Meine Rezension zu KEINE ZEIT ZU STERBEN oder "Warum ich mit dem neuen Bond-Film so meine Probleme habe".
(Vorsicht: SPOILER)
„Jeder Mann will sein wie James Bond. Und jede Frau will einen Mann haben wie James Bond.“ So zumindest ein jahrzehntealtes Vorurteil über jenen Helden der Popkultur, dem ich verfallen war, seit ich ihn Mitte der 80er das erste Mal gesehen habe. Damals, als mein Vater und ich wöchentlich VHS-Kassetten in der Videothek ausleihen gingen und der erste Weg unweigerlich in jene Reihe ging, in der die Filme mit den tollen Covern von Roger Moore und Sean Connery standen.
Diese extravagante Welt voller Eleganz und Glamour, diese überragenden Stunts und tollen Frauen. Diese Autos, die ich besitzen und fahren wollte. Diese Gadgets, die ich gerne überall hätte einsetzen wollen, wo mir jemand nicht gepasst hat. Diese Orte, an denen ich so gerne zumindest einmal im Leben sein wollte. Dieses Eintauchen in eine fantastische und phantasievolle Welt der Fiktion. Und dieser unerschütterliche Held, der nie aus der Ruhe zu bringen war und der am Schluss immer gegen das Böse gewann. Einmal im Leben sein wie er.
Weniger wohl Gesonnene meinten damals schon, diese „007-Formel“ sei langweilig und überholt. Doch gab es immer wieder zeitgenössische Inhalte und auch Anpassungen. Der Macho der 60er wurde im AIDS-Zeitalter von 1987 monogam. 1989 zeigte er erstmals persönliche Gefühle. Und 1995 musste er sich dem Ende des Kalten Krieges und einer Frau als Vorgesetzte stellen. 2012 durften wir sogar das Haus kennenlernen, in welchem er aufwuchs. Und 2015 erfuhren wir, dass sein Erzrivale in der Jugendzeit ein Blutsbruder war.
Für mich als Anhänger dieses Grenzgängers zwischen Realität und Utopie, dem gerade noch Möglichen mit dem nicht mehr Machbaren, waren spätestens die beiden letzten Entzauberungen derer zu viel. Dennoch war es für mich noch in Ordnung, da das neue Publikum und der neue Zeitgeist nunmal ihre Schliffe einfordern. Das Gerüst blieb schließlich erhalten, auch wenn der Putz neu gemacht wurde und die etwas verstaubten Zimmer eine neue Einrichtung bekamen. Das Elementare, die Statik der Bondfilme, wurde dadurch nicht verändert. Zumindest noch nicht.
So bereitete ich mich 2021 nach langem Warten schon darauf vor, dass man sicher nicht zum sozial unabhängigen und privat nicht greifbaren Agenten seiner Majestät zurückkehren würde. Ich rechnete mit einer möglichen Liebesgeschichte mit Madeleine oder sogar mit Bonds Tod. Mit all dem hätte ich noch gut auskommen können. Doch es ist die pure Masse an diesen neuen Zügen, die es mir kaum möglich macht, mich mit KEINE ZEIT ZU STERBEN anzufreunden.
James Bond, der Fels in der Brandung des Zeitgeists, wurde gleich auf mehreren Ebenen aufgeweicht und demonstrativ verändert. Die bloße Aneinanderreihung an No Gos lässt einen antiquierten „Alt-Fan“ wie mich sich fragen, ob man ganz gewollt mit allem Vorherigen brechen wollte.
Leiter stirbt. OK, 1989 wurde er auch schon fast getötet – kann ja mal passieren.
SPECTRE wird komplett ausgelöscht. Aha. Da scheint Blofeld, der Ober-Stratege, die Zügel aber nicht mehr in der Hand zu haben.
Dann: Blofeld stirbt auch. Unfassbar! Und dann auch noch „aus Versehen“ von Bond bei einem Würgeangriff umgebracht. Wie unwürdig. Dies hat man also mit jener Figur gemacht, auf die die Fans so gespannt waren, nachdem die Macher nach langen Jahrzehnten die Rechte an der Figur wieder erhalten hatten. Blofeld gelingt nichts und er stirbt dann einfach so? Nicht Euer Ernst!
Und zu guter Letzt , tja, da stirbt eben auch noch Bond selber.
Ist dies nun modern, dass alle sterben müssen? Hetzt man mal wieder einem Trend nach, weil man schon lange selber als Franchise keine Maßstäbe mehr gesetzt hat?
Aber auch unabhängig vom Sterben: Wollte ich denn unbedingt wissen, dass mein der Realität entrückter Kindheitsheld nun auf einmal Familie hat, ein Kind hat, liebt?
Wollte ich sehen, wie er seinem Kind einen Apfel schneidet, wie seine Nummer 007 an jemand anderes vergeben wird, weil er im Ruhestand ist?
Nein, ich glaube nicht.
Die Vermenschlichung dieser Kino-Ikone hat zumindest bei mir zu deren Entmystifizierung geführt. „Too much information“, wie man so schön sagt.
Zudem funktionieren die neuen Moves auch nur ganz bedingt: Die neue Nr. 007 – Nomi, falls jemandem der Namen entfallen ist – ist in der Handlung ein recht unnötiges Beiwerk, so dass es nichts geändert hätte, wenn man diesen Twist einfach weggelassen hätte. Wollte man also nur die Figur des „James Bond 007“ auf den Boden der Tatsachen runterziehen?
Ohnehin versandet vieles im Profanen. Wir sehen Qs Wohnung und dass er kocht. Wir erfahren in minutenlangen Dialogen, wie Mutter Madeleine mit Tochter Mathilde spricht – auf Französisch mit Untertiteln.
Und wir wissen auch, dass Superschurke Safin – erstaunlich blass gespielt vom ansonsten von mir sehr geschätzten Rami Malek – ein Kindheitstrauma hatte, das ihn zu dem werden ließ, was er ist:
Dem Mann, der die Welt meines Bond zum Einstürzen brachte.
Vielleicht bin ich da einfach zu altmodisch: Ich mag in einem Bondfilm nicht wissen, warum ein Schurke böse wurde. Diese Erklärung nimmt ihm dieses Unerbittliche, Diabolische. Aber es passt natürlich zu einem Bond, der seine Eigenschaft, über den Dingen zu stehen, ebenfalls verloren hat.
Wenn ich nun versuche, meine zugegebenermaßen vielleicht auch etwas zu streng verordneten Bond-Attitüden abzulegen, um mich auf den Film als solchen zu konzentrieren, muss ich leider auch hier feststellen:
Zumindest bei mir funktioniert er – auch unabhängig von den Bond-Zutaten – nicht. Vieles zu überladen und unlogisch – und dies nehme ich einem ernsthaft angesetzten Film einfach übler als einem Over-the-Top-Bond.
Das Bedrohungsszenario ist zu wenig greifbar. Warum gibt sich Safin mit sowas Schnödem wie Mammon zufrieden, wenn er sein Ziel, die Vernichtung von SPECTRE, doch erreicht hat? Wer will „Herakles“ eigentlich kaufen und was soll dann damit geschehen? Und was passiert mit den potentiellen Käufern, nachdem der Kauf aus bekannten Gründen nicht zustande kommt?
Diese nicht zu Ende geführten Stränge passen zu einem Film, der aus meiner Sicht so viel Potential gehabt hätte, dann aber viel zu viel will. Der zu viele Ebenen zu erreichen versucht und zu progressiv sein will.
Und dabei hätte ich so gerne über etwas anderes geschrieben. Über die durchaus tollen Momente in NTTD. Z.B. über den meiner Meinung nach wahnsinnig gelungenen Soundtrack Hans Zimmers. Über die herrlichen Reminiszenzen und das schöne Finale. Oder über die wunderbare Pretitle von Matera. Vielleicht auch noch über die witzige Paloma, der man meiner Meinung nach zu wenig Screentime gab. Hätte man nicht vielleicht dafür den einen oder anderen Maddie-Mathilde-Dialog kürzen können?
Ich hätte auch über den coolen Look oder die Farbenvielfallt sprechen können, die NO TIME TO DIE gegenüber einigen Vorgängern vorzuweisen weiß.
Oder auch über den Humor, der mir dann durchaus den einen oder anderen Lacher abrang, z.B. im Zusammenhang mit Obruchev.
Aber der fade Beigeschmack, der sich bei mir nach dem Ende des Films eingeschlichen hat, überwiegt.
Immerhin: James Bond kehrt zurück.
Vielleicht dann in einer neuen Zeit. In einer Zeit, in der man sich wieder mehr Lockerheit (zu)traut und die Unterhaltung im Vordergrund steht und nicht der Seelenstriptease.
Ich bleibe jedenfalls Bond-Fan. Auch wenn ich nicht mit Sicherheit sagen könnte, ob der Junge aus den 80ern auch bei diesem heutigen Bond davon geträumt hätte, einmal im Leben so sein zu können wie er.