Kurzgeschichte und Comic: "Octopussy"

  • Franz Oberhauser in SPECTRE - der Name hat dafür gesorgt, daß ich die Chronologie in meiner Vergleichsreihe mal links liegengelassen habe und den Vergleich der Kurzgeschichte "Octopussy" mit dem Comic vorgezogen habe.


    Die Kurzgeschichte ist insofern interessant, als daß James Bond hier nur eine Nebenrolle spielt. Er erscheint erst auf der achten Seite der Geschichte und bleibt für sechs Seiten Teil davon. Dann verschwindet er wieder für 18 Seiten, taucht noch einmal für ein kurzes Gespräch mit Major Dexter Smythe auf und wird auf der letzten Seite noch einmal erwähnt. Der Großteil der Geschichte gehört Smythe. In Flemings Beschreibung kommt er nicht mehr gut weg: " ... the remains of a once brave and resourceful officer and a handsome man". Nun ist er 55, mit leichter Glatze und einem deutlichen Bauch. Er trinkt und raucht zu viel und hegt insgeheim den Wunsch zu sterben. Seine Frau ist zwei Jahre zuvor gestorben.


    Sein einziges Interesse gilt nun noch den Unterwasserlebewesen in seiner Villa. Smythe kümmert sich um einen Octopus, den er zähmen will und mit dem er ein Experiment durchführen will. Er will einen extrem giftigen Drachenkopf fangen und dem Octopus (den er "Octopussy" bzw. "Pussy" nennt) zu fressen geben, um zu sehen, wie Octopussy reagiert und was dann mit ihr passiert.


    Die düstere Stimmung Smythes wird dann erläutert: Einige Stunden zuvor erschien Bond; schon bei der Begrüßung weiß Smythe, daß man ihm auf die Schliche gekommen ist. Auf das Eintreten Bonds schwenkt Fleming dann um, benutzt also den "Zeitsprung", der auch schon früher verwandt wurde. Von da an folgt die Geschichte dem Gespräch zwischen Bond und Smythe und der detaillierten Erinnerung an das, was sich zum Ende des Zweiten Weltkrieges und danach mit Smythe ereignet hat.


    Smythe arbeitete damals für das "Miscellaneous Objectives Bureau" (MOB), das damals Spuren der Nazis in Europa verfolgte. Bei einer solchen Aktion findet Smythe zufällig Hinweise auf verstecktes Nazigold, zwei Barren, die insgesamt etwa 80 Pfund wiegen. Er beschließt, das Gold zu finden und zu behalten. Er braucht dazu aber die Hilfe eines Bergführers und findet Hannes (keinen Franz) Oberhauser. Er nimmt ihn unter dem Vorwand, ihn verhören zu müssen, mit; Oberhausers Familie bleibt zurück. Smythe gewinnt Oberhausers Vertrauen und verspricht ihm, ihn wieder nach Hause zu bringen, nachdem die beiden eine kleine Klettertour gemacht haben. Oberhauser willigt ein, und die beiden klettern auf den Berg, wo das Gold versteckt ist. Nachdem Smythe weiß, wo das Gold ist, lockt er Oberhauser zu einer Gletscherspalte und erschießt ihn. Oberhauser stürzt ab, aber nicht wie gewünscht ganz in die Spalte. Smythe bedeckt die Leiche mit Schnee; dann beginnt er, das Gold hinunterzutransportieren. Am Fuß der Berges versteckt er das Gold, verschwindet und lässt etwas Gras über die Sache wachsen. Nach sechs Monaten kehrt er zurück und organisiert den Transport des Goldes außer Landes. Mittlerweile verheiratet, zieht er mit seiner Frau und dem Gold nach Jamaica, wo er mit Hilfe der Brüder Foo das Gold zu Geld macht. Die Foo-Brüder schmuggeln im Lauf der Zeit das Gold in Teilen nach Hong Kong, wo es zu guten Preisen verkauft wird. Smythe und seine Frau können ein Leben im Luxus führen. Smythes Gesundheit und seine Ehe gehen aber langsam den Bach `runter, seine Frau nimmt eine Überdosis Tabletten.


    Nach der Erinnerung an diese PhAse seines Lebensd trifft Smythe Bond wieder, der seine Verbindung zu dem Fall erklärt. Oberhauser war ein Freund Bonds und hat ihm das Skifahren beigebracht. Oberhauser war für Bond aber mehr als nur ein Freund: "He was a wonderful man. He was something of a father to me at a time when I happened to need one." Dieses persönliche Element deutete sich schon bei der ersten begegnung Bonds mit Smythe an, als er seine Erkundigungen mit der Aussage "I want to ..." beginnt, dann aber umschwenkt auf "I´ve been sent out to ask you ...".


    Bond verschwindet nach der zweiten Unterredung, und Smythe nutzt die ihm bleibende Zeit, um noch einmal zu schwimmen. Dabei bemerkt er einen Drachenkopf und versucht, ihn zu fangen. Der Fisch entkommt beim ersten Versuch, aber im zweiten Anlauf ist Smythe erfolgreich. Wieder an Land, bemerkt Smythe, daß der Fisch auch ihn erwischt hat; er weiß nun, daß er in wenigen Minuten sterben wird, und besinnt sich seines Experiments mit Octopussy. Er schwimmt mit dem aufgespießten Fisch zu ihr und bietet ihr den Fisch an. Octopussy ergreift jedoch Smythes Arm und zieht ihn zu sich. Smythe verliert den Kampf und stirbt. Offiziell wird es heißen, daß Smythe Ertrunken aufgefunden wurde.


    Schon beim Lesen der Kurzgeschichte hatte ich mich gefragt, wie das Ganze wohl im Comic daherkommen würde, denn eine James-Bond-Geschichte, in der Bond kaum auftaucht, würde für die Leser der Zeitung eventuell zu uninteressant sein. Ich rechnete also schon mit einigen Veränderungen, aber ich war dann doch überrascht, denn die Comicmacher haben die Figuren genommen und eine völlig neue Geschichte erstellt! Und: Man merkt, daß bis dato bereits vier Bondfilme auf dem Markt waren (der Comic muss von 1966 sein, da gesagt wird, daß der Mord vor 21 Jahren geschah und er sich 1945 ereignete), denn der Comic bedient sich einiger Filmelemente!


    Der Reihe nach. Der Comic ist gezeichnet von Yaroslav Horak; sein Stil unterscheidet sich von dem John McLuskys, dessen Zeichnungen realistischer oder natürlicher waren und mir mehr zusagen. Der Comic ist auch sehr lang, er umfasst knapp 160 Panels oder 40 Seiten und reicht damit an manche Romanumsetzung heran.


    Er beginnt mit dem Fund der Leiche Oberhausers, und einige Panels werden auf seine Bergung und Identifizierung verwandt. Dann besucht ein Inspektor Trudi Oberhauser, Hannes´ Tochter. Diese Figur müssen sich die Comicmacher ausgedacht haben, denn in der Kurzgeschichte heißt es nur, daß die Oberhausers Kinder hatten. Trudi bestätigt, daß der Tote ihr Vater ist, von dem sie ein Foto auf dem Kamin hat. Trudi erinnert sich an James Bond, von dem auch ein Foto dort steht, und sie bittet ihn um Hilfe. Er willigt ein, und Trudi fliegt nach London.


    Erstaunlicherweise taucht in London auch ein Reporter auf, der Wind von der Geschichte bekommen hat. Wie realistisch es ist, daß die Presse von einer nach 21 Jahren gefundenen Leiche erfährt, einen Mord herausbekommt und gleich weiß, nach wem sie für mehr Informationen suchen muss, weiß ich nicht, aber das Presseelement wird benötigt, um eine Verbindung nach Jamaica zu den Foo-Brüdern zu schaffen. Es kommt also sehr gelegen.


    Die Foo-Brüder sind nicht wirklich als Chinesen zu erkennen, hier ist Horaks Stil eher von Nachteil; man weiß, daß sie es sind, wenn man die Kurzgeschichte kennt. Die Brüder haben im Comic auch Vornamen, Kim und Yat.


    Bond forscht im "War Office" nach den Aktivitäten des MOB und stolpert dabei über Major Dexter Smythe. Von dieser ersten Spur erzählt er Trudi, mit der er unterwegs ist. Dabei bemerkt Bond, daß sie verfolgt werden. Bond hält an einem Restaurant, geht hinein und verlässt es wieder durch eine Seitentür. Er lauert dem Verfolger auf; es kommt zum Kampf, in dem der Verfolger (ein Chinese) Bond Tränengas ins Gesicht schießt. Er flieht, doch Bond kann ihm in den Arm schießen.


    Ebenfalls neu in der Geschichte ist M, dem Bond einen Tag später von seinen Erlebnissen berichtet. M ist skeptisch hinsichtlich der Untersuchungen und ihres Erfolges. M verhält sich im Comic eher ungewöhnlich. Er lädt Bond zum Mittagessen ein! Aus den früheren Romanen und Geschichten wissen wir, daß M nur persönlicher wird, wenn er etwas auf dem Herzen hat, was nicht unbedingt dienstliche Hintergründe hat (siehe MR). Und daß M und Bond den Fall Smythe in aller Öffentlichkeit in einem Restaurant besprechen, ist auch seltsam.


    Auch Bill Tanner wird eingeführt; er leitet das MI6-Archiv. Man muss aber schon wissen, daß es sich um Bill Tanner handelt. Der einzige Hinweis ist, daß Bond ihn mit "Bill" anspricht.


    Von Station J erhält Bond Informationen zu Smythes Leben und Wirken in Jamaica; Smythe ist Teilhaber der Firma "Carib-Orient Trade Company"; abweichend von der Kurzgeschichte hat man Smythes Rolle in der Firma aufgewertet; der Name der Firma ist für den Comic erfunden worden, und auch die Größe der Firma wurde in der Geschichte völlig ignoriert.


    Bond und Trudi fliegen nach Jamaica, wo erneut ein Reporter auf sie wartet; erneut setzt es einen Zeitungsartikel, der die Foo-Brüder alarmiert. Bond kontaktiert Sation J und spricht mit Mary Goodnight, die ihm Informationen beschaffen soll. Sie hat diese Informationen, und nicht nur das ... Hier hat man den Eindruck, daß die Filme inzwischen auch auf die Comics abfärben. Goodnight trifft sich mit Bond und Trudi in deren Hotel und schlägt eine Fahrt zu Smythes Firma und Villa vor; aber sie hat nur einen Zweisitzer, weshalb Trudi nicht mitkommen kann. Im Auto macht sich Goodnight sofort an Bond heran; was folgt, wird nicht gezeigt, aber man kann es sich denken.


    Smythes Lebensstil weicht im Comic auch von dem in der Kurzgeschichte ab; wir sehen hier, daß Smythe Gäste empfängt, und er hat auch eine junge Partnerin. Dazu ist er körperlich durchaus gut in Schuss. Erhalten geblieben sind seine Beschäftigung mit Octopussy und sein Experiment mit dem Drachenkopf.


    Bond dringt in die Firma ein und setzt den Wachmann mit Schlafgas außer Gefecht; dazu richtet er es so hin, daß es aussieht, als habe der Wachmann zuviel getrunken und schlafe nun seinen Rausch aus. Bond durchsucht Smythes Büro, findet es aber komplett leer vor. Nur Möbel, sonst nichts.


    Zwei Männer kommen vorbei und sehen den "toten" Wachmann. Sie kümmern sich nicht drum, nehmen einen Schlüssel und gehen ins Lagerhaus, um einen Sarg auszuladen. Dann verschwinden sie wieder.


    Bond ruft den Chef der Station J an, um herauszufinden, ob die Firma irgendwas mit Särgen zu tun hat. Offiziell verschiffen sie Särge, in denen verstorbene Chinesen liegen, damit sie in China ihre letzte Ruhestätte finden. Diese Särge sind mit Blei verkleidet. Bond dringt ins Lagerhaus ein und öffnet den Sarg; darin liegt ein Toter, aber kein Chinese. Es ist ein Mann, dem in den Kopf geschossen wurde.


    Die Foos rufen den Wachmann an, erreichen ihn nicht und beschließen, die Lage selbst zu prüfen. Bond findet derweil heraus, daß der Sarg aus Gold ist. eine Bleischicht wurde zur Tarnung aufgetragen. Er sucht den Chef der Sation J auf und bittet ihn, eine Hausdurchsuchung des Lagerhauses zu organisieren.


    Als die Hausdurchsuchung beginnt, ist ein anderer, kooperativer Wachmann vor Ort. Im Lagerhaus findet man einen Sarg, aber ein toter Chinese liegt darin, und der Sarg ist nicht mit Gold verkleidet. Die Situation ist sehr peinlich für die Polizei. Diese Szene erinnert an die Sequenz aus dem MR-Film, als Bond eine Durchsuchung des Labors ankurbelt, aber sehen muss, daß es kein Labor gibt. Drax erfreut sich dafür sichtlich am peinlichen Auftreten Bonds und seiner Vorgesetzten. Wurden die Filmemacher da etwa wiederum vom Comic inspiriert? Und: Das Szenario, daß Gold eingeschmolzen und in anderer Form aus dem Land geschmuggelt wird, ruft wiederum Erinnerungen an Goldfinger wach. Eventuell haben sich die Comicschreiber hierfür an dem Roman und /oder dem Film bedient.


    Das Glück hilft Bond. Es kommt eine Vermisstenmeldung herein; ein Mann um die 50 wird vermisst, ein Herbert Plomer. Er war Steuerprüfer für die jamaikanische Regierung. J glaubt Bond seine Geschichte jetzt.


    Bond und Trudi besuchen Smythe in seiner Villa; er kommt schwimmend von einem Fischzug zurück. Der beginn des Dialoges zwischen Smythe und Bond ist genau wie in der Kurzgeschichte. Bond konfrontiert Smythe mit dem, was er bisher herausgefunden hat, was Smythe sichtlich nervös macht. Danach gehen Bond und Trudi, bleiben aber in der Nähe, um zu lauschen: Bond hat eine Wanze angebracht.


    Smythe ruft die Foos an, denn er hatte gar keine Ahnung vom Mord an Plomer, und fährt dann zur Firma. Bond nutzt das, um wie Smythe selbst quasi durch die Hintertür ins Gebäude zu schwimmen und sich dort umzusehen. Smythe ist wütend und verkündet das Ende der Partnerschaft mit den Foos. Als er geht, lassen die Foos ihn verfolgen, um herauszufinden, was er tut. Smythe organisiert einen Transfer seiner Gelder zu einer anderen Bank.


    Als die Foos das herausfinden, fahren sie zu seiner Villa, um ihn abzufangen. Bond selber durchsucht gerade die Villa, findet aber nichts. Smythe kehrt zurück und packt schnell Sachen für seine Abreise. Dabei kommen die Foos herein und erinnern ihn an seinen Mord an Oberhauser; die ganze Geschichte wird jetzt also auf den Tisch gelegt. Bond kommt hervor, bedankt sich und weist auf die Wanze und ihre Konsequenzen hin. Die Foos sagen daraufhin, daß sie ihn gehen lassen werden, schmeißen die Wanze dann aber ins Wasser. Ein Tod Bonds könnte damit niemandem angehängt werden. Sie wollen den Eindruck erwecken, daß sie ihn gehen lassen, wollen ihn aber in Wahrheit töten.


    Bond wirft eine Steinfigur auf Yat Foo, dessen Pistole zu Boden fällt. Smythe nimmt sie auf, aber Bond tritt sie ihm aus der Hand. Smythe fällt ins Wasser. Kim Foo verwundet Bond mit einem Schuss, der aber kann selber Kim Foo niederschießen. Smythe taucht wieder auf und verschwindet.


    Trudi kommt dazu, um zu sehen, was los ist. Sie findet den verwundeten Bond und leistet Erste Hilfe. Bond hatte Glück, er hat nur einen Streifschuss bekommen. Zusammen fesseln sie die Foos.


    Bond folgt Smythe, der den Rest des damals erbeuteten Goldes aus einer Unterwasserhöhle holt. In der Nähe hat er einen Unterwasserschlitten versteckt, mit dem er jetzt abhauen will. Er bemerkt Bond und will ihn mit einer Harpune töten; er trifft Bonds Arm, dann flieht er mit dem Schlitten. Ein Unterwasserkampf mit Schlitten und Harpune! Denkt noch jemand an Thunderball?


    Plötzlich bemerkt Smythe aber einen Drachenkopf und hält an! Er erinnert sich an sein Experiment! Warum jetzt? Eine Flucht wäre logischer, aber vielleicht weiß Smythe unterbewusst, daß es vorbei ist, und zumindest will er sein Experiment beenden.


    Von diesem Punkt an verläuft die Story wie in der Kurzgeschichte, nur mit dem Unterschied, daß Smythe Bond mit dem Drachenkopf konfrontiert. Bond hilft Smythe am Ende aus dem Wasser. Als ihm klar wird, daß er nur noch wenige Minuten zu leben hat, gesteht er Bond und Trudi gegenüber, was sich damals in Tirol zugetragen hat. Dieser Abschnitt aus der Kurzgeschichte wird somit im Comic wieder aufgenommen. Allerdings ist im Comic von 10 Goldbarren die Rede, während es in der Kurzgeschichte nur 2 sind. Um allerdings eine Fassade und einen Lebensstil aufzurichten, wie wir ihn im Comic sehen, benötigt man schon reichlich Geld, und die Erhöhung auf 10 Goldbarren passt da gut ins Bild.


    Nach seinem Geständnis rafft sich S ein letztes Mal auf und springt ins Wasser, um sein Experiment zu beenden, aber er kommt genau so um wie in der Kurzgeschichte.


    Wir sehen hier nun einen Comic, der meines Erachtens inzwischen auch von den Filmen Inspirationen aufgenommen hat, denn aus der Kurzgeschichte, an der Bond kaum beteiligt ist, ist eine lange Geschichte geworden, in der Bond das Heft in die Hand nimmt und die vieles von den Elementen beinhaltet, die die Filme bis dahin inzwischen charakterisierten. Eine interessante Umsetzung, die eigentlich nicht zu bewerten ist, weshalb ich das in diesem Fall auch lasse.

    The needs of the many outweigh the needs of the few or the one.
    I have been and always shall be your friend.
    I´ve been dead before.
    Live long and prosper.


    He is not really dead as long as we remember him.

  • Danke für diese ausführliche Zusammenfassung, Dr. Shatterhand.


    Offenbar lohnt es sich, sich näher mit den Daily-Express-Comics zu befassen.


    Überlege schon länger, mir die alle mal zuzulegen.

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