XI. Zielpunkt Zukunft
Wenn eingangs davon gesprochen wurde, dass Bond auch im Elisabethanischen oder Viktorianischen Zeitalter oder gar in ferner (Cyber-)Zukunft sein Aktionsfeld haben könnte, dann ist das primär aus einem situativen Standpunkt aus gedacht und nicht retrospektiv zu verstehen. 007 und seine Erfolgsformel haben einen zeitlosen Gestus, aber sie funktionieren stets am besten in der jeweiligen Gegenwart. Durch die Assimilierung des aktuellen Zeitgeistes verändern sich der Doppel-Null-Mann und seine Welt, prägen diesen zugleich mit und legen in der Rückschau dadurch exemplarisch gewisse Strömungen eines konkreten Zeitabschnitts und einer Dekade offen. Das betrifft zwar auch gesellschaftliche Umbrüche, aber eben nur zum Teil. Grundsätzlich findet sich in den Filmen eine Mixtur aus klassischer und tagesaktueller Ideologie, aber der glorifizierte Glamour einer Welt, die sich durchweg »larger than life« gebärdet, kann nur bedingt auf die soziale Realität Bezug nehmen.
Was die Bond-Reihe jedoch auf exzellente Art und Weise nachzuzeichnen versteht, das sind das momentane politische Klima, die geostrategische Situation aus Sicht des Westens und technologische Innovationsschübe. Zwar erlebt Nullnullsieben seine Abenteuer natürlich stets im hier und jetzt, aber anders als bei vielen anderen Action-Helden erschöpfen sich die futuristischen Elemente meist nicht in technischen Spielereien, sondern sind nicht selten in einen Gesamtentwurf von bestehenden Tendenzen und baldigen Entwicklungen eines industriellen Trend- und Fortschrittdenkens eingebettet. Dadurch heben sich die James Bond-Streifen von anderen Filmen des Genres erkennbar ab, ohne dabei den Bezug zur Gegenwart zu verlieren oder dezidiert ein Science-Fiction-Sujet zu verfolgen. 007-Produzent Albert R. Broccoli kommentierte dieses Spezifikum der Serie einmal sehr treffend mit der Anmerkung, dass Bonds Missionen sich »fünf Minuten in der Zukunft« ereignen würden. Dazu passt, dass nach der partiellen Retrogestaltung der Craig-Ära Amazon als neuer Teilhaber der Marke 007 bereits angekündigt hat, demnächst wieder verstärkt auf Zukunftsvisionen und Science Fiction-Themen setzen zu wollen.
Auch die scheinbar absurdesten Voraussagen der der Bondfilme werden irgendwann zumindest partiell Realität, wie das Beispiel »MOONRAKER – STRENG GEHEIM« zeigt. 44 Jahre später fliegen Milliardäre wie Elon Musk, Jeff Bezos oder Richard Branson in den Orbit und eröffnen kommerzielle ShuttleTouren, simultan gedenkt Donald J. Trump eine eigene schlagkräftige »Space Force« im All patrouillieren lassen, während die Volksrepublik China eine eigene Weltraumstation aufbaut und die erste Generation der Laserwaffen entwickelt. Was bleibt folglich von diesen Nullnullsieben Dekaden Kulturgeschichte? Francis Fukuyama löste in den 1990er Jahren ein lautes Echo aus, als er nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vom »Ende der Geschichte« sprach, was den Beginn einer idealen Zivilisationsordnung im Geiste Gene Roddenberrys zu implizieren schien. Oftmals ist es gar nicht entscheidend, ob diese Einlassungen das Diktum des Faktischen erfüllen. Denn vielfach liegt ihr wahrer Kern und der größere Erkenntnisgewinn in dem, was sie über die gegenwärtigen Strömungen des Zeitgeists aussagen, indem sie entstehen und den sie kennzeichnen.
James Bond war stets ein Spiegelbild seiner Zeit und ein empfindlicher Seismograph für dämmernde Dekaden und epochale Umbrüche. Er ist damit nicht nur ein schillernder Bestanteil der Filmgeschichte oder ein singulärer Vertreter der Popkultur, sondern sein enormer Einfluss weist darüber hinaus. Bond ist eine der ganz wenigen Mythen, den die Moderne hervorgebracht und in einer globalen Dimension geprägt hat. Seinen schlagkräftigsten Slogan darf man in seiner stur mantrahaften Wiederholung und seinem annährend apodiktischen Anspruch daher als generationsübergreifendes Gesetz der Gegenwart begreifen:
»James Bond will return.«