Wir Fans neigen ja dazu, das Franchise zu ernst zu nehmen. Dabei ist es nicht der Hardcore-Fan, der über das Wohl und Wehe von Bond entscheidet, sondern das allgemeine Publikum und dessen Wahrnehmung. Insofern würde ich die Codename-Theorie ganz außen vorlassen. Außerhalb des Fandoms spricht darüber kein Mensch, und sie geht auch bei keinem Darstellerwechsel auf. Ich halte es für durchaus möglich, dass Bonds Tod bei Gelegenheits-Guckern ("Ach, war der nicht tot?") ebensolche Irritationen, nämlich keine, auslöst wie die wiederholten Erstbegegnungen mit Ernst Stavro (derzeit: 3, wenn man Franzl mitzählen mag).
Das mag schon sein, ich würde mich allerdings auch nicht wundern, wenn diese Vorstellung weiter verbreitet ist, als man annimmt. Als Lee Tamahori als Regisseur zu Bond kam, nahm er die Codename-Geschichte ja völlig selbstverständlich an und wollte Sean Connery als ersten Bond auftreten lassen, und war dann völlig entgeistert, dass das nicht die offizielle Franchise-Philosophie ist. Was Gelegenheitszuschauer über die Bondfilme denken, ist manchmal schon ziemlich schwammig. Nicht wenige nahmen ja beispielsweise an, dass man nach CR nun Dr. No und andere Bondfilme remaket, da CR ja die erste Mission von Bond darstellte. Sicher geht die Codename-Sache in den Details insgesamt nicht wirklich auf, aber das tut die Vorstellung, dass wir es von DN bis AVTAK oder DAD mit einem James Bond zu tun haben, ja auch nicht.
Ich bin mir zumindest sicher, dass Eon diese Theorie kennt, und da wundert mich es dann schon, dass man sich in den Filmen nicht wirklich eindeutig davon distanziert, sondern dahingehend durchaus Raum offen lässt. Ich bin übrigens auch kein Fan dieser Theorie. (Außer bei Craig )
Grundsätzlich glaube ich aber auch, dass sich die Wahrnehmung der Zuschauer bezüglich der Bondfilme mittlerweile etwas verändert hat. Hat man früher mal je nach Laune irgendeinen Bond im TV oder auch Kino gesehen, ist die Filmlandschaft durch Marvel, Netflix und Co. mittlerweile sehr serifiziert, und die Bereitschaft der Zuschauer, sich mal hintereinanderweg durch eine ganze Filmreihe zu "bingen" ist wesentlich höher als früher. Ich sehe bei manchem Bekannten, der von Bond früher nicht viel hielt, plötzlich eine Box mit allen Craig-Filmen im Regal stehen. Und ich glaube auch, dass die im Vergleich zu früheren Filmen plötzlich vorhandene Serienqualität und Charakter-Entwicklung und "Heldenreise", mag sie auch noch so holzschnittartig sein, zu der großen Beliebtheit von Craig bei eigentlichen Nicht-Fans beiträgt. Insofern wäre ich mir nicht so sicher, ob ein Weitermachen wie bisher, so wie es früher funktioniert hat, auch heute mit einem Schulterzucken hingenommen werden würde.
Aber meiner obigen Adventsfantasie (und mehr ist es nicht, schon BB geschuldet) würde nicht widersprechen, wenn Bond Nr. 007 seine erste Mission von Ralph Fiennes erhält, dabei sogar mit Naomie Harris flirtet und von Ben Wishaw mit Gimmicks ausgestattet wird. Er könnte trotzdem er selbst sein und uns auf ein unbeschwertes Abenteuer mitnehmen, wenn man ihn nur ließe - obgleich ich aufgrund der verbrannten Erde auch hier Umbesetzungen vorziehen würde, abgesehen vielleicht von Fiennes, damit er endlich den M zeigen kann, den EON ihn zu spielen leider bislang gehindert hat .
Ja, wahrscheinlich bin ich da ein etwas pedantischer Nerd, aber mir erschließt sich nicht wirklich der Sinn darin, mit NTTD quasi eine Ode an die Endlichkeit der Dinge zu zelebrieren, und dann mal eben den halben Cast zurückzubringen, als ob nichts gewesen wäre. Warum dann nicht auch gleich Jeffrey Wright als Leiter zurückbringen? Der Tod ist doch im heutigen Kino eh nur noch eine vernachlässigbare Banalität. Abgesehen davon sehe ich solche übernommenen Besetzungen schon auch als Altlasten. Sobald Ben Wishaw als Q auftauchen würde, hätte man seine Dialoge mit Craig im Hinterkopf, und damit automatisch eine gewisse Erwartungshaltung.
Insofern erschließt sich mir ehrlich gesagt nicht so ganz, wodurch genau Du die Spiel-Freiheit des potentiellen Craig-Nachfolgers bedroht siehst. Craig wollte seinen Bond doch sterben lassen, um seinem Nachfolger einen völlig unbelasteten Start zu ermöglichen. Und Broccoli will Bond völlig neu erfinden, also quasi auch völlige Freiheit. Insofern hätten die beiden doch alles richtig gemacht, und man könnte frohlockend in die Zukunft schauen...