, meine Klausur gewissermaßen. Es liegt auch weitaus näher an ihrem Ziel als das Bellagio“, hauchte sie verführerisch. „Ich werde schon dafür sorgen, dass sie ihr Ziel noch diese Nacht erreichen.“


    Bond neigte höflich seinen Kopf zur Antwort, doch ehe er etwas Schlagfertiges darauf erwidern konnte, stutzte er. Sein geschulter Blick hatte eine Person an der Bar ausgemacht: Stansfield. Was wollte der denn hier? Er sollte doch eigentlich im Hintergrund bleiben… Oder war das seine Vorstellung davon Bond den Rücken frei zu halten? In jedem Fall ließ er sich nichts anmerken, als seine Blicke kurz einander trafen. Erstaunlicherweise ganz im Gegensatz zu Vera. Sie hatte Stansfield auch bemerkt und war zusammen gezuckt. Was könnte das bedeuten? Stansfield war nicht unbedingt ein Mann vor dem man Angst haben musste, oder doch? Woher kannte Vera ihn? Was hatte sie erschreckt? Bedeutete das Gefahr für Stansfield? Oder war Stansfield gar ein weiterer Hintermann, der schauen sollte ob Vera ihre Sache wirklich gut machte? Bond kannte dieses Prinzip schon von Spectre. Wer versagte wurde umgehend liquidiert. War das Veras Angst?


    Bond schüttelte die Gedanken beiseite, wahrscheinlich war er einfach nur zu misstrauisch. Die Sekunde der Irritation war vorbei und sowohl Bond als auch Vera hatten sich wieder gefangen. Als der Agent noch einmal zur Bar blickte war Stansfields Platz leer.


    Nach einer guten Viertelstunde, die von ein paar Sticheleien, etwas Flirten und ein bisschen Smalltalk bestimmt gewesen war, entstiegen Bond und Vera einem schwarzen Porsche, der genauso reinrassig war wie seine Besitzerin. Der Brite blickte sich um. Sie waren nun etwas außerhalb von Las Vegas und ein leicht ansteigender Kiesweg führte zu einem dunklen Gebäude. „Es mag sie etwas überraschen“, warnte Vera ihn vor. „Aber wie ich schon sagte ist dies meine eigene kleine Klausur. Dennoch vom Interieur her weitaus dekadenter als es der äußere Schein vermuten lässt.“


    Letzteres zweifelte Bond in keinem Fall an, ließen doch Veras Aufmachung und der Porsche schon einiges vermuten. Doch er stockte tatsächlich als er der, wie er sie im Stillen immer noch nannte, Venusfliegenfalle folgte, das Gebäude Konturen annahm und sich schließlich seinem Besucher zeigte: Es war im Stil gotischer Klöster gehalten! Zugegebenermaßen allerdings im üblichen übertriebenen Las-Vegas-Stil, dennoch ungewohnt und überraschend genug um Bond zu verwirren, was Vera zufrieden zur Kenntnis nahm. Sie öffnete die Tür und hielt sie dem Agenten verführerisch auf, verführerisch, erwartungsvoll und berechnend. Bond zögerte lange genug, dass es ihr auffiel. „Tut mir Leid, Mr. Bond. Aber der Weg zu ihrem Ziel führt zwangsläufig nur durch mein Bett. Ich verbinde stets die Arbeit mit dem Vergnügen.“ Sie blickte Bond unverwandt und durchdringend in die Augen.


    Der britische Agent musste schlucken. Ja, er hatte vorgehabt in die Höhle des Löwen zu gehen, aber die Höhle der Löwin war etwas ganz anderes. Doch irgendetwas sagte ihm, dass es kein Zurück mehr geben würde. Er hatte sich wie eine Fliege im Netz der Spinne verfangen und musste nun sein bitter-süßes Schicksal annehmen. Und wer war er schließlich, dass er plötzlich Angst vor einer Frau bekam? Mit energischen Schritten leistete er also Veras Angebot Folge, immer auf der Hut vor einem Hinterhalt. Eiskalter Charme hätte ihn schon damals fast das Leben gekostet, im Eispalast des so genannten Gustav Graves, als sich Miranda Frost als Verräterin und Doppelagentin entpuppte. Und so ließ ihn Veras rasche Bewegung, als sie die Tür schloss und den Schlüssel umdrehte umfahren und seine Waffe ziehen.


    Vera quittierte die auf ihr Herz zielende Mündung von Bonds Walther mit einem unschuldigen Lächeln. „So nervös, Mr. Bond. Man könnte ja fast meinen, ich sei ihr erstes Date? Ich fände es doch sehr bedauerlich, wenn sie überfordert von mir wären, James.“ Sie wurde nicht nur verbal vertrauter, sie näherte sich ihm auch – immer noch unbeeindruckt von der Pistole – physisch. Mit einer sanften, aber zugleich bestimmten Bewegung schob sie seine Waffenhand zur Seite. „Die wirst du in den nächsten zwei Stunden nicht brauchen, James.“ Sie kam noch näher, schmiegte sich an den willenlos gewordenen Mann und raubte sich mit ihren dunkelroten Lippen einen fordernden Kuss.


    Tatsächlich wurden aus den versprochenen zwei Stunden schließlich sogar ganze drei, die Bond auf äußerst leidenschaftliche und erregende Weise mit Vera in der Klausur verbrachte, die von ihrer Ausstattung her tadellos mit dem Naturell ihrer Besitzerin übereinstimmte. Der britische Agent lehnte sich entspannt gegen das Kopfende des luxuriösen Bettes und zündete sich eine Zigarette an. „Alles für England“, schmunzelte er, während er aus dem Nebenraum das Rauschen der Dusche hörte unter der sich Vera gerade befand. Er schaute nachdenklich in die Richtung des plätschernden Wassers und versuchte sich erneut ein Bild von dieser Frau zu machen. Sie war gefährlich, zweifellos. Gefühllos? Nein, nicht wirklich, nicht nach diesen drei Stunden. Sie wusste nur ganz genau, dass dieser Wesenszug sie noch anziehender machte. Bond empfand nicht viel für sie, jedenfalls nichts Ernstes. Vera faszinierte ihn nur. Sie war die perfekte Frau für heimliche, stürmische Liebesaffären. Ja, sie verkörperte perfekt die Rolle einer flüchtigen Geliebten. Zu perfekt vielleicht?


    Bond griff nach dem Kristallaschenbecher auf dem Nachttisch, drückte die Zigarette aus und erwartete gespannt Veras Rückkehr und seinen nächsten Schritt, den er hin zum ‚Master’ zurücklegen musste.


    Eingehüllt in ein dunkles, violettes, eng anliegendes Abendkleid betrat Vera schließlich wieder das Schlafzimmer. „Du bist ja noch gar nicht fertig“, stellte sie mit Blick auf Bond fest. Sie hatte ihre Kühle und Berechnung wieder gefunden. „Ich habe dich doch wohl nicht tatsächlich überfordert, oder?“ Sie lächelte finster.


    „Nein, durchaus nicht“, schüttelte Bond den Kopf, stand auf und griff nach seiner Hose.


    „Dann ist ja gut. Mich hast du jedenfalls vollkommen befriedigt, so dass ich jetzt gerne meinen Teil der Aufgabe erfüllen würde. Der Master wartet nicht gerne“, ließ sie ihn kurz in das Gefühlsleben ihres Auftraggebers eindringen.


    „Nun, dann sollten wir uns wohl wirklich beeilen“, gab Bond zurück, der sich gerade das Hemd zuknöpfte. „Mich drängt es ihn zu sehen. Ich habe einige Fragen an ihn.“


    „Nun, das ist verständlich“, lächelte Vera friedlich. „Nach allem was du wegen ihm schon erdulden musstest.“


    „Oh, durchaus nicht wegen allem“, ließ Bond verlauten, der gerade das Magazin seiner Waffe kontrollierte. „Für die letzten drei Stunden müsste ich ihm direkt dankbar sein.“


    Vera lächelte geheimnisvoll und sagte nichts mehr dazu. Sie wusste um all ihre Künste. „Fertig, James?“


    Bond nickte. „Fertig.“ Er musterte die schwarzhaarige, elegante Frau vor ihm. Sie war im Gegensatz zu ihm völlig unbewaffnet und blieb es auch, als sie mit dem Agenten im Schlepptau das Schlafzimmer verließ und ihn hinab in den Keller führte. War ihre klar dargestellte Ungefährlichkeit – selbst ihr dunkelroter Lippenstift war einem zarten rosa gewichen, dass sehr gut mit ihrem Kleid harmonierte – nun ein Grund, um doch durchzuatmen oder um besonders auf der Hut zu sein? Bond kam sich sicher vor in ihrer Gegenwart, doch da er nichts weiter machen konnte als ihr einfach zu folgen auch sehr hilflos.


    Vera öffnete eine geheime Tür in einem dunklen Kellerraum, die einen langen steinernen Gang offenbarte. „Es ist nicht mehr weit“, verkündete sie. „Nur noch durch diesen Gang.“


    „Nach dir“, kam es nachdrücklich von Bond. Vera widersetzte sich ihm nicht und ging ganz brav vor. Sterile Lampen an der Decke erhellten den grauen Gang, der doch länger schien als Veras Worte vermuten ließen. Doch schließlich erreichten sie eine massive Stahlwand. Vera drückte auf eine unscheinbare kleine Unebenheit an der rechten Mauer und die Stahlwand fuhr in den Boden. Bond hatte sofort wieder seine Waffe gezogen und hielt sie gegen die immer größer werdende Öffnung. Blendendes Scheinwerferlicht strahlte ihnen entgegen und Vera meinte überraschend schnell und hastig: „Ich kann wieder vorgehen, James.“


    Doch Bond kam dieses Ansinnen zu rasch und war zu durchsichtig. Er sollte wohl denken, dass ihr Angebot eine Falle sei und dass es besser wäre hier selbst als erster ins Licht zu treten. Doch da würde sie sich täuschen. Der britische Agent nickte also nur demütig. „Ganz wie du willst.“


    Er konnte das gewinnende Lächeln, das über Veras Gesicht huschte nicht sehen, als sie ebenfalls nickte, vortrat und dann ins Licht schritt als wäre es das Tor zu einer neuen, besseren Existenz. Doch ehe Bond ihr folgen konnte ratterte schon ein eisernes Gitter vor ihm nieder und hinter ihm ein weiteres. Er war gefangen!


    „Biest“, entfuhr es ihm. Er musste sich etwas einfallen lassen und das sehr schnell, denn zu seinem eigenen Bestürzen musste er feststellen dass das hintere Gitter sich langsam aber unaufhaltsam auf das vordere zu bewegte. Wenn ihm nicht schnellstens etwas einfallen würde, dann würde er von den Gittern zerquetscht werden…


    Fieberhaft arbeitete sein Gehirn während er insgeheim dem Master – wer immer es auch sein mochte, Hartmann, Vera gar oder doch ein Unbekannter – weitere Bewunderung für dessen Genie aussprechen musste. Veras kleine Charade war äußerst brillant gewesen. Doch was half es ob die Falle in der er saß nun brillant oder stümperhaft war: Er musste hier heraus. Immer näher kam das stabile, gusseiserne Gitter. Das leise Schaben, das das Geräusch von splitternden Knochen auf seine ganz eigene Art vorweg nahm, jagte dem Agenten kalte Schauer über den Rücken. Das einzige was ihm noch einfiel war der Laser in seiner Armbanduhr. Doch würde es vermutlich zu lange dauern sich ein Loch durch die Streben zu brennen, aber es war seine einzige Chance und er musste sie nutzen. Rasch machte er sich ans Werk.


    Bedrohlich drückte das Gitter immer mehr an seinen Rücken, verzweifelt hielt er dagegen. Er hatte erst drei Streben durchtrennt als das Gitter vor ihm plötzlich wieder in die Decke gezogen wurde. Man ließ ihn also tatsächlich frei! Es konnte sich doch nur um eine weitere Falle handeln! Verbissen griff Bond wieder zu seiner Waffe. Der blendende Scheinwerfer war noch immer da.


    Auf einmal ertönte Veras Stimme. Sie klang seltsam ätherisch, so als wäre Vera tatsächlich auf eine höhere Existenzebene gewechselt. „Haben wir dir Angst gemacht, James? Das tut mir leid“, kam es kalt von ihr. Anscheinend sprach sie über Lautsprecher. „Wärest du brav vorgegangen, dann wäre dir das hintere Gitter erspart geblieben. Wir mussten schließlich verhindern, dass du uns wegläufst“, erklärte sie lapidar. Bond verzog grimmig das Gesicht. Er hatte immer noch die Waffe gezogen, war immer noch geblendet vom Scheinwerferlicht. „Sicher hast du als interessierter Zeitungsleser vom Diebstahl der beiden weißen Tiger gehört. Nun, die beiden lieben Tiere waren niemals weit weg von ihren früheren Herrchen.“


    Veras Stimme verstummte. Kurz darauf ging auch der Scheinwerfer aus. Bond blinzelte in das Dunkle, das langsam klarer wurde. Er war gefangen in einem großer Krater in der Wüste um Las Vegas. Über sich konnte er den Nachthimmel ausmachen. Ein leises Knurren ließ ihn nach rechts blicken. Dort streiften sie umher, majestätisch und gefährlich: Zwei weiße Tiger, die ihn unverwandt anstarrten. Von Vera war, wie vermutet keine Spur mehr zu sehen. Nun war Bond wirklich in der Löwengrube angekommen.

  • 5 - Bauernopfer


    Ein schwarzhaariger Mann, der etwa Anfang bis Mitte dreißig war und eine runde Nickelbrille trug, stieg aus dem in die Jahre gekommenen Taxi des Hotels, das ihn vom Bahnhof abgeholt hatte. Müde und etwas kraftlos hielt seine rechte Hand eine schwarze Aktentasche. Er hatte eine anstrengende Reise hinter sich. Erst einen Flug von Bern nach Edinburgh, dann eine Bahnfahrt, die mit mehreren Umstiegen verbunden war und am Schluss die unbequeme Fahrt in diesem alten Taxi. Er seufzte leicht und wäre am liebsten gar nicht hergekommen. Nein, gar nicht stimmte nicht ganz. Er lächelte leicht. Doch er war ja leider jetzt nicht privat hier sondern auf Anweisung des ‚Masters’ und die plötzliche Aktivität zu der ihn der Master zwang behagte ihm ganz und gar nicht. Er wurde mehr und mehr in eine Rolle gepresst, die er nicht ausfüllen konnte, die er nicht ausfüllen wollte. Aber vielleicht, gab er seine schwache Hoffnung zum Ausdruck, vielleicht würde es ja nicht so schlimm werden.


    Während er die Aktentasche selbst behielt nahm sich nun ein Angestellter des Hotels des restlichen Gepäckes an. Der Mann betrat die Empfangshalle, nickte dem Portier, der ihm die Tür aufhielt im Vorbeigehen kurz zu, nahm eine junge, einigermaßen hübsche, braunhaarige Frau in der Lobby wahr und trat an die Rezeption. Als er die Person dahinter erkannte hellte sich seine Miene merklich auf. „Schön, dass du endlich mal wieder bei mir bist“, lächelte ihn der Assistent des Geschäftsführers von der anderen Seite aus sanft an.


    Denise saß in der Lobby des Hotels und studierte einige Prospekte als das Öffnen der Tür und der höfliche Gruß des Portiers sie aufhorchen ließ. Automatisch wendete sie ihren Kopf in diese Richtung und begutachtete den Neuankömmling neugierig. Irgendwoher kannte sie ihn. Es dauerte nicht lange und ihr geschultes Gedächtnis hatte ihn korrekt eingeordnet. Obwohl es sie direkt nichts anging, stand sie doch auf und folgte ihm an die Rezeption. Ganz unbeteiligt und unauffällig lauschte sie, während sie vordergründig mit den Prospekten beschäftigt war, die alten einordnete und sich neue heraussuchte.


    Der schwarzhaarige Mann griff langsam nach der Hand seines Gegenübers und drückte sie zärtlich. „Leider sind die Umstände weniger erfreulich. Ich weiß gar nicht warum der Alte… verzeih, warum der Master mich überhaupt gerade jetzt hier haben will. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache.“


    Tröstend streichelte der Assistent mit seinen Fingern die Hand des anderen etwas. „Ist doch egal. Die Hauptsache ist, dass wir wieder zusammen sind, Ben.“ Der Schwarzhaarige quittierte das mit einem Lächeln. Doch seine Nervosität würde wohl trotzdem bleiben. „Wird Gus auch herkommen?“ fragte er nun.


    Der Assistent schüttelte den Kopf. „Nein, der Master will ihn wohl erstmal weiter in Las Vegas lassen. Zur Ablenkung oder so etwas.“


    Der Schwarzhaarige seufzte. „Gus steckt das alles irgendwie viel leichter weg als ich. Für ihn ist das alles nur ein großes Spiel. Gewiss, der Master ist genial, aber nach der Sache in Bern sind doch alle Geheimdienste an Gus dran.“


    „Kopf hoch, Ben. Der Master wird sich nicht so leicht ins Handwerk pfuschen lassen. Er hat für jedes Problem eine passende Lösung, selbst für Fehlschläge. Der Schauprozess war doch fast genauso schlimm wie es der Amoklauf dieses britischen Agenten gewesen wäre und es sind doch alle heil bei der Sache herausgekommen.“ Der Schwarzhaarige nickte langsam. „Und in einer Stunde habe ich frei“, fuhr der andere lächelnd fort. „Dann werde ich dich schon auf andere Gedanken bringen.“


    „Ich habe dich so vermisst, Max.“ Der Schwarzhaarige beugte sich vor und gab dem anderen rasch einen kurzen und unauffälligen Kuss. Denise fand diesen Moment günstig um sich diskret zurückzuziehen. Sie hatte genug gehört.


    Der Schwarzhaarige war allerdings nicht der einzige, dessen Gedanken um Gus Hartmann kreisten, doch waren die Gedanken von James Bond im Moment alles andere als besorgt. Wütend schollt er Hartmann, Vera und vor allem sich selbst, dass er wieder einmal in eine seiner genialen Fallen getappt war. Nun hockte er in diesem staubigen Krater in der Wüste mit zwei gefährlich aussehenden weißen Tigern als einzige Gesellschaft, die unablässig ihre scharfen Reißzähne bleckten. Geschmeidig streunten sie, den Agenten belauernd, mal mehr mal weniger dicht an ihm vorbei, durch den Krater. Bond ließ seine Augen nicht von den beiden. Er dachte über seine weiteren Aktionen nach. Irgendetwas kam ihm in dieser ganzen Situation komisch vor. Warum hatte man ihm seine Waffe gelassen? Nun, vermutlich vermutete man, dass etwaige Schüsse auf den Tiger den anderen Tiger nur noch mehr aufhetzen würden. Es war ein riskantes Spiel. Und trotzdem… etwas seltsam Ruhiges ging von den beiden Tieren aus. Hatte man nicht bedacht, dass die beiden Tiger an Menschen gewöhnt waren? Nein, es war etwas anderes. Die Tiere waren trotz ihrer Geschmeidigkeit ein wenig träge. Man hatte sie augenscheinlich gut gefüttert. Sie waren im Moment keine Gefahr. Wollte man ihn quälen? Ihm seiner Angst, seinem eigenem Hunger und Durst aussetzen bis die Tiger hungrig genug waren um ihn anzufallen? Bond schauderte.


    Langsam und bedächtig ging der Brite ein paar Schritte, die Augen immer auf die Tiger gerichtet. Er schaute sich im Krater um. Die Wände waren aus natürlichem Felsgestein. Mit etwas Geduld könnte ein geübter Kletterer auf diese Weise entkommen. Die Erkenntnis traf Bond wie ein Blitz aus heiterem Himmel: Man wollte, dass er entkommt! Doch warum? Wieso das alles? Wollte man Zeit gewinnen? Mit ihm spielen? Ihn zermürben? Er würde Hartmann zur Rede stellen und diesmal nicht mehr so zimperlich sein wie bei ihrem letzten Treffen. Jetzt wollte er Antworten und er würde alle erdenklichen Mittel einsetzen um sie zu bekommen.


    Ruhig griff Bond in die Innentasche seines Sakkos und holte den Betäubungsrevolver von Q hervor. Er wollte sicher gehen während der Kletterpartie nicht doch unliebsam gestört zu werden. Der Agent gab zwei Schüsse ab und die Tiger sackten langsam in sich zusammen. „Schlaft schön“, kommentierte Bond grimmig und begab sich an den Aufstieg.


    Als er endlich dem Krater und den Tigern entronnen war, musste Bond feststellen, dass er gar nicht so weit von der Stadt entfernt war. Er befand sich auf einem eingezäunten Gebiet, dass als Privatbesitz deklariert war und konnte in einiger Entfernung die nimmermüden Lichter von Las Vegas erkennen. Jetzt konnte Hartmann was erleben! Der Agent klopfte sich den Staub von der Kleidung und machte sich energischen Schrittes auf ins Swiss Nights.


    Bond achtete nicht sonderlich auf die vielen immer noch beharrlich um ihr Glück kämpfenden Nachtschwärmer an den Spieltischen und schlug direkt den Weg zu Hartmanns Büro ein. Im Gang davor verlangsamte er seinen Gang, zog die Waffe und schlich lauschend zur ihm bekannten Flügeltür. Sie war einen Spalt auf und die Fetzen eines Gespräches drangen zu ihm durch. Er hielt inne. „Was will er?“ Hartmanns Stimme klang ärgerlich. „Was ist mit Stansfield? Was hat er diesmal wirklich mit diesem James Bond vor? Treffen will er ihn doch auf keinen Fall.“


    „Lass den Master aus dem Spiel, Gus.“ Es war Veras kalte, verführerische Stimme, die Hartmann antwortete. „Sein Plan ist tadellos und mehr als du jetzt schon weißt brauchst du dafür auch gar nicht zu wissen.“


    „Willst du mir drohen, Vera? Das kann ich auch. Ich weiß genug über den Master!“


    „Ich weiß. Du weißt viel. Zu viel, wenn es nach mir geht.“ Sie seufzte und wirkte für einen Moment resigniert. „Aber es spielt alles keine Rolle mehr. Du spielst keine Rolle mehr.“


    Nun war Hartmanns Stimme erschreckt. „Vera, leg doch das Ding weg. Du wirst doch nicht… ich… ich dachte wir lieben uns!“


    „Auch das spielt keine Rolle mehr“, kam es tonlos von Vera. Bond musste handeln! Schnell! Hartmann musste am Leben bleiben! Er war die einzige Chance für den Agenten an weitere Informationen zu kommen. Mit dem tollkühnen Übermut eines Verzweifelten, der nichts mehr zu verlieren hat, stürmte der Agent in das Zimmer, doch sofort traf ihn ein harter Schlag auf dem Kopf und ihm wurde schwarz vor Augen.


    Bond wusste nicht wie lange er bewusstlos gewesen war als er durch ein lautes Klirren wieder geweckt wurde. Ein wenig irritiert schaute er sich um, versuchte sich zu orientieren. Anscheinend war er immer noch in Hartmanns Büro, saß in dessen großen Bürosessel. Es dauerte einen Augenblick bis er wieder klar sehen konnte. Er sah noch eine Gestalt aus dem Zimmer huschen, die Tür wurde zugeschlagen. Das Licht der Reklame des gegenüberliegenden Casinos erhellte den Raum und nun sah Bond auch den Ursprung des Klirrens. Die Glasfassade des Büros war an einer Stelle zerbrochen und genau an dieser Stelle stand, strauchelnd und doch keinen Halt findend, Hartmann. Todesangst stand ihm ins Gesicht geschrieben. Mit gebrochener Stimme flüsterte der junge Millionär Bond ein verzweifeltes „Hilfe“ zu.


    Dem ersten logischen Impuls folgend sprang Bond auf, um zu ihm zu hechten und Hartmann zu ergreifen. Doch er übersah das leichte Schimmern des Stahlfadens, dass von Hartmanns Gürtel bis zu dem Bürosessel gespannt und das einzige war, was Hartmann noch vor dem Sturz in den Tod bewahrte. Nun, ohne das Gewicht von Bond, löste sich die Spannung des Fadens und Hartmann verlor endgültig den Halt. Bond unternahm einen letzten verzweifelten Versuch ihn zu fassen, doch Hartmanns Fingernägel, die sich an Bonds Hand krallten fanden keinen sicheren Griff mehr und mit einem markerschütternden Schrei fiel sein Körper in die Tiefe.


    Bond spürte den Stahlfaden als dieser kurz nach Hartmann an ihm vorbei flitschte und eine rote Strieme auf seiner Haut hinterließ. Als er hinab schaute, Hartmann in seinem Blut liegen und viele Schaulustige zu ihm aufblicken sah, wusste er, dass er in eine weitere Falle des Masters getappt, ihr diesmal aber nicht noch im letzten Moment entronnen war. Diesmal hatte es keine Anna gegeben und keinen Weber. Er zog sich ins Halbdunkel des Büros zurück. Es war Absicht gewesen, dass er mit Hartmanns Gefährtin geschlafen hat, man hatte absichtlich und sehr subtil Wut gegen Hartmann in ihm geschürt. Es musste alles so aussehen, als hätte er Hartmann ermordet, aus Rache für dessen gewonnenen Schauprozess. Und es sah auch so aus. Hartmann hatte nun Hautreste von Bond unter den Fingernägeln, er hatte Bonds Gürtel um gehabt und einige der Schaulustigen hatten einen Blick auf Bond erhaschen können. Einige der Casinogäste mussten ihn auch gesehen haben, als er so zielstrebig in die Geschäftsräume ging und Vera würde sicher sehr überzeugend eine Zeugin mimen, eine sensationslüsterne Zeugin natürlich, die sich direkt an die Presse wandte, ganz so wie es die Art des Masters war. Ein skrupelloser Mann, der die Pressefreiheit in einem so widerwärtigen, verdrehten Maße ausnutzte wie es seinerzeit nur der Medienmogul Elliot Carver gewagt hatte.


    Bonds Gesichtszüge veränderten sich zu einer verbitterten Maske. Er war erledigt, musste untertauchen. Hoffen, dass man ihm in London glaubte und hoffen, dass Falco seinen Finger auf die lokale Polizei legen und alles möglichst rasch bereinigen würde. Es beunruhigte ihn jetzt gewissermaßen teilweise von der Gnade dieses Mannes abhängig zu sein, der ihm schon von Anfang an unsympathisch war. Doch er war nun in Las Vegas, auf amerikanischem Gebiet. Aber bevor er untertauchen würde hatte er noch eine Sache zu erledigen. Hartmann und Vera hatten Stansfield in einem Atemzug mit dem Master genannt. Er musste das überprüfen so lange die Spur noch heiß war. Auf dem Weg zur Tür hielt er inne. Wer hatte ihm eigentlich den Schlag versetzt? Es war ihm schließlich niemand gefolgt und neben der Tür hatte er auch niemanden stehen sehen.


    Bonds Blick ging schließlich zu einem kleinen quadratischen Steinblock, der neben der Tür stand und ein klares Bild formte sich in seinem Kopf. Der Master hatte Bonds Kommen zu diesem Zeitpunkt fest eingeplant und Vera hatte alles haargenau vorbereitet. Deshalb war auch die Tür einen Spalt auf und auf der Tür, eingekeilt zwischen Türkante und Wand lag der Steinquader, der auf jeden fallen musste, der die Tür öffnete und rasch ins Zimmer trat. Ein so alter, ein so einfacher Trick und Bond war darauf hereingefallen! Aber wer dachte im hochtechnischen Elektronikzeitalter schon an so alte und abgeschmackte Tricks, die man höchstens noch aus alten, zweitklassigen Komödien kennt, wo die Leute dann mit Farbe oder kalten Wasser übergossen wurden. Nun, der Master dachte wohl offensichtlich daran und es hatte sich ja auch als äußerst effektiv erwiesen. Doch nun musste Bond sich beeilen. Die Polizeisirenen waren schon zu hören. Mit Hilfe von Stansfield genauem Plan des Gebäudes gelang es ihm jedoch mühelos, von den Polizisten unentdeckt zu entkommen.


    Als der britische Agent, sichtbar gezeichnet von den Ereignissen der letzten Nacht, die Hochzeitskapellen des Bellagios erreichte dämmerte es schon. Alles war wie ausgestorben, beinahe totenstill. Eine düstere Vorahnung beschlich den Agenten. Sollte er doch zu spät gekommen sein?


    Langsam und auf der Hut begab sich Bond zum Vorzimmer. Er legte die Hand auf die Klinke und drückte sie hinab. Nichts tat sich. Abgeschlossen. Bond vergewisserte sich, dass niemand in der Nähe war und trat die Tür mit einem kraftvollen Stoß ein. Er fand seine Vorahnung sofort bestätigt. Leblos hing die Sekretärin auf ihrem Stuhl. Die Brille schief auf der Nase, auffällige rote Würgemale auf ihrem bleichen Hals. Die Aktenschränke und der Schreibtisch waren durchsucht worden und in Unordnung. Mit flauem Gefühl und einem beklemmenden Druck auf der Brust ging Bond weiter, quer durch die Kapelle zum Büro von Reverend Stansfield. Die Tür war aufgebrochen worden und hing schief in den Angeln, auch hier war alles durchwühlt worden. Auf einigen Dokumenten befanden sich Blutspuren, doch war weit und breit keine Leiche zu sehen, auch in den anderen Räumen war keine aufzufinden. Bond zweifelte nicht daran, dass das Blut auf den Papieren Stansfields Blut war. Doch warum gab es keine Leiche?

  • 6 – Reaktionen


    Der britische Geheimagent James Bond war erschöpft. Er lag auf der harten Matratze in einem Zimmer in einer kleinen schäbigen Pension in New York. Es war schon spät, doch er fand einfach keinen Schlaf. Immer wieder kreisten seine Gedanken um die Geschehnisse in Las Vegas und um das was seitdem geschehen war, was seitdem geschehen musste. Überhastet war aus dem Bellagio abgehauen, hatte gerade noch genug Zeit gehabt notdürftig seine Spuren zu verwischen und einige falsche Fährten auszulegen. Bei der ersten sich bietenden sicheren Gelegenheit hatte er dann Kontakt mit der amerikanischen Station des Secret Service aufgenommen und durchgegeben, dass die Mission ein Fehlschlag und er nun auf der Flucht war. Man hatte versprochen die Wogen in Las Vegas etwas zu glätten und ihm auch einen falschen Pass und ein Flugticket nach London zu verschaffen, um ihn sicher außer Landes zu bringen. Das war nun zwei Tage her. Zwei Tage, die er versteckt in einem wenig ansehnlichen Teil von New York verbracht hatte. Er verfluchte die Untätigkeit, zu der er verbannt war, doch er konnte jetzt nur warten. Ein Kontaktmann mit den versprochenen Dokumenten war ihm für die Morgendämmerung angekündigt. Bond griff zu dem Glas auf seinem wackeligen Nachttisch und nahm einen Schluck Wasser, dann schloss er die Augen. Vielleicht würde er bis dahin doch noch ein wenig Schlaf finden.


    Neben dem Glas lag auf dem Nachttisch noch eine aufgeschlagene Tageszeitung aktuellen Datums. Folgende Schlagzeile prangte dick auf der Titelseite: „Hartmann-Erbe in Las Vegas brutal ermordet. Es wird von einem Racheakt ausgegangen. Der Tat verdächtig ist ein Engländer namens James Bond, der Las Vegas überstürzt verlassen hat noch bevor ihn die Polizei vernehmen konnte.“ Wie ein dunkler Schatten schien sich diese Schlagzeile nun auf den Agenten zu legen und verschaffte ihm unruhige Träume. Aber Bond war nicht der einzige, auf den sich zu dieser Stunde ein dunkler Schatten gelegt hatte. Doch hatte dieser andere Schatten nicht nur einen Namen, sondern auch ein Gesicht.


    Barbara Mawdsley, beim britischen Geheimdienst besser bekannt als M, saß merkwürdig steif in ihrem Bürostuhl und musste sich ziemlich zusammenreißen um Haltung zu bewahren. Warum waren die Begegnungen mit Damian Falco, dem Chef der amerikanischen NSA, auch immer so unangenehm? Sein verärgertes Antlitz blitzte ihr von dem großen Bildschirm hinter ihrem Schreibtisch entgegen. „Ach hören sie doch auf, M“, tönte er. „Das einzige, was ich sehe ist, dass sie ihren Laden immer noch nicht im Griff haben. Besonders diesen Bond nicht. Andauernd hört man von seinen Rachefeldzügen.“


    „Ich habe zwar noch keinen genauen Bericht von ihm“, hielt M ihm standhaft entgegen. „Aber Bond ist mein bester Mann. Ich bin sicher, dass er gute Erklärungen für seine Taten hat.“


    „Ihr bester Mann, ja?“ Falco ließ wieder seine amerikanisch-provokante Seite heraushängen. „Wenn das ihr bester Mann ist, dann steht es um den MI6 ja noch schlechter als ich dachte. Sie haben doch eben selbst zugegeben, dass Bonds Mission ein Fehlschlag war. Ihr hoch gelobter Bond ist doch nichts weiter als ein gefährlicher Versager.“


    Es kostete M viel Überwindung um ihre Wut hinunter zu schlucken, doch sie schaffte es ein zuckersüßes Lächeln aufzusetzen. „Wenn ich mich recht entsinne hatten sie vor kurzem noch eine ganz andere Meinung von 007. Ich denke da an Korea und – erst kürzlich geschehen – an Bern.“


    „Nun, wie auch immer“, wischte Falco Ms Einwand schnell weg. „Warum verstecken sie Bond jetzt vor unserem Zugriff? Bringen ihn sogar außer Landes. Keine sehr nette Form der Zusammenarbeit und nicht wirklich die feine englische Art. Wir wären damit auch schon fertig geworden.“


    „Nun, das mag sein“, gab M nicht ohne eine gewisse Härte zu. „Aber wenn einer meiner Untergebenen versagt, dann wünsche ich umgehend eine persönliche Erklärung von ihm. Bond untersteht immer noch mir und nicht der NSA und hat sich zuerst vor mir zu rechtfertigen.“


    „Nun gut, aber ich werde ein Auge darauf haben“, erwiderte Falco misstrauisch.


    „Wo wir gerade davon sprechen, Mr. Falco“, nahm M jetzt wieder lächelnd das Heft in die Hand. „Sie haben Hartmann doch seit dem Prozess überwachen lassen. Hatten sie da auch ein Auge auf dieser Vera? Angeblich soll sie eine nicht ganz unwichtige Rolle in dieser Affäre spielen.“


    „Nun…“ Falco strich sich ein imaginäres Haar von der Unterlippe und wirkte seltsam ertappt. „Stansfield war an ihr dran und hat einen Bericht über sie verfasst. Aber von allen ist keine Spur mehr. Weder von Vera, noch von Stansfield oder dem Bericht. Wir wissen also gar nichts.“


    Ms Lächeln war jetzt sehr überlegen. „Da sie so freundlich waren, mir den Rat zu geben, endlich etwas Ordnung in meinen Laden zu bringen, Mr. Falco, will ich diese nette Geste doch jetzt einmal zurückgeben und ihnen raten, die Berichte ihrer Mitarbeiter auch mal zu lesen so lange sie noch existieren.“ Mit einer Art spitzbübischer Zufriedenheit unterbrach sie die Verbindung. Alles in allem war dieser kleine Disput doch noch sehr zufrieden stellend verlaufen, doch ihre Nervosität blieb. Sie hatte immer noch vollstes Vertrauen zu Bond, doch die Schlagzeilen der Zeitungen und die wenigen Informationen, die 007 bisher durchgeben konnte, ließen doch Zweifel in ihr wachsen. Zweifel und Besorgnis, die jetzt beide ziemlich an ihrer Seele nagten.


    M streckte ihre Hand aus und drückte auf einen Knopf der Sprechfunkanlage vor ihr. „Tanner? Gibt es etwas Neues von 007?“


    „Nicht viel“, ertönte die etwas metallisch klingende Stimme des Stabchefs. „Er wird die USA heute noch verlassen.“


    „Gut.“ M schaltete die Anlage aus, stand auf und trat zu einem kleinen Schrank hinter ihrem Schreibtisch. Sie öffnete ihn und holte ein Glas und eine Karaffe Bourbon heraus. Sie goss sich ein, nahm das Glas in die rechte Hand und trat langsam zum Fenster. Nachdenklich schaute sie heraus und nahm einen Schluck. Es würde also nicht mehr lange dauern und sie würde endlich Antworten bekommen.


    Die Nachricht über den Tod des millionenschweren Gus Hartmann hatte sich fast wie ein Lauffeuer in der gesamten westlichen Welt verbreitet und so fand sich auch in einer lokalen schottischen Zeitung ein entsprechender Artikel. Ein Exemplar eben jener Zeitung befand sich auch auf dem rustikalen Schreibtisch eines älteren Hoteleigners. Mürrisch saß dieser auf einem ebenso rustikalen Stuhl und wartete auf seinen Sohn. Der Blick seiner grauen Augen, die unter buschigen, weißen Augenbrauen hervorlugten war starr auf die Tür gerichtet. Grausame Züge umspielten seine dünnen Lippen. Als sich die Tür öffnete und sein Sohn eintrat kam etwas Bewegung in ihn. Er lehnte sich zurück und atmete tief durch. Tragische Nachrichten weiterzugeben war immer schwer, aber es hatte sich nun einmal nicht vermeiden lassen. Egal wie schmerzlich es für seinen Sohn werden würde. Er war es nicht gewohnt Rücksicht zu nehmen und das erwartete auch mittlerweile niemand mehr von ihm.


    Max spürte die drückende Atmosphäre sofort als er das Geschäftszimmer seines Vaters betrat. Erwartungsvoll schaute er den alten Mann an. „Du wolltest mich sprechen, Vater?“


    Der Alte nickte. „Hast du schon die Zeitung von heute gelesen?“


    Max schlug ein wenig verlegen und schuldbewusst die Augen nieder. Jetzt wo Ben hier war verbrachte er die meiste Zeit zusammen mit ihm. „Nein, Vater.“


    „Dann lies sie jetzt.“ Der Alte griff nach der Zeitung und warf sie seinem Sohn mit einer harschen Bewegung zu. „Gus ist tot. Ermordet.“


    „Gus? Tot? Ermordet?“ erwiderte Max ungläubig und fing die Zeitung auf. Rasch schlug er sie auf. „Von wem? Wann? Warum?“ Diese Neuigkeit erschütterte ihn zutiefst. Seine Hände zitterten als er aufgeregt den Artikel las. „James Bond“, murmelte er. Sein Blick wurde seltsam glasig. Seine Hände erschlafften, die Zeitung fiel raschelnd auf den Boden. Wortlos drehte sich Max um und stürmte aus dem Raum. Mit einem lauten Knall schlug die Tür hinter ihm zu. Der Hoteleigner hatte nur ein müdes Lächeln für die Reaktion seines Sohnes übrig.


    Ben saß an dem kleinen Schreibtisch in seinem ansprechend möblierten Hotelzimmer. Er war über einen Bogen mit verschiedenen Zahlen gebeugt. Als sich auf einmal die Tür öffnete schrak er zusammen. Im Türrahmen stand Max, sichtlich aufgeregt und außer Atem. Ben schaute ihn irritiert an. „Max? Was ist passiert?“ Besorgt stand er auf und trat zu seinem Freund.


    Max schloss die Tür hinter sich und ließ sich etwas kraftlos auf das gemütliche Bett niedersinken, in dem er vor kurzem noch eine sehr glückliche Nacht mit Ben verbracht hatte. „Gus ist tot“, brachte er mühsam hervor. Seine Stimme versagte ihm immer noch. „Es steht in der Zeitung.“


    Ben war betroffen. Langsam setzte er sich neben Max und schlang einen Arm um ihn. „Erzähl“, meinte er nur ruhig.


    „Er wurde aus dem Fenster seines Casinos geworfen“, brachte Max schließlich langsam zusammen. „Die polizeilichen Ermittlungen führten zu einem gewissen James Bond, der die Tat angeblich aus Rache begangen hat. Er ist flüchtig.“ Max seufzte. „Ein grausames Spiel. Du… du hattest wohl recht. Gus war immer schon zu naiv.“ Traurig blickte er den anderen an, dieser nickte ernst. „Und… und nun habe ich Angst um dich, Ben.“


    Der Schwarzhaarige stutzte. „Angst um mich? Warum?“


    Max schluckte. „Du… du könntest der nächste sein, der auf der Abschussliste dieses Amok laufenden Agenten steht. Du bist ihm auch begegnet, damals in Bern. Du warst auch Teil dieses Schauprozesses.“


    Schwarzenberg schaute nachdenklich an die entgegen gesetzte Wand. „Meine Rolle war nur sehr klein.“


    „Trotzdem“, kam es etwas ärgerlich und sehr besorgt von Max. „Für jemanden, der nur noch seine Rache im Sinn hat wird es reichen. Ich will dich nicht verlieren, Ben. Wir müssen ihm zuvorkommen. Wir müssen Gus rächen.“


    Der andere nickte langsam. Viele Gedanken gingen nun in seinem Kopf herum. Er schaute zu Max. „Was würde der Master dazu sagen? Und was ist mit Vera? Wir sollten auch noch einmal mit ihr sprechen. Wird sie herkommen?“


    Max zuckte mit den Schultern. Schutzbedürftig lehnte er sich an Ben. „Ich weiß es nicht. Ich habe ihn nicht gefragt. Sofort nachdem ich den Artikel zu Ende gelesen hatte bin ich zu dir gerannt. Aber es ist egal ob Vera kommt.“ Seine Hand ballte sich zu einer unnachgiebigen Faust, die Knöchel traten weiß hervor. „Wenn aber dieser Bond hier auftauchen sollte, dann werde ich bereit für ihn sein!“


    Benjamin Schwarzenberg sagte nichts mehr.

  • 7 – Eine neue Spur


    Der britische Geheimagent James Bond hatte seinen Bericht schon während der Zeit der Untätigkeit in New York geschrieben und war ihn im Flugzeug noch einmal durchgegangen. In London angekommen hatte er den Bericht umgehend eingereicht und man hatte ihm im Gegenzug eine halbe Stunde Zeit gegeben um sich kurz zuhause frisch zu machen und eine Kleinigkeit zu essen. Bond war immer noch sehr angegriffen. In Chelsea wurde er von einer sehr verhärmt aussehenden May in Empfang genommen. Auch sie hatte natürlich die Zeitungen gelesen und brachte sofort ihren Unmut über die Verdächtigungen gegen Bond, den sie schon wie eine Art Ziehsohn betrachte, lautstark zum Ausdruck. Ein leichter, zurückhaltender Unterton ließ den Agenten allerdings erkennen, dass auch May nicht ganz ohne Zweifel war. Und wer hätte es ihr verdenken können? Alles sprach gegen ihn. Der Master hatte alles sehr klug arrangiert – wie immer. Er konnte nur hoffen, dass M seinem Bericht Glauben schenken würde, auch wenn er genau wusste, dass einige Stellen sehr absurd klangen. Genie und Wahnsinn verbanden sich in den Plänen des Masters auf eine höchst gefährliche Weise.


    Während der britische Agent eine kalte Dusche nahm, um sich wieder seiner eigentlichen Professionalität bewusst zu werden, bereitete ihm May schnell ein paar Sandwichs zu, die Bond auf dem Weg zum MI6-Hauptquartier aß.


    M hatte Bonds Bericht mehrmals und genau gelesen. Ernst schaute sie ihn nun über ihren Schreibtisch hinweg an. „Sie erwähnen in ihrem Bericht durch die Blume einen Verdacht gegen Reverend Stansfield“, bemerkte sie und schaute den Agenten abwartend an.


    Bond hatte eine Zigarette im Mundwinkel und nahm sie nun mit der rechten Hand hinaus. Er nickte leicht. „Prinzipiell halte ich jeden für verdächtig“, führte er aus. „Vera erschrak als sie im Casino erblickte. Auch mich überraschte seine Anwesenheit dort. Später wurde er von Vera und Hartmann in einem Atemzug mit dem Master genannt. Er könnte seine Sekretärin selbst getötet und seine Entführung nur vorgetäuscht haben. Ich nehme doch an, dass mittlerweile geklärt ist wessen Blut es war, oder?“


    M nickte. „Es ist Stansfields Blut. Allerdings scheint es tatsächlich einen guten Grund zu geben warum er entführt wurde.“ Bond schaute sie fragend an. „Laut Falco hatte er einen Bericht über Vera verfasst, der jetzt ebenfalls verschwunden ist.“


    „Verzeihen sie, Madam“, warf der Agent ein. „Aber wenn es tatsächlich nur um den Bericht gehen würde, warum hat man ihn dann nicht einfach auch ermordet, sondern stattdessen mitgenommen?“


    „Nun“, meinte M langsam und verlagerte ein wenig ihr Gewicht, was den Stuhl knarren ließ. „Ich verstehe ihre Überlegungen durchaus“, gab sie zu. „Aber vielleicht hat Stansfield etwas für die Gegenseite Wichtiges gewusst, dass sie erst noch aus ihm herauspressen wollen“, schlug sie eine Alternative vor.


    Bond sah ein, dass das natürlich auch möglich war. Er seufzte leise. „Madam, es tut mir leid, dass diese Mission ein Fehlschlag war. Ich habe versagt und bin bereit die Konsequenzen zu tragen. Ich fürchte ich habe mich nicht immer klug verhalten.“ Ernst schaute er seine Vorgesetzte an. Zu seinem Erstaunen und Erleichterung lächelte M jedoch milde. „Ihr Verhalten ehrt sie, 007. Sie werden diesen Fall trotzdem weiter verfolgen und so eine Chance bekommen die Scharte wieder auszuwetzen.“


    „Aber mechanisch gesehen bin ich Schuld an Hartmanns Tod. Ich hätte aufmerksamer sein müssen.“


    „Das mag ja sein.“ M sprach immer noch ganz ruhig. „Aber mechanisch gesehen hätten sie schon damals in Bern zwei andere Agenten erschossen. Wir wissen mittlerweile genau wie der Master arbeitet. Den Einblick, den sie in seine Psychologie gewonnen haben kann uns nur nützlich sein ihn zu fassen. Kein anderer Doppelnullagent kann mir diese Erfahrungen zur Verfügung stellen. Sie werden auf keinen Fall ersetzt, 007.“


    Bond nickte langsam. „Es ist nur so schwer zu akzeptieren, dass es da jemanden gibt, der genau über dich Bescheid weiß, deine gegenwärtigen Schritte kennt und deine zukünftigen Schritte voraussagen kann. Wir haben es hier mit einem großen Marionettenspieler zu tun.“


    „Und genau weil sie das erkannt haben sind sie so wertvoll für uns“, wiederholte M noch einmal nachdrücklich. „Es mag noch andere Marionetten geben, ähnlich wie Hartmann. Versuchen sie deren Abhängigkeit zu durchschneiden und sie erhalten vielleicht wertvolle Verbündete oder zumindest wichtige Informationen. In diesem Fall ist jetzt viel Menschenkenntnis gefragt.“


    Nachdenklich nahm Bond einen Zug von seiner Zigarette und stieß ein kleines Rauchwölkchen aus. Offen schaute er M an. „Aber, mit Verlaub, Madam, wie soll es jetzt weitergehen? Hartmann ist tot und Vera spurlos verschwunden. Wir haben keinerlei Anhaltspunkte. Wir sitzen in einer Sackgasse fest.“


    M schüttelte den Kopf. „Keineswegs, 007. Sie sind nicht der einzige hier, der arbeitet.“ Bond konnte den leisen Vorwurf deutlich aus ihren Worten heraushören. „Wir haben eine neue Spur.“ M drückte auf einen Knopf und drehte sich mit dem Stuhl zur hinteren Wand, die jetzt zurückfuhr und einen Bildschirm freigab auf dem nun das Antlitz eines schwarzhaarigen Mannes mit runder Nickelbrille erschien. Bond kannte diesen Mann. Er war ihm in einer Bank in Bern schon einmal begegnet und hatte seinen Namen erstmalig auf Kuba gehört. „Bankier Schwarzenberg“, nickte er.


    „Der letzte Überlebende des Falles Argus“, führte M weiter aus. „Wir haben uns natürlich auch wieder mit ihm beschäftigt nachdem sie sich zu dem Treffen mit Hartmann aufgemacht haben, haben allerdings nichts weiter Verdächtiges an ihm gefunden. Aber das war bei Hartmann ja auch nicht der Fall gewesen. Vor ein paar Tagen ist er von Bern nach Edinburgh geflogen wo wir ihn dann wieder verloren haben.“ Bond hörte aufmerksam zu. „Glücklicherweise ist er dann allerdings in einem Hotel abgestiegen, in dem auch eine MI5-Agentin stationiert ist, die ihn sofort erkannt hat. Sie erkannte sofort eine offensichtliche Vertrautheit zwischen Schwarzenberg und dem Sohn des Hotelbesitzers. Sie konnte ebenfalls mithören, dass Schwarzenberg auf den Befehl des Masters hin dort ist. Er schien beunruhigt und nervös zu sein.“


    Bond nickte. „Das passt zu dem Eindruck, den ich auch schon in Bern von ihm gewonnen habe. Sie meinen also Schwarzenberg wäre die Marionette, die den besten Angriffspunkt bietet? Das schwächste Glied in der Kette?“


    „Er ist eine der wenigen Möglichkeiten, die uns noch offen bleiben“, erwiderte M. „Aber immer mit der Ruhe. Wir waren noch viel fleißiger. Selbstverständlich haben wir daraufhin natürlich auch den Hotelbesitzer und seinen Sohn überprüft und sind auf ein sehr interessantes Detail gestoßen.“ M drückte auf einen Knopf und das Bild von Schwarzenberg verkleinerte sich und wurde zur Seite geschoben. Zwei weitere Bilder erschienen neben ihm. Einen der beiden Männer kannte Bond. Es war Gus Hartmann. Den braunhaarigen, jugendlich aussehenden Mann mit dem schmalen Gesicht hatte er allerdings noch nie zuvor gesehen.


    „Gus Hartmann, Benjamin Schwarzenberg und Maximilian Meister haben in der Schweiz dasselbe Eliteinternat besucht“, führte M aus, „und sind seit dieser Zeit befreundet. Letztere sind sogar ein Paar. Man sagt sie seien unzertrennlich gewesen und hätten trotz verschiedener beruflicher Laufbahnen nie den Kontakt zueinander aufgegeben. Alle drei sind nun bewiesenermaßen in den Fängen des Masters. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass einer von ihnen selbst der Master ist. Hartmann ist durch seinen Tod natürlich mittlerweile von jedem Verdacht befreit.“


    Bond ließ die Bilder und Ms Worte einen Moment auf sich wirken. Dann legte er den Kopf schief und drückte seine Zigarette in einem Aschenbecher aus. „Das ist ja alles schön und gut, aber ich frage mich wo da jetzt der springende Punkt ist.“


    „Der springende Punkt ist Maximilians Vater. Wilhelm Meister.“ M drückte mal wieder einen Knopf. Die Bilder der drei jungen Männer verschwanden und der Kopf von Wilhelm Meister erschien. „Ihm gehört das Hotel in dem Schwarzenberg abgestiegen ist. Durchaus ein sehr nobles Haus am Loch Ness, dass aber eher auf rustikalen Charme setzt. Die MI5-Agentin konnte hören wie der Master von Schwarzenberg einmal als der Alte bezeichnet wurde. Zudem ist Meister das deutsche Wort für Master.“


    Bond verzog ungläubig das Gesicht als hätte M gerade einen schlechten Scherz gemacht. „Na hören sie mal. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass es so einfach ist, oder?“


    „Nun, wer weiß?“ gab M dazu nur zurück. „Immerhin hatte es damals auch ein gewisser Mr. Goldfinger auf ein Golddepot abgesehen, oder nicht? Aber sie haben natürlich Recht. Wir dürfen natürlich nicht nur von solchen Oberflächlichkeiten ausgehen. Sie werden in Meisters Hotel fahren und dort zusammen mit der MI5-Agentin ermitteln. Ihr Name ist Denise Stratford. Sie ermittelt in Meisters Hotel aufgrund eines dort spurlos verschwundenen Kollegen, der auf die Komplizen des Waffenhändlers Cox angesetzt war, den sie ja in Florenz eliminiert haben.“


    Bond zog missmutig die Stirn kraus. „Das könnte die Sache ziemlich verkomplizieren, wenn wir den Master und die Schergen von Cox beide gegen uns haben werden.“


    „Ich weiß“, nickte M. „Sie betreten damit ein Gespinst aus zwei verschiedenen, voneinander unabhängigen Fällen, die durch diesen Ort jetzt tragischerweise miteinander verwoben sind. Es wird sicher nicht leicht sein, die Fäden zu entwirren. Aber sie und Miss Stratford sind nicht ganz ohne Hilfe. Laut ihrem Bericht an den MI5, in den ich freundlicherweise einen Einblick bekommen habe, hat sie gute Kontakte zu einem gewissen General Étienne Lafayette geknüpft. Er war anscheinend der letzte, der ihren Kollegen Dermot noch lebend gesehen hat. Lafayette ist ein pensionierter französischer General, dessen Sohn Agent des französischen Geheimdienstes war, aber vor wenigen Jahren im Dienst gestorben ist.“


    Bond nickte langsam und speicherte all diese neuen Information detailgenau bei sich ab.


    „Wir werden ihnen auch noch Q nachschicken“, versicherte M zum Schluss noch. „Viel Glück, 007.“


    Glück? Ja, das würde er gewiss brauchen. Seine Aufgabe war nicht einfacher geworden. Man könnte fast sagen im Gegenteil. Bond war wieder zurück in seiner Wohnung in Chelsea und gönnte sich zur Entspannung ein heißes Bad. Während die wohlige Wärme langsam in seine Glieder kroch und der blumige Duft des Badeöles ihn in eine gelassene Stimmung versetzte, ließ er die Neuigkeiten des Tages noch einmal auf sich wirken. M hatte ihm den Fall weiterhin überlassen trotz all der Fehler, die er schon gemacht hatte. Eigentlich sogar wegen der Fehler, die er gemacht hatte. Irgendjemand hatte mal zu ihm gesagt, dass das Versagen ein viel besserer Lehrmeister sei als der Erfolg und da war sicher etwas dran. Bond würde aus seinen Fehlern lernen. Er würde das in ihn gesetzte Vertrauen von M nicht enttäuschen. Doch was bedeutete das alles nun genau? Er musste mit der Prämisse an den Fall herangehen, dass der Gegner alles wusste, alles voraus ahnen konnte und für alle Situationen gewappnet war. Bond schüttelte ärgerlich den Kopf. Nein, das konnte es nicht geben. So perfekt konnte kein Mensch sein. Irgendwo hatte auch der Master seine Schwachstelle und Bond musste sie finden.


    Der Agent seufzte und strich sich nachdenklich durch das dunkle Haar. Der Master würde wohl damit rechnen, dass man sich nun, da Hartmann tot und Vera untergetaucht war, auf Schwarzenberg konzentrieren würde. Vielleicht war Dermot, der MI5-Agent, ja nicht nur den Waffenschiebern im Weg gewesen, sondern hatte zufällig etwas Wichtiges über den Master oder einem seiner Pläne herausgefunden und war von ihm beseitigt worden. Dann würde er nicht noch um Bonds baldige Ankunft wissen, dann wüsste er auch um Denise und sie wäre ebenfalls in großer Gefahr. Doch wie auch immer die Dinge liegen mochten, der Master würde ganz sicher Bonds Ankunft erwarten und darauf vorbereitet sein. Und er, Bond, würde keine Handhabe dagegen haben. Er hatte keine Alternative, das Spiel musste in Meisters Hotel weitergehen. Das einzige was er tun konnte war aufpassen, höllisch aufpassen und vielleicht war Schwarzenberg wirklich eine winzige Chance, die in jedem Fall ergriffen werden musste.


    Bond schauderte ein wenig. Nicht aus Angst oder Besorgnis. Das Badewasser hatte sich mittlerweile merklich abgekühlt. Der britische Agent stieg ein wenig resigniert aus der Wanne, schlüpfte, nachdem er sich kurz abgetrocknet hatte, in seinen seidenen Morgenmantel und ließ das Wasser ab. Es schien fast als würden all seine Hoffnungen zusammen mit dem gluckernden Wasser im Ausguss verschwinden.


    Denise saß zusammen mit dem General auf der Terrasse des Hotels. Auf dem kleinen Tisch zwischen ihnen stand ein Kännchen Tee mit einer Tasse und eine Karaffe Brandy mit einem Glas. Es war unverkennbar, dass das alkoholische Getränk zum General und der Tee zu der jungen Dame gehörte. Der General hatte das Aussehen eines erfahrenen Haudegens und hatte sich für sein Alter sehr gut gehalten. Er hatte volles, dunkles Haar. Ergraute Schläfen sorgten für eine gewisse Eleganz. Seine Gesichtszüge waren markant, wiesen allerdings die ein oder andere Sorgenfalte auf, sein Blick war kummervoll und melancholisch. Er musste schon einiges an Kummer und Leid durchgemacht haben. An der Seite der hübschen, braun gelockten Frau schien er allerdings wieder ein wenig aufzublühen.


    Denises Blick schweifte über das ruhige, dunkle Wasser des Loch Ness. Es war gerade einer der seltenen nebellosen Momente und Denise genoss diesen beeindruckenden Überblick über diesen großen See. „Und er kommt tatsächlich?“ durchdrang die raue Stimme des Generals ihre Gedanken. „Trotz dieser ganzen Schlagzeilen in der Zeitung?“


    Denise nickte. „Ja, er wurde mir von London avisiert. Aber ich nehme einmal an, dass er einen Decknamen benutzen wird.“ Ihr Blick wechselte zu Lafayette hinüber. „Glauben sie das, was von ihm in den Zeitungen steht?“


    Der General zögerte etwas, ehe er antwortete. „Nun“, brummte er. „Durch meine Beziehungen habe ich schon einiges von dem Knaben gehört. Es würde mich doch sehr wundern, wenn etwas an den Berichten dran wäre. Außerdem“, lächelte er, „würde London ihn doch sicher nicht herschicken, wenn er nicht mehr zuverlässig wäre.“


    Denise nickte lachend. „Ja, da haben sie natürlich recht.“ Sie kam sich jetzt ein wenig dumm vor, da sie daran nicht selbst gedacht hatte. „Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt auf ihn“, lächelte sie, nahm einen Schluck von ihrem Tee und schaute wieder verträumt über den See. Sie fand es sehr schade, dass etwas so romantisches ein Hort des Verbrechens sein sollte.


    Weder Denise noch der General hatten die Gestalt bemerkt, die über ihnen hinter einem geöffneten Fenster stand und das Gespräch belauscht hatte. „Er kommt also tatsächlich“, presste Maximilian grimmig hervor. „Du wirst meinem Ben nichts antun! Eher noch wirst du selbst draufgehen! Gus muss gerächt werden!“ Er schloss das Fenster und verschwand in der Dunkelheit des Zimmers.

  • 8 – Blumen zum Empfang


    „Wir könnten das Balkongeländer ansägen, was meinst du?“ Maximilian Meister stand an der Brüstung und schaute zurück in das Hotelzimmer. Schwarzenberg lag auf dem Bett und hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt. Sein Blick ging nachdenklich an die Decke. „Ich weiß nicht, so etwas sieht man doch in jedem zweiten Kriminalfilm“, verzog er das Gesicht.


    „Aber da funktioniert es jedenfalls auch immer“, gab Max etwas verstimmt zurück, der diesen Einfall immer noch für eine gute Idee hielt.


    „Sollen wir das überhaupt durchziehen?“ kam es vom Bett.


    Max trat zur Balkontür und schaute den anderen an. „Natürlich ziehen wir das durch. Du weißt doch: Einer für alle und alle für einen. Wie die drei Musketiere. Er hat Gus getötet und wird dafür sterben müssen. Außerdem bin ich ganz sicher, dass er dich jetzt im Visier hat.“


    „Hm.“ Schwarzenberg seufzte. Er war noch etwas unschlüssig. „Wahrscheinlich hast du Recht. Das mit dem Geländer würde ich trotzdem nicht machen. Der Kreis der Verdächtigen ist dabei zu gering. Schließlich braucht man dazu entweder den Zimmerschlüssel oder den Generalschlüssel und den hat nicht jeder. Ich werde mir da mal etwas anderes ausdenken.“


    Maximilian nickte und trat wieder auf den Balkon. Er stützte sich auf dem Geländer ab und schaute über den See. An der kleinen Anlegestelle unweit des Hotels würde bald wieder eines der Ausflugsboote ablegen. Max wollte schon seinen Blick abwenden, als ihm dort unten eine bestimmte Person auffiel. Rasch drehte er sich um und eilte durch das Zimmer. Schwarzenberg war irritiert. „Max? Was ist los?“


    Der Hoteliersohn hatte die Klinke der Tür schon in der Hand. „Vera ist dort unten. Ich will rasch sehen, dass ich sie erwische. Vielleicht hat sie eine Idee oder hilft uns sogar.“


    „Nein.“ Schwarzenberg war mit einem Male aufgestanden. „Bleib du hier. Ich werde mit ihr reden.“ Er zog sich rasch sein Jackett über und schob Max zur Seite, der nur noch mit den Schultern zucken und ein „nun gut“ murmeln konnte.


    Schwarzenberg erreichte Vera gerade als diese die Planke betreten wollte um auf das Schiff zu gelangen. „Vera! Warte!“


    Vera blieb stehen und drehte sich zu der ihr bekannten Männerstimme um. Sie trug ein hochgeschlossenes, schwarzes Kostüm mit einem eleganten schwarzen Hut. Ein Stück von einem feinen schwarzen Netz, das zum Hut gehörte, bedeckte Teile ihres Gesichtes. Sie gab das perfekte Bild einer trauernden Witwe ab. Einzig ihre kühle Ausstrahlung und die Grausamkeit ihrer Augen ließen sie mehr wie eine schwarze Witwe wirken. Doch Schwarzenberg schien das nicht zu bemerken. „Vera! Gut, dass ich dich erwische. Ich muss dringend mit dir über Gus sprechen. Wie viel ist an den Geschichten aus der Zeitung dran? Was ist passiert?“


    Doch Vera kam nicht zum Antworten. Ein weißhaariger Mann um die sechzig mit einem unangenehmen Gesicht drängte sich an ihr vorbei über die Planke. „Verzeihung, darf ich mal?“ grummelte er missmutig und versetzte Vera dabei einen schmerzhaften Stoß. Sie warf ihm einen giftigen Blick zu und trat mit Schwarzenberg zur Seite. „Ich hätte dich ehrlich gesagt für aufmerksamer gehalten, Benjamin. Immerhin habe ich Gus geliebt“, tadelte sie den Bankier.


    „Oh, ja, Verzeihung. Mein Beileid natürlich“, kam es höflich zurück. „Aber jetzt erzähl. Stimmt es, dass dieser Bond Gus aus Rache umgebracht hat? Max meint, dass er jetzt auch hinter mir her wäre.“


    Vera nickte langsam. „Ja, James Bond ist schuld an Gus’ Tod. Er hat ihn“, sie schluckte, „hat ihn in den Tod gestürzt.“ Sie blickte Schwarzenberg offen an. Sie war eine perfekte Schauspielerin. „Zuerst wollte er ihn gar nicht töten. Er wollte ihn vernichten, ruinieren, zur Verzweiflung bringen. Er hat mit mir geschlafen. Doch als ich ihm sagte, dass ich Gus niemals verlassen würde wurde er wütend. Er hat mich bewusstlos geschlagen und ist zu ihm hin.“ Die Erinnerung an all das schien sie immer noch sehr mitzunehmen. „Ich… ich hasse ihn. Abgrundtief. Er hat mir Gus genommen.“


    Schwarzenberg legte seine Hand auf Veras Schulter. „Dann bleib hier. Bleib hier und hilf uns Gus zu rächen.“ Doch Vera entzog sich seinem Griff und schüttelte leicht den Kopf. „Nein, ich kann nicht. Der Master hat mich nach Lorn Island befohlen. Ich muss jetzt los. Ich wünsche euch viel Glück, Ben.“ Sie blickte ihm ein letztes Mal in die Augen. Ihr Blick war durchdringend und entschlossen. „Tötet dieses Schwein für mich!“ Dann drehte sie sich um und verschwand auf dem Boot. Betroffen schaute Schwarzenberg ihr nach. Er blieb noch auf dem Steg bis das Boot im Nebel verschwand.


    Der Bankier wusste was nun passieren würde. Das gleiche Spielchen, dass Dermot zufällig mit angesehen und dass ihm das Leben gekostet hatte. Sie würden ein Rendezvous mit einem zweiten Ausflugsboot haben und hinüberwechseln. Der rüpelhafte alte Herr würde wieder zurückkehren, Vera nicht.


    Fleming war auch diesmal der Deckname unter dem man für James Bond ein Zimmer in Meisters Hotel gebucht hatte. Abteilung Q hatte seinen Jaguar mittlerweile wieder instand gesetzt, so dass er jetzt mit dem eleganten schwarzen XK8 über die alte Pflasterstraße zum Hotel fuhr. Bond hing seinen Gedanken nach. Die Umgebung und das altertümliche Flair des schottischen Hinterlandes erinnerte ihn an den Landsitz der Westhams in der Nähe von Bath, der noch nicht einmal an das Stromnetz angeschlossen worden war. Aber das war eine andere Geschichte, eine lange Geschichte. Ein Auftrag, den er erfolgreich hinter sich gebracht hatte. Ob er hier genauso viel Erfolg haben würde war noch fraglich. Sehr fraglich sogar. Er trat einem Phantom entgegen. Einem skrupellosen Genie. Die Atmosphäre war düster. Eine graue Wolkendecke versteckte die Sonne vor ihm und unterstrich die scheinbare Hoffnungslosigkeit von Bonds Mission. Insgeheim wünschte er sich zurück zu den bunten Lichtern von Las Vegas.


    M hatte einen Verdacht gegen Meister geäußert, doch Bond verdächtigte mittlerweile alles und jeden. Vielleicht mit der Ausnahme seiner Kontaktfrau Denise, auch wenn er ihr noch nicht begegnet war. Er hatte ein Foto von ihr gesehen und kannte die Umstände, die sie hergeführt hatten. Alles rein dienstlich und wenig Misstrauen erregend. Nein, er würde sie ausschließen können.


    Als Bond den Wagen die Auffahrt hinauf lenkte rief er sich stattdessen in Erinnerung, was er noch über den Hoteleigner Wilhelm Meister in Erfahrung gebracht hatte. Es war nicht viel und auch nichts Besonderes. Seine Familie war wohlhabend und gehörte zur Berner Oberschicht. Er besaß mehrere Hotels in der Schweiz. Das auffälligste in seinem Lebenslauf war noch der Erwerb dieses Hotels am Loch Ness. Eine Transaktion, die er etwa zur selben Zeit tätigte als Gus Hartmann seine heruntergewirtschaftete Detektei nach und nach zu der erfolgreichen Agentur Argus erweiterte. Der britische Agent witterte dort instinktiv einen Zusammenhang. Er hatte das solide, aber dennoch edel erscheinende Portal des Hotels erreicht, hielt an und stieg aus. Sofort kam ihm ein dienstbeflissener Angestellter des Hotels entgegen, der sich um Wagen und Gepäck des Briten kümmern würde.


    Bond stieg gerade die steinernen Stufen zur Eingangstür, die ihm ein reserviert aussehender Portier aufhielt, hinauf als ein wenig brauner, feinkörniger Staub an seinem Ohr vorbeirieselte. Bond blickte auf. Es war Blumenerde! Schnell trat er einen Schritt zurück. Gerade noch rechtzeitig um nicht von dem niedersausenden, massiven Blumenkasten erschlagen zu werden. Sein Kopf ging mit einem Ruck nach oben, doch er sah nur noch eine dunkle, behandschuhte Gestalt, die hastig ein Fenster schloss, das nun, ohne die blühenden Blumen davor, seltsam leer aus der Fassade heraus stach.


    „Mon dieux, Monsieur!“ Der Portier, offenbar ein Franzose, vergaß sofort die Verantwortung, die er für die Tür hatte und eilte zu Bond. „Ist ihnen auch nichts passiert, Monsieur?“ Er sprach mit deutlichem Akzent und schaute hoch zum Fenster. „Was für ein gefährlicher Unfall! Ich bin erschüttert! Die Halterung muss defekt gewesen sein. Ich lasse es sofort überprüfen!“


    Bond versicherte dem aufgeregten Mann, dass ihm nichts passiert sei und mit ihm auch alles in Ordnung wäre. Dann beugte er sich hinab zu den Steinscherben, fischte sich eine besonders hübsche blaue Blüte aus den bunten, verstreut liegenden Farbtupfern, die den Fleck dunkelbrauner Erde, vom den immer noch der Hauch des Todes auszugehen schien, aufheiterten, steckte sie sich ans Revers und betrat das Hotel als sei nichts gewesen.


    Denise war zur gleichen Zeit in der Halle und hatte es krachen gehört. Besorgt kam sie dem Agenten entgegen geeilt, der zu ihrer Erleichterung nichts abbekommen hatte, sehr zuversichtlich wirkte und obendrein noch atemberaubend gut aussah. „Alles in Ordnung?“ fragte sie dennoch.


    „In bester Ordnung, meine Liebe“, entgegnete Bond lächelnd. „Irgendein netter Mensch hat mich nur darauf aufmerksam gemacht, dass mein Erscheinungsbild noch nicht ganz komplett war.“ Er nickte kurz zu der blauen Blüte. Denise runzelte die Stirn und trat einige Schritte nach draußen. Dort sah die ganze Bescherung. „Hotel des Grauens“, entfuhr es ihr.


    Als Denise wieder in die Halle trat checkte Bond gerade ein. Der junge Meister hatte mal wieder Dienst an der Rezeption und wirkte auffallend kühl und distanziert als er dem britischen Agenten die Zimmerschlüssel herüber schob. „Ich wünsche ihnen einen angenehmen Aufenthalt in unserem Haus“, sagte er ohne dass es wirklich danach klang. Auch kam kein Wort der Entschuldigung für den Unfall über seine Lippen. Doch damit erfüllte er nur Bonds Erwartungen. Der junge Mann war zu durchschaubar und wahrscheinlich die geringste Gefahr in diesem Haus.


    „Danke“, nickte Bond und nahm die Schlüssel entgegen. Dann wendete er sich Denise zu. „Und wer ist die hübsche junge Dame, die mich so nett und besorgt hier empfangen hat?“


    „Stratford. Denise Stratford, Mr. …?“


    „Fleming“, antwortete Bond. „Für meine Freunde James.“


    „Und sie sehen mich als potentiellen Freund an?“


    „Sie sind eine nette und hübsche junge Dame, Denise. Ich würde sie gerne zu einem Drink einladen. Sind sie schon länger hier?“


    Denise nickte. „Ich erhole mich hier ein bisschen. Zwar kein klassisches Urlaubsgebiet, aber die Atmosphäre gefällt mir wunderbar. Vielleicht sollten wir einen Drink an der Bar nehmen? Dort plaudert es sich besser.“


    „Gerne“, erwiderte Bond und schaute kurz zu Max. „Es wird sich schon um ihr Gepäck gekümmert, Mr. Fleming“, bestätigte dieser immer noch mit leicht murrendem Gesichtsausdruck. „Dann zeigen sie mir mal die Bar, Denise“, lächelte Bond.


    Denise quittierte dies mit einem freundlichen Gesichtsausdruck, der aber im nächsten Moment einfror. Bond folgte ihrem Blick. Ein weißhaariger Mann um die sechzig mit unangenehmem Gesichtsausdruck war an die Rezeption getreten und verlangte die Rechnung. Der Agent konnte nichts Ungewöhnliches dabei finden, außer, dass der Mann wohl Linkshänder war, da er den Scheck mit eben dieser Hand ausfüllte und unterschrieb. Trotzdem schien eine gefährliche Aura von dem Mann auszugehen, der alles in allem ziemlich brutal wirkte. War es das, was Denise erschreckte? War dieser Mann einer der Waffenschmuggler, wegen denen Denise hier war? „Kommen sie“, riss ihn Denise aus seinen Gedanken und schob ihn bestimmt in Richtung Bar.


    Bond und Denise setzten sich in eine ruhige Ecke und ließen sich von Sean, dem rothaarigen und kräftigen schottischen Barkeeper, zwei Espresso bringen. Erst als dieser wieder außer Hörweite war wich der Smalltalk dem eigentlichen Geschäft der beiden. „Ich bin froh, dass sie jetzt hier sind, Mr. B… entschuldige, James“, bemerkte Denise. „Diese ganze Geschichte mit dem Master ist mir nicht geheuer. Mir machen die Waffenschmuggler schon genug Sorgen. Aber die sind wenigstens einschätzbar.“


    „Ich verstehe sie, Denise“, nickte Bond. „Umso wichtiger ist, dass wir gut zusammenarbeiten und uns vertrauen können.“


    „Seit diesem Attentat jetzt auf sie mit dem Blumenkasten fühle ich mich wirklich nicht mehr besonders wohl in meiner Haut hier“, gestand Denise.


    „Die Hauptsache ist, dass wir uns nicht einschüchtern lassen dürfen. Wem gehört das Zimmer über dem Eingang?“


    „Niemandem. Dort ist das Treppenhaus“, antwortete Denise. „Es könnte jeder gewesen sein. Haben sie einen bestimmten Verdacht, James?“ Sie sah ihn an.


    „Nun, wir kennen unsere Gegner. Ich bin allein wegen dem Master hier. Ich nehme an, man hat sie über die Meisters, Schwarzenberg und den verstorbenen Hartmann informiert.“


    Denise nickte. „Natürlich. Und der junge Meister fällt ja schon mal weg, da er an der Rezeption war. Ich bin manchmal so entsetzlich dumm. Die Sache mit Dermot ist mir ziemlich nahe gegangen und der Gedanke, dass ich jetzt alle hier gegen mich haben könnte…“ Sie seufzte und schaute den Agenten an.


    „Keine Angst, Denise. Ich werde sie nicht im Stich lassen. Da ich es war, der Cox erledigt hat, sehe ich kein Problem darin mit ihnen auch dessen Komplizen zu jagen. Trotzdem ist der Master jetzt wichtiger“, gab Bond zurück.


    Denise nickte wieder. „Ich weiß. Danke, James.“ Sie beugte sich vor und gab ihrem Gegenüber einen kleinen Kuss auf die Wange.


    Der Agent lächelte leicht. „Und jetzt erzählen sie mir mal etwas über die Leute hier. Wer ist zum Beispiel der Mann, der eben abgereist ist?“


    „Sie haben meine Reaktion auf ihn bemerkt, nicht wahr?“ Bond nickte. „Er heißt Tomasek und war nur für vier Tage hier.“


    „Was hat sie eben so erschreckt, Denise?“


    „Er hat mit links geschrieben, James.“ Denise sah den Agenten ernst an. „Er war die ganze Zeit über Rechtshänder. Das weiß ich genau.“


    Bond strich sich durchs Haar. „Das ist in der Tat merkwürdig“, stimmte er ihr zu. „Was hat er in den vier Tagen hier gemacht?“


    „Nicht viel, fürchte ich“, erwiderte Denise und trank von ihrem Espresso. „Das einzig bemerkenswerte ist wohl eine Ausflugsfahrt über den See gewesen. Aber das ist an sich ja nichts Besonderes. Das machen die meisten Urlauber hier. Obwohl Tomasek nicht gerade aussieht wie ein Typ für so eine Fahrt.“


    „Eben“, fand auch Bond. „Wir sollten das mal genauer unter die Lupe nehmen. Ist dir sonst noch etwas aufgefallen hier?“


    „Nein. Nicht wirklich. Ich bin ja auch noch nicht lange hier und weiß das Meiste von General Lafayette. Er verbringt seinen Urlaub jedes Jahr hier. Ich kann sie gleich miteinander bekannt machen. Er dürfte mittlerweile von seinem Spaziergang zurück sein“, meinte sie mit Blick auf die Uhr. „Bis auf eine deutsche Reisegruppe und ein älteres englisches Ehepaar sind die meisten hier nur Wochenend- und Kurzurlauber. Aber wie gesagt, der General wird ihnen mehr sagen können.“


    „Ich bin schon gespannt darauf ihn kennen zu lernen“, sagte Bond. Sie leerten ihre Tassen in aller Ruhe und plauderten noch ein wenig über das Land und die Leute hier. Denise war Bonds Gesellschaft sehr angenehm und so erzählte sie ihm auch ein wenig von sich und wie sie zu diesem Beruf gekommen war. Dass Sean ihnen mehrmals misstrauische Blicke zuwarf bemerkten sie hingegen nicht.

  • 9 – Serpentes


    „Potztausend!“ entfuhr es dem General. Er stand auf der Terrasse des Hotels, hatte eine Golfermütze auf, stützte sich auf einen Spazierstock und schaute auf den See. Trotz des aufsteigenden Nebels hatte er ein paar undeutliche Schemen ausgemacht, die sich auf ihn zu bewegten und schließlich in das Wasser abtauchten. Kopfschüttelnd starrte er auf die Stelle wo das schlanke Etwas verschwunden war.


    In genau diesem Zustand fanden ihn der britische Geheimagent James Bond und die MI5-Agentin Denise Stratford. „Haben sie einen Geist gesehen, General?“ fragte die junge Frau.


    „Fast“, brummte Lafayette. „Ich habe Nessie gesehen. Die Seeschlange.“


    Bond runzelte die Stirn. Sollte der General doch schon leicht verkalkt sein? Das widerspräche allerdings allem was Bond bisher von dem Mann wusste. Also blieb nur eine Möglichkeit: Er musste irgendetwas gesehen haben, was dem vermeintlichen Ungeheuer ähnlich war. Auch Denise staunte. „Nessie?“ meinte sie mit weit geöffneten Augen.


    Lafayette nickte. „Ein schlanker Hals mit einem runden Kopf und zwei blitzenden Augen.“ Er schaute zu den beiden. „Sie sind also Mr…“


    „Fleming“, ging Denise rasch dazwischen, da der General Bonds Decknamen ja nicht kannte. Lafayette nickte langsam. „Ah ja. Erfreut sie kennen zu lernen, Mr. Fleming.“


    „Ganz meinerseits“, nickte Bond höflich.


    „Miss Stratford war so freundlich mich von Anfang an ins Vertrauen zu ziehen, Mr. Fleming. Wir können ganz offen reden. Aber ich glaube im Hotel haben wir es etwas gemütlicher. Ich hatte meinen Teil frische Luft für heute schon.“


    „Ganz wie sie wollen, General“, nickte der Agent und ging mit Denise und Lafayette wieder ins Hotel.


    „Sie misstrauen mir, oder?“ Lafayette schaute zu Bond. „Ich weiß, es muss keinen guten Eindruck auf sie machen, wenn ich ihnen schon sofort von Seeungeheuern vor spinne. Aber ich versichere ihnen, dort draußen war etwas!“


    „Keine Sorge, General. Das glaube ich ihnen gerne. Hier geht so einige vor sich“, erwiderte Bond während Denise die beiden Herren zu einer abseits gelegenen Sitzecke in der Lobby führte. Sie nahmen Platz. Lafayette kramte Tabak und eine Pfeife hervor und stopfte sie. „Dann zweifeln sie an meiner Integrität. Ich sehe es ihnen an.“ Bond widersprach nicht. „Hören sie, Mr. Bond“, sprach der General jetzt vertraulich weiter. „Mein Sohn war selbst beim Geheimdienst und ich lange Jahre Berater des Innen- und des Verteidigungsministeriums. Ich versichere ihnen, sie haben meine vollste Unterstützung. Dieser Master ist ein Teufel, dem das Handwerk gelegt werden muss. Er schädigt dem Staat und hetzt die Bürger auf, verunsichert sie durch diese Schlagzeilen. Miss Stratford hat mir gesagt welche Ereignisse man alle mit ihm in Verbindung bringt.“


    Bond schaute etwas missmutig zu Denise. Er war wirklich nicht gerade froh darüber, dass sie den General anscheinend wirklich rückhaltlos in alles eingeweiht hatte. Aber nun war es ja nicht mehr rückgängig zu machen. „Ich bin über jede Hilfe froh, die ich kriegen kann“, gab er deswegen ehrlich zurück.


    Lafayette zündete seine Pfeife an und lehnte sich im Sessel zurück. „Was kann ich also für sie tun?“


    „Miss Stratford sagte mir, dass sie hier jedes Jahr Urlaub machen“, begann Bond. Lafayette nickte. „Ist ihnen in letzter Zeit etwas Besonderes aufgefallen?“


    „Nun…“ Lafayette stieß eine Rauchwolke aus. „In dieser Saison sind erstaunlich viele Araber hier. Eigentlich fast das erste Mal, dass ich überhaupt welche hier sehe.“


    Bond schaute kurz zu Denise. Diese bestätigte das. „Was wissen sie über Wilhelm und Maximilian Meister?“


    „Nun, Wilhelm ist ein ganz guter Golfer und Schachspieler. Mit seinem Sohn habe ich weniger zu tun. Integere Geschäftsleute aus der Schweiz.“ Lafayettes Augen verengten sich und er schaute Bond durchdringend an. „Sie spielen auf Maximilians Beziehung zu Schwarzenberg und Hartmann an, nicht wahr? Hartmann war ein paar Mal hier. Schwarzenberg natürlich noch öfter. Aber wie schon gesagt, mit den jungen Leuten hatte ich so gut wie gar nichts zu tun. Am Besten sie reden selbst mal mit ihnen. Bei Wilhelm müssen sie allerdings vorsichtig sein. Er ist ein recht grantiger alter Herr.“


    „Grantig?“ hakte Bond nach.


    „Na ja, wir fürchten ihn alle ein bisschen. Er hat schon etwas von einem Tyrannen an sich“, gab Lafayette widerwillig zu. Offenbar redete er nicht gerne schlecht über andere Leute.


    „Ein Tyrann?“ meinte Denise leise und schaute zu Bond. „Das passt. Das würde Schwarzenbergs Nervosität erklären. Er handelt aus Angst.“ Der Agent nickte leicht.


    „Ah ja“, kam es wenig überzeugt von Lafayette. „Das ist also ihr Verdacht.“


    Bond schaute den General an. „Sehen sie im Moment eine plausiblere Alternative?“ Lafayette musste den Kopf schütteln. „Kommen wir noch einmal auf die Araber zurück“, wechselte Bond das Thema. „Was haben die hier gemacht?“


    „Ausflugsfahrten“, antwortete Denise. „Dieselbe wie Tomasek. Auf den Spuren der Seeschlange.“


    „Da haben wir es also. Diese Fahrt müssen wir uns mal genauer ansehen.“ Bond hielt inne. Sein Blick ging durch die Halle. Ein neuer Gast kam gerade herein und ging zur Rezeption. Er war offensichtlich ein Südländer mittleren Alters mit zurück gegeltem, schwarzem Haar. Lafayette folgte Bonds Blick. „Ist etwas mit dem Mann?“


    „Er sieht nicht aus wie jemand, der hier nur Urlaub machen will.“


    Lafayette stand auf. „Ich könnte ihn mir mal ansehen. Ich muss sowieso noch nach der Post fragen.“ Bond nickte und der General schlenderte langsam zur Rezeption.


    Der Agent schaute weiterhin zu dem Südländer. Denise’ Aufmerksamkeit entging dieser Blick nicht. „Du kennst diesen Mann“, flüsterte sie. Bond nickte. „Er heißt Franco und ist Mitglied der Union Corse.“


    „Union Corse?“ wiederholte Denise und legte einen Finger an ihre Lippen. Das tat sie immer, wenn sie nachdachte. „Das ist die korsische Mafia, oder?“


    Bond nickte und wartete auf die Rückkehr Lafayettes. Er hatte tatsächlich Post für sich dabei. „Ihr Verdacht stimmt“, platzte er sofort heraus und nahm die Pfeife aus dem Mund. „Der junge Meister hat ihm ein Prospekt von der Ausflugsfahrt zugesteckt. Er hat auch gleich für morgen gebucht.“


    „Man sollte vielleicht auch für diese Fahrt buchen“, schlug Denise vor. „Oder sich heimlich an Bord des Schiffes verstecken.“


    „Ich melde mich freiwillig für diese Mission“, kam es sofort dienstbeflissen von Lafayette. „Sie wird man wohl kaum an Bord lassen. Aber ich kenne Meister schon seit Jahren.“


    Bond schaute den General ernst an. „Sie wissen schon, dass das ein gefährliches Selbstmordkommando sein könnte?“


    Lafayette nickte. „Ich bin nicht dumm. Außerdem habe ich noch meinen Armeerevolver und bin ein guter Schwimmer. Ich fürchte mich nicht vor einer letzten Heldentat in meinem Leben.“


    Bond zögerte. Und auch wenn sich alles in ihm gegen diesen Entschluss sträubte, stimmte er dennoch zu. Sein Verstand hieß dieses Vorgehen – im Gegensatz zu seinem Gefühl – gut. So würde er sich in Ruhe mit Schwarzenberg und den Meisters beschäftigen können. Lafayette ging wieder zur Rezeption. Die Diskussion mit Maximilian wurde immer heftiger und lauter. „Ich sagte ihnen schon, General, diese Fahrt ist schon ausgebucht. Sie können gerne heute noch über den See. Da wären noch Plätze frei.“


    „Hören sie her, Maximilian“, donnerte Lafayette dagegen. „Ich bin ein alter Stammgast hier und wenn sie nicht auf meine Wünsche Rücksicht nehmen, dann werde ich direkt bei ihrem Vater Ärger machen. Und zum letzten Mal gesehen haben sie mich dann auch!“


    Noch ehe Max etwas antworten konnte trat Meister aus dem Büro. Mürrisch wie eh und je. „Was ist das hier für ein Krach?“


    „Der General wünscht einen Platz auf dem Ausflugsboot morgen, doch es ist schon alles belegt“, klärte ihn sein Sohn auf. „Nun pocht er als Stammkunde auf eine Ausnahme.“


    Meister schaute kurz zwischen Lafayette und Maximilian hin und her. „Mach die Ausnahme. Lass Etienne mitfahren“, wies er schließlich an. Er nickte dem General kurz zu und verschwand wieder in seinem Büro.


    Max schluckte. „Abfahrt um 10 Uhr. Entschuldigen sie mich bitte.“ Er ließ sich von einer jungen Frau ablösen und verließ die Halle. Es zog ihn zu Ben. Er hatte ein ungutes Gefühl bei der ganzen Sache.


    Mit zufriedenem Gesichtsausdruck kehrte Lafayette zu Bond und Denise zurück. „Na, was habe ich gesagt?“


    „Seien sie bloß vorsichtig morgen, General“, kam es besorgt von Denise.


    „Ich werde alle nur möglichen Vorsichtsmaßnahmen treffen. Keine Sorge“, versicherte Lafayette. „Ich werde mich dann auch erstmal bis zum Abendessen zurückziehen.“ Er klopfte seine Pfeife aus und ging auf sein Zimmer.


    „Ich denke wir sollten uns vor dem Abendessen alle ein wenig frisch machen“, meinte auch Denise und schaute Bond an. Dieser nickte. „Wir sehen uns dann später.“


    „Ich freue mich drauf“, lächelte Denise, drehte sich um, wobei ihr lockiges Haar verführerisch und doch irgendwie unschuldig durch die Luft schwang, und begab sich auch auf ihr Zimmer.


    Der britische Agent schaute ihr nach und stand dann ebenfalls auf. Doch statt in sein Zimmer zu gehen fragte James Bond an der Rezeption nach der Zimmernummer von Franco. Es traf sich gut, dass nicht mehr Maximilian sondern eine hübsche junge Frau am Tresen stand und so war es ihm ein leichtes mit seinem Charme – der vielleicht auch bei Maximilian gewirkt hätte, wenn dieser nicht schon in festen Händen wäre – an die benötigte Information zu gelangen.


    „Herein“, kam es missmutig von Franco als es an der Tür klopfte. Bond trat ein. „Habe dich schon gesehen und hat mir gar nicht gefallen“, meinte Franco, der sich gerade ein frisches Hemd angezogen hatte und sich nun die Krawatte band.


    Der britische Agent schloss die Tür. „Warum bist du hier, Franco?“


    „Weißt du das nicht? Dachte schon, du wärest nur deswegen hier. Hatte schon ein mieses Gefühl. Aber so…“ Er machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand.


    „Was hat es mit diesen Ausflugsfahrten auf sich, Franco?“ fragte Bond unnachgiebig weiter.


    Franco lachte nur. „Hör her, mein Junge. Auch wenn mein Boss Marc-Ange Draco dein Schwiegervater war verpflichtet mich das zu nichts. Er ist jetzt nicht hier und deine Frau tot. Mach du nur deinen Job und lass mich in Ruhe meinen machen. Ich glaube sowieso nicht, dass du es noch lange machst. Du legst dich hier mit Leuten an, die eine Nummer zu groß sind für dich.“


    „Und du glaubst, du wärest diesen Leuten gewachsen, Franco?“


    Franco zuckte mit den Schultern. „Jedenfalls stehe ich nicht auf der Abschussliste von denen, mein Junge.“


    Bond funkelte den Union-Corse-Mann böse an und ging drohend auf ihn zu. „Hör her, Franco: Wenn General Lafayette morgen auf der Fahrt irgendetwas zustoßen sollte, dann werde ich dich dafür höchstpersönlich verantwortlich machen!“


    „Ich bin nicht hier um für deine Spitzel das Kindermädchen zu spielen, mein Junge“, meinte Franco unbeeindruckt. „Ich bin hier, weil der Union Corse ein verlockendes Angebot gemacht wurde.“


    „Die gesammelten Informationen der Agentur Argus?“


    Franco zuckte nur mit den Schultern. Mehr würde aus ihm nicht herauszubekommen sein. Das wusste auch Bond, der wieder zur Tür trat. „Ich habe dich gewarnt, Franco!“ Dann verließ er das Zimmer und ging in sein eigenes. Ein wenig erschöpft lehnte er sich gegen den Waschtisch und schaute in den Spiegel. Die kleine schwarze Strähne war ihm wieder ins Gesicht gerutscht. Er zog sein Jackett aus und griff zu dem Koffer, in den er seine Hemden gepackt hatte. Er hielt inne. Der Koffer war ungewöhnlich schwer. Der Agent hielt das Schloss ans Licht. Irgendjemand hatte sich daran zu schaffen gemacht! Bond horchte. Ein leises Zischeln kam aus dem Koffer. Ein Zischeln wie von einer Schlange.

  • 10 – Verschluckt von der Bestie


    „Ben?“ Max betrat das Zimmer des Bankiers. Dieser war gerade dabei seine Sachen zu packen. „Ben“, wiederholte er ungläubig. „Du… willst du weg?“


    Benjamin Schwarzenberg sah traurig auf. „Nein. Ich will nicht. Ich muss. Der Alte hat mich nach Lorn Island befohlen.“


    „Verdammt.“ Max trat zu Ben und suchte sofort etwas Halt in dessen Armen. „Was will der Master dort nur von dir?“


    Ben schlang auch sofort seine Arme um den anderen. „Es wird halt jetzt ernst mit seinem Plan. Wenn nichts dazwischen kommt wird es einige Transaktionen zu regeln geben.“


    „Dann… dann liegt es also nur noch an mir Gus zu rächen…“


    Benjamin schaute Max ernst an. „Lass es. Lass Mr. Bond in Frieden. Bitte, Max. Leg dich nicht mit ihm an. Ich hätte nur Angst um dich. Dass der Blumenkasten ihn nicht getroffen hat war halt Pech.“


    Max schwieg eine Weile und nickte dann aber. „Okay. Für dich tue ich alles. Wann musst du los?“


    „Ich werde morgen mit dem Ausflugsboot fahren“, antwortete Ben.


    Maximilian löste sich wieder etwas von Benjamin und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Ach ja, das Boot. Deshalb bin ich ja hier. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache. Er hat dem General erlaubt mitzufahren. Ich… ich glaube um ihn loszuwerden, ihn umzubringen.“


    „Warum denn das?“ Schwarzenberg legte die Stirn in Falten. „Ich dachte sie sind befreundet oder zumindest gut miteinander bekannt.“


    „Ich weiß es nicht“, seufzte Maximilian. „Wahrscheinlich weil sich der General so gut mit dieser Stratford und diesem Bond stellt. Eines ist klar: Er darf die Wahrheit jedenfalls niemals entdecken.“


    Ben nickte. „Und ich werde mich hüten da irgendwie einzugreifen. Der Alte wird schon wissen, was er tut.“


    „Pass gut auf dich auf, Ben. Versprich mir das.“


    Benjamin strich sanft über Maximilians Wange. „Ich verspreche es dir.“


    Max schaute Ben mit liebevoller Wehmut an. „Darf ich… darf ich diese Nacht wieder bei dir sein? Ich möchte dich noch einmal spüren bevor du wieder weg bist…“ Benjamin nickte. Er beugte sich zu Max und gab ihm einen sanften Kuss.


    Der britische Geheimagent James Bond hatte derweil ganz andere Probleme. Noch immer zischelte die Schlange in seinem Hemdenkoffer vor sich hin. Bond stellte den Koffer ab und überdachte seine Möglichkeiten. Hatte er eine Chance den Koffer zu öffnen ohne sofort von der Schlange gebissen zu werden? Wenn er jetzt feste Handschuhe dabei hätte… Aber so?


    Kurz entschlossen griff Bond nach seiner Walther, schraubte den Schalldämpfer auf und gab drei Schüsse auf den Koffer ab. Es zischelte immer noch. Die Schlange war also höchstens verwundet, aber das reichte dem Agenten. Er nahm den Koffer und ging mit ihm auf den Balkon. Er holte aus und warf den Koffer weit in den See hinein. Sein Leben war ihm wichtiger als seine Hemden. Mochte die Schlange jetzt ruhig ertrinken. Doch dabei merkte er nicht wie das Geländer etwas nachgab…


    Denise hatte sich auf ihrem Zimmer umgezogen und trat nun mit einem dezenten kurzen Rock und einem eng anliegendem Rollkragenpullover in die Halle. Ein gepflegter und ein wenig kauzig wirkender älterer Herr stand and er Rezeption. Da sie kein bekanntes Gesicht ausmachen konnte entschied sie sich vor dem Abendessen noch kurz an die frische Luft zu gehen. Sie ging auf die Terrasse des Hotels und in Richtung des Anlegestegs. Ein paar Arbeiter waren dort gerade mit ihren Motorbooten beschäftigt. Ein schwarzes, sehr elegantes und leicht futuristisch wirkendes Boot stach ihr dabei besonders ins Auge, doch Denise hatte wenig Zeit um es zu bewundern. Sie wusste gar nicht wie ihr geschah als sie plötzlich zwei kräftige Hände auf ihrem Leib spürte, die hart zupackten. Bevor ihr eine dritte Hand den Mund verschloss schaffte sie es noch einen Schrei anzubringen. Dann wurde sie unsanft zu den Booten gezerrt.


    „Hilfe!“


    Ein Schrei ließ Bond auffahren und sein Gewicht wieder nach hinten verlagern. Es klang wie Denise! Er schaute nach rechts in Richtung des Schreis. Er sah wie zwei kräftige, schwarz maskierte Männer die junge Frau, die sich heftig wehrte, über den Anlegesteg schleppten. Rasch drehte er sich um, griff sich wieder seine Walther und stürmte aus dem Zimmer. Ein harter Schlag traf den Agenten.


    Bond strauchelte, fing sich aber wieder und schaute sich um. Er war in einen Pagen hinein gerannt. „Verzeihung“, meinte er leicht verwirrt, fasste sich dann aber schnell wieder.


    „Nichts passiert“, kam es schnell von dem erschreckten Pagen. „Unten wartet ein Bootsverleiher auf sie, Mr. Fleming. Von Universal Exports“, rief er Bond nach, der nur noch kurz „Danke“ rufen konnte und schon die Treppe hinunter eilte.


    Der ältere Herr an der Rezeption – kein geringerer als Q – schaute verblüfft zu Bond als dieser ihm entgegen gestürmt kam. „Ich wusste gar nicht, dass sie es so eilig haben mich wieder zu sehen.“ Er kramte einen Schlüssel hervor. „Ihr neues…“


    Doch Bond erwiderte nichts und ließ Q noch nicht mal ausreden. Er griff sich nur rasch den Schlüssel und eilte weiter auf die Terrasse. „Ich habe ihnen doch noch gar nicht die Extras erklärt!“ rief Q ihm nach und schüttelte dann verwirrt den Kopf. Was war denn in den gefahren?


    Bond suchte sich seinen Weg durch die ganzen Gäste, die von dem Schrei ebenfalls angelockt worden waren und schlängelte sich elegant durch die deutsche Touristengruppe. „Verdammt“, entfuhr es ihm als er feststellte, dass gerade zwei Motorboote vom Steg abgelegt hatten. Doch er konnte Denise in keinem der beiden Boote ausmachen. Er hielt kurz inne. Die Boote fuhren auch noch in die entgegen gesetzten Richtungen davon.


    „Sie haben die junge Frau in das rote Boot geworfen“, kam es jetzt von der deutschen Touristin, die damals, als es Dermot erwischt hatte, gerade dabei war sich Postkarten auszusuchen.


    Bond schaute sie kurz an. „Danke“, nickte er. Dann spurtete er zu dem schwarzen Motorboot, dass eben auch schon Denise aufgefallen war, schwang sich hinein, startete und nahm die Verfolgung auf.


    Nun war auch der General angelockt worden. Er trat zu der deutschen Touristin. „Was ist denn geschehen?“


    „Man hat Miss Stratford entführt“, gab sie Auskunft und schaute Bonds Motorboot nach, dass eine lange weiße Gischtspur hinter sich ließ. Der General blickte ihm ebenfalls hinterher. Doch niemand bemerkte die Gesichter in dem Fenster über ihnen. Franco und Meister hatten alles beobachtet.


    Bond jagte dem anderen Boot, das einen nicht unbeträchtlichen Vorsprung hatte, so gut wie es bei dem aufkommenden Abendnebel ging hinterher. Die vorne angebrachten Nebelscheinwerfer erleichterten die Verfolgung zwar erheblich, doch es schien schließlich fast schon so, dass er es verloren hätte, als das rote Boot auf einmal wieder vor ihm auftauchte und sich der Abstand immer weiter verringerte. Doch der rote Fleck mit den schwarzen Schemen darauf war nicht das Einzige was vor ihm auftauchte. Ein länglicher Kopf mit zwei leuchtenden Augen stieg aus dem Wasser empor. Genau wie der General es beschrieben hatte! Ein langer Hals folgte und schließlich auch ein großer, plumper Körper. Zwei Gestalten kletterten vom Boot auf den Rücken des Seeungeheuers und hievten eine dritte Gestalt herüber. Eine Luke öffnete sich und die Gestalten verschwanden. Die Seeschlange vom Loch Ness war nichts weiters als ein geschickt geformtes Tauchboot und Denise war nun darin gefangen!


    Bond war hilflos. Er konnte nicht einfach das Feuer eröffnen ohne gleichzeitig Denise zu gefährden. Doch es gab andere die das konnten. Während Nessie abtauchte näherte sich das rote Boot wieder. Die Schläger hatten mittlerweile Maschinengewehre ergriffen und hielten auf Bond zu. Dicht vor dem schwarzen Motorboot gingen die Geschosse nieder und ließen das Wasser aufspritzen. Einige trafen sogar das Boot, wurden aber von der Panzerung abgelenkt. Bond fuhr einen Ausweichkurs. Dann zog er an einem Hebel und beschleunigte. Eine Plexiglaskuppel verschloss das Boot, das sich jetzt durch den Wasserspiegel nach unten bohrte und in der Dunkelheit verschwand. Ratlose Gesichter bei den Verfolgern, ein Lächeln auf dem Gesicht des britischen Agenten. Er klappte das Verteidigungspanel heraus und schaltete die Zielvorrichtung ein. Es war eine Angelegenheit von wenigen Sekunden. Die Unterwasserrakete schlug hart in dem roten Boot ein und eine gleißende Explosion erhellte den Nebel von Loch Ness und riss die Entführer in den Tod.


    Bond hingegen schaltete die Nebelscheinwerfer aus und das Unterwasserlicht ein. Doch es war nichts mehr von Nessie zu entdecken, so dass er zerknirscht umkehren musste und bedrückt zum Hotel zurückfuhr.

  • 11 – Auf den Spuren der Seeschlange


    Q ging mürrisch am Steg auf und ab und schaute immer wieder über den See. Er erwartete schon das Schlimmste als er die Nebelscheinwerfer des Bootes auf sich zukommen sah. Doch allen Befürchtungen zum Trotz schien das Motorboot noch sehr intakt auszusehen. Q atmete auf und wartete bis der britische Geheimagent James Bond angelegt hatte und zu ihm trat. „Also wirklich, 007. Diesmal haben sie es wirklich übertrieben“, meinte er kopfschüttelnd. „Zerstören meine Werke schon vor der Übergabe.“


    „Ist doch alles heil geblieben“, wehrte Bond ab.


    „Und die Explosion?“


    „Na gut. Ich habe eine Unterwasserrakete abgefeuert. Aber dafür sind die Dinger ja schließlich da.“


    „Aha.“ Q war immer noch am Murren. „Und was haben sie gemacht? Das Seeungeheuer von Loch Ness gejagt?“


    „Exakt“, erwiderte Bond.


    „Und augenscheinlich nicht gefangen. Dürfte ich für den nächsten Versuch Netz und Angel vorschlagen?“


    Bond grinste. „Nein. Angeln ist mir als Hobby viel zu ruhig.“ Er wurde ernster. „Ich bin froh, dass sie hier sind, Q. Ich brauche sie.“


    Q war verwirrt. Dieses offene Geständnis nahm ihm den ganzen Wind aus den Segeln. „Ich… also… ich glaube nicht, dass ich für den Feldeinsatz…“


    Aber Bond ließ ihn nicht ausreden. „Ich erkläre es ihnen im Hotel, Q. Hoffentlich ist noch ein Zimmer für sie frei.“


    Sie gingen zur Rezeption. Es war tatsächlich noch ein kleines Einzelzimmer frei. Q nahm die Schlüssel entgegen und folgte Bond dann in dessen Zimmer. „Vielleicht sollte doch lieber ein anderer Agent… Ich könnte bei M einen anfordern“, machte er einen letzten Versuch.


    Bond schüttelte den Kopf. „Ich brauche hier, jetzt und sofort jemanden. Außerdem können sie dann mal sehen wie hoch der Verschleiß an der Front wirklich ist“, schmunzelte er.


    Q fand das gar nicht lustig. „Meine Arbeit und die die Arbeit der gesamten Abteilung Q…“


    „…ist erstklassig wie immer“, vollendete Bond. „Und dafür bin ich ihnen auch dankbar. Das Timing jetzt eben war perfekt. Und jetzt setzen sie sich und hören sie zu, Q.“


    Q nahm Platz und schaute den Agenten abwartend an.


    „Man hat Miss Stratford entführt, die MI5-Agentin. Mit einem Tauchboot, das geformt ist wie ein Seeungeheuer. Aber ich habe die Fährte verloren.“


    „Tja“, kam es mitleidlos von Q. „Man sollte sich halt doch vorher sein Equipment erklären lassen. Ihr neues Schnellboot kann nämlich auch tauchen.“


    „Das habe ich schon herausgefunden“, gab Bond zurück. „Aber ein paar Kerle mit Maschinengewehren haben mich aufgehalten. Ich muss ihre Spur wieder finden.“


    „Oh, nichts einfacher als das“, lächelte Q. „Dann haben sie also doch noch nicht alles entdeckt.“ Er war wieder ganz in seinem Element. „Das Boot verfügt nämlich auch über ein hoch entwickeltes Ortungssystem, das Wasserfahrzeuge aller Art auf weitem Gebiet aufspüren kann. Quasi das ganze Loch Ness wird für sie sein wie ein offenes Buch. Die Ortung erfolgt nämlich satellitengestützt und…“


    Bond fiel ihm wieder ins Wort. „Aber Kreuzfahrtschiffe auf dem Pazifik kann ich damit noch nicht beobachten, oder?“ grinste er und fing sich einen bösen Blick ein. „Ist ja schon gut“, wehrte der Agent ab. „Kommen wir zu ihrer Aufgabe, Q. Während ich auf der Suche nach Denise“, Q hob viel sagend die Augenbrauen, „also Miss Stratford bin, brauche ich jemanden, der hier im Hotel die Stellung hält. General Lafayette hat mir zwar seine Hilfe zugesichert, doch morgen wird er ebenfalls unterwegs sein.“


    Q sah Bond fragend an. Dieser erzählte ihm schließlich alles, was sich bisher ereignet und was er bisher herausgefunden hatte. Q nickte langsam. „Ich werde mir per Eilboten noch ein zweites Ortungsgerät zukommen lassen. Dann kann ich die Route des Ausflugsbootes von hier aus mitverfolgen.“


    „Gut“, nickte Bond. „Und ansonsten tun sie das, was sie am Besten können.“ Fragend sah Q den Agenten an und strich sich über den ergrauten Schnauzbart. „Spielen sie den netten, leicht vertrottelten, älteren Herren, der hier seinen Urlaub verbringt.“


    Qs Erwiderung wurde einzig aufgehalten von einem lauten, vernehmlichen Klopfen an der Tür. Bond schaute zur Tür. „Herein.“


    Die Tür öffnete sich. Es war der General. „Man sagte mir, sie wären wieder hier und da wollte ich gleich mal fragen…“ Sein Blick fiel auf Q. „Oh, guten Tag.“


    „Guten Tag“, meinte Q höflich.


    „Wenn ich bekannt machen darf: General Lafayette, Q, unser Waffenmeister“, stellte Bond die beiden vor.


    Q stutzte kurz. „Ich dachte…“


    Bond nickte. „Ich weiß schon, was sie dachten, Q. Aber ich habe vor Lafayette keine Geheimnisse und gehe davon aus, dass der Master ebenfalls sehr gut über uns alle Bescheid weiß.“


    „Nun, so gesehen“, musste Q zugeben. Lafayette sagte nichts dazu. Er meinte nur kurz „Angenehm“ zu Q und schaute dann Bond an. „Dann kam ihr Gefährt ja zur rechten Zeit. Aber anscheinend haben sie wohl trotzdem nicht erreicht. Was ist mit Miss Stratford?“


    Bond erzählte kurz von seinem Trip. „Sie sehen also, ihre Augen haben ihnen tatsächlich keinen Streich gespielt. Ich hatte wirklich fast schon einen völlig falschen Eindruck von ihnen. Entschuldigung.“


    Lafayette lachte leise. „Macht ja nichts. Wirklich sehr kreativ diese Leute. Muss man ihnen lassen. Sehr schlau.“


    „Dass der Master sehr schlau ist wissen wir schon lange“, gab Bond zurück.


    „Sie halten also den Master für den Urheber des Seemonsters?“ Der General hatte ein undurchschaubares Lächeln aufgesetzt. „Na, wenn sie sich da mal nicht irren.“ Dann schaute er zu Q. „Werden sie lange bleiben?“


    „Q wird morgen von hier aus die Route ihres Ausflugsbootes überwachen“, gab Bond Auskunft.


    Lafayette kratzte sich am Hinterkopf. „Nun gut. Wenn sie meinen, dass das notwendig ist. Aber ich werde mit den Kerlen sicher auch schon so fertig.“


    „Sicher ist sicher“, meinte Bond dazu nur. Lafayette nickte. „Sie haben natürlich Recht. Sehen wir uns morgen früh noch einmal beim Frühstück, Mr. Bond?“


    Der Agent schüttelte den Kopf. „Nein. Ich werde so schnell als möglich aufbrechen.“


    „Na dann gute Jagd.“ Lafayette nickte den beiden noch einmal freundlich zu und wollte schon das Zimmer verlassen, als Bond ihn noch einmal aufhielt. „Ach, da wäre noch etwas.“


    Lafayette drehte sich zu dem Agenten um. „Ja?“


    „Wissen sie zufällig wie man hier an Schlangen herankommt, wenn man sie nicht gerade bei sich im Gepäck findet?“


    Lafayette stutzte kurz. „Ein Mordanschlag?“ Bond nickte. „Nun, die Antwort ist ganz einfach. Entweder man heißt Wilhelm Meister oder man stiehlt eine aus dessen Terrarium.“


    „Es gibt hier ein Terrarium mit giftigen Schlangen?“ fragte Q etwas atemlos.


    Der General nickte. „Sicher“, entgegnete er als wäre es das Natürlichste auf der Welt. „Wilhelm ist ganz vernarrt in die Viecher. In Reptilien allgemein. Sicher mit ein Grund dafür, dass er sich am Loch Ness niedergelassen hat und jetzt so viele Fahrten anbietet, um die Seeschlange aufzuspüren.“


    „Das dürfte nicht der einzige Grund für die Fahrten sein“, meinte Bond ernst. „Aber morgen wissen wir hoffentlich mehr. Danke General.“


    „Bitte sehr“, lächelte Lafayette und verließ nun doch das Zimmer.


    „Verschrobener alter Knabe“, war Qs Kommentar zu dem General.


    „Also ihnen gar nicht mal so unähnlich, Q“, versetzte Bond schmunzelnd. Dann verdunkelten sich allerdings seine Gesichtszüge. „Aber ich glaube, er weiß mehr als er vorgibt.“


    Q zuckte nur mit den Schultern und schaute nachdenklich auf die Tür, durch die der General verschwunden war.


    Q ging schließlich auch. Man hatte ausgemacht sich in einer Stunde am Steg noch einmal zu treffen. Bond duschte kalt, zog sich um und aß noch eine Kleinigkeit. Dann zog er den Schulterhalfter an, lud seine Walther noch einmal neu und schlüpfte dann in eine schwarze Jacke. Als er den Steg erreichte wartete Q schon am Boot. „Dann weisen sie mich jetzt mal ordentlich ein, Q.“


    Das tat Q auch und gab Bond dann noch ein paar der schon bekannten kleinen Sauerstoffgeräte. „Aber ich bin enttäuscht“, meinte er noch.


    „Von mir? Das ist doch nichts Neues und ich werde mich hüten ihnen zu versprechen irgendetwas in tadellosem Zustand zurück zu bringen“, gab Bond zurück.


    Doch Q schüttelte nur den Kopf. „Nein. Ausnahmsweise einmal nicht von ihnen, sondern von dem Hotel. Alles sauber. Keine einzigen Mikrofone, Abhörgeräte oder Lautsprecher.“


    „Und das soll enttäuschend sein?“ fragte Bond sofort.


    Q nickte. „Ich arbeite nämlich gerade an einem Frequenzmanipulator, den ich ihnen auch noch mitgeben wollte für diese Mission. Ich dachte ja, dass dieser ominöse Master damit arbeiten würde, aber anscheinend ist das wohl nicht der Fall“, seufzte er.


    „Heben sie mir trotzdem einen auf. Man weiß ja nie ob so etwas nicht doch irgendwann nützlich sein kann“, meinte Bond stieg ins Boot und startete.


    „Petri Heil!“ rief Q ihm noch nach. Dann verschwand er im Nebel des dunklen Sees.


    Bond lehnte sich zurück und unterdrückte ein Gähnen. Sein Blick war auf den kleinen Monitor gerichtet. Nessie zeigte sich dort als kleiner, blinkender und sich langsam bewegender roter Punkt – und war noch meilenweit entfernt! Bond hielt einen Abfangkurs und nutzte die Zeit zum Nachdenken. Besonders die Worte Lafayettes klangen ihm noch im Ohr. Aber der alte Kerl hatte Recht. Bond durfte jetzt nicht vergessen, dass hier nicht allein nur der Master, sondern auch die Waffenschieber am Werk waren. Vielleicht hatte Lafayette ja mit denen etwas zu tun? Immerhin kannte er sich durch seine vielen Urlaube hier in der Gegend bestens aus. Wenn das stimmte, dann würde er jetzt geradewegs in die Falle gehen, denn sicher hätte der General mittlerweile seine Komplizen alarmiert. Andererseits wirkte seine kindlich freudige Überraschung über den wahren Hintergrund seiner Ungeheuersichtung echt. Vielleicht sah Bond wirklich nur Gespenster. Immerhin war Denise nach Stansfield nun die zweite entführte Agentin. Stansfield. Was nur aus ihm geworden war? Es machte ihn immer noch stutzig, dass es keine Leiche gab, dass man ihn nicht einfach umgebracht hatte. Bond verfluchte Denise’ Verschwinden. Es hielt ihn davon ab sich die Meisters vorzuknöpfen. Oder war alles nur eine neuerliche Inszenierung des großen Unbekannten, der dieses Fach meisterlich beherrschte?


    Bond wusste es nicht. Und ehe er weiter darüber nachdenken konnte wurde seine Aufmerksamkeit von etwas anderem gefesselt. Ein großes Hindernis kam in Sichtweite. Er hatte ein Ende des Sees erreicht und musste nun vor einer Felswand anhalten.


    Ein Blick auf den Monitor ließ ihn stutzig werden. Nessie war augenscheinlich weitergefahren und nun hinter den Felsen. Oder darunter. Bond schloss das Verdeck und tauchte mit seinem Boot ab. Es war stockfinster und unheimlich still. Er schaltete die Unterwasserscheinwerfer an und fuhr langsam die Felsen entlang. Lange Zeit war ein Schwarm Fische das einzige, das der Geheimagent aufschreckte, bis schließlich eine große, schmale Öffnung vom Licht der Scheinwerfer erhellt wurde. Das musste er sein: Der Eingang zu Nessies Schlupfwinkel! Während es über dem Wasser schon langsam dämmerte folgte das kleine schwarze Boot dem natürlichen Verlauf der gut versteckten, aber ungewöhnlich großen Unterwasserhöhle.

  • 12 - Überraschungen


    Q stand auf der Terrasse des Hotels. Es war ein herrlicher Morgen mit viel Sonnenschein. Auch der Nebel hatte sich schon verzogen als sich alle pünktlich zu der Fahrt am Steg einfanden. Franco machte zwar einen entspannten Eindruck, aber irgendetwas in seinem Blick verriet das stetige Misstrauen, das mit seinem Beruf einherging und zerstörte das Bild des erholungswilligen Touristen vollends. Schwarzenberg hielt sich dagegen an seiner schwarzen Aktentasche fest. Die Knöchel seiner Hand traten schon weiß hervor. Er war nervös und sein Blick ging hoch zum Bürofenster der Meisters, hinter dem Maximilian stand und traurig seine Hand zum Abschied hob. Ben seufzte und betrat schließlich über die Planke das Schiff. General Lafayette war das genaue Gegenteil von ihm. Er wirkte gelöst und sehr frohgemut als er mit seiner Golfermütze und seinem Spazierstock mit energischen Schritten über den hölzernen Steg ging und schließlich in das Boot stieg.


    Q beobachtete noch wie das Boot ablegte, dann ging er auf sein Zimmer und schaltete den Monitor des Ortungsgerätes ein, das er auf den Schreibtisch gestellt hatte. Er holte tief Luft und setzte sich davor. „Dann wollen wir mal schauen.“


    James Bond hatte das Ende des Tunnels erreicht. Der Boden stieg an und über ihm war Licht. Jetzt würde es sich ja zeigen ob man ihn erwartete. Es wäre ein leichtes jetzt ein paar Unterwassergranaten abzuwerfen und ihn somit rasch und bequem in die ewigen Jagdgründe zu schicken. Diese Explosionen würde selbst die dicke Panzerung des Bootes nicht aushalten. Doch es kam nichts. Keine Erschütterung, keine Detonationen. Erwartete man ihn also doch nicht? Oder hatte man ihn nur noch nicht entdeckt oder nicht die passenden Waffen parat?


    Bond konnte nichts anderes tun als aufzutauchen. Das Begrüßungskomitee war hart, aber herzlich. Augenscheinlich waren diese Kerle auf Maschinengewehre spezialisiert. Doch wie schon beim letztmaligen Zusammentreffen vermochten die Kugeln nicht die Panzerung von Bonds Boot zu durchdringen, auch wenn sie einige unschöne Kratzer hinterließen. Doch was die Gegner, ein halbes dutzend stämmiger Schläger, konnten konnte Bond natürlich auch, denn selbstverständlich waren auch in dem Boot Maschinengewehre eingebaut und schnell war die Hälfte der gegnerischen Schützen gefällt, bis… ja, bis von Bonds zwei Maschinengewehren nur noch zwei rauchende, gesprengte Röhren übrig waren. Denise’ Entführer waren schlau genug gewesen ihr Feuer auf die beiden gefährlichen Öffnungen rechts und links oben an Bonds Boot zu konzentrieren. Bond fluchte und schaute sich erstmal etwas genauer um. Noch war er sicher. Dies wussten auch die Angreifer, denn sie hatten aufgehört zu feuern um ihre Munition zu sparen.


    Bond befand sich in einer großen, natürlichen Höhle. Am hinteren Ende befanden sich ein kleiner Lastenaufzug und mehrere, in regelmäßigem Abstand in den Stein eingearbeitete Eisenstreben, die als eine provisorische Leiter dienten. In Wassernähe befand sich ein Kran. Nessie lag müde halb auf Grund und wirkte nun nicht mehr so romantisch wie gestern Abend im Nebel, sondern eher wie ein Haufen dunkelgrünen Schrotts in abstruser Form. Überall standen verschlossene Kisten herum. Nessie gehörte also zu den Waffenschiebern und dies war ihr geheimer Umschlagplatz!


    Doch nicht nur Bond hatte die Kisten bemerkt, auch einer der Schläger, rothaarig, augenscheinlich der Anführer und ein alter Bekannter – es war Sean, der Barkeeper des Hotels - machte sich jetzt an einer zu schaffen, brach sie mit dem Brecheisen auf und holte eine Handgranate daraus hervor, die er auch umgehend entsicherte. „Verdammt“, entfuhr es Bond. Er duckte sich und fuhr das Glasverdeck hinunter. Sean holte aus und warf, Bond spannte seine Muskeln an und sprang ins Wasser. Er hörte die ohrenbetäubende Explosion, spürte die Hitze und die Druckwelle, die ihm die Haut aufriss und die Besinnung raubte. Schwärze folgte…


    Q seufzte. Die Fahrt war bis jetzt noch nicht sehr ereignisreich gewesen. Bisher war es wirklich nur eine Rundfahrt auf dem Loch Ness. Er hatte sich schon Kaffee beim Zimmerkellner bestellt, um sich die Observation etwas zu versüßen. Q gähnte leicht als ein hoher, wiederkehrender Piepton ihn dabei inne hielten ließ. Er schaute auf den Monitor. Augenscheinlich näherte sich dem einen Ausflugsboot ein zweites. Die hellen Punkte bewegten sich aufeinander zu und verharrten dicht beieinander. Q pfiff und blickte weiterhin gespannt auf den Bildschirm. „Herein“, meinte er als es klopfte.


    Es war der Zimmerkellner. „Ihr Kaffee, Sir.“ Er stellte das Tablett auf dem kleinen Beistelltisch hinter Q ab.


    „Ist okay, danke“, meinte Q kurz und würdigte den Kellner keines Blickes.


    Dieser schenkte gerade ein und stellte dann die Kaffeekanne wieder ab. „Sonst noch einen Wunsch, Sir?“


    Q schüttelte den Kopf. Er sah nicht, wie der Kellner aus seinem Ärmel ein kleines, festes Seil holte. Zu sehr fesselte ihn das Treffen der beiden Ausflugsboote. Der Schrei blieb ihm im Halse stecken als er das Seil um seinen Hals spürte. Seine Hände griffen danach, doch der Kellner war stärker und zog das Seil immer fester um Qs Hals. Kraftlos sanken dessen Hände nieder.


    Die Kälte des Wassers in das Bonds Körper abtauchte ließ keine lange Bewusstlosigkeit zu. Bond schlug die Augen auf und versuchte seine Kräfte wieder zu finden. Er tauchte ab, schwamm hinter das stählerne Ungeheuer und kam wieder an die Wasseroberfläche. So verborgen wartete er ab. Seine durchnässte Pistole war nicht mehr zu gebrauchen.


    „Der ist hin“, kam es irgendwann von einem von Seans Kumpanen, der das demolierte Boot untersucht hatte. „Guter Wurf, Boss.“


    „Das will ich meinen“, lachte Sean. „Jetzt wollen wir nur noch sehen, dass ich nach dem guten Wurf auch noch zu einem guten Schuss komme.“ Die anderen beiden stimmten in Seans Lachen mit ein.


    Langsam entfernten sich die Stimmen und nach einer Weile fühlte sich Bond sicher genug um sein Versteck zu verlassen. Er schwamm um das Tauchboot herum und kletterte an Land. Was Sean eben angedeutet hatte, war eindeutig gewesen, hieß aber auch, dass Denise noch hier sein musste. Bond schaute sich um. Man hatte den Toten die Maschinengewehre abgenommen und auch das Brecheisen war nicht mehr da. Und auch wenn in den Kisten genug Waffen waren, kam er an keine einzige heran. Allein die Kiste mit den Handgranaten war geöffnet, aber das wollte Bond in dem kleinen Höhlensystem, in das die Gauner verschwunden waren, nicht riskieren. So blieb ihm nur eines: Das Messer in seinem Stiefel. Er holte es hervor, presste sich an den Felsen und schaute vorsichtig um die Ecke. Es war alles ruhig und friedlich. Langsam und aufmerksam tastete sich Bond weiter vor.


    Ein Schuss durchschnitt die Luft! Wilhelm Meister stand mit rauchendem Revolver in der Tür. „Tod… Tod… zuviel Tod… unnütz“, murmelte er.


    Der Kellner brach getroffen zusammen und gab Qs Hals frei. Blut breitete sich auf seinem Rücken aus, schwer fiel sein lebloser Körper zu Boden.


    „Nur von Idioten umgeben“, murmelte Meister und trat zu Q.


    Maximilian hatte einen Schuss gehört und nun auch Qs Zimmer erreicht. Wie angewurzelt blieb er stehen und schaute fassungslos in den Raum. „Vater! Was hast du getan?“


    Meister ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er entfernte das Seil von Qs Hals und fühlte dessen Puls. Q lebte noch und war nur bewusstlos, wenn der Puls auch nur noch sehr schwach ging. „Ich habe gerade ein Leben gerettet“, gab er zurück.


    Maximilians Blick ging zu dem Kellner und wieder zu seinem Vater zurück. „Und ein anderes Leben damit zerstört. Das ist Francois.“


    „Und wenn schon“, brummte Meister. Er holte mit dem Revolver aus und zerstörte das Ortungsgerät. „Hilf mir die Leiche in den Schrank zu packen“, wies er seinen Sohn an und drückte der Leiche das Stück Seil in die Hand.


    Max gab keinen Widerspruch. Zusammen mit seinem Vater hievte er Francois hoch, schleppte ihn zu dem Schrank und öffnete die Tür. Dann wuchteten sie den Leichnam hinein und schlossen die Tür. Maximilians Blick ging auf den Boden. „Die Blutspur“, bemerkte er.


    „Vergiss sie. Komm jetzt.“ Meister packte seinen Sohn unsanft am Arm und schob ihn aus dem Raum.


    „Hilfe!“


    Bond erkannte die Stimme sofort: Denise!


    „Nein… nein! Lassen sie mich! Bitte!“


    Die Stimme kam aus dem Raum rechts vor ihm. „Schrei nicht so, du kleines Biest. Du willst es doch auch. Ich sehe es dir an“, hörte Bond Seans Stimme. Außer ihm schien niemand sonst im Raum zu sein.


    Bond tastete sich langsam vor und erreichte den Durchgang. Vorsichtig riskierte er einen Blick. Sean stand mit dem Rücken zu ihm und ließ gerade seine Hose herunter. Vor ihm lag, auf einen Tisch gefesselt, Denise. Ihre Kleidung hing in Fetzen von ihr herab und sie schrie immer noch und versuchte sich zu wehren.


    Bond hielt fest das Messer, drehte sich in den Durchgang und holte aus. Ein spitzer Schrei entfuhr Denise als Sean plötzlich weit die Augen aufriss und gurgelnd auf sie sackte.


    Rasch trat Bond hinzu und zog das Messer aus Seans Rücken. „Keine Angst, Denise. Ich bin es nur.“ Er schob Seans Körper von ihr herunter und durchschnitt ihre Fesseln.


    „James! Oh, James!“ Denise schluchzte und fiel in die Arme des Agenten.


    „Sch, Denise. Ganz ruhig“, meinte Bond leise. „Wir müssen schnellstens hier weg.“


    Denise nickte und fing sich langsam wieder. Sie ließ sich von Bond mitziehen. Von der anderen Seite des Ganges waren schon Schritte zu hören. Rasch eilten sie zum Wasser. Seans Komplizen entdeckten gerade die Leiche ihres Bosses. Bald würden sie hinter ihnen her kommen, die Maschinengewehre im Anschlag.


    Denise schaute sich um und sah das zerstörte Boot von Bond. „Wie kommen wir hier nur heraus, James? Die Leiter hoch zu klettern wäre Wahnsinn!“


    „Vertrau mir einfach, Denise.“ Der Agent zog sie zum Wasser. Dort gab er ihr einen der beiden kleinen Sauerstoffgeräte. „Einfach dort ansetzen und ganz normal atmen. Es reicht für 10 Minuten. Schwimm durch die Unterwasserhöhle. Ich komme sofort nach.“


    Denise nahm das Gerät entgegen und nickte. „Ich vertraue dir. Wehe du kommst nicht.“ Sie begab sich ins Wasser und tauchte ab.


    Bond ging zu seinem Boot und beugte sich zu der Schalttafel, gerade als die Verfolger um die Ecke kamen. „Da ist die Sau! Knallt sie ab!“


    Bond konnte die Kugeln neben sich aufkommen hören, während er die Selbstzerstörung des Bootes aktivierte. Dann sprang er ins Wasser und spürte gleich einen stechenden Schmerz. Eine Kugel hatte seine Schulter gestreift. Er biss die Zähne zusammen und unterdrückte den Schmerz. Er setzte das Sauerstoffgerät an die Lippen und tauchte Denise hinterher. Eine Erschütterung ringsum, eine deutlich schwächere Druckwelle als eben noch erreichte ihn und drängte ihn an die Felsen, die seine ohnehin schon durch Brandlöcher ramponierte Kleidung aufriss und ihm tief ins Fleisch schnitt. Doch er durfte jetzt nicht aufgeben, kämpfte sich Meter für Meter weiter durch die Dunkelheit. Der Tunnel wollte nicht enden. Der Sauerstoff war schon alle als er endlich Licht über sich sah. Mit kräftigen Beinzügen arbeitete er sich der Oberfläche entgegen. Nach Luft ringend streckte er den Kopf durch das Wasser und schaute sich um. „Denise?“ Er hustete. „Denise?!“


    „Hier!“


    Bond drehte sich um. Denise war am Ufer auf einen Felsvorsprung geklettert. Der Agent folgte ihr. Denise griff nach seinem Arm und zog ihn hinauf. Gemeinsam kletterten sie weiter und sanken dann kraftlos auf einer Wiese nieder, wo sie einfach nur da lagen. Sie waren unendlich erschöpft, aber glücklich, dass sie noch lebten und nahmen die wohltuenden, warmen Strahlen der Sonne gierig in sich auf.

  • 13 – Hotel des Todes


    Der britische Geheimagent James Bond und die MI5-Agentin Denise Stratford betraten ziemlich abgerissen aussehend die Halle des Hotels. Sie hatten einen Wagen angehalten und sich herfahren lassen. Alles wirkte leer und ausgestorben. An der Tür zum Restaurant hing ein Geschlossen-Schild. „Merkwürdig“, meinte Denise leise und schaute zu dem Agenten an ihrer Seite. Dieser nickte und begab sich zur Rezeption. Ein Blick auf das Schlüsselbord verriet ihm, dass nur noch sehr wenige Leute da waren. Die Schlüssel waren fast komplett vorhanden. Bond drückte auf die Klingel und kurze Zeit später kam die freundliche Hotelangestellte nach vorne. „Sie wünschen, Mr. Fleming?“ Sie mochte diesen charmanten und verwegen aussehenden Herrn und lächelte ihn an.


    „Was ist hier los?“ fragte Bond direkt.


    „Nun.“ Die junge Frau wurde ein wenig verlegen. „Das Hotel wurde auf Anweisung von Herrn Meister geräumt und die Gäste in Hotels der Umgebung umgesiedelt.“


    „Warum denn das?“


    „Offiziell wohl ein Wasserschaden und Probleme mit der Heizungsanlage“, antwortete sie. „Das sollten wir jedenfalls den Gästen sagen.“ Sie schaute sich kurz um und dann Bond vertraulich an. „Allerdings ist alles in Ordnung und ich weiß gar nicht, was in den Alten gefahren ist. Es war die beste Saison seit langem.“


    Der Agent nickte langsam. „Danke. Ich hätte dann gerne die Schlüssel für mich und Miss Stratford.“


    „In Ordnung, Mr. Fleming. Sie wollen sich bestimmt frisch machen. Hatten sie einen Unfall?“ Sie drehte sich um und griff nach den beiden Schlüsseln.


    „Könnte man so sagen“, erwiderte Bond knapp.


    Die Hotelangestellte reichte dem Agenten die Schlüssel. „Es ist doch nichts Schlimmeres passiert, oder?“


    „Wir leben noch, wie sie sehen.“ Bond nahm die Schlüssel entgegen. „Müssen wir das Hotel auch noch verlassen?“


    „Nun, soweit ich weiß wollte Herr Meister noch einmal persönlich mit ihnen sprechen“, gab die junge Frau zurück. Bond nickte und ging zu Denise zurück. „Was geht hier nur vor?“ fragte diese leise.


    „Ich weiß es nicht“, meinte Bond ehrlich. „Lass uns jetzt erst einmal nach Q sehen.“ Er hatte Denise schon kurz von dessen Ankunft berichtet.


    Als die beiden bei Qs Zimmer ankamen stellten sie fest, dass die Tür nur angelehnt war. „Q?“ Bond stieß leicht gegen die Tür, die langsam offen schwang. „Großer Gott, Q!“ Er eilte in das Zimmer und nun konnte auch Denise die ganze Bescherung sehen. Sie legte sich die Hand vor den Mund. Ihr Blick glitt über die Blutspur bis zu dem Stuhl, in dem der leblose Körper des älteren Mannes hing. „Ist er… tot?“ brachte sie gedämpft hervor.


    Bond fühlte den Puls und schüttelte den Kopf. „Er hat Würgemale am Hals, aber er lebt. Hol einen Cognac aus der Minibar.“


    Denise ging zur Minibar und holte Cognac und ein Glas hervor. Sie goss ein und reichte Bond das Glas. „Würgemale? Aber woher stammt denn dann das Blut?“


    „Ich weiß es nicht“, seufzte der Agent. Vorsichtig setzte er das Glas an Qs Lippen und flößte ihm den Cognac ein. Sein Blick fiel dabei auf das zerstörte Ortungsgerät. „Irgendjemand wollte wohl verhindern, dass wir dem Geheimnis der Ausflugsboote auf den Grund gehen.“


    Q schluckte, schlug langsam die Augen auf und musste husten. Bond zog das Glas zurück. „Ganz ruhig, alter Knabe.“


    „007“, bemerkte Q müde und griff sich an den Hals. Er musterte den Agenten. „Wie sehen sie denn aus? Und wo ist mein Boot?“


    „Das ist auf der Strecke geblieben um unser Leben zu retten“, gab Bond Auskunft und reichte Q das Glas. „Und sie sehen auch nicht gerade aus wie das blühende Leben, Q. Was ist passiert?“


    Q atmete tief durch und nahm noch einen Schluck vom Cognac. „Ich weiß es nicht. Der Zimmerkellner – ich nehme an, dass es der Zimmerkellner war – brachte mir den Kaffee, den ich bestellt hatte. Ich schaute gerade auf den Monitor. Er stellte den Kaffee hinter mir ab und überfiel mich. Ich spürte eine Schlinge um meinen Hals, bekam keine Luft mehr und wurde bewusstlos.“


    „Hm“, meinte Bond dazu. „Schön und gut. Nur frage ich mich, wieso sie noch leben.“


    „Stört sie das vielleicht, 007?“ gab Q missmutig zurück.


    „Nein. Ganz im Gegenteil. Einer muss doch diese ganzen schönen Spielzeuge für mich bauen, die ich kaputt machen kann. Aber ich frage mich, warum erdrosselt man sie nicht ganz, wenn man sie aus dem Weg haben will? Warum hört man zwischendurch auf und lässt sie halbtot zurück? Und wo kommen diese Blutspuren her?“


    „Blutspuren?“ Q drehte sich um und schaute auf den Teppich. „Scheinen zum Schrank zu führen“, bemerkte er.


    Bond nickte und folgte den Spuren zum Schrank. Er legte seine Hand an den Griff und öffnete die Tür. Denise schrie auf als die Leiche des Zimmerkellners an Bond vorbei auf den Boden fiel. Das Einschussloch im Rücken des blutdurchtränkten weißen Hemdes war gut zu erkennen. „Erschossen“, bemerkte Bond und untersuchte die Leiche. Denise hielt sich wieder die Hand vor den Mund. Ihr wurde übel. „Ich… ich glaube, ich brauche etwas frische Luft.“ Kalkweiß ging sie auf den Balkon hinaus.


    Bond hatte derweil das Seil in der Hand des Toten entdeckt. „Ohne Zweifel war er ihr Angreifer“, meinte er zu Q und stand wieder auf.


    „Wer immer ihn erschossen hat vermutlich mein Leben gerettet“, kam es tonlos von diesem.


    Bond nickte. „Haben sie vorher auf dem Monitor noch irgendetwas bemerkt?“


    „Ja“, erzählte Q. „Etwas sehr interessantes sogar. Das Boot hatte ein Rendezvous mit einem weiteren Ausflugsboot. Mehr weiß ich allerdings auch nicht. Kurz nachdem sie sich getroffen hatten kam der Angriff auf mich.“


    „Das macht nichts, Q“, lächelte Bond grimmig. „Ich sehe auch so schon um einiges klarer.“


    Fragend sah Q den Geheimagenten an, doch eher dieser sich erklären konnte wurden sie von Denise gestört, die das Zimmer gerade wieder betrat. „Das Ausflugsboot kommt zurück.“


    Bond nickte Denise zu und schaute Q an. „Haben sie eine Waffe für mich? Ich fürchte meine muss erstmal komplett trocken gelegt werden.“


    „Sicher“, seufzte Q und ging zu seinem Koffer. „Ich habe ihnen gleich gesagt, sie sollten das Seeungeheuer lieber mit einer Angel jagen.“ Er holte eine weitere Walther hervor, gab sie Bond und nahm dessen Waffe entgegen. „Ich werde sie mir gleich mal anschauen.“


    „Gut. Danke, Q. Sonst noch etwas?“


    „Nein. Mir reicht es auch für heute“, kam es von Q, der immer noch recht fertig aussah. „Ach ja, ich weiß nicht, ob sie das schon wussten, aber Schwarzenberg hat diese Tour auch mitgemacht.“


    „Ich wage zu behaupten, dass er ebenso wenig zurückkehren wird wie Lafayette.“


    Denise schaute Bond verständnislos an. „Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.“


    „Du wirst schon sehen. Komm mit. Bis gleich, Q.“ Bond nahm Denise bei der Hand und verließ mit ihr das Zimmer.


    Q murmelte nur noch etwas Unverständliches und leerte das Cognacglas.


    James Bond sollte Recht behalten. Franco war das einzige bekannte Gesicht, das von der Fahrt wiederkehrte. Keine Spur von Schwarzenberg oder dem General. Franco ging schnellen Schrittes über den Steg und würdigte Bond und Denise, die auf der Terrasse standen, keines Blickes. „Hey, Franco!“ Erst als Bond ihn ansprach wendete er diesem den Blick zu.


    „Lass mich in Ruhe, James“, kam es schroff zurück. „Meine Angelegenheiten gehen dich nichts an. Ich reise sowieso jetzt ab.“


    Bond schaute den Mann mit durchdringendem Blick an. „Das glaube ich nicht, Franco.“


    Noch ehe Franco seine Waffe erreichen konnte spürte er den Schmerz als die Kugel aus Bonds Waffe in ihn eindrang, die Wärme und Feuchtigkeit des eigenes Blutes und schließlich nur noch Kälte. Sein Körper fiel leblos zu Boden. Denise schaute Bond fassungslos an. „Warum? Warum hast du ihn erschossen?“


    Bond steckte seine Waffe wieder ein. „Das war nicht Franco.“


    „Nicht?“ Ungläubig blickte Denise auf den toten Mann.


    „Verstehst du es noch nicht, Denise? Ein Double. Wie Tomasek, der vom Rechtshänder vom Linkshänder mutiert ist. Franco hat mich immer nur ‚mein Junge’ genannt, niemals James. Man tauscht sie aus, damit niemand bemerkt wo sie sich wirklich aufhalten.“


    Denise senkte den Kopf. „Oh. Ich war so dumm.“ Sie schaute Bond wieder an. „Aber wo halten sie sich denn wirklich auf?“


    „Tja, das ist das große Geheimnis. Jedenfalls hat sie das zweite Ausflugsboot, das Q noch bemerkt hat, an Bord genommen und irgendwo hin gebracht.“


    Denise nickte langsam. „Ein geheimer Versammlungsort also. Aber warum?“


    „Das weiß ich noch nicht“, entgegnete Bond. „Ich werde mir mal Meister vorknöpfen, vielleicht bekomme ich aus ihm etwas heraus. Wenn das stimmt, was die Angestellte gesagt hat, dann wollte er ja sowieso noch mit mir sprechen. Aber vorher sollten wir uns beide umziehen und ich sollte wohl mal einen kurzen Blick auf meine Wunden werfen.“


    Denise lächelte ihn an. „Das könnte ich doch auch machen.“


    Bond schaute Denise in die Augen. Sein Ausdruck wurde ernst. Denise hatte blaugraue Augen… wie Anna. Es tat zwar weh, es sich einzugestehen, aber sein Herz schlug höher jedes Mal wenn er an sie dachte. „Ich… ich glaube nicht, dass das klug wäre, Denise. Wir sehen uns später.“ Verstört und auch ein wenig enttäuscht sah Denise ihm nach.


    Bond reckte sich. Fast sein gesamter Körper tat ihm weh. Er schloss sein Zimmer auf, griff zur Türklinke und öffnete die Tür. Als er eintrat bemerkte er noch ein Aufblitzen, dann sauste plötzlich etwas Hartes auf ihn nieder. Er blockte im letzten Moment ab und taumelte etwas zurück. Es war ein Golfschläger. Abermals hieb man auf ihn ein. Die Schlagfläche des Schlägers erwischte hart seine Wange und er ging zu Boden. Seine Wange brannte. Benommen schaute er auf seinen Angreifer, der den Schläger ein weiteres Mal hob, doch mit einer geschickten Fußangel brachte der Agent den Mann zu Fall.


    Bond rappelte sich auf. Nun erkannte er auch seinen Angreifer: Es war Maximilian Meister. Brennender Hass loderte in seinen Augen auf. Bond griff nach seiner Waffe, doch Max, der ebenfalls wieder aufgestanden war, schlug sie ihm mit dem Golfschläger aus der Hand. Als Max ein weiteres Mal ausholte, duckte sich Bond rasch. Der junge Hotelier erwischte nur eine Vase, die klirrend zerbrach. Bond sprang auf und verpasste Max einen Kinnhaken. Dieser taumelte nach hinten gegen die Balkontür, die bei diesem Gewicht nachgab. Max konnte sich fangen und am Rahmen festhalten. Er führte eine Hand zu seiner Nase und spürte Blut. „Das wirst du mir büßen, Mörder“, zischte er. Sein Griff legte sich fest um den Golfschläger, den er ein weiteres gegen den Agenten schlug.


    Bond bekam den Schläger zu fassen und drängte Maximilian zurück. Auf dem Balkon rangen sie um den Schläger. Unerwartet löste Bond den Griff und verpasste dem verdutzten Max einen weiteren Kinnhaken. Er schwankte zurück, gegen das Balkongeländer, das nun völlig nachgab. Maximilian schrie auf, verlor den Halt und stürzte in die Tiefe.


    „Nein. Nicht du auch noch“, presste Bond hervor. Zu gut hatte er noch das Bild des in den Tod stürzenden Hartmann im Kopf. Das durfte sich einfach nicht wiederholen, vor allem, da er noch soviel Antworten brauchte. Mit einem Satz war der Agent am Rand des Balkons und bekam Max noch zu fassen. Hart schlug der Golfschläger auf der Terrasse auf.


    Bond zog den zitternden Maximilian hoch. Bleich geworden schaute er den britischen Agenten an. „Sie… sie haben mir das Leben gerettet“, stammelte er. „Warum?“


    Bond antwortete nicht darauf. „Die Frage ist: Warum wollten sie mich umbringen?“


    „Sie… sie haben Gus getötet.“ Max schluckte.


    „Ich schwöre ihnen, dass ich es nicht wahr, Maximilian. Es war eine Falle des Masters.“ Ruhig schaute Bond den jüngeren Mann an.


    „Ich… ich… oh, verdammt.“ Max stand auf, schlurfte in das Zimmer und brach weinend am Bett zusammen. „Ich… ich habe alles falsch gemacht. Alles. Fast hätte ich alles zerstört.“


    Bond folgte ihm und setzte sich zu ihm. „Ganz ruhig.“


    Maximilian hob den Kopf und schaute Bond mit roten Augen an. „Ich… ich habe das Geländer selbst angesägt. Er… er war gegen diese Idee. Er… bevor er fuhr hat er mich noch gebeten sie in Ruhe zu lassen…“


    „Benjamin?“ Maximilian nickte. „Machen sie sich keine Vorwürfe, Maximilian. Sie sind nicht der Erste, der von dem Master manipuliert worden wäre“, meinte Bond ruhig und wartete geduldig, bis sich Max wieder etwas gefangen hatte.


    Ein Schrei durchschnitt die Stille und erstarb. Maximilians Blick ging zur Tür. „Vater!“ Bond sprang auf, griff nach seiner Walther und spurtete in das Büro des Hoteliers. Max folgte ihm. Als der Agent die Tür öffnete bot sich ihnen ein schauerlicher Anblick. Meister lag tot in seinem Stuhl, der Kopf im Nacken, Augen und Mund weit geöffnet, Blutspritzer auf den Papieren vor ihm. Das Blut tropfte aus einer Stichwunde auf seiner Brust. „Vater…“ Maximilians Stimme versagte. Er ging zu ihm, legte seine Hände auf den leblosen Arm seines Vaters und brach ein zweites Mal zusammen.


    Bonds Blick ging hingegen schnurstracks zu der zweiten Tür des Büros, die gerade in die Angeln fiel. Er hastete hin, öffnete sie und schaute hinaus. Er konnte noch eine Gestalt ausmachen und sah ein Messer auf sich zurasen. Er konnte die Tür noch schnell genug schließen. Das Holz splitterte als sich das Messer hinein bohrte. Bond öffnete die Tür wieder und jagte dem Mörder hinterher, der gerade um eine Ecke verschwand.


    Bond schwang seinen Körper elegant um die Ecke, die Waffe im Anschlag. Er sah den Attentäter trotz der Dunkelheit des Gangs deutlich vor sich und feuerte. Der Mann ging zu Boden und hielt sich das Bein. Es war der französische Portier, der damals bei dem Anschlag mit dem Blumenkasten noch so aufgebracht und zuvorkommend gewesen war. Bond steckte seine Waffe weg. Seelenruhig ging er zu ihm. Er bemerkte zu spät wie der Portier einen Knopf seiner Uniformjacke abmachte und zu seinem Mund führte. „Verdammt“, entfuhr es ihm als er den Mann erreichte, der noch kurz von Krämpfen geschüttelt wurde ehe er in sich zusammensackte. Er hatte Schaum vor dem Mund.

  • 14 – Maximilians Geständnis


    James Bond stand auf und wendete sich von dem toten Portier ab. Er ging zurück in Meisters Büro. Maximilian hatte mittlerweile Meisters Augen geschlossen und schaute resigniert und kraftlos zu dem britischen Agenten. „Ich wusste es. Ich wusste, dass mein Vater damit sein Leben zerstören würde. Wer… wer hat ihn umgebracht? Haben sie ihn erwischt?“


    Bond nickte. „Habe ich. Leider ist mir mithilfe einer Giftkapsel dann doch noch entwischt. Es war der Portier.“ Max schloss kurz die Augen. Er hatte es geahnt. „Woher wussten sie, dass ihr Vater sein Leben verwirkt hatte, Maximilian?“


    Max setzte sich auf den Stuhl und konnte seinen Blick nur mühsam von seinem toten Vater lösen. „Er… er hat Francois erschossen, den Zimmerkellner. Gerade als dieser diesen Mr. Q töten wollte. Er… er hat es nicht mehr ausgehalten. All diese Verbrechen, diese Morde. Er wurde ganz und gar von dem Master beherrscht. Er konnte nicht mehr länger. Er wollte sich ihnen anvertrauen und ihnen alles sagen, was er wusste.“


    Bond schaute Maximilian ernst an. „Dann tun sie es jetzt bitte, Maximilian. Erzählen sie mir, was sie wissen. Vollenden sie, was ihr Vater nicht mehr tun konnte.“


    Max schüttelte den Kopf und wich dem Blick des Agenten aus. „Ich… ich kann nicht, Mr. Bond. Ich kann es einfach nicht. Ich habe nicht genug Vertrauen zu ihnen. Zu große Angst.“


    Denise schrak auf. Ein Schatten glitt an ihrem Fenster vorüber, dann hörte sie einen Aufprall. Sie war gerade dabei sich umzukleiden. Rasch schloss sie ihre Hose und schlüpfte in einen weiten, kuscheligen Wollpullover. Dann verließ sie ihr Zimmer, eilte die Treppe hinab und trat auf die Terrasse. An der Stelle unter ihrem Fenster lag tatsächlich etwas. Es war lang und glänzte metallisch. Sie ging hin und beugte sich hinab. Es war ein Golfschläger.


    „Merkwürdig“, murmelte Denise und schaute sich um. Auf der Terrasse war niemand zu sehen. Sie ging ein paar Schritte zurück und schaute nach oben. Sie erschrak als sie Bonds Balkon mit dem herunterhängenden Gittergeländer erblickte. Doch ihr Schrecken legte sich natürlich sofort als ihr bewusst wurde, dass nur ein Golfschläger und nicht James Bond hinunter gefallen war. Allerdings hatte gerade dieser überhaupt keine Golfsachen dabei gehabt.


    Denise seufzte. Für ihren Geschmack gab es hier eindeutig zu viele Rätsel. Sie drehte sich um, lehnte sich an das Geländer, das die Terrasse abschloss und das glücklicherweise nicht angesägt war – man hätte hier sowieso nicht tief und schon gar nicht tödlich fallen können – und schaute nachdenklich über den See.


    Loch Ness lag an diesem Tag sehr romantisch da. So, als gelte es zu beweisen, wie absurd die tragischen Vorfälle im Hotel an so einem friedlichen Platz eigentlich waren. Eine laue Brise ließ die Wasseroberfläche etwas erzittern. Der See spiegelte das Licht der Sonne und strahlte mit dieser um die Wette. Ein Vogel tauchte im Sturzflug in das Wasser ein und erhob sich kurz darauf mit einem fetten, zappelnden Fisch als Beute im Schnabel wieder in die Lüfte.


    Denise lächelte leicht. Es war so ein schöner Urlaubstag. Daran, dass auch der heute so friedliche und eine regelrechte Herzenswärme ausstrahlende See gefährliche Gefahren barg, mochte sie gar nicht denken. „Diese Frevler“, murmelte sie, als sie an die Waffenschieber und den Master dachte, die alle auf ihre Weise Loch Ness mit seiner unendlich scheinenden Weite und den geheimnisvollen Nebeln ausnutzten. Und doch wurde sie nur allzu rasch und allzu gut wieder an die tödlichen Gefahren erinnert, als sie etwas im Wasser treiben sah, dass sich allmählich auf das Ufer und den Steg zu bewegte.


    „Warum, Maximilian? Warum vertrauen sie mir nicht?“ Bond schaute den jungen Hotelier ernst an.


    „Weil… ich… sie… sie haben Gus getötet“, murmelte Max und schaute immer noch nicht auf. „Es stand in der Zeitung und sie hat es auch gesagt.“


    „Wer ist sie?“ fragte Bond weiter.


    Nun schaute Max doch zu Bond. „Vera.“


    „Sie war hier?“


    Max nickte. „Ja. Aber nur kurz. Ben hat sie abgepasst als sie gerade eines der Ausflugsboote besteigen wollte. Sie hat erzählt, dass sie mit ihr geschlafen hätten um Gus fertig zu machen und ihn schließlich töteten.“


    „Und sie haben ihr geglaubt“, stellte der Agent fest.


    Max nickte erneut. „Warum sollten wir nicht? Sie ist doch Gus’ Ehefrau. Wussten sie das etwa noch nicht?“ Ein leiser Zweifel schwang in Maximilians Stimme mit.


    „Nein. Das wusste ich wirklich nicht. Der Bericht, der über Vera verfasst wurde, wurde gestohlen und der Mann, der diesen Bericht verfasst hatte, entführt“, erzählte Bond. „Sehen sie es doch ein, Maximilian. Der Master hat sie und Benjamin geschickt benutzt. Er hat in ihnen Hass auf mich geweckt, damit sie mich aus dem Weg räumen. Das ist typisch für ihn. Er macht sich ungern selbst die Hände schmutzig.“


    Max schluckte. Bond hatte ja Recht. Beschämt senkte er wieder den Kopf. „Es tut mir so leid. Alles tut mir so leid. Den Blumenkasten hat Ben gelöst. Ich war das mit dem Geländer und der Schlange.“ Er hob den Kopf wieder. „Was ist eigentlich aus der geworden?“


    „Nun, da es keine Seeschlange war, vermute ich mal, dass sie ertrunken ist. Ich habe sie nämlich samt Koffer im Loch Ness entsorgt“, antwortete Bond.


    „Es war eine Kapkobra“, meinte Maximilian leise. „Die giftigste Schlange aus dem Terrarium meines Vaters. Ich war so dumm.“ Er seufzte.


    „Es ist ja nichts passiert“, meinte Bond sanft. „Doch seien sie nicht weiterhin so dumm. Reden sie. Ich flehe sie an.“


    Doch Max schüttelte nur den Kopf. „Nein. Nein, ich kann nicht.“


    Denise hatte sich mittlerweile zum Ufer begeben und einen Angler angesprochen. Dieser erklärte sich gerne bereit das Treibgut für die hübsche junge Frau an Land zu ziehen sobald es nahe genug für den Angelhaken war.


    Denise ging nervös auf und ab als der Angler schließlich ausholte und das nasse Etwas beim zweiten Versuch mit dem Haken erwischte. Dann drehte er die Kurbel und zog es langsam heran. Schließlich konnte Denise es ohne Probleme greifen: Es war Lafayettes Golfermütze und sie war blutbefleckt!


    Denise bedankte sich rasch bei dem Angler und machte sich mit ihrem Fund auf die Suche nach Bond.


    „Warum können sie nicht, Maximilian? Was hindert sie daran?“ Bond ließ nicht locker.


    „Er. Der Master.“ Max strich sich nervös durch das Haar.


    Doch bevor Bond etwas erwidern konnte platzte Denise in den Raum herein. Sie hatte Bond in seinem Zimmer nicht gefunden und wusste ja, dass dieser zu Meister wollte. Schließlich hatte sie auch noch Stimmen im Raum gehört. „Du bist ja noch gar nicht umgezogen, James“, stellte sie noch fest ehe ihr der Atem stockte als ihr Blick auf den toten Meister fiel. „Hast… hast du?“ Ihr Blick ging von Bond zu Maximilian. „Oder er?“ Max zuckte zusammen.


    Bond schaute zu Denise. „Nein. Der Mörder liegt schon hingerichtet im Flur. Meister wollte nicht mehr länger so wie der Master.“


    „Und ich dachte Meister wäre der Master gewesen“, gab Denise zu.


    „Das dachte ich anfangs auch“, gab Bond zurück. „Aber wenn Maximilian sich nicht so sperren würde“, Max zuckte bei Bonds grimmigen Blick zusammen, „dann wüsste ich vielleicht schon, wer wirklich der Meister ist. Warum bist du eigentlich hier, Denise? Und was hast du da in der Hand?“ Sein Blick fiel auf das feuchte, unförmige Stück Stoff.


    Denise hob die Hand hoch. „Lafayettes Mütze. Voller Blut. Ich fürchte es hat ihn erwischt.“


    „Da sehen sie es, Maximilian. Wie viele müssen noch ihr Leben lassen, ehe sie vernünftig werden?“ fuhr der Agent den jungen Mann an.


    Maximilian wurde auf seinem Stuhl ganz klein. „Ich kann nicht, Mr. Bond. Wirklich. Ich kann nicht. Ich habe so große Angst.“


    „Angst, dass der Master auch sie töten lässt, wenn sie reden? Glauben sie mir: Wir können sie beschützen.“ Bond sah in seiner zerrissenen Kleidung und der teilweise sichtbaren, blutverschmierten Haut zwar nach allem anderen als nach einem großen Beschützer aus, aber dafür war sein Blick umso eindringlicher.


    Max schüttelte den Kopf. „Nein. Davor habe ich keine Angst. Ich… ich habe Angst um Ben, Mr. Bond.“ Verzweifelt schaute er den Geheimagenten an. „Er ist jetzt bei ihm. Der Master wird ihn umbringen, wenn er erfährt, dass ich geredet habe. Ich will nicht, dass er meinem Ben etwas antut.“ Eine Träne löste sich von Maximilians Auge und kullerte seine Wange hinab.


    Bond nickte verstehend. „Gerade dann müssen sie reden, Maximilian. Sagen sie uns, wer der Master ist und wo er sich aufhält. Je schneller ich ihn finde und aus dem Verkehr ziehen kann umso besser für sie und Ben.“


    Max schluckte. Man sah deutlich, wie er mit sich rang. Denise legte beruhigend eine Hand auf seinen Arm. Flehend blickte Max Bond an. „Ver… versprechen sie mir, meinen Ben zu retten? Ich… ich weiß nicht, was ich tue, wenn ihm etwas passiert.“


    Bond schaute Maximilian ruhig und ernst an. „Ich verspreche es, Maximilian. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun um ihn da heraus zu hauen.“


    „Danke“, meinte Max leise. Die Stimme versagte ihm.


    „Und jetzt erzählen sie uns, was sie wissen“, sagte Denise sanft und hielt inne. Sie hatte immer noch Lafayettes Golfermütze in der Hand, die nun ihre Aufmerksamkeit gefesselt hatte. Sie trat einen Schritt zurück.


    Maximilian atmete tief durch. „Ich weiß leider auch nur sehr wenig“, seufzte er. „Ich weiß nicht wer der Master ist. Es ging alles über meinen Vater. Er kannte den Master und auch Francois und René, der Portier, waren ihm wohl direkt unterstellt. Allerdings weiß ich wo sich der Master jetzt aufhält. Lorn Island. Das ist eine kleine Insel im Firth of Lorn an der Westküste Schottlands. Von Loch Ness aus über eine Wasserstraße gut zu erreichen. Er hat dort Vertreter des organisierten Verbrechens und mehrere Terroristenführer um sich geschart. Wie sie wohl schon vermutet hatten ging das über diese speziellen Ausflugsfahrten. Ich kann ihnen die Insel auf der Karte zeigen.“


    Max stand auf und ging zu der Schottlandkarte, die an der Wand hing. Bond folgte ihm. „Hier. Das ist Lorn Island.“ Er deutete auf eine Stelle der Karte und Bond nickte. „Ihr Kollege Dermot musste sterben, da er ein Treffen der zwei verschiedenen Ausflugsboote beobachtet hatte. Mein Vater hat ihn umgebracht. Da Dermots Leiche noch nicht wieder aufgetaucht ist, wird sie wohl irgendwo im schlammigen Grund des Sees liegen oder wer weiß wohin abgetrieben sein.“ Max schaute zu Denise. „Was haben sie denn da?“


    Denise hatte ein durchweichtes Stück Papier in der Hand. „Das war im Futter versteckt. Es steht etwas darauf. Scheint ein Hinweis vom General zu sein.“ Sie reichte Bond den Zettel. Dieser legte ihn auf den Schreibtisch und strich ihn vorsichtig glatt. Drei neugierige Augenpaare blickten nun auf die ungelenk dahin gekritzelten Buchstaben, die schon leicht verschwommen, aber immer noch gut zu entziffern waren:


    R E V E R E N D



    „Reverend?“ Verwirrt schaute Denise Bond an. „Was oder wen kann er damit meinen?“


    Bonds Gesicht war ernst. Er lachte kalt auf. „Reverend Stansfield war mein Kontaktmann in Las Vegas, als ich Gus Hartmann aufgesucht habe. Er ist es, der mit den Unterlagen über Vera verschwunden ist. Ich wusste doch gleich, dass hinter seinem Verschwinden mehr steckt. Was genau wird mir allerdings jetzt erst klar.“


    Denise nickte betroffen. Max schwieg. Er konnte sowieso nur an Ben denken und hoffen, ihn gesund wieder zu sehen.


    Die Schweigeminute wurde allerdings von dem Eintreffen Qs unterbrochen, der sich – im Gegensatz zu Denise – über nichts mehr wunderte und schon gar nicht über Meisters Leiche. „007?“


    Bond drehte sich zu Q um. „Was gibt es, Q?“


    „Eine Nachricht von M“, antwortete Q. „Sie müssen dringend nach London zurück. Krisensitzung.“

  • 15 – Der Master meldet sich zu Wort


    James Bond war zusammen mit Q und Maximilian Meister nach London aufgebrochen während Denise zurückblieb. Es galt, der Polizei die Leichen zu erklären und die Wogen zu glätten sowie den Unterschlupf der Waffenschieber komplett auszuheben. Ihr Abschied von Bond war kurz, aber herzlich gewesen. Sie hätte den smarten Agenten wirklich gerne noch etwas näher kennen gelernt, doch da dieser nicht nur, für Denise, die schon viel von ihm gehört hatte, unverständlicherweise, emotional abblockte, sondern auch die Pflicht rief, blieb ihr nichts anderes übrig als dieser verpassten Gelegenheit hinterher zu trauern. Wahrscheinlich würde sie den Agenten niemals wieder sehen.


    Moneypenny schaute auf als James Bond am späten Abend zusammen mit Maximilian Meister Ms Vorzimmer betrat. Q war in seine eigene Abteilung gegangen. „James! Du bist mal wieder spät dran. Es sind schon alle da.“ Sie schaute fragend zu Maximilian. „Zum Glück kam ihr Bericht hier schon eine ganze Weile vor ihnen an.“


    „Der Grund für meine Verspätung“, erklärte Bond. „Der Insider im Fall Master, der einige sehr wertvolle Informationen für uns hat. Es hat ein wenig gedauert ihn durch die Sicherheitsschleusen hier zu bekommen.“


    „Ist auf alle Fälle mal etwas Neues“, schmunzelte Moneypenny. „Statt Frauen ab schleppen sie jetzt Männer an.“


    „Ich werde darüber lachen, wenn wir mehr Zeit haben, Penny“, gab Bond zurück. „Aber jetzt erzähl mal: Wer sind denn diese alle?“


    „Oh, die halbe Regierung“, seufzte Moneypenny. „Der Innenminister, der Verteidigungsminister, Admiral Benson und natürlich M und Tanner.“


    Bond pfiff. „Wow. Die Herren sollte man wirklich nicht warten lassen.“


    „Eben“, nickte Moneypenny und schon den Agenten zu Ms Bürotür. „Und während du über die Zukunft des United Kingdom diskutierst werde ich in aller Ruhe mit deiner Begleitung einen Kaffee trinken.“


    Bond grinste. „Penny, da beißt du dir die Zähne dran aus.“


    M saß hinter ihrem Schreibtisch und unterbrach ihr Gespräch mit dem Verteidigungsminister als Bond eintrat. Sie schaute zu ihm hin. „Ah. Na endlich, Bond.“


    „Entschuldigen sie, Madam. Minister, Admiral, Tanner.“ Bond nickte den Anwesenden kurz zu und verschloss die Tür hinter sich. Er schaute sich kurz um. Tanner stand neben M hinter dem Schreibtisch und hielt augenscheinlich Bonds Bericht in den Händen. Die übrigen Herren saßen in einem Halbkreis auf Stühlen vor dem Schreibtisch. Ein Stuhl war noch frei.


    „Setzen sie sich, 007“, wies M ihn an. „Und meinen Glückwunsch zu ihrem Bericht. Dank ihrer Ermittlungen haben wir die Wurzel allen Übels fast schon eher lokalisiert als dass sie uns tatsächlich Ärger macht.“


    Bond schaute seine Chefin fragend an. „Tanner“, meinte M zum Chef des Stabes. Dieser nickte. „Die Regierung erreichte heute Morgen eine DVD mit dem folgenden Inhalt“, erklärte er. Er ließ den Monitor erscheinen und trat zur Seite.


    Zuerst konnte Bond nichts erkennen, dann wurde das Bild langsam schärfer und offenbarte das Antlitz eines Mannes: Stansfield. Bond hob kurz die Augenbrauen. Alle weiteren Reaktionen konnte er zum Glück noch zurückhalten. Stansfield sah ziemlich mitgenommen aus. Seine Kleidung war verschmutzt, an einigen Stellen klebte auch verkrustetes Blut. Er hatte einen Verband am Hinterkopf. Sein Gesicht war grau und eingefallen.


    Stansfield hob an um zu sprechen. Seine Stimme war kraftlos. „Ich befinde mich in der Hand eines Verbrechers, eines Terroristen, eines Anarchisten, der sich selbst der Master nennt.“ Er holte tief Luft. „Wie sie mittlerweile wissen ist dieser Verbrecher der wahre Drahtzieher hinter der Agentur Argus, die als weltweiter Spionagering fungiert und ihm eine Unmenge an Informationen beschafft hat, viele davon sind hochbrisante Geheimdienstunterlagen, die in falschen Händen verheerend sein könnten.“ Er hustete. „Er hat nun folgende Vertreter der Unterwelt, an Terroristen und Revolutionären zu sich eingeladen um diese Informationen meistbietend zu versteigern.“ Er zählte eine lange Reihe an Namen auf. Auch Franco und Tomasek waren natürlich darunter. „Wie sie leicht recherchieren können oder es vielleicht schon recherchiert haben waren all diese Männer und Frauen vor kurzem Gäste in einem Hotel am Loch Ness. Dort wurden sie durch Doubles ersetzt und von dort aus zu dem Stützpunkt des Masters verbracht. Der Master schlägt ihnen nun folgenden Handel vor.“ Stansfield hielt sich kurz den Kopf. Er schien Schmerzen zu haben. „Er bietet ihnen an sowohl die Informationen endgültig zu zerstören als auch die oben genannten Personen zu liquidieren sofern sie ihm jährlich 0,5 % sämtlicher, ich wiederhole, sämtlicher Steuereinnahmen des gesamten Vereinigten Königreiches bezahlen. Der Master lässt ihnen eine Bedenkzeit von 36 Stunden nach Erhalt dieser Nachricht. Sollten sie das Angebot annehmen wollen, so lassen sie die BBC nach diesen 36 Stunden für exakt 1 Minute und 45 Sekunden anstelle des normalen Programms das Wappen des Vereinigten Königreichs senden. Sie werden dann eine weitere Nachricht vom Master erhalten, die Details zur Abwicklung der Transaktion enthalten wird.“ Stansfield schluckte. „Gott stehe uns bei.“


    Das Bild wurde wieder unscharf und die Aufnahme brach schließlich ab. Tanner ließ wieder die Verkleidung vor den Monitor fahren. Bond presste die Luft aus seinen Lungen. „Puh.“


    „Sie sagen es, 007“, nickte M.


    „Ich hoffe sie können ermessen, was das alles für uns bedeutet, Commander Bond“, wendete sich nun der Verteidigungsminister an den Agenten. „Diese Informationen in den Händen dieser Leute. Gar nicht auszudenken. Eine Welle von Anschlägen in nie geahnter Höhe. Das wird tiefe Wunden in die Sicherheitsnetze der gesamten westlichen Welt reißen.“


    Bond nickte. „Und wenn wir bezahlen?“


    Der Verteidigungsminister schüttelte den Kopf. „Ich traue diesem Master keinen Fingerbreit. Wer sagt uns, dass er die Daten tatsächlich alle vernichtet?“


    „In diesem Fall müssen wir uns darauf verlassen, dass dieser Herr ein Gentleman ist“, kam es vom Innenminister, der missmutig sein Gesicht verzog. „Aber selbst wenn wir seinem Wort trauen, so wäre seine Forderung ein harter Schlag gegen die Wirtschaft des Landes. Sie ahnen gar nicht was für große Zahlen und was für ein gewaltiges Defizit diese so bescheiden klingende Forderung eigentlich bedeuten. Wir können nicht einfach die Steuern erhöhen und so alles auf dem Rücken des Volkes abladen.“ Der Innenminister seufzte und schob seine Finger über seine Nase und unter seine Brille.


    „Nun“, warf Admiral Benson ein. „Aber wer weiß wie viele Menschenleben es kosten wird, wenn wir nicht bezahlen. Das sollten sie bedenken, meine Herren. Das Leben ist ein höheres Gut als Geld.“


    „Sicher, sicher“, kam es vom Innenminister, der mit seinen Nerven ziemlich am Ende war. „Noch haben wir 21 Stunden Zeit um eine endgültige Entscheidung zu treffen. Aber Admiral Benson hat Recht. Wir müssen im Sinne der Menschlichkeit entscheiden. Notfalls müssen wir uns an befreundete Staaten wenden. Ein Kurseinbruch des Pfundes würde schließlich nicht nur uns allein treffen.“


    „Wie auch immer“, brummte der Verteidigungsminister und schaute zu M. „Sie müssen diesen gefährlichen Irren in jedem Falle aufhalten. Zum Glück wissen wir ja jetzt wo er seinen Stützpunkt hat. Von mir aus schicken sie die ganze Flotte hin und machen diesen Ort dem Erdboden gleich.“


    Nun schaltete sich Bond wieder ein. „Das wäre aber nicht sehr klug, Sir. Wir brauchen die Garantie, dass die Daten wirklich nur dort sind. Sollte der Master bei einer Vertrauensperson irgendwo auf der Welt noch Sicherungskopien haben, so wird er auch noch posthum die Endzeit einläuten können.“


    Der Innenminister nickte. „Sie haben natürlich Recht, Commander Bond.“


    Der Verteidigungsminister schaute zu M. „Gehen sie vor, wie sie es für richtig halten, M. Sie haben vollste Unterstützung.“ Er stand auf. „Und nun entschuldigen sie uns bitte. Der Premierminister erwartet uns.“


    Der Innenminister stand ebenfalls auf. Sie verabschiedeten sich kurz von den Anwesenden und verließen das Büro.


    Als die beiden gegangen waren konnte Bond nicht anders als leise aufzulachen. Verwundert schaute in der Admiral an. „Commander Bond?“


    Auch von Tanner kam ein irritierter Blick. „Sind sie verrückt geworden, 007?“ fuhr M ihn an. „Die Lage ist ernst.“


    „Nein“, lächelte Bond. „Mit mir ist alles in Ordnung. Mir ist nur gerade die köstliche Ironie daran aufgefallen.“ Tanner und Benson sahen sich verständnislos an, M hob abwartend die Augenbrauen. „Es ist doch so, Madam“, erklärte sich der Agent. „Es hat sich durch diese Erpressernachricht doch praktisch gar nichts geändert, außer, dass jetzt ein paar hohe Herren und Damen mehr Kopfschmerzen haben. Das nächste Ziel wäre doch so oder so Lorn Island gewesen. Egal ob wegen der Erpressung oder dort versammelten Gangster. Es hängt noch nicht einmal mehr davon ab, nur, dass es jetzt noch die Möglichkeit gibt uns bei einem Fehlschlag noch freizukaufen.“


    „Nun“, M atmete durch, „sie haben tatsächlich Recht“, musste sie zugeben. „Ich hätte sie natürlich schon alleine wegen ihres Berichtes nach Lorn Island geschickt um den Master aufzuhalten. Interessant fand ich ja die Stelle mit dem Hinweis auf den Reverend.“


    „Mir ging es genauso“, nickte Bond. „Und es passt zum Master. Sie haben sich sicher über Stansfield erkundigt, oder?“


    „Die Nachfrage bei der NSA ergab nichts, was irgendwie auffällig wäre“, kam es nun von Tanner.


    „Etwas anderes hätte mich auch überrascht“, gab Bond zu. „Der Master wartet ja immer gerne mit Inszenierungen auf.“


    „So ist es“, nickte M. „Und sie werden jetzt nach Lorn Island gehen, um den Master aufzuhalten. Sorgen sie dafür, dass sämtliche Daten vernichtet werden und setzen sie dem Treiben des Masters ein Ende. Sie haben dabei die Unterstützung der Flotte.“


    M schaute zu Admiral Benson. Dieser fuhr fort. „Sie werden Captain Hedges unterstellt sein, Commander Bond. Wir werden sie mit einem U-Boot nach Lorn Island bringen, so dass wir den Stützpunkt zur Not auch angreifen können. Allerdings werden sie auf Lorn Island ganz auf sich selbst gestellt sein, Commander.“


    Bond nickte. Das hatte er sowieso schon vermutet. „Sie haben Mr. Meister mitgebracht?“ fragte M ihn nun. Wieder nickte Bond. M drückte einen Knopf der Sprechanlage. „Moneypenny? Schicken sie bitte Mr. Meister herein.“ Sie lehnte sich wieder zurück.


    Einen Augenblick später trat Maximilian ein. Etwas unsicher nickte er den Anwesenden zu. „Setzen sie sich ruhig“, meinte M freundlich. Meister nahm Platz. „Laut Bericht haben sie den Master noch nie gesehen, aber sie waren schon einmal auf Lorn Island.“


    Meister nickte. „Ja, das war ich.“ Nervös spielte er mit seinen Fingern. „Der Master residiert in einer großen alten Burg auf einer Klippe. Allerdings sollte man sich nicht vom Äußeren täuschen lassen. Das Innere ist hochmodern ausgestattet. Ich… ich glaube kaum, dass sie dort eindringen können ohne dass der Master es merkt. Er hat eine große Wachmannschaft dort. Jeder ungebetene Eindringling wird sofort erschossen.“


    „Denken sie bitte nach, Mr. Meister“, meinte M ernst. „Irgendeine Möglichkeit muss es geben.“


    „Nun…“ Maximilian kratzte sich am Kopf. „Das Beste wäre wohl es über die Klippen zu versuchen. Wegen der häufigen Sturmfluten hat er kaum Möglichkeiten sie effizient zu überwachen.“


    „Dann sollten wir für eine ruhige See beten“, seufzte Tanner.


    „Wann geht es los?“ fragte Bond und schaute M an.


    „Sobald sie ausgerüstet sind“, antwortete diese. „Also so schnell als möglich. Das Beste für uns wäre den Master zu erledigen noch bevor sein Ultimatum abläuft.“


    „Captain Hedges kreuzt vor Islay“, erklärte Benson. „Wir werden sie nach Port Ellen fliegen, wo er sie dann an Bord nimmt, Commander.“


    „Gott stehe uns bei“, wiederholte Tanner die Worte von Stansfield.

  • 16 – Lorn Island


    Ein junger Lieutenant hatte den britischen Geheimagenten James Bond, der ebenfalls in Marineuniform war und das Abzeichen eines Commanders trug, vom Flugplatz abgeholt. Eilig schritten sie über den Kai von Port Ellen und über die Planke zum U-Boot. Sie stiegen hinein und der junge Offizier brachte den Agenten zur Kabine des Captains. „Captain Hedges? Commander Bond, Sir.“


    Hedges war ein sportlicher Mann mittleren Alters mit scharf geschnittenen Gesichtszügen. „Ah. Willkommen an Bord, Commander Bond. Fast schon eine Ehre sie hier zu haben.“ Er schaute zu dem Lieutenant. „Wir werden sofort losfahren. Die Zeit ist ohnehin schon knapp genug.“


    Der Lieutenant nickte und entfernte sich. „Setzen sie sich, Commander Bond. Kaffee?“ bot Hedges an.


    „Nein danke, Captain“, lehnte Bond höflich ab. „Ein schönes, modernes Boot haben sie da“, musste er anerkennen. „Das letzte U-Boot auf dem ich war, war ein russisches, das von einem Terroristen in Istanbul gekapert worden war.“


    „Ah ja. Die Sache mit Renard. Ich habe davon gehört. Aber ich bin auch stolz auf mein kleines Schiffchen. Eines der schnellsten der Flotte.“ Hedges räusperte sich kurz. „Ich verstehe allerdings noch nicht, warum sie sich alleine in die Höhle des Löwen begeben wollen. Wie ist ihr Plan?“


    „Lassen sie mich ehrlich sein, Captain“, meinte Bond ernst. „Ich habe keinen.“


    Hedges runzelte ungläubig die Stirn. „Aber…“


    Bond musste lächeln. „Keine Sorge, Captain. Lassen sie mich erstmal ausreden. Die Hauptsache ist erst einmal, dass ich an den Master herankomme. Ich weiß, dass es auf eine Konfrontation hinauslaufen wird. Ich werde mich auf seinem Terrain nicht ewig vor ihm verstecken können.“


    „Warum suchen sie ihn dann nicht offiziell als Unterhändler auf?“


    „Ich will in jedem Fall erstmal das Terrain sondieren. Vielleicht schaffe ich es ja auch eher später aufzufallen als früher. Es wird wohl auf ein Psychoduell hinauslaufen. Der Master ist ein Genie und nicht allein durch bloße Kraft zu beeindrucken.“


    Hedges nickte langsam und nahm einen Schluck von seinem Kaffee. „Und deshalb bleibe ich erstmal in Wartestellung.“


    „Genau, wir werden allerdings in ständigem Kontakt bleiben. Ich bin mit einem unauffälligen Sender ausgestattet. Vor allen Dingen geht es mir darum zuerst ein paar Leute aus der Gefahrenzone zu bringen.“


    „Ein paar Leute? Soweit ich weiß hat er doch nur eine Geisel dort, den Mann, der die Forderung vorgetragen hat.“


    Bond nickte. „Die anderen sind auch nicht direkt Geiseln. Ich habe jemanden versprochen Bankier Schwarzenberg da heraus zu holen. Und die andere Person ist einer der Gäste des Masters und ein persönlicher Bekannter von mir. Er gehört zwar zur Union Corse, aber er könnte der einzige Verbündete sein, den ich auf Lorn Island bekommen kann.“


    „Nun, dann viel Glück, Commander. Wir werden sofort kommen sobald sie rufen. Ansonsten ist schon alles vorbereitet für ihre Mission. Der Unterwasserschlitten steht bereit.“


    „Sehr gut, Captain“, nickte Bond und lächelte leicht. „Ich glaube ich nehme jetzt doch noch einen Kaffee bevor wir unsere Zielposition erreichen.“


    „Na also“, schmunzelte Hedges und goss Bond ein.


    James Bond verließ das U-Boot über einen Torpedoschacht. Er hatte einen schwarzen Taucheranzug an und einen kleinen, aber dank der Abteilung Q sehr leistungsfähigen Unterwasserschlitten in den Händen. Er hoffte, dass das U-Boot weit genug entfernt von Lorn Island Position bezogen hatte um nicht aufzufallen. Man hatte ihm außerdem versichert, dass sein Schlitten zu klein für etwaiges Radar sein würde. Nun, Bond blieb nichts anderes übrig als sich darauf zu verlassen.
    Er konnte nicht umhin sich nach einiger Zeit des Schwimmens zu wünschen, dass es die Waffenschieber nie gegeben und er deshalb noch sein Motorboot zur Verfügung hätte. Wer auch immer gesagt hatte, dass der Weg das Ziel sei, er war mit Sicherheit nicht vom Geheimdienst gewesen. Hier, heute, in dieser Situation zählte nur das Ziel. Das Ankommen, möglichst unbeschadet. Bond rechnete allerdings nicht mit Komplikationen. Jedenfalls noch nicht. Der Master wusste nicht, dass man über Lorn Island Bescheid wusste und warum sollte er seine Leute Patrouille tauchen lassen?
    Als Bond schließlich die Klippen erreicht hatte und auftauchte pfiff ihm ein kalter, schneidender Wind um die Nase. Er schaute sich um. Feindselig ragten die spitzen Felsen empor. Ganz oben konnte er schemenhaft die düstere Burg erkennen. Bond hatte noch keine Ahnung wie er dort würde eindringen können. Aber hier hieß es Schritt für Schritt vorgehen. Der Agent hielt auf ein schwarzes Loch zu, eine kleine Höhle in der Klippenwand. Als er sandigen Boden unter den Füßen spürte, richtete er sich auf. Er legte den Unterwasserschlitten beiseite und nahm den kleinen Scheinwerfer in die Hand. Damit leuchtete Bond das Innere der Höhle ab. Sie war etwa zweieinhalb Meter hoch und ging nicht sehr weit in den Felsen rein. Bond konnte nichts Besonderes entdecken. Einzig über ihm war eine stählerne Luke, die aber als geheimer Einstieg ausfiel, da sie zu hoch und mit Sicherheit verschlossen war.


    Ein düsteres Grollen ließ Bond auffahren als er gerade sein Tauchgerät und die Sauerstoffflaschen am hinteren Ende der Höhle verstaute. Salzige Seeluft blies ihm ins Gesicht und kleine Wellen schlugen gegen den felsigen Boden. Das Wasser spritzte auf. Bond sah die dunklen Wolken am Himmel. Er würde sich beeilen müssen sonst konnte er den Weg über die Klippen vergessen!


    Rasch verließ der Agent die Höhle. Das aufkommende Unwetter war sein Risiko und seine Chance zugleich. Niemand würde jetzt damit rechnen, dass er es von dieser Seite aus versuchen, geschweige denn schaffen würde. Die ersten Meter konnte Bond ohne große Probleme erklimmen und ließ sich auch durch nichts ablenken. Doch als er auf einer kleinen Anhöhe inne hielt und nicht nur den immer stärker werdenden Wind spürte, sondern auch wieder auf das Meer hinausblickte sah er, dass die Wellen die Anhöhe schon fast erreicht hatte. Immer mehr wurde das Wasser aufgepeitscht und die Schaumkronen auf den Wellen ließen ihn erschauern. Auf höchst morbide Weise ähnelten sie dem Schaum, den der vergiftete Portier vor dem Mund gehabt hatte. Oder war das alles Einbildung? Wie auch immer, die Zeit drängte!
    Bond schaute hinauf. Er hatte noch nicht einmal die Hälfte geschafft. Er zog eine kleine Pistole aus seinem Gürtel und visierte einen kleinen Felsvorsprung am Klippenrand an. Mit surrendem Geräusch schoss ein kleines, aber sehr festes Seil aus dem Lauf. Ein Stahlhaken bohrte sich in den Felsen. Hoffentlich hielt er.
    Bond spürte den kalten Griff des Meeres, gerade als er nach dem Seil greifen wollte um die Festigkeit zu überprüfen. Die Wucht der sturmgepeitschten Welle riss ihn von den Füßen und von der Anhöhe hinunter. Prustend versuchte Bond an der Oberfläche zu bleiben und festen Halt am Gestein zu finden. Mehrfach rutschte er ab. Der Agent kämpfte gegen die Wellen an, versuchte, nicht abgetrieben zu werden. Die Wucht traf ihn wie ein Donnerschlag! Eine Welle riss ihn mit und warf ihn gegen die Felsen, gerade als er das Seil wieder zu fassen bekam. Er durfte jetzt nicht an den Schmerz denken, musste darauf vertrauen, dass das Seil hielt. Langsam zog er sich an dem Tau hoch, fand wieder halt mit seinen Füßen. Bei jeder hohen Welle hielt er inne, sich fest und dagegen. Ein weiterer Absturz und er würde wohl das Opfer der unbarmherzigen Naturgewalten werden!


    Das Salzwasser nagte unablässig an Bond, dem es schien als käme er nur wenige Zentimeter vorwärts. Ein paar Mal rutschte er ab, konnte sich aber immer wieder am Seil fangen. Nach einer halben Ewigkeit ließ er das Treiben der Wellen jedoch hinter sich und spürte nur noch den eisigen Wind. Die Kälte schnitt ihm die Luft ab, als er kurz inne hielt um durchzuatmen und weitere Kraftreserven locker zu machen. Trotzdem war das letzte Stück jetzt ein Kinderspiel, denn die stürmische See schien nicht noch höher zu kommen. Das Gestein war trocken und bot viel besseren Halt, so dass Bond nicht mehr lange brauchte und seinen Körper endlich über den Rand der Klippe wuchtete.
    Rasch sah er um und glitt dann geschmeidig zur Mauer der Burg, wo er sich in den Schatten presste. Nach Maximilians Beschreibung musste es an der Ostseite der Burg eine kleine Tür geben. Bond schlich am Wehrgang entlang und um den Turm. Bis jetzt hatte ihn niemand entdeckt. Er blieb stehen und schaute um die Ecke. Doch auf der anderen Seite war nicht nur die Tür, sondern auch zwei Wachtposten, die es zuvor auszuschalten galt.
    Bond griff wieder an seinen Gürtel und holte eine kleine Kugel hervor. Er ging in die Hocke, entsicherte die Granate und rollte sie zu den beiden Männern, die direkt vor der Tür standen. Sie schienen gerade miteinander zu sprechen. Der Wind trieb einige unverständliche Wortfetzen zu Bond hinüber. Sie hatten beide dunkle Regencapes an und bemerkten die Granate erst, als es zu spät war und das Betäubungsgas ihnen den Atem nahm.


    Bond durchsuchte ihre Sachen, nahm ein Schlüsselbund an sich und zog sich eines der Regencapes über. Dann betrat er die Burg. Es war alles wie Maximilian es beschrieben hatte: Von außen verwittert und innen hochmodern. Elektrisches Licht erhellte den Gang, die Wände waren weiß verkleidet. Bond schaute sich um und konnte sogar Lautsprecher ausmachen. Von Kameras war allerdings nichts zu sehen. Entweder der Master hatte in diesem Bereich keine befestigt oder sie waren zu gut versteckt. Behutsam und voller Aufmerksamkeit machte der Agent ein paar Schritte. In einem Raum hörte er Stimmen, die Tür war offen. Bond lauschte noch einmal, schien aber sicher zu sein und riskierte einen Blick. Er konnte gerade noch die Gestalten einiger Terroristenführer und Wachleute ausmachen, die sich in einer Art Versammlungsraum befanden, als er einen dumpfen Schmerz spürte und ihm schwarz vor Augen wurde.


    „Tz, du machst vielleicht Sachen, mein Junge.“


    Mühsam schlug Bond die Augen auf. Er war in einem rustikal ausgestatteten Gästezimmer, saß, vielmehr hing in einem harten Stuhl und blickte in das vertraute Gesicht Francos. Bond runzelte die Stirn. „Warum?“


    „Warum denn nicht? Wenn ich einen alten Bekannten treffe, dann begrüße ich ihn eben auch.“ Franco stand vor Bond, gegen einen Tisch gelehnt und war die Ruhe selbst.


    „Tolle Begrüßung. Wirklich.“ Bond ertastete vorsichtig die Beule auf seinem Hinterkopf.


    „Besser als von einem Wachmann erschossen, oder?“ gab Franco locker zurück und schaute Bond dann ernst an. „Was veranstaltest du hier eigentlich für einen Wahnsinn? James Bond gegen den Rest der Welt? Du sitzt hier in der Falle, mein Junge.“


    „Und damit bin ich in sehr guter Gesellschaft“, meinte Bond. Franco stutzte. „Du sitzt ebenfalls in der Falle, Franco.“


    Franco verzog mürrisch das Gesicht. „Was soll das? Was willst du damit erreichen?“


    „Dein Leben retten, Franco. Es geht hier um mehr als nur um eine Auktion von Informationen. Die britische Regierung braucht nur ein nettes Sümmchen zu bezahlen und der Master macht euch alle kalt.“


    „Pah. Deine Geschichten waren auch schon mal besser, mein Junge. Das würde der Master sich nicht wagen. Er hätte danach mindestens die halbe Unterwelt am Hals.“


    Bond schaute Franco genau an. „Eben“, meinte er bestimmt.


    Franco hielt nachdenklich inne. Doch dann schüttelte er den Kopf und griff zu dem Revolver hinter sich. Diesen richtete er auf Bond. „Du sagst es: Eben. Also steh auf. Ich werde dich jetzt zu ihm bringen. Vielleicht fällt er ja auf dein dummes Geschwätz herein.“


    Bond stand auf und sah Franco immer noch an. „Ich wusste gar nicht, dass du so dumm bist, Franco. Dass du meine Warnung im Hotel in den Wind geschlagen hast, das verstehe ich ja noch. Aber einen guten Ratschlag? Auf so etwas sollte man immer hören, Franco. Mir hat mal jemand gesagt: Immer einen Fluchtweg offen halten.“


    „Schnauze“, knurrte Franco und stieß Bond den Revolver in die Rippen. Er scheuchte den Agenten vor sich her durch die Gänge der Burg bis zu einer Flügeltür. „Der Master ist dort drin. Viel Spaß.“ Franco öffnete die Tür, stieß Bond hindurch und schloss die Tür wieder.


    Der Agent schaute sich um, doch viel gab es nicht zu sehen. Der Raum war nur spärlich beleuchtet und schien eine Art Büro zu sein, Hartmanns in Las Vegas sehr ähnlich. Hinter dem Schreibtisch saß ein Mann mit Schnurrbart und Priesterkragen. „Herzlich willkommen, Mr. Bond. Oder sollte ich sagen Daniel in der Löwengrube? Ich habe sie erwartet, allerdings noch nicht so schnell.“


    „Tja“, meinte Bond unbeeindruckt. „Nun bin ich trotzdem schon da, Reverend Stansfield. Oder sollte ich lieber sagen General Etienne Lafayette?“


    Der Mann hinter dem Schreibtisch stand auf, machte ein paar Schritte auf Bond zu und trat ins Licht. Bond konnte noch sehen wie der General lächelnd seine Maske abzog, dann verlor er den Boden unter den Füßen.

  • 17 – Endzeit


    Hart kam der britische Geheimagent James Bond auf einem Strohlager auf. Der Schacht, aus dem er gekommen war, verschloss sich wieder. Bond fasste sich an den schmerzenden Rücken und schaute sich um. Er war in einer Kerkerzelle gelandet, die sehr spartanisch ausgestattet war. Es gab lediglich das Strohlager und einen kleinen Tisch. An der Decke hing eine einfache Glühbirne. An zwei Seiten waren Steinwände, an den anderen Seiten Gitterstäbe. Er konnte einen kleinen Wachraum sehen und neben sich eine weitere Zelle. Ein Mann lag dort auf dem Strohlager und schien zu schlafen. Durch ein kleines vergittertes Fenster – das wohl eher als Loch zu bezeichnen war – kam etwas frische Luft herein. Bond stand langsam auf und ging zu den Gittern der Nebenzelle. „Stansfield?“ rief er und das menschliche Bündel bewegte sich etwas. „Stansfield!“ rief der Agent nun ein wenig lauter.


    Langsam wurde Stansfield wach, richtete sich mühsam auf und schaute zu der rufenden Stimme. Stansfield sah immer noch genauso schlecht aus wie auf der DVD. „Mr. Bond?“ erkannte er den anderen Mann.


    „Genau der“, erwiderte Bond. „Wie geht es ihnen? Sind sie in Ordnung?“


    Stansfield nickte langsam. „Den Umständen entsprechend. Wie es einem halt so geht als Gefangener des Teufels und dieser Mann ist ganz sicher ein Teufel.“


    „Das ist er“, stimmte auch Bond zu. „Doch so lange wir leben ist noch nichts verloren, Stansfield.“


    „Was können wir schon tun?“


    „Im Moment nichts“, gab der Agent zu. „Doch der Hochmut des Generals wird unsere Chance sein. Der größte Fehler eines Genies ist es, sich auch wirklich für eines zu halten. Wir leben beide noch, nur weil Lafayette lieber manipuliert als plump tötet.“


    Stansfield seufzte. „Sie haben Recht, Mr. Bond. Er hätte mich ebenso gut töten können, doch er fand es wohl reizvoll mich als Medium für die Erpressernachricht zu benutzen.“


    „Und als Verdächtigen“, ergänzte Bond und berichtete auf Stansfield fragenden Blick hin über seine Recherchen im Hotel, in dem Schwarzenberg abgestiegen war. Als er geendet hatte nickte Stansfield schließlich. „Da ist es nur zu verständlich, dass er mich aus dem Weg haben wollte.“


    „Sie wussten zuviel, nicht wahr?“ fragte Bond.


    Stansfield strich sich durch das Haar. „Ja. Vera. Dass sie Hartmanns Frau war wissen sie mittlerweile, oder?“ Bond nickte und der Reverend fuhr fort. „Ich habe Hartmann und Vera getraut. Vera ist eine geborene Französin. Veronique Latour. Verwitwete Veronique Lafayette. Mit dem Wissen im Hintergrund hätten sie den General natürlich sofort verdächtigt.“


    „Ja“, nickte Bond. „Doch er hat auch so genug Fehler gemacht um ihm auf die Schliche zu kommen. Leider hat er sich rechtzeitig abgesetzt.“ Er seufzte. Betretenes Schweigen machte sich breit. Die Zeit verrann langsam, quälend langsam und doch viel zu schnell. Bals war es soweit und das Ultimatum würde ablaufen und die Regierung würde bezahlen, dessen war Bond sich sicher und genau das war auch seine Chance.


    Es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein als sich endlich die Tür des Wachraumes öffnete und Vera eintrat. „Schön, dich wieder zu sehen, James“, lächelte sie.


    Bond konnte diesen freundlichen Gruß nicht erwidern. „Tu nicht so, Vera. Du bist eine eiskalte Schlange. Das habe ich schon bei unserem ersten Treffen gesehen.“


    „Niemals Zweifel daran gehabt?“ Bond zögerte, was Vera befriedigt lächeln ließ. „Ich weiß, dass ich gut bin.“ Sie holte einen Schlüsselbund hervor und schloss die Zellentür auf. „Mein Schwiegervater will dich sehen.“


    Bond leistete der Bitte – wenngleich ohne Waffe vorgetragen – Folge und trat langsam hinaus. Stansfield schüttelte den Kopf. „Warum überwältigen sie sie nicht einfach, Bond?“ fragte er unwirsch. Die ganze Situation hatte ziemlich an seinen Nerven gezerrt.


    Der Agent schaute ihn an. „Und dann, Stansfield? Der General würde sie lieber opfern als seinen Plan aufzugeben.“


    Vera lächelte kalt. „Sie sagen es, Mr. Bond. Also bleiben sie besser weiterhin schön brav. Stellen sie sich an die Wand, Rücken zu mir.“


    Bond leistete auch jetzt Folge. Vera durchsuchte ihn, nahm ihm die Armbanduhr und den Schlüsselbund der überwältigten Wächter ab. Stansfield machte große Augen. „Sie hatten Schlüssel?“ fragte er ungläubig.


    „Hatte ich“, antwortete der Agent. „Aber was hätte es mir gebracht? Wir wären bei einem Fluchtversuch nicht weit gekommen.“


    „Wie vernünftig wir doch sind, James“, lächelte Vera freudlos und tastete Bond weiter ab. „Wenn nicht gerade dies hier ins Spiel kommt, was?“ Bond zog scharf die Luft ein, als Vera fordernd über seinen Schritt strich. Dann ließ sie von ihm ab. „Und jetzt los. Der Master wartet nicht gerne.“


    Vera führte den Agenten in das schon bekannte Büro. Allerdings schien der General mittlerweile die Stromrechnung bezahlt zu haben, denn es war nun weitaus heller darin als noch eben. Lafayette saß hinter dem Schreibtisch, hatte seine Pfeife im Mund und wirkte wie immer wie ein netter älterer Herr. Schwarzenberg stand gerade von einem Stuhl vor dem Schreibtisch auf und steckte ein paar Dokumente in seine Aktentasche. Er hielt kurz inne als er Bond sah. Neben der Flügeltür war auf jeder Seite jeweils eine Wache mit Maschinengewehr. „So, Mr. Bond. Jetzt habe ich endlich Zeit für sie. Setzen sie sich doch“, bat Lafayette.


    Schwarzenberg ging zur Seite und Bond setzte sich auf den Stuhl. Der Bankier war nervös, wie Bond feststellte. Dieser Mann war genau wie Maximilian oder Hartmann nicht wirklich ein Verbrecher. Der Agent wünschte, dass er ihm einen Hinweis geben könnte, dass er um seine Sicherheit bemüht war und dass es Maximilian gut ging. Doch es war nicht möglich.


    „Da sie so schnell hier aufgetaucht sind, muss ich wohl annehmen, dass Maximilian geredet hat“, fuhr Lafayette fort. War das jetzt Schwarzenbergs Todesurteil? „Vera…“ Bond schluckte. „Benjamin. Lasst uns allein.“ Ein leicht fragender Ausdruck machte sich auf Bonds Gesicht breit und der General lächelte. Er erklärte sich allerdings erst als die beiden den Raum verlassen hatten und sie mit den Wachen allein waren. „Keine Sorge, Mr. Bond. Benjamin wird nichts passieren. Ich brauche ihn für die Transaktion. Außerdem wäre es sinnlos ihn jetzt zu töten. Es würde Maximilians Geständnis nicht rückgängig machen. Die Hauptsache war, dass er Angst hatte, dass ich es tun würde. Aber augenscheinlich waren ihre Argumente besser.“


    „Augenscheinlich“, nickte Bond gelangweilt. „Aber es ändert ja nichts, oder?“


    Lafayette schüttelte den Kopf und zog an der Pfeife. „Nein. Das tut es nicht. Ob sie hier sind oder nicht spielt keine Rolle. Sie haben keine Chance mich aufzuhalten. Niemand hat das. Aber verraten sie mir eines: Wie sind sie darauf gekommen, dass ich der Master bin?“


    Bond lächelte, lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. „Sagen wir so: Es kam eines zum anderen. Ihr größter Fehler war das Attentat auf Q. Sie waren der Einzige außer mir, der gewusst hat, dass Q die Boote überwachen würde. Zumal das Hotel frei von Abhöranlagen war. Dann noch ihre Reaktion darauf, dass ich zuerst den Master für den Urheber des Seemonsters hielt. Dieses wissende Lächeln“, führte Bond aus. Er war locker und ganz ruhig. „Dann natürlich Wilhelm Meister, der als einziger im Hotel um die Identität des Masters wusste und ihnen ohne zu zögern die Erlaubnis gab ebenfalls diese spezielle Ausflugstour zu machen.“ Lafayette lächelte anerkennend und zeigte Bond mit einem Nicken, dass er fortfahren sollte. „Dann haben wir natürlich noch die Killer, der Etagenkellner und der Portier, die beides Franzosen und ihnen wohl direkt unterstellt waren. Hinzu kommt Stansfield unauffällige Vergangenheit und schlussendlich glaube ich nur an den Tod einer Person, wenn ich auch wirklich eine Leiche sehe.“


    „Meine Hochachtung, Mr. Bond“, meinte Lafayette anerkennend. „Sie sind ein würdiger Gegner. Aber sie sagten eben schon: Es ändert ja nichts. Ich spiele immer nur so, dass ich niemals verlieren kann.“


    „Es scheint so“, meinte Bond vorsichtig. „Aber es gibt da eines, dass ich noch nicht weiß: Warum?“


    „Die Frage habe ich erwartet, Mr. Bond“, gab Lafayette zu. „Erwartet und erhofft. Ich will es ihnen erklären. Vielleicht verstehen sie mich sogar.“


    „Nun, sie können es zumindest mal versuchen.“


    Der General ging nicht auf die Spitze von Bond ein. „Mein Sohn, Mr. Bond. Er war, wie sie wissen beim französischen Geheimdienst und kam ums Leben. Es war Fahrlässigkeit. Mein Sohn starb aufgrund eines augenscheinlichen Fehlers bei einer unsinnigen Aufklärungsaktion. Die Welt, Mr. Bond, ist schlecht. Die Machthaber sind korrupt, inkompetent und handlungsunfähig. Zu feige für wirklich nützliche Maßnahmen. Ich habe es gesehen. Lange genug ertragen. Ich war Berater der französischen Regierung. Meine Ideen waren radikal, aber versprachen Erfolg. Mein Genie wurde nicht erkannt, Mr. Bond. Und diejenigen, die es erkannten mussten sich dem Druck der Öffentlichkeit beugen. Das Leben kann so nicht weitergehen.“


    „Nun. Das ist bedauerlich und mag vielleicht sogar stimmen“, gab Bond zu. „Aber das ist kein Grund hier jetzt den Irren zu spielen.“


    Lafayette lächelte müde. „Sie können mich nicht provozieren, Mr. Bond, und es ist mitnichten irre, was ich hier mache. Man hat mich das Feuer nicht mit Wasser bekämpfen lassen also bekämpfe ich es mit Feuer. Die Welt muss sich ändern und ich werde dafür sorgen, dass dies geschieht.“


    „Tz“, kam es verächtlich von Bond. „Ich kann ja noch diejenigen verstehen, die unter Einsatz ihres Lebens für die Weltrevolution kämpfen. Sogar den Islamisten gestehe ich ihre religiöse Überzeugung zu, aber sie sind kein Weltveränderer, Lafayette. Sie sind ein größenwahnsinniger Terrorist!“


    „Aber Mr. Bond.“ Lafayette kicherte. „Nur die Ruhe. Außerdem haben sie den springenden Punkt doch sicher schon erkannt. Die Welt muss untergehen um sich neu zu erheben. Wie Phönix aus der Asche wird eine neue starke Gesellschaft wachsen unter der Führung von Männern wie mir. Und selbst wenn die Welt es nicht mehr schaffen sollte sich zu erheben, dann war ihre Zeit sowieso gekommen und ich werde auch dann stolz auf mein Werk herabblicken.“


    „Und das nennen sie nicht irre, Lafayette?“


    „Nein, Mr. Bond. Das nenne ich nicht irre. Das nenne ich unausweichlich. Das ist die so genannte Endzeit und die habe, weiß Gott, nicht ich erfunden.“ Lafayette schaute auf die Uhr und schaltete dann den Fernseher auf seinem Schreibtisch ein.


    „Sie sind arm dran, General“, bemerkte Bond ruhig. „Die Welt, das Leben hat auch jetzt noch so viel Schönes zu bieten. Warum hat sich nur das Schlechte in ihr Gehirn eingebrannt? Warum haben sie nur noch Augen für Katastrophen? Warum spricht nur noch Verbitterung aus ihren Augen selbst wenn sie lächeln?“


    Lafayette machte eine abweisende Bewegung mit der Hand und ging nicht weiter darauf ein. „Sparen sie sich die Mühe, Mr. Bond. Schauen sie lieber wie das United Kingdom gleich seinen Ruin unterzeichnet.“ Er drehte den Bildschirm so, dass auch Bond dem Fernsehprogramm folgen konnte. „Egal ob ich die Sicherheit oder die Wirtschaft treffe, über kurz oder lang wird alles zum Zusammenbruch führen. Vielleicht überraschen mich die Briten sogar und zeigen sich lernfähig. Die Insel könnte zum Vorreiter werden. Zurück zu den Wurzeln eines wirklich menschlichen Zusammenlebens.“


    „Und dann General? Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass das reicht, oder?“


    Lafayette schüttelte den Kopf, klopfte seine Pfeife aus und lächelte den Agenten an. „Natürlich reicht das nicht, Mr. Bond. Aber es ist ein Anfang. Dank meinem Einfluss auf Wilhelm Meister und dem meiner Schwiegertochter, der der Tod meines Sohnes auch schwer getroffen hat, auf den verliebten Trottel Hartmann war das derjenige meiner Pläne, der sich am Einfachsten in die Tat umsetzen ließ. Und er bringt mir gerade das nötige Geld für die weiteren Pläne. Schauen sie.“ Der General blickte auf den Bildschirm. Bond folgte seinem Beispiel. Das Wappen wurde eingeblendet so wie Lafayette es als der Master gefordert hatte. England war bereit zu bezahlen.


    Bond griff sich an die Schnalle seines Gürtels und atmete tief durch. Lafayette schmunzelte. „Ja, machen sie sich ruhig Luft, Mr. Bond.“


    Doch Bond ließ schon wieder von seinem Gürtel ab. „So, General. Jetzt ist klar, dass wir bezahlen“, meinte er erstaunlich selbstbewusst. „Wer garantiert uns, dass sie Daten der Agentur Argus jetzt nicht wirklich versteigern sondern tatsächlich vernichten?“


    „Das garantiere ich ihnen, Mr. Bond.“ Lafayette griff in eine Schublade und holte eine CD hervor, die er vor sich auf den Tisch legte. „Alle Daten sind auf dieser DVD und es ist die einzige, die existiert. Ich habe keine Kopie. Die Hauptsache ist, dass die Leute denken, dass ich eine Kopie hätte und mir deshalb nichts tun. Ihnen kann ich es ja sagen, jetzt, wo sie vollständig in meiner Hand sind.“


    Bond nickte langsam. Da war sie, vor seinen Augen: Die Wurzel allen Übels und die Lösung seiner Probleme! So nah und doch unerreichbar. Bond war sich sicher, dass er nur beim kleinsten zucken von den Kugeln der Maschinengewehre der Wächter an der Tür durchlöchert werden würde. „Und was ist mit den Terroristen und Verbrechern? Laut Abmachung haben sie zu sterben.“


    „Ich werde mich auch an die Abmachung halten“, meinte Lafayette bestimmt. „Eines war ich immer und werde es auch immer sein: Ein Ehrenmann. Sobald Schwarzenberg mir bestätigt, dass das Geld auf meinem Konto ist werden diese Leute sterben. Bis dahin werde ich sie hier noch mit ein paar nutzlosen Informationen bei Laune halten. Und im Vertrauen, Mr. Bond“, Lafayette beugte sich etwas zu dem Agenten vor, „selbst wenn die Regierung nicht bezahlt hätte, hätte ich diese Leute getötet. Und es hätte ausgesehen wie eine Falle des Geheimdienstes. Ich hätte den Terrorgruppen und der Mafia die Informationen auf anderem Wege gegeben und sie noch zusätzlich angestachelt! Ich hätte…“


    Doch weiter kam Lafayette nicht. Die Tür öffnete sich und eine völlig aufgelöste Vera kam in das Zimmer gestürzt. „Bist du verrückt geworden?“ schrie sie den General an. Unglauben, Verstörung und Angst lag in ihrem Blick.


    Verstört war jetzt auch Lafayette. Er schaute von Bond zu Vera und wieder zurück zu Bond, der lächelnd auf seinen Gürtel deutete. „Ein Frequenzmanipulator von Q mit eingebautem Mikrofon. Er hatte ihn mir schon im Hotel versprochen. Wirklich sehr nett von ihnen hier überall Lautsprecher anzubringen, General. Ich habe mir erlaubt die Endzeit nach Lorn Island zu bringen. Die hoch achtbaren Herren und Damen, die sie eingeladen haben werden über ihre Worte sicher nicht sehr erfreut sein.“


    Und das waren sie tatsächlich nicht. Schüsse waren aus der geöffneten Tür zu hören. Mit entgeistertem Gesichtsausdruck schaute Lafayette Bond erst einen Moment lang an, dann fing er an laut loszulachen. Vera stand einfach nur hilflos daneben. „Schade, dass sie krankhaft loyal sind, Mr. Bond“, schmunzelte Lafayette. „Sie würden sich gut als mein Partner machen. Ich könnte sie wahrlich gut gebrauchen. Doch nun haben sie sich mir unwiederbringlich zum Feind gemacht.“


    Lafayette ging zu Bond und nahm ihm den Gürtel ab. Er ließ ihn zu Boden fallen und zerstörte die Schnalle mit harten Tritten. Dann griff er zu der Daten-DVD und steckte sie ein. „Nun, ich fürchte nun wartet ein Hubschrauber auf mich. Es hat mich wirklich gefreut, Mr. Bond.“ Er schaute zu den Wachen. „Raus mit euch und haltet die Aufrührer auf!“ Dann blickte er zu Vera. „Töte Mr. Bond.“ Der General ging zu einer Wand und öffnete eine Geheimtür. Er drehte sich noch einmal kurz zu dem Agenten um und verschwand dann lachend in dem Geheimgang, der sich hinter ihm umgehend wieder schloss.


    Vera richtete ihren Revolver auf Bond. „Adieu, James. Eine mutige, aber doch sinnlose Aktion von dir.“ Ihr Finger zuckte am Abzug, eine Kugel durchschnitt die Luft und schlug tödlich in den Körper vor ihr ein. Leblos sackte er zu Boden.


    Mit rauchendem Revolver betrat Franco den Raum, schaute zuerst auf die tote Vera und dann zu Bond. „Ich werde nie mehr an deinen Worten zweifeln, mein Junge.“ Er nahm Vera die Waffe ab und reichte sie Bond. „Was nun?“


    „Nun muss ich dringend zu einem Funkgerät. Wie ist die Lage?“


    „Na ja, Krieg eben“, erwiderte Franco. „Der Master hat hier ja wirklich eine halbe Armee als Wachpersonal. Aber die Jungs von der Camorra konnten das Waffenlager einnehmen. Ich habe keine Ahnung wo hier ein Funkgerät ist. Allerdings habe ich einen Geheimgang entdeckt, der zu einem versteckten Anlegeplatz führt. Wir könnten schnell hier weg.“


    Bond schüttelte den Kopf. „Nein. Wir trennen uns. Hol du Stansfield aus dem Kerker, ich werde Schwarzenberg suchen. Er wird sich hier auskennen.“


    „Schwarzenberg brauchst du nicht suchen, der hat sich mit einer Wache im Nebenraum verbarrikadiert“, entgegnete Franco. „Aber was dann?“


    „Mach du mit Stansfield das Boot klar und warte vor den Klippen auf uns, Franco“, führte Bond aus.


    „Vor den Klippen? Aber wie willst du hier herauskommen?“


    Bond fasste Franco an die Schulter. „Vertrau mir einfach, Franco.“


    Dieser nickte. „In Ordnung, mein Junge. Aber wehe ich treffe dich gleich nicht wieder!“ Rasch drehte er sich um und verließ den Raum. Bond schaute sich noch einmal in dem Büro des Masters um und folgte Franco dann vorsichtig hinaus auf den Gang.

  • 18 – Sehnsucht


    James Bond lugte um die Ecke, die Waffe der toten Vera im Anschlag. Laut Francos Information war Schwarzenberg im Nebenraum. Der Agent hielt den Atem an. Er sah Tomasek, der gerade das Schloss an der Tür des Nebenraumes mit einem Maschinengewehr zu Klump schoss. Hoffentlich hatte kein Irrläufer den jungen Bankier erwischt!


    Rasch trat Bond um die Ecke und erlegte Tomasek mit einem gezielten Schuss, gerade als die Tür nebenan aus den Angeln fiel. Bond drückte sich an der Wand entlang. Mit einer schnellen Drehung war er im Türrahmen. Ein weiterer Schuss und die Wache hatte es erwischt. Schwarzenberg stand zitternd an die Wand gedrängt, Schweißperlen auf der Stirn, doch zum Glück unverletzt. „Mr. Bond… ich… bitte…“


    „Keine Sorge. Ich hole sie hier heraus. Ich muss nur vorher dringend zu einem Funkgerät.“


    Zögernd trat Schwarzenberg zu Bond. „Im Turm ist eines, Mr. Bond. Aber, ich verstehe nicht.“


    Bond trat zu der toten Wache und nahm sich deren Pistole. Seinen eigenen Revolver gab er Schwarzenberg. „Ich habe es Maximilian versprochen. Und jetzt kommen sie. Welcher Turm ist es? Links oder rechts?“


    Schwarzenberg nahm die Waffe ein. Die Erwähnung von Maximilian beruhigte ihn ein wenig. „Links herum.“


    „Gut.“ Bond nickte und ging vor. Das würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Das war der Turm an der Klippe und wenn ihn sein Orientierungssinn nicht ganz täuschen würde… aber jetzt hieß es erst einmal dorthin kommen. Es waren nur wenige Meter, aber aus jedem Durchgang konnte eine Wache oder eine Terrorist kommen.


    Bond und Schwarzenberg kamen nur langsam voran, da der Agent die Gegend äußerst gründlich absicherte. Doch schließlich erreichten sie den Turm. Bonds Blick fiel kurz auf den Boden. „Die Wendeltreppe hoch, Mr. Bond.“


    Bond nickte und schlich leise hinauf. Schwarzenberg folgte ihm und schaute sich immer wieder um. Der Agent erledigte die Wache im Funkraum mit einem Schuss und setzte sich an das Gerät. „Bond an Captain Hedges. Bond an Captain Hedges.“


    Es dauerte eine Weile bis sich das U-Boot meldete. Bond reagierte sofort. „Sie müssen schnell handeln. Der Master ist mit der Daten-DVD per Hubschrauber getürmt. Sofort abschießen. Ich wiederhole: Sofort abschießen!“


    Der Befehl wurde bestätigt. Bond schaltete das Funkgerät ab und stand auf. „Und jetzt nichts wie raus hier!“ Bond ging als erster die Treppe hinab. Schwarzenberg folgte etwas unsicher. „Und wie kommen wir hier heraus? Einen Sprung von der Klippe überleben wir nicht und die Wachen auf der anderen Seite erschießen uns sofort.“


    „Vertrauen sie mir einfach, Benjamin.“ Zögerlich nickte Schwarzenberg und ging hinter dem Agenten her. Im Erdgeschoss angekommen öffnete dieser eine Klappe im Boden. Der Bankier staunte. „Woher wissen sie…?“


    „Ich habe einen Ausgang entdeckt als ich hier ankam. Nach den Gesetzen der Logik muss also irgendwo auch ein Eingang sein. Ich bete, dass dies hier die richtige Stelle ist.“ Die Luke offenbar eine lange Leiter, die tief ins Dunkle führte. Bond stieg sie als Erster hinab, Schwarzenberg folgte.


    Zuerst schien es, als ob die Leiter nicht enden wollte, doch schließlich spürte Bond doch wieder festen Boden unter den Füßen. „Wir brauchen Licht“, stellte er fest. Schwarzenberg zückte ein Feuerzeug und leuchtete damit die Wand ab. Er fand einen Lichtschalter und drückte ihn. Als sich die Helligkeit ausbreitete stellten sie fest, dass sie in einem großen Lagerraum waren. „Was ist das?“ Schwarzenberg schaute ungläubig auf die Kisten.


    „Sprengstoff“, antwortete Bond und ihm ging ein Licht auf. „So wollte sich der Master also seinen Käufern entledigen! Er wollte die ganze Burg sprengen.“ Er hielt inne. „Nun, ich denke, diesen Teil seines Planes können wir für ihn in die Tat umsetzen. Wer weiß, vielleicht zahlt die Regierung dann sogar mir etwas aus den Steuereinahmen“, schmunzelte er und machte sich an dem Zeitzünder zu schaffen.


    Schwarzenberg erschrak. „Sie wollen also wirklich? Aber… aber wie kommen wir hier weg?“


    „Die Luke rechts von ihnen führt zu einer Höhle in der Klippe. Hoffentlich hat es Franco sicher heraus geschafft. Wir haben 5 Minuten.“ Bond hatte den Zeitzünder in Gang gesetzt und trat zu der Luke. Das Schloss sprengte er mit seiner Waffe. „Nach ihnen. Es ist nicht so tief.“


    Schwarzenberg schluckte und ließ sich dann mit Bonds Hilfe hinab. Dieser folgte. Sie waren tatsächlich jetzt in der kleinen Höhle, in der Bond sein Tauchzeug deponiert hatte, das allerdings mittlerweile der Sturm mit sich fortgerissen hatte. Jetzt war die See zum Glück wieder ruhig. „Sie können doch schwimmen, oder?“ Vielleicht hätte der Agent diese Frage etwas eher stellen sollen, doch Schwarzenberg nickte und ging schon in das Wasser, das erbärmlich kalt war. Bond folgte. Mit kräftigen Schwimmzügen ließen sie die Höhle und die Klippen hinter sich. Von Franco war nichts zu sehen. Hoffentlich waren sie nur weit genug vom Ufer weg.


    Die ersten Detonationen trafen zusammen mit dem Geräusch eines ankommenden Motorbootes, das in der Nähe der Schwimmer stoppte. Es waren tatsächlich Franco und Stansfield, beide unverletzt. Sie halfen Bond und Schwarzenberg in das Boot. Franco startete. Die Explosionen wurden lauter. Der Agent schaute zurück wie die ohnehin schon marode wirkende Burg brannte und in sich zusammen fiel. Teile der Klippen spalteten sich ab und klatschten in das Wasser, das hohe Wellen schlug. Doch immer weiter rückte das Bild weg. In die Ferne, in die Unbedeutsamkeit, in die Vergessenheit. Bond freute sich nur noch auf eine heiße Dusche und einen warmen Kakao im U-Boot.


    Nervös ging Maximilian Meister am Kai von Port Ellen auf und ab. Berichte von der geglückten Operation hatten ihn schon erreicht, doch er hielt erst inne als er das U-Boot im Hafen einfahren sah. Er ging zur Anlegestelle und wartete ungeduldig. Warum ging das denn nicht schneller? Das Boot stoppte, die Planke wurde gelegt, dann die Luke geöffnet. Maximilian interessierte sich nicht für die Marineoffiziere, die ausstiegen. Er hatte nur Augen für einen einzigen Mann: Seinen Benjamin! Als er ihn lebendig und lächelnd wieder sah fiel ihm ein großer Stein vom Herzen. Kaum hatte Benjamin festen Boden unter den Füßen wurde er schon von Maximilian umarmt und gedrückt. „Ich… ich bin so froh, dass ich dich wieder habe. Ich hatte so Angst um dich.“


    Benjamin schlang seine Arme um Max und hielt ihn einfach nur fest. „Ich hatte auch solche Angst. Wir… wir waren so naiv uns auf das alles einzulassen.“


    „Vergiss es, Ben. Vergiss es. Es ist Vergangenheit. Der Master ist jetzt tot, mit seinem Hubschrauber explodiert. Lass uns ein neues Leben anfangen, Ben.“ Sanft blickte Maximilian seinen Lebenspartner an.


    Bond lächelte als er sah, wie sich die beiden Männer zärtlich und glücklich küssten und fasste kurzerhand selbst einen Entschluss. Er ging in das nächstgelegene Café und fragte ob er wohl mal telefonieren dürfte. Die junge, weibliche Bedienung konnte so eine charmante Anfrage natürlich nicht einfach abweisen und wies dem Agenten den Weg zum Telefon. Bond nahm den Hörer, wählte die Nummer des MI6-Hauptquartiers und ließ sich mit seiner Sekretärin verbinden. „Loelia? Ich brauche dringend den Aufenthaltsort der SWR-Agentin Anna Aprewski.“ Er hielt kurz inne als seine Sekretärin antwortete und lächelte dann. „Nein, das ist eine ganz private Anfrage…“






    THE END


    BUT


    JAMES BOND WILL RETURN

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!