Angeregt von der umfangreichen Empfehlung von Scarpine (Danke nochmal!) habe ich am Wochenende endlich, endlich "Colonel Sun" von Kingsley Amis gelesen.
Die Neuübersetzung im Cross Cult-Verlag ist von den Fleming-Übersetzerinnen Klüver und Pannen, von denen es ja mittlerweile auch eine Gardner-Gesamtausgabe gibt. Ursprünglich wollte ich mir "Colonel Sun" schon für den Bondember kaufen - laut meiner Buchhändlerin war das aber bei ihr Print-on-Demand mit ungewisser Wartezeit, daher habe ich damals erstmal davon abgesehen (Ja, bei Am**on wäre es schneller gegangen. Aber da kaufe ich wirklich nur, wenn es gar nicht anders geht....)
Scarpine hat mir die finale Motivation verpasst und das Buch gab es glücklicherweise in der onleihe der Stadtbibliothek.
Positives:
Bond in Griechenland gab es vorher noch nie (der Roman ist 1969 erschienen, FYEO kam ja erst viel später und hat sich vielleicht (?) davon inspirieren lassen) und ich mag es, wie das Land in Szene gesetzt wird. Man merkt deutlich, dass Amis Liebe dem Segeln gehört, hier arbeitet er am ausführlichsten, am anschaulichsten und am genausten.
Interessant fand ich auch, wie offensichtlich diverse Filme Anleihen am Roman genommen haben: Ariadne hat mich in Ansätzen an Anya erinnert, hier im Thread wurde ja schon mal drauf hingewiesen, dass die Folterszene nahezu wörtlich in SP übernommen wurde, der Name "Colonel Moon" aus DAD scheint ebenfalls ein deutlicher Bezug zu sein. In TWINE wird M zwar auch entführt, wirklich deutliche Bezüge zu "Colonel Sun" konnte ich aber nicht entdecken. Insgesamt macht Amis Bond deutlich menschlicher als Fleming: Er lässt ihn Mitleid mit einem sterbenden "Handlanger" empfinden und er sorgt auch z.B. dafür, dass ein 18-jähriger Junge aus der Schusslinie genommen wird.
Negatives:
Und das ist vielleicht schon einer der Knackpunkte: Irgendwie fehlt Amis´ Bond die Flemingsche Souveränität und Lässigkeit. Ständig muss er improvisieren (die Gadgets des Q-Branches sind völlig nutzlos, über weite Teile ist er unbewaffnet) - im Vorwort schreibt Amis, dass er Bond bewusst so konzipiert hat. Aber im Grunde wird viel zu oft zu offensichtlich deutlich, dass er einfach mehr Glück als Verstand hat. Vom suaven Agenten ist wenig zu sehen, auch in seinem Lifestyle.
Die Anzahl der Nebenfiguren ist verwirrend (etwa der Leiter von G, der Schiffsjunge Yannis, der Kapitän Ioanides....)- warum hier Kommunisten gegen Kommunisten operieren, habe ich ehrlich gesagt trotz der ellenlangen Ausführung im Roman immer noch nicht kapiert. Warum die Ermordung einer völligen Nebenfigur wie Ioanides, mit dem Bonds Team das Boot tauscht, so ausführlich beschrieben wird, erschließt sich mir auch nicht - zumal z.B. M in Gefangenschaft über weite Strecken keinerlei Rolle spielt und/oder absolut passiv beschrieben wird (ein deutlicher Unterschied zu TWINE!).
Bond arbeitet irgendwie im 3er, teilweise auch 4er Team, auch das wirkt ebenso inkonsistent wie die ständig wechselnde Erzählperspektive und die ellenlangen Dialoge, die vielleicht wie im Film wirken sollen, für mich im Roman aber eher störend, da verlangsamend sind.
Amis´ Bond wirkt irgendwie trotz aller Versuche der Vermenschlichung hölzern und schablonenhaft: Er hat keine großartigen Interessen (im Gegensatz zum Flemingschen Bond, der Kleidung, Essen und das Meer liebt und sich sehr gut damit auskennt!), eigentlich arbeitet er nur und manchmal schläft er mit Ariadne. Man merkt deutlich, dass Amis mit diesen Aspekten der Bondpersönlichkeit nichts anfangen konnte. Sie konstituieren die Figur aber wesentlich und gibt ihr Personalität - auch Sherlock Holmes ist ja nicht nur Detektiv, er spielt Geige zur Entspannung, schießt "VR" zu Ehren der Königin in seine Wand und hat keine Ahnung, dass die Erde sich um die Sonne dreht (und es interessiert ihn auch nicht).
In einem weiteren Punkt wird es noch offensichtlicher: Während Fleming die Frauen geradezu erschreckend gut kennt und (nicht immer und nicht in allen Punkten, aber doch sehr häufig!) sehr glaubwürdige weibliche Figuren mit Hintergrundgeschichte und Persönlichkeit schreibt, gelingt das Amis leider gar nicht:
Seine Frauen sind schön - und wenn nicht im klassischen Sinne, dann irgendwie doch - das wars dann aber auch.
Eine eigene Persönlichkeit, eine Geschichte, eigene Beweggründe haben sie nicht - ihre einzige Daseinsberechtigung ist die Funktion, die sie für Bond (noch nicht einmal für die Geschichte) haben. Das sieht man beim stammelnden Englisch der Helferin (die sich vorher im Roman klar artikulieren kann, am Ende aber nur wirkt wie eine Idiotin), die Bond erklären will, warum sie ihm geholfen hat - daraus wird keiner schlau.
Ja, das gilt auch und ganz besonders für Ariadne, die ihre Vergewaltigungsfolter in Suns Villa ebenso lässig abschüttelt wie - das muss man fairerweise erwähnen - Bond seine Folter (und dabei sind beide dann bei Amis erstaunlich unmenschlich).
Fleming zeigt nicht nur bei Bond, sondern auch bei Tiffany Case, dass gerade dieser Aspekt anders geht - und bei weiteren Figuren wie Vesper oder Vivian Michel aus TSWLM, dass er ein versierter Autor ist, der nicht nur eine Sicht beherrscht. (Die Gerüchte, dass TSWLM ein Roman seiner Frau Anne sein soll, bestätigen nur, wie gut er in der weiblichen Sicht ist). Bei einigen der männlichen Nebenfiguren gibt er sich mehr Mühe - aber die sind dann auch einfach zu zahlreich, als dass es wirklich gelingen würde.
Darüber hinaus: Bonds Liebesszenen mit Ariadne fand ich stellenweise so peinlich, dass ich sie übersprungen habe... Da hätte er sich besser wie Fleming in andeutungsvolles Schweigen gehüllt.
Man mag Fleming vorwerfen, was man will: Er beherrscht sein Romanhandwerk deutlich besser und indem er Bond seine eigenen Interessen (auch so abseitige wie das Meer) gegeben hat, wird er zu einer realistischeren Romanfigur als die Abziehbilder der Nachfolger.
Fazit: Nobody does it better than Fleming (den ich für meinen Teil für literarisch unterschätzt halte - vielleicht muss ich mir damit aber auch nur einreden, dass ich mit meinen Fleming-Studien mehr als guilty pleasure betreibe
)