Beyond The Truth

  • Thorsten Beckmann



    präsentiert



    Ian Flemings James Bond 007



    in



    BEYOND THE TRUTH


















    1 - Après-Ski mit Aprewski





    James Bond stoppte gekonnt bei ein paar Tannen. Er stützte
    sich auf seine Skistöcke und sah sich um. Schnee rieselte auf seinen Skianzug.
    Ein leichter Wind ging und kein Wölkchen trübte den blauen Himmel. Irgendwo
    hier musste sie sein, die Skihütte von Morris. Henry Morris war ein
    professioneller Dieb und Einbrecher. Man sagt er wäre an dem tollkühnen Versuch
    die Kronjuwelen aus dem Tower von London zu rauben, der nur durch einen
    glücklichen Zufall entdeckt und verhindert werden konnte, beteiligt und sogar
    der führende Kopf der Bande gewesen. Doch man konnte ihm nichts nachweisen. Nun
    war es eben diesem Morris geglückt streng geheime Pläne von neuen U-Boot-Typen
    zu stehlen. Im Ministerium ging man davon aus, dass er nun versuchte die CD mit
    den Daten gewinnbringend an einen anderen Geheimdienst zu verkaufen. Man folgte
    seiner Spur bis nach Innsbruck wo Bond herausfand, dass Morris hier eine
    Skihütte besaß. Wer der Abnehmer für die CD sein würde, war ihm ebenfalls klar.
    Es konnte sich nur um den russischen Geheimdienst handeln. Äußerste Vorsicht
    war geboten und er musste schnell zuschlagen, wenn er Morris erledigen und den
    russischen Kontaktmann überraschen wollte.



    Plötzlich wurden Bonds Gedankengänge unterbrochen, etwas
    zischte dicht an seinem rechten Ohr vorbei, hinter ihm splitterte Holz. Ein
    Schuss hatte die melancholische Stille der verschneiten Bergwelt beendet! Rasch
    sah Bond sich um und erblickte unweit von sich zwei bewaffnete Männer hinter
    einer Schneewehe. Es mussten angeheuerte Schläger von Morris sein, kein Schütze
    des russischen Geheimdienstes hätte ihn auf diese kurze Distanz so verfehlt.
    Bonds Armmuskeln spannten sich an, schnell und kraftvoll stieß er sich ab und
    glitt an den Tannen vorbei Richtung Tal. Doch auch seine beiden Verfolger
    verloren keine Zeit und setzten ihm sofort nach. Einer von beiden musste eine
    Maschinenpistole haben, denn Bond hörte die Schüsse, merkte wie der Schnee um
    seine Skier und Skistöcke herum aufgrund der Kugeleinschläge aufstob. Er wagte
    nicht zurückzublicken, sein Gehirn arbeitete beinahe automatisch an einem Plan
    um die beiden loszuwerden. Als Bond schließlich merkte, dass sein Vorsprung immer
    größer wurde und die beiden Schläger wohl ebenso schlechte Skifahrer wie
    Schützen waren, fasste er einen Plan. Ganz in der Nähe war ein Abhang, eine
    steile Felswand…



    Bond verlangsamte etwas, änderte seine Richtung und hielt
    auf den Abhang zu. Seine beiden Verfolger kannten die Gegend anscheinend
    ebenfalls und teilten sich, um ihn in die Enge zu treiben. Dies war Bond nur
    recht, so konnte er sie sich einzeln vorknöpfen. Er blickte zurück, schätzte
    die Wege der beiden Schläger ein und hielt weiter auf den Abhang zu. Drohend,
    wie eine bodenlose Pforte zum Tod kam der Abhang immer schneller immer näher
    und während sein Verfolger schon langsamer wurde hielt Bond unbeirrt auf den
    Abgrund zu.



    Erst im letzten Moment riss er die Skier herum, machte eine
    90°-Drehung und schnitt elegant am Abhang vorbei bis er schließlich stoppte. Sein
    Verfolger kam unaufhörlich näher und auch von der anderen Seite konnte Bond
    schon den herannahenden Schläger sehen. Wie er es vermutet hatte, hatten beide
    ihre Waffen weggesteckt um sich ganz auf das Skifahren zu konzentrieren, denn
    jeder Fehltritt könnte hier mit einem tiefen Fall bestraft werden. Die beiden
    Schläger fühlten sich ganz siegessicher, Bond war in die Enge getrieben und
    wohl bald im freien Fall ins Tal zurückkehren. Ein Schubs würde schon genügen.
    Sie kamen immer näher, unaufhaltsam auf Bond zu. Dieser reagierte blitzschnell.
    Er streckte seine rechte Hand aus, die spiegelnde Substanz auf der Innenfläche
    des Handschuhs reflektierte die Sonnenstrahlen geradewegs in die Skibrille von
    Bonds direktem Verfolger. So geblendet kam er ins Schlingern, seine Skier
    streiften einen großen Stein, der Mann verlor das Gleichgewicht und segelte mit
    lauten Aufschrei über die Klippe!



    Geschwind drehte Bond sich jetzt zu dem anderen Schläger um,
    der von Wut getrieben nun auf direktem Kollisionskurs mit ihm war und immer
    näher kam. Bond hob seinen linken Skistock, zielte und feuerte. Ein Stahlnagel
    durchbrach fast geräuschlos die Luft, den Skianzug des Schlägers und ging
    direkt in sein Herz. Der Mann zuckte zusammen, sein Körper erschlaffte,
    schlingerte über den Rand des Abgrunds und fiel.





    Bond sah ihm ohne mit der Wimper zu zucken nach. „Der erste
    Mann, dem ich das Herz gebrochen habe.“





    Unbeschwert als wäre gar nichts passiert, setzte Bond seinen
    Weg zur Skihütte fort und erreichte schließlich kurze Zeit später sein Ziel.



    Einsam und ganz idyllisch lag die kleine, dunkle Blockhütte
    in einem verschneiten Winkel. Man könnte sie für verlassen und leer halten wenn
    da nicht frische Spuren von Skiern wären, die direkt zur Tür der Hütte führten.
    James Bond, gekleidet in einen weißen, unauffälligen Skianzug hielt auf ein
    kleines Tannenwäldchen in der Nähe zu, nachdem er die Hütte ausgekundschaftet
    hatte. Dort legte er die Skistöcke beiseite, schnallte sich die Skier an und
    verstaute alles hinter einem der Bäume. Schließlich zog er die weiße Skimütze
    über das Gesicht und tastete sich langsam zur Blockhütte vor. Seine einzige
    Deckung bestand aus seinem Anzug, denn die Hütte besaß an jeder Seite ein
    Fenster und hatte dementsprechend keinen toten Winkel. Langsam und sehr bedacht
    robbte Bond immer weiter vor. Regelmäßig hielt er inne und lauschte, doch jedes
    Mal war sein eigener Atem das Einzige was er hörte. Schließlich erreichte er
    die Westseite der Hütte, an der das Kaminholz lagerte. An der Nordseite befand
    sich die Tür. Schnell stand Bond auf und presste sich neben dem Fenster an die
    stabile Holzwand der Hütte. Er griff sich einen der Holzscheite, klopfte damit
    gegen das Fenster und schmiegte sich an der Wand entlang zur nordwestlichen
    Ecke. Er hob das Holzscheit hoch und lauschte angespannt, jederzeit bereit
    zuzuschlagen.



    Leise hörte man schwere Schritte auf Holzbohlen, Morris
    öffnete die Tür, seinen Revolver entsichert und schussbereit in der Hand. Er
    wusste schon lange, dass man ihn verfolgte und er hatte eigentlich fest damit
    gerechnet, dass Roland und Wilhelm, die beiden Schläger, die er extra noch zu
    seinem Schutz in Innsbruck angeheuert hatte, ihm genug Zeit verschafften um den
    Deal über die Bühne zu bringen und zu verschwinden. Doch etwas musste schief
    gelaufen sein oder hatte das Geräusch am Fenster eben einen ganz anderen Grund?



    Der schmächtige Morris ging vorsichtig weiter und trat mit
    schneller Bewegung um die Ecke, doch Bond reagierte sofort und Morris spürte
    einen harten Schlag, einen stumpfen Schmerz und ging bewusstlos zu Boden. Der Schuss,
    der sich löste, verpuffte wirkungslos in der kalten Bergluft.



    Bond nahm den Revolver an sich, durchsuchte Morris und
    schleifte ihn schließlich in die Hütte. Die Hütte war nur spärlich
    eingerichtet. Rechts waren ein Vorratschrank und eine kleine Sitzecke, links
    ein Bett und der Tür gegenüber war der Kamin, stilvoll mit einem Bärenfell
    davor. Morris’ Skier und Skistöcke lehnten neben der Tür. Bond wuchtete Morris
    auf das Bett und sah sich dann um. Die gestohlene CD lag offen auf dem Tisch
    der Sitzecke. Er nahm sie an sich, setzte sich auf einen der beiden alten Holzschemel,
    die vor dem Tisch standen, und wartete mit gezücktem Revolver darauf, dass
    Morris wieder zu sich kam.



    Es dauerte nicht lange bis Morris sich regte. Mühsam
    richtete er sich auf und hielt sich das schmerzende, aufgescheuerte Kinn. Sein
    schlankes, eingefallenes Gesicht und die tiefen Ränder unter seinen Augen
    ließen keinen Zweifel, dass dieses Genie unter den Dieben Englands dem
    Rauschgift ergeben war. Bond blickte ihn hart an. „Wer ist ihr Kontaktmann,
    Morris? Mit wem wollten sie sich hier treffen?“





    Morris’ Gehirn arbeitete auf Hochtouren, er lotete seine
    Chancen zur Flucht ab. „Sie… sie können die Waffe ruhig senken, Mister. Die CD
    haben sie schon und körperlich überlegen sind sie mir auch. Stecken sie die
    Waffe weg und ich werde ihnen alles sagen, was sie wissen wollen.“





    Bond taxierte Morris misstrauisch, lenkte aber schließlich
    ein und steckte den Revolver weg. „Also? Wer ist ihr Kontaktmann?“





    „Nun, wie sich sicher denken können ist es ein Russe. Agent
    des russischen Auslandsgeheimdienstes, dem SWR.“ Morris’ rechte Hand löste sich
    von seinem Kinn. Er stützte sich damit neben dem altmodischen Federkissen auf.





    „Soviel kann ich mir schon selber zusammen reimen, Mr.
    Morris. Der Name und zwar schnell!“





    „Ja, schnell können sie haben, sehr schnell.“ Etwas in
    Morris’ Ton gefiel Bond nicht. Instinktiv setzte er sich in höchste
    Alarmbereitschaft. „Der Name meiner Kontaktperson ist Aprewski. Einfach nur
    Aprewski.“ Morris sprach ungewöhnlich sanft. Kaum hatte er das letzte Wort
    vollendet, holte er blitzschnell mit seiner rechten Hand einen Dolch unter dem
    Kissen hervor, hob sie stichbereit empor und stürzte sich auf Bond!



    Bond, der schon auf eine Attacke vorbereitet war, stützte
    sich mit den Armen am Tisch hinter sich. Morris’ Hand sauste tödlich hinab, er
    fühlte einen Stoß, einen stechenden Schmerz, Blut breitete sich auf dem
    Skianzug aus. Morris’ glasige Augen blickten ihr Gegenüber erstaunt an. Bond
    hatte just in dem Moment kurz bevor die Klinge ihn erreichte mit einem harten
    Tritt Morris’ Hand abgelenkt. So abgelenkt, dass sich der Dolch unnachgiebig in
    Morris’ Bauch bohrte. Morris schwankte, fiel gurgelnd hintenüber und blieb tot
    auf dem Bärenfell liegen. Eine blutige Spur seiner Hand kündete am Bettpfosten
    von seinem letzten Versuch Halt zu finden.





    „Kleinvieh macht nur Mist“, kommentierte Bond und stand auf.
    Er zog den blutverschmierten Dolch aus dem Körper des unbedachten Diebes und
    hob Morris schließlich auf das Bett wo er den recht klein gewachsenen Mann mit
    der Federbettdecke bedeckte. „Nicht jeder hat so eine weiche letzte Ruhe. Sie
    sollten mir dankbar sein, Mr. Morris.“





    Der Geheimagent setzte sich wieder auf den Schemel und holte
    Morris’ Revolver hervor. Er wartete und lauschte. Nachdem er eine knappe halbe
    Stunde in der Hütte ausgeharrt hatte, hörte Bond wie sich jemand der Hütte
    näherte. Er stand auf, presste sich neben der Tür an die Wand und hielt die
    Waffe bereit. Es klopfte. „Aprewski?“, fragte Bond mit verstellter Stimme.
    „Da“, war gedämpft von draußen zu hören. „Treten sie herein. Sie sind spät.“



    Langsam öffnete sich die Tür und eine Person in dunklem
    Skidress betrat die Hütte. Ein Klicken ertönte, die Person zuckte zusammen.
    Bond hatte den Revolver entsichert. Er war genau auf den Kopf mit der
    dunkelblauen Skimütze gerichtet. „Sie sind zu spät, wollte ich sagen“, begann
    Bond hart. „Der Deal findet nicht statt!“ Eine Regung durchfuhr Aprewski. „Keine
    Mätzchen“, warnte der britische Agent.





    „Keine Angst. Ich werde mich nicht wehren. Aber vielleicht
    kann man sich irgendwie gütlich einigen.“ Aprewski zog sich die Skimütze vom
    Kopf, wendete eben diesen Bond zu und sah ihn an. Bond ließ langsam den Revolver
    sinken. Er blickte in blitzende graublaue Augen in einem ebenmäßigen, hellen
    und jugendlichen Gesicht, das von braunen, leicht gewellten, schulterlangen
    Haaren eingerahmt wurde. „Ich heiße Anna“, formten ihre vollen, sinnlichen
    Lippen. Der Brite war ihrem Charme sofort erlegen und auch Anna schien an dem
    was sie sah Gefallen zu finden. „Mein Name ist James.“





    „James Bond nehme ich an.“ Dieser nickte. „Was haben sie mit
    Morris gemacht?“

  • Bond deutete mit dem Revolver auf das Bett. „Den habe ich
    schlafen geschickt. Wir sind also ungestört bei unseren ‚Verhandlungen’.“





    Anna lächelte und begann damit ihren Skianzug zu öffnen.
    „Etwas kühl ist es hier, findest du nicht, James“, kam es heiser von Anna.





    Bond legte den Revolver beiseite. „Zum Glück weiß ich wo das
    Feuerholz ist.“





    Eine Stunde später prasselte ein wohlig warmes Feuer in dem
    Kamin der kleinen Blockhütte. James und Anna lagen aneinander geschmiegt unter
    einer Decke, die sie im Schrank gefunden hatten, auf dem Bärenfell. „Du wirst
    mich also vergessen, James?“





    „Dich könnte ich nie vergessen, Anna.“





    Anna wurde leicht rot und lächelte. „Ich meinte, du wirst
    deinen Vorgesetzten sagen, dass niemand gekommen ist um die CD von Morris
    abzuholen.“





    „Das habe ich dir doch versprochen. Und du wirst sagen, du
    hättest die Hütte leer und Morris nur noch tot vorgefunden.“ Anna nickte. „Das
    nenne ich geglückte Verhandlungen“, lächelte James und küsste Anna zärtlich.





    Eine weitere Stunde später öffnete Anna die Tür der
    Blockhütte. Bond schloss gerade den Reisverschluss seines Skianzuges. „Meine
    Skier sind bei den Tannen“, bemerkte er.





    „Meine auch“, lächelte Anna.





    „Dann fahren wir zusammen ins Tal?“





    Anna schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht.“ Mit einer
    Hand hielt sie die CD hoch, die sie mit einer Schlaufe an ihr Handgelenk
    befestigt hatte, und mit der anderen richtete sie Morris’ Revolver auf Bond.
    Dieser griff instinktiv an seine Brust und damit an eine leere Tasche. „Luder!“





    „Danke für die schöne Zeit mit dir, James.“ Mit amüsierten
    Gesichtszügen griff sie nach einem von Morris’ Skistöcken, trat rückwärts aus
    der Hütte, schloss die Tür und verbarrikadierte sie mit dem Stock. Schnell
    eilte sie zu dem kleinen Tannenwäldchen.





    Bond verfluchte sich und seine Unvorsicht innerlich, doch
    empfand er auch Bewunderung für Anna und konnte sich ihrem Charme immer noch
    nicht entziehen. Doch nun hieß es handeln und zwar schnell! Er musste sich
    einige Male gegen die Tür werfen bis diese schließlich nachgab und er frei war.
    Mit unglaublicher Geschwindigkeit sprintete er zu den Tannen. Anna hatte ihre
    Skier bereits angeschnallt, winkte Bond noch einmal zu und stieß sich kraftvoll
    ab. Es schien sogar als würde sie lächeln. Eilig schnallte sich Bond ebenfalls
    die Skier an und griff nach seinen Skistöcken. So schnell es ging nahm er die
    Verfolgung auf.





    Anna wendete sich um, Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn.
    Bond holte immer mehr auf, er war wirklich ein beinahe teuflisch guter
    Skifahrer. Alle ihre Versuche Bond auf schwieriger Piste über Felsvorsprünge
    und zwischen Tannen hindurch abzuhängen konnten Bond nicht aufhalten. Schon
    hatte er Parallelkurs eingeschlagen und fuhr nun dicht neben ihr. Anna
    versuchte Abstand zu gewinnen, scherte aus um ihn anschließend zu rammen. Doch
    Bond hielt dagegen. Anna scherte wieder aus und unternahm einen erneuten
    Versuch. Als sie sich dieses Mal berührten war es schließlich an Bond zu
    lächeln und danke zusagen, denn er griff sich rasch die CD, die Schlaufe riss
    und fluchend wurde nun die Gejagte zur Jägerin. Doch sie konnte nicht fassen welche
    Richtung Bond einschlug. Der Atem stockte ihr, als sie merkte dass Bond direkt
    auf den Abhang zuhielt, der schon Morris’ Schlägern zum Verhängnis geworden
    war. Es war Bonds schnellste Chance zu entkommen und er hatte vor sie in jedem
    Fall zu Nutzen. Eigentlich hätte er die Kontaktperson von Morris stellen
    müssen, doch sein Herz und sein Instinkt rieten ihm Anna trotz allem laufen zu
    lassen. Sie machte wie er nur ihren Job. Die Felskante rückte immer näher und
    näher. Als Bond sich ein letztes Mal kraftvoll abstieß und über den Abgrund
    segelte kniff Anna erschrocken die Augen zusammen. Sie verlangsamte ihre Fahrt
    und stoppte an der Kante. Zitternd sah sie hinab.



    Doch es wurde ihr sofort leichter ums Herz als sie eine
    weiße Wolke unter sich bemerkte, aufgebläht wie ein Segel im Wind. Sicher
    schwebte der britische Agent an einem Fallschirm zu Boden. Als er wieder eine
    feste Schneepiste unter sich hatte, entledigte er sich des Fallschirms,
    stoppte, wendete sich um, sah zu Anna hoch und winkte ihr zu, bevor er seinen
    Weg nach Innsbruck fortsetzte. Würde sie ihn jemals wiedersehen?





    2 – Am Weltgeschehen
    vorbei





    Zurück in London machte sich James Bond vom Flughafen aus
    sofort per Underground auf den Weg zum MI6-Hauptquartier. Auf der Straße
    zwischen U-Bahn-Station und Geheimdienstgebäude hielt er nur einmal an einem
    Zeitungsstand. Dort kaufte er den Tomorrow, der nach Carvers Tod von einem
    bekannten Londoner Zeitungsriesen übernommen wurde, und überflog die
    Schlagzeilen. „Missglücktes Attentat auf Friedensnobelpreisträger Michail
    Gorbatschow.“ „Bekannter russischer Nachrichtentechniker noch immer
    verschwunden. Ist er ein Überläufer?“ „Skandal um verseuchte Produkte des
    Rum-Herstellers Bacardi. Die Geschäftsführung versichert glaubhaft, dass es
    sich nicht um eine Erpressung handelt. Wer steckt hinter dem Terror?“ „Dreister Bilderdiebstahl in Oslo, zwei
    Munch-Gemälde entwendet.“ „ Mit Dr. Reginald Jameson nun endlich ein neuer Kopf
    für das britische Satellitenprojekt gefunden. Nach dem überraschendem
    Selbstmord seines Vorgängers Sir William Otterborough lag das Projekt ein Jahr
    lang brach und wurde um mehrere Jahre in der Entwicklung zurückgeworfen.“





    Bond seufzte, die Welt war in Bewegung und er, der Top-Agent
    seiner Majestät, durfte nur hinter gewöhnlichen Dieben herjagen. Irgendwie
    spürte er, dass es einen Zusammenhang zwischen dem russischen Nachrichtentechniker
    und dem Tod von Sir William geben musste. Bond faltete die Zeitung wieder
    zusammen und setzte seinen Weg fort.





    Die Tür von Ms Vorzimmer öffnete sich. Moneypenny unterbrach
    ihr Tippen und schaute erwartungsvoll zur Tür. „James!“, rief sie freudig.
    „Schön, dass du wieder da bist!“





    Bond trat herein und ließ sich flegelhaft auf Moneypennys
    Schreibtisch nieder. „Hat sich da etwa jemand Sorgen um mich gemacht?“, fragte
    er ganz unschuldig.





    „Ich sorge mich um jeden unserer Topagenten“, entgegnete
    Moneypenny kokett. „Alles gut aussehende und gestandene Mannsbilder.“





    Bond machte große Augen. „Penny! Du wirst mir doch wohl
    nicht untreu werden? Besonders wo deine Sorge nur allzu berechtigt war. Ich
    wandelte während der Mission ständig am Rande des Abgrunds!“





    „Oh“, meinte Moneypenny bedauernd. „War es wirklich so
    schlimm?“





    Bond seufzte. „Nein, leider nicht. Es war eigentlich kaum
    etwas anderes als ein gewöhnlicher Skiurlaub. Ich brauche mal wieder eine
    Mission, die mich richtig fordert.“





    „Na dann drücke ich dir mal beide Daumen, James“, lächelte
    Moneypenny und drückte einen Schalter der Sprechanlage. „007 ist jetzt da.“
    „Danke“, ertönte Ms Stimme. „Schicken sie ihn herein.“ Bond stand auf und ging
    zur Tür, an der er sich noch einmal umdrehte. „Bis später und lauf mir nicht
    weg“, grinste er und betrat schließlich Ms Büro. Moneypenny sah ihm
    kopfschüttelnd und mit einem belustigten Gesichtsausdruck nach.





    M blickte Bond an als dieser das Büro betrat. „Sie kommen
    spät, 007. Setzen sie sich.“





    Bond leistete Ms Anweisung Folge und ließ sich in dem Stuhl
    vor Ms Schreibtisch nieder. Er hob den Tomorrow hoch und legte ihn schließlich
    auf den Schreibtisch neben einen Stapel Akten. „Ich habe noch Zeitung gelesen
    auf dem Weg von der U-Bahn hierher.“





    M verzog keine Miene. „Das meine ich nicht. Was hat sie so
    lange in Innsbruck festgehalten? Sie hätten schon einen Flieger eher hier sein
    müssen. Haben sie die CD?“





    „Sicher. Hier bitte.“ Bond griff in die Innentasche seines
    Sakkos, holte die CD hervor und warf sie locker vor M auf die Schreibunterlage.





    „Was ist mit Morris’ Kontaktmann?“ Scharf sah M Bond an,
    doch dieser hielt dem Blick stand. „Er kam nicht. Das erklärt auch meine Verspätung.
    Ich habe lange in der Skihütte gewartet, vergeblich.“ Er konnte Anna noch immer
    nicht verraten.





    „Und Morris?“





    „Der ist kalt gestellt und ruht sehr sanft.“





    „Gut.“ M erhob sich. „Dann kommen wir zu ihrem neuen
    Auftrag.“





    Bond nickte wissend und deutete auf die Zeitung. „Ich weiß
    schon. Unser neues Satellitenprojekt. Irgendetwas ist da faul.“





    „Nein“, war zu Bonds großem Erstaunen Ms Antwort. M öffnete
    einen Schrank und griff nach einer Karaffe. „Auch einen Bourbon?“ Bond nickte.
    M griff nach zwei Gläsern, stellte alles auf dem Schreibtisch ab und schenkte
    ein. „Eis?“ „Ja, gerne.“ M holte aus dem Schrank nun auch eine Schale mit
    Eiswürfeln und ließ einige in die Gläser fallen. Dann räumte sie die Schale und
    die Karaffe wieder weg und setzte sich. Sie griff nach ihrem Glas, nahm einen
    Schluck und sah Bond an. Er konnte Besorgnis in ihrem Blick erkennen. Eine
    längere Pause entstand. M öffnete ein paar Mal den Mund um ihn aber sofort mit
    einem kurzen Schütteln des Kopfes wieder zu schließen. Es schien als suche sie
    noch nach den richtigen Worten. Taktvoll drängte Bond sie nicht, sondern
    wartete ruhig ab. Zwischendurch griff er zu dem Whiskyglas und nahm ebenfalls
    einen Schluck. „Nun“, begann M schließlich. „Es geht um Terrorismus.“ Bond
    runzelte die Stirn, es konnte sich doch nicht um diese Bacardi-Affäre handeln.
    Oder etwa doch? „Wie gesagt, es geht um Terrorismus“, fuhr M fort. „Es handelt
    sich um Bombenattentate auf die Plantagen von kubanischen Pflanzern. Todesopfer
    gab es keine, bis auf einen der Attentäter der die Zündzeit falsch eingestellt
    und die Felder nicht schnell genug verlassen hatte. Allerdings sind bisher
    viele Pflanzungen komplett vernichtet worden.“





    „Nun, bedauerlich“, zuckte Bond mit den Schultern. „Aber was
    hat das mit uns zu tun?“





    M atmete tief durch. „Die Spur dieses toten Attentäters
    konnte zurückverfolgt werden bis nach England.“ „Sie meinen der Auftraggeber
    sitzt in unserem Land?“, unterbrach Bond. Doch M, die sich nicht unterbrechen
    ließ führte weiter aus. „Zurückverfolgt werden bis zu Sir Henry Westham.“





    Bond stockte der Atem, fast hätte er das Glas fallen
    gelassen. „Unser Henry Westham? Der berühmte Sir Henry?“





    M senkte den Blick und nickte. Sie presste kurz die Lippen
    zusammen und schaute dann wieder zu Bond. „Der Attentäter wurde von Sir Henrys
    Konto bezahlt. Das ist einwandfrei nachgewiesen.“





    Bond blickte fassungslos aus dem Fenster. Das konnte doch
    nicht sein! Wie war das möglich? Ausgerechnet Sir Henry! Die MI6-Legende, die
    ebenfalls einmal unter der Decknummer 007 aktiv war! Er leerte sein Whiskyglas
    und wendete seinen Kopf wieder zu M. Diese stellte ihr Glas beiseite und
    drückte auf einen Knopf des Schaltpultes vor ihr. Das Gemälde von Königin
    Elisabeth II., das hinter ihr über dem Aktenschrank hing, fuhr hinab und gab den
    Blick auf einen Bildschirm frei auf dem nun das Antlitz und der vollständige
    Name von Sir Henry erschien. Es war das Foto eines Mannes mit schütterem,
    weißem Haar, aufgedunsenem Gesicht, breiter Nase und müden Augen. Bond und M
    blickten zum Bildschirm, M begann mit einem kurzen Dossier über Sir Henry.





    „Henry Archibald Westham. Geboren am 25. August 1930 in Edinburgh.
    Sohn einer Reederfamilie, eine Schwester, die einen französischen Adligen
    heiratete. Seine Eltern starben 1941 bei einem Schiffsunglück. Trotzdem ging er
    zur britischen Marine, wurde dort bis zum Lieutenant befördert und kam
    schließlich 1958 zu uns. Seine Fähigkeiten ließen ihn nur wenige Jahre später
    in die Reihe der 00-Agenten aufsteigen. Seine Nummer war 007. Seinen ersten
    großen Erfolg heimste er während der Kubakrise 1962 ein, viele weitere folgten.
    Er war unser Top-Agent während des kalten Krieges. 1968 verliebte er sich in
    eine Kubanerin und 1969 heiratete er sie schließlich. 1971 wurde ihre einzige
    Tochter Havanna geboren. 1977 wurde er aufgrund seiner Leistungen im Dienste
    ihrer Majestät zum Ritter geschlagen. 1978 starb seine Frau bei einem
    Autounfall. Der Schuldige beging Fahrerflucht und wurde nie gefasst. Sir Henry
    fing an zu trinken und wurde noch im selben Jahr in allen Ehren aus dem Dienst
    entlassen. Nun lebt er mit seiner Tochter und seinem Neffen, einem Chevalier
    Damien de Stroy, in einem alten Landsitz in der Nähe von Bath, wo er sich auch
    zurzeit aufhält. Er hat ebenfalls noch ein Haus auf Kuba. Das wäre alles.
    Nichts was die Übergriffe auf die Pflanzer erklären könnte, im Gegenteil. Sir
    Henry war immer sehr mit der Insel verbunden.“





    M drückte auf einen weiteren Knopf, das Gemälde fuhr wieder
    hoch. M und Bond sahen sich an. „Sie werden ihm einen Besuch abstatten, 007.
    Dies ist eine höchst delikate Angelegenheit, also seien sie diskret. Finden sie
    heraus was da gespielt wird. Ich will mit allen Mitteln verhindern, dass unser
    Held der ersten Kubakrise nun eine zweite Kubakrise heraufbeschwört. Oder wer
    auch immer dafür verantwortlich ist.“ Das Resolute verschwand aus ihrer Stimme
    und sie sprach fast tonlos weiter. „Beweisen sie mir seine Unschuld.“





    Bond nickte stumm, erhob sich und verließ langsam und
    nachdenklich Ms Büro. Moneypenny im Vorzimmer bemerkte natürlich sofort seinen
    Gemütswechsel. „Doch kein Auftrag nach deinem Geschmack James?“

  • Aus seinen Gedanken aufgerissen blickte Bond etwas verwirrt
    zu Ms Sekretärin. „Nein. Das kann man wirklich nicht sagen.“





    „Oh“, meinte Moneypenny bedauernd. „Keine Mission, die dich
    an die Grenzen deiner intellektuellen und körperlichen Fähigkeiten bringt?“





    „Nun, letzteres im Moment noch nicht. Zurzeit sieht es eher
    nach Detektivarbeit aus.“





    Moneypenny öffnete die oberste Schublade ihres
    Schreibtisches und holte ein Bahnticket hervor mit dem sie keck herumwedelte.
    „Nun, dann behalte ich dieses wohl lieber selbst und du läufst nach Bath um
    deine Kondition auszureizen“, versuchte sie ihn aufzumuntern. Bond musste nun
    doch lächeln. Moneypenny reichte ihm das Ticket und schaute schwärmerisch in die
    Luft. „Hach, Bath… Weltkulturerbe, die römischen Bäder, Schwelgen in der
    Geschichte“, schwärmte sie. „Erst ein kostenloser Skiurlaub und danach noch ein
    Aufenthalt in Bath sofort hintendran. So gut wie du möchte ich es auch mal
    haben.“





    Bond näherte sich Moneypennys Schreibtisch, beugte sich zu
    ihr herüber und nahm ihre Hand. „Dein Platz ist hier, Penny. Hier wirst du
    gebraucht. Und es ist schön zu wissen, dass es da jemanden gibt der beharrlich auf
    die Rückkehr der Helden wartet und sich um sie sorgt.“ Er schaute Moneypenny
    noch einmal lächelnd an und wendete sich dann um. Moneypenny schaute ihm
    nachdenklich und etwas besorgt nach als er das Vorzimmer verließ. So ernst
    hatte sie ihn noch nie erlebt vor einem neuen Auftrag. Irgendetwas musste ihn
    sehr bedrücken.





    Bond betrat die Entwicklungsabteilung des MI6. Hier
    herrschte wie immer reger Betrieb und die Geräuschkulisse war recht hoch. Ohne
    Umschweife ging Bond zu Q, der gerade an einem Computerterminal saß und Daten
    eingab. Seine grauen Haare waren leicht zerzaust und er sah sehr konzentriert
    aus. „Morgen Q.“





    „Es ist zum Haare raufen“, murmelte Q, der Bond nicht
    bemerkte.





    „Guten Morgen Q“, wiederholte Bond etwas nachdrücklicher und
    endlich sah selbiger auf. „Oh, guten Morgen 007.“





    „Gibt es Probleme?“





    „Kann man wohl sagen. Schauen sie mal dort.“ Q machte ein
    Kopfnicken nach rechts auf eine freie Fläche, auf der regulär immer Bonds Autos
    stehen. Bond schaute hin. „Hm, ja, der unsichtbare Wagen. Was stimmt nicht mit
    ihm?“





    Q blickte gen Himmel und schüttelte verständnislos den Kopf.
    „Das ist nicht ihr unsichtbarer Wagen, das ist überhaupt kein Wagen. Wir haben
    zwar einen hübschen Jaguar für sie, aber wir haben noch ein paar Probleme mit
    den Extras.“





    „Ah, deshalb das Bahnticket. Aber lassen sie mich raten. Sie
    überlegen noch wie viele Getränkehalter sie einbauen“, grinste Bond.





    Q seufzte. „Wenn es so einfach wäre würde ich mich freuen.
    Dass sie zwei Getränkehalter brauchen steht ja wohl außer Frage. Einen für sich
    und einen für die arme Frau, die ihre Fahrkünste ertragen muss. Aber kommen wir
    jetzt zu ihrer anderen Ausrüstung.“ Q stand auf. „Folgen sie mir.“ Er ging zu
    einem Tisch auf dem allerlei Alltagsgegenstände und elektronische Teile lagen.
    Bond ließ kurz seinen Blick darüber schweifen.
    Q griff zu einem Kugelschreiber. „Er enthält eine Abhöranlage. Lässt
    sich geschickt platzieren, Kugelschreiber verlegt man gerne einmal. Wo wir
    gerade dabei sind. Wo ist eigentlich meiner?“ Q befühlte die Seitentaschen
    seines weißen Kittels.





    „Wie wäre es mit diesem da?“ Bond blickte zu Qs Brusttasche.
    Q tat es ihm gleich, tatsächlich ragte dort ein Kugelschreiber empor. „Äh ja,
    danke. Der Empfänger ist übrigens ihre Armbanduhr. Nun weiter.“ Q reichte Bond
    den Kugelschreiber, den dieser in eine Innentasche seines Sakkos steckte, und
    griff nach einem Taschenrechner und klappte ihn auf. Auf der Innenseite des
    Deckels war ein kleiner Bildschirm angebracht. „Hochleistungsscanner für den
    modernen Safeknacker. Erkennt die Funktionsweise von mechanischen Safes und
    errechnet genau die Kombination. Bei elektronischen Safes werden die Tasten
    gescannt und die Kombination anhand der Fingerabdrücke bestimmt. Bei
    personalisierten Schlössern durch Fingerabdruck handhaben sie den Rechner so
    wie damals ihr Handy bei der Carver-Mission. Er ist sogar in der Lage
    Netzhautmuster aus einem Netzhautscanner herauszuscannen und nachzubilden.“ Q
    reichte Bond den Taschenrechner. Bond begutachtete ihn noch einmal und steckte
    ihn weg. „Und was mache ich bei Safes, die einfach nur einen Schlüssel benötigen?“





    „Man kann halt nicht alles haben.“ Q zuckte mit den
    Schultern. „Improvisieren sie eben. Nehmen sie meinetwegen die Haarnadel der
    von ihnen verführten Frau oder stehlen sie den Schlüssel vom Hausherrn oder was
    auch immer.“ Q machte eine bedeutsame Pause. „Aber die beste Funktion dieses
    Taschenrechners kommt noch.“





    Bond stutze und griff sich in die Tasche, in die er den
    Rechner hatte hineingleiten lassen. „Welche ist das?“





    „Sie können die Werte der Schäden, die sie während der
    Mission anrichten zusammenzählen und berechnen mit wie viel Geld sie die Säckel
    der Steuerzahler immer zusätzlich belasten“, gab Q überlegen zurück.





    3 – Bonds Exkursion





    James Bonds Zug fuhr von der Paddington Station los und
    brauchte knapp eineinhalb Stunde bis Bath. Während der Zugfahrt grübelte Bond
    über diesen Fall nach. Er fand keine befriedigende Lösung. Zu viele Gedanken
    wollte er sich auch nicht machen, doch die Bahnfahrt bot sich an um in den
    Akten von Sir Henry nach Anhaltspunkten zu suchen. Doch auch hier gab es keine
    Auffälligkeiten.



    Als Sir Henry zum MI6 kam, war er ein viel versprechender, ehrgeiziger
    und recht verschlossener junger Mann. Seine Loyalität, Verlässlichkeit und
    Präzision ließen ihn schnell in den Reihen des Secret Service aufsteigen. Als
    00-Agent schließlich lobte man seine schnelle Auffassungsgabe, seine Intuition
    und seinen scharfen Verstand. Wegen der schnellen, komplikationslosen
    Durchführung seiner Aufträge war Westham bis heute noch berühmt. Während der
    Kubakrise konnte er blutige Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Clans
    von Kubanern und Exilkubanern verhindern und man äußerte sich allgemein
    bewundernd über seine Diplomatiefähigkeit. Doch nun stutzte Bond. Seitdem
    weigerte sich Sir Henry konstant weitere Missionen auf Kuba oder in der Karibik
    zu unternehmen. Bond überlegte angestrengt was das wohl zu bedeuten hätte, doch
    kam er zu keinem Ergebnis. Erst 1968 kam Westham nicht mehr darum herum und
    verliebte sich prompt in eine Kubanerin. Seitdem war er offener, weniger
    einzelgängerisch und kaufte sich sogar ein Haus auf Kuba. Seine Missionen
    erledigte er zwar immer noch sehr zufrieden stellend, doch brauchte er nun etwas
    länger dafür. Scheinbar war er vorsichtiger geworden, doch das war nur zu
    verständlich, schließlich war er nun Ehemann und etwas später auch
    Familienvater bis… nun ja, bis seine Frau starb. Dies besiegelte Sir Henrys
    Abstieg. Er konnte den Tod seiner Frau nicht verwinden und suchte Trost im
    Alkohol. Bond schaute auf. Er hatte Sir Henrys Bild genau vor Augen, ein
    trunksüchtiger alter Mann, der alles von seinem früheren Ehrgeiz und seiner
    Lebenslust verloren hatte. Bond schluckte. So hätte es ihm selbst auch ergehen
    können. Er hatte im selben Alter seine Eltern verloren, kam über die Marine zum
    Secret Service und wurde schließlich Agent 007. Auch er verlor seine über alles
    geliebte Frau Teresa di Vicenzo, genannt Tracy unter tragischen Umständen. Bei
    Gott, er konnte Sir Henry so gut verstehen, war er doch selbst auch in ein
    großes Loch gefallen, kümmerte sich nicht mehr um seine Arbeit, spielte, trank.
    Es war schlimm wie sehr er sich damals gehen ließ. Bond kniff mit
    schuldbewusstem Ausdruck die Augen zusammen und lehnte sich tief in den Sitz
    seines Abteils. Er atmete tief durch und versuchte die Gedanken der Trauer und
    der Schuld zu vertreiben. Immerhin hatte er damals diese Phase überwunden, war
    wieder hoch gekommen, weil der damalige M dennoch an ihn glaubte, ihm eine
    Mission gab, die ihn gänzlich forderte. Er hatte sogar Gelegenheit gehabt Rache
    zu nehmen an Blofeld, dem Mörder seiner Frau.



    Bond öffnete die Augen und widmete sich wieder seiner
    derzeitigen Mission. Er überflog noch einmal die Akte und packte sie
    schließlich wieder in seinen Koffer. Nachdenklich blickte er aus dem Fenster
    auf die vorbeiziehende, grüne, englische Landschaft. M hatte die Bankauszüge
    und den Vorgang der Überweisung hundertmal prüfen lassen, doch es gab keinen
    Zweifel. Was könnte ein gealterter, heruntergekommener Ex-Geheimagent seiner
    Majestät davon haben kubanische Pflanzer zu ruinieren?





    Der Zug hielt schließlich in Bath Spa. James Bond stieg aus,
    trat auf den Bahnsteig und schaute sich um. Hier musste irgendwo Sir Henrys
    Tochter Havanna Westham stehen, die ihn abholen sollte. Bonds geschultes Auge
    machte viele gut aussehende junge Frauen aus, blieb aber schließlich an einer
    dunkelhaarigen, leicht gebräunten und sehr attraktiven Frau hängen, die still
    und ernst an der Fahrplanauskunft stand. Es musste Havanna sein, sie hatte die
    Augen ihres Vaters. Doch erstaunte es Bond, dass sie ebenfalls schon müde und
    zukunftslos wirkten. Als die Frau seinen Blick bemerkte ging sie sofort auf ihn
    zu. „Mr. Bond nehme ich an“, sprach sie ihn als sie ihn erreichte.





    Dieser nickte. „Und sie sind Havanna Westham, nehme ich an.“





    „Exakt.“ Havannas Blick fiel auf Bonds Koffer. „Es tut mir
    leid, ich hoffe, der Koffer ist nicht allzu schwer. Wir haben nämlich noch
    etwas Fußweg vor uns bis zum Auto. Ich habe mir gedacht ich zeige ihnen erst
    einmal ein bisschen Bath. Zwischendurch können wir in einem Café anhalten.“





    „Kein Problem. Ich habe sowieso nur das Nötigste eingepackt.
    Schließlich soll es hier nur ein kurzer Besuch werden und kein Dauerurlaub“,
    lächelte er.





    „Sicher“, erwiderte Havanna emotionslos. „Dann folgen sie
    mir bitte.“





    Bond und Havanna verließen den Bahnhof und betraten die
    Manvers Street, der sie nach Norden hin folgten. Havanna erzählte Wissenswertes
    aus der Geschichte von Bath und machte Ausführungen zu der Stadt- und
    Häuserarchitektur, die Bath ein ganz besonderes Flair gaben. Als die Manvers
    Street in die Pierrepont Street überging konnte man schon den Turm der Bath
    Abbey erkennen, die die beiden auch kurze Zeit später erreichten. „Ein
    Meisterwerk gotischen Stils, beachten sie die hervorragenden Arbeiten der
    Steinmetze. Der Turm ist 163 Fuß hoch“, führte Havanna aus. Sie ging mit Bond
    westlich an der Abtei vorbei auf den Seitenplatz. „Dieser Platz wird eingerahmt
    von Gebäuden aus dem 18. Jahrhundert. Links sind die römischen Bäder. Sie sind
    über 2000 Jahre alt und werden von einer warmen Quelle gefüttert. Heute ist es
    ein Museum mit einer interessanten Sammlung von römischen Ausgrabungsstücken,
    Münzen, Pokalen und Bronzeschmuck. Auch dazu gehört der Pump Room, der jetzt
    ein Café ist. Sie haben doch sicher nichts gegen eine kleine Pause und eine
    Tasse Kaffe, oder?“





    „Keinesfalls“, erwiderte Bond und folgte Havanna.





    Beeindruckt blickte sich Bond im Pump Room um. Es war als
    hätte er die Schwelle in ein früheres Jahrhundert überschritten, wenn dies
    nicht schon mit dem Verlassen der Bahn geschehen war. Der Pump Room wirkte mit
    seiner hohen Decke, den hohen Fenstern, Oberlichtern und den hellen Farben sehr
    einladend. Klassische Säulen hielten das Gewölbe, das hervorragende
    Deckenarbeiten aufwies.



    Bond stellte seinen Koffer ab und setzte sich mit Havanna an
    einer der vielen kleinen sechseckigen Tische. Sofort kam ein Kellner und nahm
    die Bestellung auf. Bond nahm einen Milchkaffe und Havanna einen Espresso. Der
    Kellner bestätigte die Bestellung und brachte beides wenige Minuten später.
    „Wie schon gesagt sind die römischen Bäder nun ein Museum und die
    Thermalquellen sind nicht mehr für öffentlichen Badeverkehr geöffnet. Doch dies
    soll sich bald ändern. Es gibt das so genannte Bath Spa Projekt, dessen
    Investoren die Thermalquellen wieder nutzen und ein großes Heil- und Wellnescenter
    errichten wollen.“





    „Sie würden eine gute Fremdenführerin abgeben, Miss
    Westham“, bemerkte Bond.





    „Ich weiß. Ich bin auch in der Tourismusbranche. Ich befasse
    mich mit Bath und mit Kuba, meine beiden Heimatorte. Aber reden wir lieber von
    ihnen, Mr. Bond. Was will der MI6 von meinem Vater? Seine aktive Zeit liegt
    schon an die 30 Jahre zurück.“





    „Nun“, begann Bond langsam. „Wir benötigen seine Kenntnisse
    und Erfahrungen in einer speziellen Sache, die uns im Moment großes
    Kopfzerbrechen bereitet. Wir hätten ihn gerne als Berater. Es gab Anschläge auf
    Kuba.“





    Havanna blickte ihn genau an. „Es gibt immer irgendwo
    Anschläge und Übergriffe. Wieso sollte sich ausgerechnet der MI6 in die
    Angelegenheiten der Kubaner einmischen?“





    „Angehörige der britischen Botschaft waren unter den Opfern
    der Anschläge“, log Bond.





    „Hm, das ist natürlich etwas anderes.“ Havanna nahm einen
    Schluck von ihrem Espresso und lehnte sich zurück. „Aber ich glaube nicht, dass
    mein Vater ihnen eine große Hilfe sein wird.“





    Bond zuckte mit den Schultern und trank ebenfalls einen
    Schluck. „Wir werden sehen. Es ist mein Auftrag mit ihm in Verbindung zu treten
    und das werde ich auch tun.“





    Das weitere Gespräch der beiden verlor sich in
    Belanglosigkeiten, doch fiel es Bond auf, dass Havanna seinem Blick immer öfter
    auswich. War es Verlegenheit oder
    verbarg sie irgendetwas? Der Geheimagent wusste es nicht.



    Schließlich zahlten sie und verließen den Pump Room. Sie
    durchschritten einem römischen Säulengang und gingen nach Norden, zuerst über die
    Westgate Street, dann über die Barton Street zum Queen Square. Havanna war
    wieder ganz in ihrem Element. „Beachten sie den Obelisken in der Mitte der
    quadratischen Insel und die Häuser aus der Zeit von König George.“ Bond sah
    sich aufmerksam um. Bath war wirklich eine geschichtsträchtige und sehr einnehmende
    Stadt. Havanna verließ den Queen Square über die Charlotte Street, wo dann auch
    der Parkplatz war auf dem ihr Auto stand. Es war ein kleiner, blauer Lotus
    Elise. Sie packte Bonds Koffer in den Kofferraum und stieg auf der Fahrerseite
    ein. „Nettes Auto“, bemerkte Bond und stieg ebenfalls ein. Havanna startete den
    Wagen und sie führen zurück über den Queen Square nach Norden durch die George
    Street und Gay Street in den Kreisverkehr des Circus. „Auch hier sehen sie
    wieder exzellente Beispiele für englische Architektur.“ Bonds Blick schweifte
    über die dreistöckigen, ockerfarbenen Bürgerhäuser, die sich dem runden
    Straßenverlauf anpassten, mit ihren hohen Fenstern, die mit Säulen voneinander
    getrennt wurden, den stilvollen Vorsprüngen, die die Stockwerke voneinander
    trennten, den weißen Türen und schwarzen Metallzäunen vor dem Haus und als
    Abschluss des Daches bis hin zu der kleinen Baumgruppe auf dem begrünten,
    großen Mittelstück des Circus.



    Sie verließen den Circus nach Westen und fuhren über die
    Brock Street zum Royal Crescent. War der Circus schon beeindruckend gewesen so
    überbot dies das Royal Crescent noch einmal. Ein großes, halbkreisförmiges
    Gebäude mit vielen abgeteilten Haussegmenten. Vom Stil her dem Circus ähnlich,
    doch noch um einiges prunkvoller.



    „Das Royal
    Crescent Hotel“, erzählte Havanna. „Ein authentisches Beispiel des
    Architekturstiles des 18. Jahrhunderts. Viele reiche und bekannte Leute
    residierten in der langjährigen Geschichte schon hier, unter anderem der 2.
    Sohn von König George III., der Herzog von York. Sie verpassen wirklich etwas,
    wenn sie in Vaters Haus nächtigen und nicht hier einquartiert sind. Mein Vater
    durfte damals immer in den besten Hotels übernachten während seiner Missionen.
    Ist das eigentlich immer noch so oder ist das Einsparungen zum Opfer gefallen?“



    „Doch, das ist immer noch so“, bestätigte Bond. Sein Blick
    war auf die Fassade des Royal Crescent gerichtet bis Havanna schließlich auf
    die Marlborough Buildings einbog und sie Bath schließlich in nordwestlicher
    Richtung verließen.

  • 4 – Dicke Luft





    Der blaue Lotus erreichte schließlich Sir Henrys
    Landhaus. Es war ein altes englisches
    Herrenhaus im Tudorstil, das in einer Talsenke am Waldrand stand. Das
    Untergeschoss bestand aus roten Ziegeln, das Obergeschoss war klassisches
    schwarz-weißes Fachwerk mit einem dunkelgrauen Dach. Das Haus war ausgeschmückt
    mit mehreren Giebeln und Erkern. Das Nebengebäude war ein tristes Steinhaus,
    nur aufgelockert durch ein paar Fenster und einige Holzbalken. „Westham Hall,
    Stammsitz der englischen Linie. Mein Vater erbte es vor knapp 40 Jahren als der
    letzte Baronet von Westham kinderlos starb“, erklärte Havanna und steuerte den
    Lotus durch das offene Tor in das Nebengebäude, das zu einer Garage und
    Lagerkammer umgebaut war. Sie parkte ihn neben einem alten Peugeot, der wohl
    dem Chevalier gehörte, wie Bond vermutete. Bond und Havanna stiegen aus.
    Havanna öffnete den Kofferraum und Bond entnahm seinen Koffer. Die attraktive
    Tochter Sir Henrys knallte den Kofferraum zu und verließ die Garage über eine
    Seitentür. Der Geheimagent folgte ihr.



    Über einen Kiesweg gelangten sie, vorbei an einer
    Rosenhecke, zur Tür des Haupthauses, die mit einem kleinen vergitterten Fenster
    ausgestattet war. Havanna schloss auf und gemeinsam betraten sie die geräumige Eingangshalle.
    Sie war ein altmodisch ausgestatteter, hoher Raum mit einem abgelaufenen
    Perserteppich, einer Eichenkommode und einem alten Messingspiegel. Rechts und
    links gab es je einen Durchgang zu den weiteren Räumen und je eine Treppe mit
    beschnitztem, massivem Holzgeländer, die zu einer Balustrade und den Räumen des
    Obergeschosses führten. Havanna schloss die Tür hinter Bond und hängte den
    Schlüssel an einem Haken des Schlüsselbrettes auf. „Ich sollte sie vorwarnen,
    Mr. Bond. Nicht nur die Eingangshalle, sondern der ganze Haushalt ist sehr
    altmodisch. Wir beheizen und beleuchten noch mit Gas. Der einzige
    Stromanschluss ist im Zimmer meines Cousins. Er brauchte einen für seinen
    Computer.“





    „Es scheint wirklich als hätte ich mit meinem Schritt aus
    dem Bahnabteil ein früheres Jahrhundert betreten“, meinte Bond und sah sich um.





    „Das könnte man so sagen. Im Vergleich zu Westham Hall kann
    man unser Haus auf Kuba als sehr modern bezeichnen.“ Sie schaute auf ihre
    Armbanduhr. „Tea time. Stellen sie ihren Koffer ruhig hier ab, Mr. Bond. Dann
    können sie gleich meinen Vater und meinen Cousin kennen lernen. Und eine Tasse
    Tee nehmen sie sicher auch gerne.“





    „Ich mache mir nicht viel aus Tee“, gab Bond zurück.





    „Oh, das macht nichts. Sie können auch gerne einen Sherry
    oder dergleichen bekommen“, lächelte Havanna. Bond fiel auf, dass es ihr erstes
    Lächeln an diesem Tag war und wie viel hübscher und unbeschwerter sie lächelnd
    wirkte. Er stellte seinen Koffer ab und folgte ihr ins Kaminzimmer. Auch hier
    lag ein schwerer Teppich auf den Holzbohlen. Auf dem Sims des gewaltigen Kamins
    standen Fotos von dem jungen Sir Henry und seiner verstorbenen Frau. Auf dem
    Tisch der Sitzgruppe, die mitten im Zimmer stand, war bereits der Tee serviert.
    Das Teeservice war echtes Meißner Porzellan. Da man natürlich bereits über
    Bonds Ankunft informiert worden war, war auch für vier Personen gedeckt worden.
    Einzig das Gedeck vor Sir Henry fiel heraus, denn neben der Teetasse befand
    sich auch noch eine Flasche mit Rum.



    Ein Mann Ende dreißig stand am Kamin und rauchte einen
    Zigarillo. Er hatte ein schlankes, ebenmäßiges Gesicht, schmale Augenbrauen und
    kurze, akkurat geschnittene blonde Haare. Seine Haut war ebenso wie die von
    Havanna leicht gebräunt und seine Kleidung maßgeschneidert und elegant. Sir
    Henry saß in einem der kleinen Sessel. Er wirkte ebenso müde, alt und
    abgehalftert wie auf dem Foto, doch Bond erkannte, dass den etwas auseinander
    gegangenen Körper noch nicht alle Kraft verlassen hatte. Auch für ungeübte
    Beobachter, die nicht automatisch die potentielle Gefahr, die von ihren
    Gegenübern ausging abschätzten, war noch ersichtlich, dass Sir Henry einmal ein
    sehr sportlicher, drahtiger Mann gewesen sein musste. Ein unangenehmer
    Geschmack machte sich in Bonds Mund breit als er Westham betrachtete und sich
    fragte wie er selbst wohl in dreißig bis vierzig Jahren aussähe, wenn er
    überhaupt jemals so alt werden würde. Nun brauchte er wirklich einen Sherry um
    das bittere Gefühl im Mund loszuwerden.





    „Sie sind also James Bond, der derzeitige Geheimagent 007
    ihrer Majestät“, brach der blonde Mann das Schweigen und begutachtete den
    Angesprochenen von oben bis unten. Irgendeine Art von Interesse war in seinen
    Augen zu erkennen.





    „Und sie sind sicher Chevalier Damien de Stroy“, gab Bond
    zurück, der nicht genau wusste wo er den Blick einzuordnen hatte. Der Chevalier
    nickte, ließ den Rest seines Zigarillos in den Marmoraschenbecher fallen, der
    auf dem Kaminsims stand und setzte sich auf die Polsterbank. Bond wendete sich
    Sir Henry zu. „Es ist mir eine Ehre sie auch einmal persönlich kennen zu
    lernen, Sir Henry. Sie sind für den britischen Geheimdienst immer noch eine
    lebende Legende.“





    „Lebende Legende, pah“, brummte Sir Henry. „Ja, ja, auch
    sehr erfreut, sehr erfreut. Ich hoffe sie machen ihrer Nummer alle Ehre, junger
    Freund.“ Er hustete.





    „Ich gebe mir alle Mühe“, antwortete Bond.





    „Setzen sie sich doch, Mr. Bond.“ Havanna deutete auf die
    Polsterbank, auf den freien Platz neben dem Chevalier. Dann ging sie an einen
    Schrank und holte ein rundes Tablett mit Sherry und einigen Gläsern heraus, das
    sie dann auf einen kleinen Beistelltisch neben der Polsterbank stellte. Bond
    setzte sich derweil neben den Chevalier, dem dies anscheinend recht angenehm
    war. Havanna schenkte den Tee aus, goss Bond den Sherry ein und reichte ihm das
    Glas. Dann setzte sie sich. „Danke“, sagte Bond und nahm einen Schluck. Der
    Sherry war erstaunlich gut und müsste wohl so einiges wert sein.



    Während der Chevalier zu dem kleinen silbernen Milchkännchen
    griff, langte Sir Henry zur Rumflasche und fügte einen gehörigen Schuss zum Tee
    hinzu. Für einen Moment lang herrschte peinliches Schweigen. Havanna wirkte
    etwas beunruhigt, immer wieder schaute sie zu dem gut aussehenden britischen
    Agenten, um seinem Blick aber sofort wieder auszuweichen. Sir Henry schien mehr
    vor sich hinzuvegetieren und sich nichts aus dem unerwarteten Besucher oder
    überhaupt irgendetwas in der Welt zu machen. Einzig der Chevalier wirkte ganz
    natürlich und selbstsicher, ließ langsam etwas Milch in seine Teetasse gleiten,
    was in dieser sofort die charakteristischen weißen Wolken verursachte bevor
    sich die Milch langsam mit dem Tee vermischte, und fügte schließlich noch zwei
    Stückchen Zucker hinzu.



    Bond, den diese Stimmung langsam bedrückte, brach
    schließlich die Stille. „Ich bin hier um sie um ihre Hilfe zu bitten, Sir
    Henry. Es gab einige tragische Vorfälle auf Kuba, die auch unsere Regierung
    betreffen. Wir benötigen sie als Kuba-Experten.“





    „Ha, dass ich nicht lache“, polterte Sir Henry los, der
    seine geleerte Teetasse wieder füllte. „Ich habe meine beste Zeit hinter mir.
    Die beste Zeit hinter mir. Man hat mich aus dem Secret Service verstoßen!
    Verstoßen! Mich, einen trauernden Witwer! In allen Ehren zwar, aber das ändert
    nichts daran, dass man mich aufs Altenteil geschickt hat!“





    „Ja, das hat man“, hielt Bond dagegen. „Aber nur weil sie
    nach dem Tode ihrer Frau in ein tiefes Loch gefallen sind und sie haben es bis
    heute nicht geschafft dort wieder herauszukommen!“





    Havanna hob erschreckt über diese klaren Worte von Bond die
    Hand vor den Mund und starrte ihn an. Ein amüsiertes Lächeln umspielte hingegen
    die Mundwinkel und dünnen Lippen des Chevaliers. „Wie… wie können sie es
    wagen?“ Sir Henry blieb die Luft weg. „So mit einem Helden des kalten Krieges
    zu sprechen. Ein Held bin ich für sie, jawohl! Und überhaupt soll dieses
    kubanische Pack seine Angelegenheiten selbst klären!“





    „Sehen sie sich doch an, Sir Henry! Sind sie wirklich noch
    der Herr über sich selbst? Ihr Erinnerungsvermögen passt sich schon dem an wie
    sie es gerne hätten, der Alkohol lässt ihnen ihre Vergangenheit verklärt
    erscheinen, er benebelt sie bis auf ein paar lichte Momente. Lethargie wechselt
    sich ab mit Stadien der Aggression. Haben sie überhaupt bemerkt, dass ihre
    zweite Tasse Tee mit Rum nur noch aus Rum bestand?“ M hatte Bond instruiert,
    dass er diskret vorgehen solle, doch nun schien es so als hätte er die
    Kontrolle verloren. Zu sehr fühlte er mit Sir Henry, zu groß war seine Furcht
    auch so enden zu können, zu sehr empfand er Wut gegen dieses Bild, dass er da
    sah. Bond atmete tief durch. Dieser
    Gefühlsausbruch befreite ihn, doch versuchte er dadurch ebenfalls zu Sir Henry,
    an dessen Unschuld er noch immer glaubte, vordringen zu können, ihn vielleicht
    zur Mithilfe überreden zu können.





    Sir Henry schaute in seine Tasse und sackte in sich
    zusammen. „Sie haben Recht, Bond“, schluckte er und fing an zu Wimmern. „Ich
    bin ein Wrack. Ein Wrack! Hoffnungslos… alles hoffnungslos…“ Der Chevalier
    verfolgte schweigend diese Szene, sein amüsierter Ausdruck war verschwunden.
    „Sie sind gekommen, um meinen Vater fertig zu machen“, schrie Havanna auf.
    „Warum quälen sie ihn so?“





    Der Agent achtete nicht auf Westhams Tochter. „Schauen sie
    mich an, Sir Henry.“ Zaghaft blickte der alte Mann hoch. Bond sah ihn
    durchdringend, aber doch irgendwie sanft an. „Ich weiß genau wie sie sich
    fühlen, Sir Henry. Meine eigene Frau wurde nur kurz nach unserer Hochzeit
    umgebracht. Noch am selben Tage. Ich bin in ein ebenso großes Loch gefallen wie
    sie selbst, ich spielte, trank. Doch ich bin dort wieder herausgekommen und sie
    schaffen das auch, Sir Henry. Ich weiß es.“





    Westhams Mund war halb geöffnet. Er schluckte abermals.
    „Sie… sie meinen also, ich sollte ihnen helfen? Könnte ihnen wirklich eine
    Hilfe sein?“ Bond nickte. „Ich… ich werde darüber nachdenken“, stammelte Sir
    Henry. „Sie… sie bekommen mein bestes Zimmer, mein eigenes. Den blauen Salon.
    Einfach die Treppe, Treppe hoch und die letzte Tür im linken Gang. Havanna, sag
    dem Dienstmädchen ich werde im Zimmer meiner verstorbenen Frau schlafen.“
    Havanna nickte. „Und jetzt lasst mich bitte alle allein. Bitte.“





    Stumm verließen Havanna, Bond und der Chevalier den Raum und
    begaben sich in die Eingangshalle, wo sich de Stroy verabschiedete und auf sein
    Zimmer zurückzog. „Mary wird dann ihr Zimmer richten und sich um ihr Gepäck
    kümmern, Mr. Bond. Kann ich sonst noch etwas für sie tun.“ Havanna blickte ihn an.
    Sie war noch etwas mitgenommen von der vorherigen Szene im Kaminzimmer.





    „Nein danke… obwohl… ich müsste noch einen Brief schreiben,
    habe aber kein Schreibpapier und keine Kuverts bei mir. Könnte ich wohl ihr
    Arbeitszimmer benutzen?“





    „Aber natürlich“, nickte Havanna müde. „Einfach durch den
    gegenüberliegenden Durchgang und dann erste Tür rechts.“ Bond bedankte sich und
    folgte ihrer Beschreibung.





    Das Arbeitszimmer war recht groß und wirkte düster. Dunkle
    Vorhänge und Teppiche schluckten viel von dem Licht, dass durch die hohen,
    schmalen Fenster eintrat. Der Sekretär und die Bücherregale, die fast die
    gesamte Wandfläche einnahmen, waren ebenso wie die Kommode in der Halle aus
    Eiche und in demselben Stil gehalten.



    James Bond schloss die Tür hinter sich und untersuchte den Raum
    ganz genau. Schließlich fand er auch den Safe hinter dem Gemälde einer
    kubanischen Tabakplantage. Doch den würde er sich später vornehmen. Bond ging
    zum Sekretär, entnahm ihm ein Blatt Papier und ein Kuvert und platzierte den
    Kugelschreiber von Q dort. Dann verließ er das Arbeitszimmer wieder und ging in
    den blauen Salon. Das alte Dienstmädchen Mary war gerade dort fertig geworden
    und verkündete ihm, dass um halb acht zu Abend gegessen würde. Bond bedankte
    sich und ging ins Bad. Dort wusch er sich durch das Gesicht und zog sich um. Beim
    Abendessen war neben Bond nur noch der Chevalier anwesend. Während des
    gutbürgerlichen Mahles sprachen die Männer nur wenig miteinander, doch der
    Geheimagent fand heraus, dass sich de Stroy noch mit Havanna treffen wollte um
    die Bibliothek neu zu ordnen. So kam es, dass Bond letztendlich den ganzen
    Abend damit verbrachte, auf seinem Zimmer zu sitzen und gespannt neben dem
    eingeschalteten Empfänger seiner Uhr auszuharren.





    Eine Tür öffnete sich. Schritte waren zu hören. „Er hat
    sicher hier herumgeschnüffelt.“ Es war die Stimme des Chevaliers. „Schau mal
    nach was er geschrieben hat.“





    Havanna ging zum Sekretär und prüfte die Schreibunterlage.
    „Es hat sich nichts durchgedrückt. Entweder er war sehr vorsichtig oder er hat
    tatsächlich nichts geschrieben.“





    „Ein gut aussehender, charismatischer und begehrenswerter
    Mann, dieser Bond.“

  • „Findest du?“





    „Jetzt sag bitte nicht, dir wäre das gar nicht aufgefallen,
    Havanna. Ich habe dich genau beobachtet. Du bist sehr von ihm angezogen.“





    „Nein. Das ist nicht wahr“, widersprach Havanna ein wenig zu
    energisch um glaubhaft zu wirken. „Ich… ich will keinen Mann mehr sehen. Nicht
    seitdem Perez mich… Oh, es war so furchtbar! Seine gierigen Augen… seine rauen,
    kräftigen Hände. Jede Nacht sehe ich sein Gesicht vor mir. Dieses erregte
    Grinsen. Die Spucke, die aus seinen Mundwinkeln tropfte… Und wie fertig Vater
    war als er es erfuhr. So verletzt und so wütend habe ich ihn noch nie zuvor
    gesehen.“





    „Wenn er nicht aufpasst, gerät er bald in große
    Schwierigkeiten und uns kann er auch leicht mit herein ziehen.“





    „Die Unterlagen sind sicher aufbewahrt?“





    „Im Safe.“





    Havanna erwiderte nichts mehr. Das Weitere was Bond hörte
    war wirklich nur noch das Ordnen der Bücher. Er schaltete den Empfänger aus,
    machte sich für die Nacht fertig und ging zu Bett. Er schlief recht schnell ein
    und bekam nichts von der Person mit, die sich heimlich Zutritt zum blauen Salon
    verschaffte.



    Behutsam wurde die Türklinke heruntergedrückt. Leise öffnete
    sich die Tür. Eine schwarze Gestalt betrat den Raum. Geschmeidig schlich sie
    durch das Zimmer, der dicke Teppich dämpfte hervorragend die leichten Schritte.
    Eine schwarz behandschuhte Hand streckte sich zum Wandleuchter aus und öffnete
    die Gasleitung. Die Gestalt huschte geräuschlos durch das Zimmer und
    wiederholte diesen Handgriff auch an dem Leuchter der gegenüberliegenden Wand.
    Zufrieden und lautlos verließ die Gestalt das Zimmer wieder, während das Gas
    langsam aber unaufhörlich den blauen Salon füllte, um am nächsten Morgen nur
    den leblosen Körper des britischen Geheimagenten mit der Kennnummer 007 und ein
    wenig dicke Luft zu hinterlassen.





    5 – Auf nach Kuba





    Das Piepen seiner Armbanduhr riss James Bond mitten in der
    Nacht aus dem Schlaf. Langsam schlug er die Augen auf. Ein beklemmendes Gefühl
    hatte sich in seinem Brustkorb breit gemacht. Mühsam richtete er sich auf und
    blickte sich um. Er verspürte einen großen Hustenreiz. Langsam sog er die Luft
    durch die Nase ein. Gas!



    Bond sammelte seine ganzen Kräfte, sprang auf und hechtete
    zum Fenster, um es zu öffnen. Versperrt! Nur das Oberlicht war zu öffnen, was
    natürlich nicht half, da das Gas schwerer als die Luft war. Gehetzt blickte
    sich Bond im Zimmer um, griff zu einer metallenen Wasserkanne, die auf der
    Kommode stand und schlug damit das Fenster entzwei. Glas splitterte, kleine
    Scherben rissen Bond die Hand auf. Doch dieser hatte nun andere Probleme. Er
    nahm einen tiefen Zug der kühlen Nachtluft und schritt dann langsam durch das
    Zimmer, um den genauen Ort des Gasaustrittes ausfindig zu machen. Er prüfte die
    Leitung des Ofens, doch diese war verschlossen. Dann ging er zum Wandleuchter
    und drehte dort das Gas ab.



    Bond atmete erleichtert aus. Dann lauschte er. Hatte jemand
    gehört, wie er das Fenster zerbrochen hatte? Würde jemand kommen? Bond wartete
    eine zeitlang ab, doch nichts war zu hören. Er stieg schließlich in seine
    schwarze Hose und zog sich einen schwarzen Rollkragenpullover über. Danach ging
    er zu seinem Koffer, holte Qs Taschenrechner hervor und musste schmunzeln. Wie
    viel wohl so ein Fenster wert wäre? Wenn es dabei bliebe, wäre es wirklich eine
    billige Mission, zumal man sich die Hotelkosten sparen konnte.



    Bond steckte ihn ein und hielt inne. Der Gasgeruch hatte gar
    nicht richtig nachgelassen. Von irgendwoher musste noch etwas austreten. Bond
    sah sich genau um. Dort! An der westlichen Wand war noch einer dieser
    Wandleuchter. Er ging hin und tatsächlich war auch diese Leitung aufgedreht.
    Bond drehte auch hier das Gas ab und verließ das Zimmer. Damit Durchzug
    herrschte ließ er die Tür offen als er auf den dunklen Gang trat. Langsam und
    leise tastete er sich immer weiter vor zur Treppe. Regelmäßig blieb er stehen
    um zu horchen. War da nicht etwas? Aber nichts war zu sehen und zu hören.



    Bond erreichte schließlich ungesehen das Arbeitszimmer. Dass
    er den Standort des Safes schon wusste, erleichterte dieses Unternehmen. So
    brauchte er kein Licht machen und nur der Mond sendete seine silbernen, matten
    Strahlen in das Zimmer. Der Agent trat zu dem Bild der Plantage, zog es zur
    Seite und holte den Taschenrechner hervor. Es war ein recht altmodischer Safe
    mit einem Drehschloss. Bond klappte den Taschenrechner auf und scannte die
    Front des Geldschrankes. Das Gerät piepte einmal auf und Bond wartete ab. Ein
    weiteres Piepen ertönte und die Leuchtanzeige gab die Kombination 30R40L18R zum
    Besten. Noch etwas zweifelnd drehte Bond also 30 nach rechts, 40 nach links und
    wieder 18 nach rechts. Er fasste den Griff, zog daran und der Safe sprang
    tatsächlich auf. „Q übertrifft sich wirklich immer wieder“, flüsterte Bond
    bewundernd. Doch gerade als er hineingreifen wollte hörte er hinter sich eine
    Stimme. „Hände hoch, Mr. Bond!“





    „Drehen sie sich langsam zu mir um“, befahl die Stimme. Der
    Geheimagent gehorchte. Er hatte keine andere Wahl, er war wehrlos überrascht
    worden, mit einem Taschenrechner als einziger Ausrüstung.



    Die fremde Person griff zum Wandleuchter. Das Licht flammte
    auf und Bond erkannte den Mann. Es war Sir Henry, bekleidet mit einem
    Morgenmantel und mit einem alten Armeerevolver in der Hand. Sein Atem ging
    schwer. „Es… es geht also nicht darum, dass sie meine Hilfe brauchen. Sie
    verdächtigen mich. Verdächtigen mich. Ich nehme an“, er hustete. „Ich nehme an
    die Sache betrifft auch nicht die britische Regierung. Wie sollte sie auch? Sie
    denken, dass ich hinter den Anschlägen auf die Plantagen der kubanischen Pflanzer
    stecke.“ Er ließ den Revolver sinken, ging zum Sekretär und ließ sich kraftlos
    in den Stuhl sinken.





    Bond taxierte Westham. „Ich habe nie erwähnt, dass es
    Anschläge auf einheimische Plantagen gab. Woher wissen sie das?“





    Sir Henry lächelte müde. „Das fragen sie jemanden, der sich
    über die Hälfte des Jahres auf Kuba aufhält? Der Buschfunk trommelt schnell.“
    Er holte einen Flachmann hervor und nahm einen Schluck, nur um selbigen
    Flachmann dann sofort schuldbewusst von sich wegzuwerfen.





    „Ich will ehrlich zu ihnen sein, Sir Henry.“ Bond trat zu
    Westham und lehnte sich an den Sekretär. Er schaute an die Decke und vermied es
    Sir Henry anzublicken. „Ich und jeder andere vom MI6 hält sie für unschuldig. M
    sagte extra noch zu mir, ich solle ihre Unschuld beweisen. Aber es wurde
    einwandfrei festgestellt, dass die Bombenleger von ihrem Konto bezahlt wurden.“





    Sir Henry atmete tief durch. „Gut, dann, dann wollen wir mal
    mit geheimdienstlicher Logik vorgehen. Alle geldlichen und geschäftlichen
    Angelegenheiten regelt meine Tochter. Ich gebe ihr die Anweisungen was zu tun
    ist und leiste später die Unterschriften. Das betrifft Transaktionen in England
    und auf Kuba. Im Moment, im Moment gibt es einen Umbau in unserem Haus auf
    Kuba.“ Sir Henry schluckte, Bond blickte zu ihm hin. „Das Zimmer meiner
    Tochter.“ Seine Faust ballte sich und Tränen stiegen in seine Augen. Bond
    konnte ahnen, wieso. Schnell hatte sich Westham wieder im Griff. „Wie auch
    immer. Jedenfalls sind einige kubanische Handwerker zu bezahlen. Es wäre für
    mich ein leichtes vor meiner Tochter die Zahlung für einen Bombenleger einfach
    als Handwerkerrechnung zu deklarieren und es ist ebenso möglich, dass meine
    Tochter mir so eine Zahlung zur Unterschrift unterschiebt.“ Er schluckte
    wieder.





    Bond legte seine Hand auf Westhams Schulter. „Wir werden die
    Wahrheit schon zusammen herausfinden. Vielleicht zwingt jemand Havanna dazu,
    damit der Verdacht auf sie gelegt wird.“ Westham schaute dankbar und leicht
    benebelt zu Bond auf. „Eine Frage habe ich aber noch, Sir Henry. Wie kommt es,
    dass sie mich hier überrascht haben? Mich hat niemand verfolgt auf dem Weg vom
    blauen Salon hierher.“





    Westham lächelte. „Eine einfache Erklärung. Ich habe
    schlecht geschlafen, lag wach. Dann hörte ich plötzlich ein Klirren. Ich dachte
    sofort an Einbrecher, stand auf und ging hinüber ins Arbeitszimmer. Das Zimmer
    meiner Frau liegt auf demselben Gang. Es ist… es ist das hellste Zimmer… Zimmer
    im ganzen Haus“, schniefte Sir Henry. „Jeden, jedenfalls war das Arbeitszimmer
    leer. Und dann hörte ich Schritte über mir und habe mich im Nebenzimmer auf die
    Lauer gelegt. Aber jetzt habe ich auch eine Frage. Was hat eigentlich so
    geklirrt?“





    „Ich musste leider das Fenster im blauen Salon zerschlagen“,
    antwortete Bond. „Jemand hat versucht mich in dem Zimmer zu vergasen.“ Sir
    Henry erschrak als Bond von dem Gasangriff berichtete. „Gas? Mord? Mordversuch?
    Mein Gott…“





    Bond lächelte. „Keine Sorge. Ich habe es ja überlebt. Hätte
    ich nicht den Plan gehabt, nachts ihren Safe zu knacken, dann wäre ich jetzt tot.“





    Westhams Atmung ging schnell. Er stierte geradeaus und man konnte
    geradezu sehen wie es in seinem Gehirn arbeitete. „Weg… weg. Wir müssen hier
    weg. Wir fliegen nach Kuba. Morgen fliegen wir nach Kuba. Dieser Bastard!
    Dieser verfluchte Bastard! Ruinieren will er mich, er mich.“





    Bond schaute den alten Mann an. „Wer, Sir Henry? Wer will
    das? Perez?“ Durch Nennung dieses Namens, den Bond selbst erst vor kurzem
    gehört hatte, hoffte er bei Sir Henry irgendeine Reaktion zu erzielen. Doch
    dieser ging nicht darauf ein, stand auf und fasste Bond am Arm. Er hatte noch
    immer einen sehr kräftigen Griff. „Nicht jetzt, James, nicht jetzt. Sagen sie
    mir nur eines. Werden sie mit nach Kuba kommen?“ Fast flehend blickte Westham
    seinen derzeitigen Nachfolger als 007 an. Bond nickte. „Selbstverständlich. Ich
    versprach ihnen heute Nachmittag schon, dass wir gemeinsam versuchen werden die
    Wahrheit aufzudecken. Ich stehe zu meinem Wort.“ Sir Henry lächelte Bond
    dankbar an.





    Am nächsten Tag berichtete James Bond M über die Lage und
    flog schließlich mit den Westhams und dem Chevalier nach Kuba. Bis auf einen
    kleinen Flirt mit der Stewardess verlief der Flug ereignislos. Am Flughafen von
    Havanna erblickte Bond schließlich ein bekanntes Gesicht. „Raoul? Was machen
    sie hier am Flughafen?“





    „London hat mich mal wieder geweckt“, grinste der
    grauhaarige Kubaner mit dem sorgsam gestutzten Vollbart und der Zigarre im
    Mundwinkel. „Universal Exports sagte, sie bräuchten die Delectados so schnell
    wie möglich. Oh, guten Tag, Sir Henry.“ Westham war dazu getreten und nickte
    Raoul zu.





    „Wir können offen sprechen“, stellte Bond klar, der mit
    einem kurzen Blick festgestellt hatte, dass Havanna und de Stroy noch bei der
    Gepäckausgabe waren.





    „Gut“, nickte Raoul. „Aber am Besten gehen wir zu mir. Dort
    wartet auch ein Wagen von einem gewissen Q auf sie, Mr. Bond. Ehrlich gesagt
    hätte ich nicht gedacht, dass ich auch noch einmal offiziell tätig werden
    würde. Das damals waren ja eher… Freundschaftsdienste“, lachte er und klopfte
    Bond väterlich auf den Rücken.





    „Ich, ich sage dann Havanna dann mal Bescheid, sie solle
    schon mal mit Damien vorfahren“, sagte Sir Henry, ging zur Gepäckausgabe und
    sprach kurz mit seiner Tochter.





    „Armer alter Kerl“, bemerkte Raoul, der ihm nachsah.





    „Ach ja, sie kennen ihn bestimmt noch aus seiner aktiven
    Zeit.“, bemerkte Bond. Raoul nickte. „Da können sie von aus gehen“, antwortete
    er. „Sir Henry ist der Grund, warum ich jetzt hier stehe und mit britischen
    Agenten über Delectados spreche. Er hat meine Kusine geheiratet.“





    Eine Stunde später saßen Bond, Raoul und Sir Henry in Raouls
    stickigem, mit altem Luxus ausgestattetem, stilvollen Büro. Ein Ventilator an
    der Decke sorgte für geringe Luftzirkulation. Raoul zündete sich eine Zigarre
    an. „Die Anschläge“, erzählte er. „Die Anschläge betreffen ausschließlich
    Plantagen einer bestimmten Planzervereinigung. Haupt dieser Vereinigung ist der
    größte Zuckerrohranbauer der Insel, Juan Perez.“ Sir Henry verzog das Gesicht,
    als der Kubaner diesen Namen nannte. „Weiter gehören zu der Gemeinschaft Miguel
    Cruz, Tabak; Leon Martinez, Kaffee und Fernando Silva, ebenfalls Zuckerrohr.“





    „Erzählen sie mir etwas über Perez“, bat Bond, der Westhams
    Reaktion genau beobachtet hatte.





    „Gut. Viel gibt es allerdings nicht über ihn zu sagen.
    Integerer Mann mit guten Beziehungen, liebt seine Heimat über alles. Hat sich
    von unten hochgearbeitet und als einfacher Arbeiter auf der kleinen Plantage
    seiner Eltern angefangen. Als jüngstes Kind hatte er auch nicht viel mehr zu
    erwarten. Die Wirtschaftsblockade der USA nach der Revolution brachte seine
    Familie an den Rand eines Bankrottes, trotz der zunehmenden Verstaatlichung der
    Produktionsbetriebe. Als die Exilkubaner schließlich 1961, wahrscheinlich unter
    Leitung der CIA, eine Invasion auf die Schweinebucht starteten, verlor Perez
    seine Eltern und Geschwister bei der Verteidigung ihres Landes. Er war damals
    gerade mal 18 Jahre alt. Er übernahm schließlich die Plantage seiner Eltern und
    konnte sie durch gutes Wirtschaften und geglückte Spekulationen schon bald erweitern.
    Nach und nach kaufte Perez auch die Plantagen seiner Nachbarn auf und vor 12
    Jahren tat er sich schließlich mit befreundeten Pflanzern zusammen und gründete
    die Vereinigung. Er hat eine Tochter, Juanita. Seine Frau ist bereits
    gestorben.“





    Bond nahm die Informationen in sich auf und nickte. „Gut.
    Und welche Verbindung besteht zwischen Perez und ihnen, Sir Henry?“ Er blickte
    zu Westham.





    „Keine mehr“, grunzte Sir Henry, holte seinen Flachmann
    hervor und nahm einen Schluck. „Perez ist ein dreckiger Bastard, Bastard. War
    er, war er auch damals schon als ich ihn während der Kubakrise kennen lernte.“





    „Er hat ihre Tochter vergewaltigt“, gab Bond zurück, doch
    Sir Henry starrte nur vor sich hin. „Interessant“, raunte Raoul und kaute auf
    seiner Zigarre herum. „War das vor oder nach dem ersten Anschlag?“





    „Davor“, brummte Sir Henry. „Doch ich hab nichts damit. Gar
    nichts. Nichts!“





    „Wer könnte ein Interesse daran haben, Perez und seiner
    Vereinigung zu schaden und es so aussehen zu lassen als stecke Sir Henry
    dahinter?“ Bond warf die Frage in den Raum und blickte seine beiden Mitstreiter
    an.





    „Perez“, rief Westham. „Er inszeniert Anschläge auf seine
    Plantagen, um mir die Schuld zu geben, jawohl. Ruinieren will er mich! Sein
    erster Schlag war der Übergriff auf meine Tochter und das ist sein zweiter!
    Ganz sicher, ganz sicher“, wimmerte er.





    „Was soll er davon haben, Sir Henry? Und sie vergessen den
    Anschlag auf mich in ihrem Landhaus“, erwiderte Bond. „War das etwa auch
    Perez?“





    „Ja! Ja! Sein Arm reicht weit! Er ist überall.“ Westham
    blickte sich gehetzt um. „Vielleicht sogar hier!“





    „Verfolgungswahn“, winkte Raoul ab. „Was ist mit ihrer
    Tochter Havanna? Sie könnte Rache an Perez üben wollen. Außerdem ist sie Erbin
    eines beträchtlichen Vermögens.“ Sir Henry sah ihn entgeistert an. Bond
    schüttelte den Kopf. „Ich sehe im Moment jemand ganz anderen als Kopf der
    Intrige. Sir Henrys Neffen, Chevalier Damien de Stroy.“





    Raoul strich sich über den Bart. „Was könnte er davon haben?
    Er hat so gut wie gar nichts mit Perez zu tun und was hätte er davon wenn man
    Sir Henry verurteilt oder entmündigt und Havanna zu einer reichen Frau macht?“





    „Sie vergessen, dass die Heirat von Cousin und Cousine
    durchaus erlaubt ist“, entgegnete Bond. „Und von M habe ich erfahren, dass der
    Chevalier nach großen Verlusten am Aktienmarkt praktisch pleite ist.“





    „Nein, nein“, ereiferte sich nun Sir Henry. „Damien ist ein
    guter Junge, ein guter Junge. Es ist Perez! Perez!“





    Bond schaute zu Raoul. „Vielleicht wäre es das Beste, wenn
    ich mich erst einmal mit Perez bekannt mache. Können sie das arrangieren?“





    „Sicher“, nickte Raoul und blickte Westham an. „Ich kann ihn
    anrufen und sie anmelden. Aber sie sollten Sir Henry wohl vorher noch an seinem
    Haus absetzen. Sonst könnte es Komplikationen geben.“ Dieser war auf seinem
    Stuhl ganz eingesunken.





    Raoul führte Bond und Sir Henry in den Innenhof zu einem
    schwarzen Jaguar XK8. Bond ging um ihn herum und betrachtete ihn. „Schick und
    sicher wieder mit allen Extras. Aber warum ausgerechnet schwarz auf einer karibischen
    Insel? Das zieht doch so die Sonne an. Und bei solchen Ideen wundert sich Q,
    dass ich die Autos immer kaputt fahre.“

  • „Der Wagen hat sicher eine Klimaanlage“, meinte Raoul mit
    breitem Lächeln. „Es sind wieder einige neue Spielereien drin. Q meinte, sie
    wüssten schon, welche Knöpfe sie wann zu drücken hätten. Es reiche ihm schon,
    dass sie immer das Auto demolieren, da möchte er nicht schon wieder, dass sich
    ein Handbuch, das mühsam von unterbezahlten Sekretärinnen abgetippt wird, in
    seine Bestandteile auflöst.“





    Bond grinste, nahm die Schlüssel von Raoul entgegen und
    stieg ein. Sir Henry nahm auf dem Beifahrersitz platz. Bond startete den Wagen.
    „Und ich verlasse mich darauf, dass ich bei Perez angemeldet bin, Raoul.“





    „Keine Sorge. Ich sage ihm, er soll schon mal den Champagner
    kalt stellen“, entgegnete Raoul grinsend und sah dem davonfahrenden Jaguar
    nach.





    6 – Die Vereinigung





    James Bond fuhr mit Sir Henry Westham als Beifahrer und
    Navigationssystem neben sich in seinem Jaguar über die Küstenstraße nach Osten.
    Sie fuhren durch Guanabo, Santa Cruz, Matanzas und Varedero, bis sie
    schließlich in Cárdenas in Richtung der Bahía de Santa Clara abbogen. Keiner
    der beiden sprach sehr viel. Westham ließ hin und wieder einen Satz über Kuba
    fallen und Bond ließ dazu ein „aha“ oder ein „interessant“ hören. Der englische
    Geheimagent hing seinen eigenen Gedanken nach und überlegte was wirklich hinter
    allem stecken könnte. Als er hinter sich ein weiteres Auto hörte blickte er in
    den Rückspiegel. Ein blauer Lotus Elise folgte dem Jaguar. „Ihre Tochter, Sir
    Henry.“





    Westham drehte sich um. „Das, das ist nicht meine Tochter!“
    Bond schaute noch einmal in den Rückspiegel und tatsächlich saßen zwei Kubaner
    in dem Auto. „Das gefällt mir gar nicht, Sir Henry.“





    Der Lotus beschleunigte und überholte den Jaguar. Westhams
    Blick war starr auf das Auto gerichtet. „Was haben die vor?“ Seine Frage wurde
    sofort beantwortet, denn der Lotus hinterließ eine glatte Ölspur hinter sich.
    Doch Bond reagierte schnell und drückte auf einen Knopf neben dem Lenkrad und
    schon spieen viele kleine Düsen unter dem Kühlergrill des Jaguars mit extremem
    Druck Sand auf die Fahrbahn. Unbeschadet fuhr der Wagen nun über das Ölfeld.
    „Der eleganteste Streuwagen, den ich je gesehen habe“, bemerkte Westham bewundernd,
    aber immer noch ängstlich. Schon näherte sich ein zweiter blauer Lotus von
    hinten. Seine Scheinwerfer fuhren nach hinten und aus der Öffnung ließen MGs
    ihr tödliches Feuer auf den Jaguar niederprasseln. Funken stiebend prallten die
    Kugeln an der Panzerung des Jaguars ab. Sir Henry griff zu seinem Taschentuch
    und wischte sich die schweißnasse Stirn. „Früher hatte ich so etwas auch im
    Auto.“





    „Heutzutage bevorzugt man Raketen.“ Bond aktivierte die
    automatische Zielerfassung des Jaguars und schoss aus den vorderen Scheinwerfen
    Raketen ab. Ihre weißen Rauchfahnen schossen zuerst nach vorne, drehten dann um
    180° und schlugen in das Verfolgerauto ein, das sofort explodierte. „Gibt es
    den Schleudersitz mit dem Auslöser im Schalthebel eigentlich auch immer noch?“





    „Sicher, Sir Henry“, antwortete Bond und klappte die Kappe
    des Schalthebels auf. Ein roter Knopf war darunter. Dann schloss er die Klappe
    wieder. „Werden wir aber jetzt nicht brauchen.“





    Westham nickte, schaute sich um und hielt die Luft an, denn schon
    wieder tauchten zwei Lotus Elise hinter dem Jaguar auf und zu dritt nahmen sie
    ihn nun in die Zange. Bond fuhr Ausweichmanöver und beschleunigte, um den
    ersten Lotus auf die Hörner zu nehmen. Doch trotz all seiner Anstrengungen
    pressten sich die anderen beiden Wagen links und rechts an ihm fest,
    verankerten sich mit Stahlhaken und drängten ihn in Schlangenlinien immer mehr von
    der Straße. „Es wird Q das Herz brechen“, meinte Bond, als er hart in die
    Bremsen ging. Der Jaguar befreite sich so aus der Umklammerung der beiden Wagen
    auf Kosten seines schönen, glänzenden schwarzen Lacks, der großflächig rechts
    und links absplitterte. Während sich ein Lotus noch halten konnte, kam der
    andere ins Schlingern und prallte frontal gegen einen Baum. „Da waren es nur
    noch zwei“, lächelte Bond überlegen. Westham holte seinen Flachmann hervor und nahm
    einen ordentlichen Schluck. Während der zweite Lotus wieder die Verfolgung
    aufnahm, beschleunigte der erste Lotus immer mehr und ließ den Abstand zum
    Jaguar größer werden. „Was, was hat der wohl vor?“



    Sir Henrys Frage wurde sogleich beantwortet als das Heck des
    Lotus eine dunkelgraue Rauchwolke ausstieß. „Die… die wollen uns einräuchern!
    Die Sicht nehmen!“ Keuchend saß Westham kerzengerade auf dem Beifahrersitz.
    „Nur keine Panik“, sagte Bond beruhigend und drückte einen weiteren Knopf. Prompt
    lichtete sich der Rauch, eingesaugt vom Kühlergrill des Jaguars. „Drehen sie
    sich mal um, Sir Henry.“ Westham tat es und staunte. Der eingezogene Rauch
    wurde hinten wieder ausgestoßen und nebelte den Verfolgerwagen ein, der vom Weg
    abkam und schließlich in Zuckerrohrfeldern stehen blieb. Der kubanische Fahrer
    fluchte.





    Lächelnd drehte sich Sir Henry wieder nach vorne, nur um
    sein Gesicht dann zu einer angsterfüllten Grimasse zu verziehen. „Ein… ein… ein
    Kamikaze-Fahrer“, stotterte er fassungslos, denn der Lotus bremste abrupt ab
    und explodierte mit einem ohrenbetäubenden Knall. Bond konnte gerade noch
    rechtzeitig den Lenker herumreißen und der Jaguar holperte nun auf die Küste
    zu, wo er schließlich im sandigen Boden stoppte. Bond und Sir Henry atmeten
    tief durch. „Scheint als wäre ich hier in Kuba genauso unsicher wie in Bath“,
    bemerkte Bond.





    „Aber… aber hier ist Perez. Hier können wir etwas gegen ihn
    unternehmen! Uns wehren“, schnaufte Sir Henry.





    „Wenn wirklich Perez hinter alldem steckt“, meinte Bond dazu
    nur und startete den Jaguar wieder. Geschickt lenkte er ihn zur Straße zurück.





    Sir Henry wurde an seinem Haus abgesetzt und von seiner
    Tochter in Empfang genommen. Diese erklärte Bond den Weg zu Perez’ Villa. Der
    Agent bedankte sich und war nach einer kurzen Fahrt vor dem Gebäude angekommen.
    Westham und Perez wohnten wirklich nicht weit voneinander entfernt. Perez’ Haus
    war, groß, hell, freundlich und einladend. Ein Kiesweg führte an Palmen vorbei
    zur Küste und zu einem weißen Sandstrand. Bond parkte seinen Jaguar auf dem
    Schotterplatz vor dem Haus, ging zur Tür und klingelte. Ein junger, livrierter
    Kubaner öffnete die Tür. „Buenas tardes, Senor.“





    „Buenas
    tardes. Habla usted Inglés?“





    „Sicher“, lächelte der Diener. „Sie müssen der Engländer
    sein, der Senor Perez angekündigt wurde.“





    „Genau. Mein Name ist Bond. James Bond.“





    „Treten sie bitte ein. Senor Perez hat zwar gerade eine
    Konferenz mit den anderen Pflanzern, aber ich habe Anweisung sie trotzdem
    vorzulassen.“ Der Diener schloss hinter dem eintretenden Bond die Tür und
    führte ihn durch den Flur, der in hellen, warmen Farben gestrichen war und
    durch einige einheimische Grünpflanzen sehr lebendig wirkte. An einer robusten
    Doppeltür hielt der Diener und klopfte an. „Quién?“, tönte es von innerhalb.
    „Senor Bond“, antwortete der Diener. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet und ein
    kräftiger, kahler Kubaner mit freundlichem Gesicht öffnete die Tür. „Bien
    venido, Senor Bond! Erfreut sie kennen zu lernen.“





    Bond musterte den Mann. „Senor Perez nehme ich an?“





    „Si, si“, nickte der Mann. „Kommen sie doch herein.“ Bond
    folgte Perez in das Arbeitszimmer. Drei Männer saßen dort an einem kleinen,
    runden Tisch. Sie erhoben sich, als Perez mit Bond eintrat. Der Erste war ein
    schwarzhaariger, großer, muskulöser Mann um die dreißig, der Zweite ein
    schmächtiger, älterer Mann mit grauen Schläfen, grauem Schnurrbart und einem
    Monokel und der Dritte ein alter Schwarzafrikaner mit mürrischem Gesicht. Perez
    stellte sie der Reihe nach vor. „Miguel Cruz. Leon Martinez. Fernando Silva.
    Und das hier ist James Bond. Die britische Regierung hat ihn als Detektiv auf
    die Sache angesetzt.“ Die Pflanzer nickten ihm zu.





    „Britische Regierung also“, bemerkte Martinez, nahm sein
    Monokel ab und putzte ihn. „Sie sind doch sicher vom Geheimdienst und Sir Henry
    steckt irgendwie in der Sache mit drin.“





    „Nun, das stimmt in der Tat“, gab Bond zu. „Zurzeit scheint
    alles auf Sir Henry als Anstifter hinzudeuten.“





    „Ah ja.“ Martinez klemmte das Monokel wieder vor sein Auge.
    „Und da setzt man uns natürlich einen weiteren Geheimagenten vor. Sie sind doch
    befangen! Sir Henry dürfte in England immer noch als lebende Legende gelten und
    sie sind sicher nur dazu da, dass diese Legende weiter aufrecht gehalten wird.
    So etwas kennt man ja. Unterschlagen von Beweisen, Verdrehen der Tatsachen und
    so weiter. Dabei könnte ich ihnen Sachen er…“





    „Ja, ist schon gut, Leon“, meinte Perez beruhigend. „Ich bin
    sicher, Senor Bond wird die Sache ganz objektiv angehen.“





    „Selbstverständlich. Da können sie ganz beruhigt sein“,
    versicherte Bond leicht verunsichert. Was ging hier nur vor?





    „Wie können wir ihnen denn am Besten helfen?“, fragte Perez,
    während die anderen Herren sich wieder setzten. Bond schaute sich im Raum um.
    Die Einrichtung war von gehobener Klasse, wenn auch nicht so luxuriös wie bei
    Raoul. Bücherregal und Schreibtisch waren modern, eine Tür führte hinaus auf
    die Terrasse. An den Wänden hingen verschiedene Karten der Insel. „Sie könnten
    mir zunächst einmal zeigen wo genau die Anschläge stattgefunden haben.“ Perez
    nickte, ging zu einer Karte mit den genauen Plantagengrenzen und zeigte Bond
    die Orte. „Dies sind alles die Plantagen unserer Vereinigung. Tabak,
    Zuckerrohr, Kaffee und hier noch einmal Zuckerrohr. Und hier, hier und hier
    wurde bisher zugeschlagen.“





    Bond schaute sich die Karte genau an und prägte sie sich
    ein. „Interessant.“ Bisher war von jedem der Pflanzer von Perez’ Vereinigung
    eine Plantage betroffen gewesen bis auf die Kaffeeplantagen von Martinez. Zudem
    waren die Sprengladungen jedes Mal zentral angebracht wurden und hatten jeweils
    ein ganz bestimmtes Areal vernichtet. Es schien also Absicht dahinter zu
    stecken und nicht nur rachsüchtiges Zerstören. Bond schaute zu den Pflanzern zurück.
    „Gibt es irgendwelche Feinde ihrer Vereinigung? Fällt ihnen ein Grund ein,
    warum Sir Henry das hätte tun sollen?“





    „Sir Henry ist ein alter Säufer“, bemerkte Martinez. „Wer
    weiß was in seinem Kopf alles vorgeht.“





    Perez sah ihn tadelnd an. „Ich weiß auch nicht was in ihn
    gefahren sein könnte. Bisher waren Sir Henry und ich eigentlich ganz gute
    Freunde. Wir kennen uns schon Jahrzehnte.“





    „Bisher“, grinste nun der alte, schwarzhäutige Silva. „Das
    dürfte sich seit einem bestimmten Abend vor wenigen Wochen geändert haben.
    Kurze Zeit später folgte der erste Anschlag.“





    Schuldbewusst senkte Perez den Kopf. „Ja, das wäre in der
    Tat ein Motiv für ihn oder seine Tochter“, seufzte er und schaute zu Bond.
    „Wissen sie, ich war an jenem Abend sehr betrunken und außer mir als ich…“





    „Sie brauchen nicht weiterreden, Senor Perez. Ich weiß
    Bescheid“, sagte Bond. „Im Moment richtet sich mein Verdacht eher gegen
    Westhams Neffen.“





    „Was ich gesagt habe“, kicherte Martinez. „Nur nicht den
    guten Sir Henry verdächtigen.“





    Perez beachtete Martinez gar nicht. „Was könnte der
    Chevalier für ein Motiv haben um uns zu schaden?“





    „Ich gehe nicht davon aus, dass er versucht der Vereinigung
    zu schaden“, antwortete Bond. „Er will sich wahrscheinlich das Vermögen Sir
    Henrys aneignen, indem er ihm die Schuld an den Anschlägen zuschiebt und
    schließlich seine Cousine heiratet. Ein Mord wäre zu auffällig.“





    Martinez grinste, während Perez sich nachdenklich über den
    kahlen Schädel strich. Silva räusperte sich. „Und was haben sie nun genau vor, Senor
    Bond?“





    Doch ehe Bond antworten konnte öffnete sich die Tür und eine
    attraktive, reinrassige Kubanerin mit langen schwarzen Haaren trat ins
    Arbeitszimmer, dicht gefolgt von einem eher unscheinbar wirkendem Kubaner mit
    ebenfalls schwarzen Haaren und schwarzem, kurzem Schnurrbart. Er trug eine
    Aktentasche unter dem Arm. Die Frau ging auf Perez zu und gab ihm einen Kuss
    auf die Wange. „Buenas tardes, padre! Cómo estás?“





    „Estoy bien, gracias“, lächelte Perez und wandte sich dem
    Mann zu. „Frau und Kind wohlauf?“ Der Mann nickte. „Bueno, bueno. Habt ihr
    alles erledigt?“





    „Sicher. Alles läuft gut“, antwortete die Frau und schaute
    sich um. Ihr Blick blieb an Bond haften. Dieser wurde von ihrer Attraktivität
    sofort gefesselt.





    „Wenn ich vorstellen darf“, schaltete sich Perez ein. „James
    Bond vom britischen Geheimdienst, er ist gekommen um die Anschläge zu
    untersuchen. Meine Tochter Juanita und Diego, mein Verwalter. Sie waren seit
    gestern geschäftlich unterwegs.“





    „Sehr erfreut“, sagte Bond. Diego nickte ihm kurz zu und
    legte die Aktentasche auf dem Tisch ab. Perez schaute Bond an. „Ich fürchte,
    ich muss sie jetzt leider hinauswerfen, Senor Bond. Wir haben hier noch einiges
    zu besprechen. Vielleicht kann sich meine Tochter etwas um sie kümmern. Oder
    sie bleiben gleich über Nacht hier. Dann können wir morgen beim Frühstück noch
    einmal in Ruhe über alles sprechen.“

  • „Ja, das wäre gut möglich“, nickte Bond. „Ich habe meinen
    Koffer noch im Auto. Man müsste dann nur Sir Henry informieren, dass ich erst
    morgen wiederkomme.“





    „Aber natürlich, junger Freund“, lächelte Perez. „Ich sage
    dem Diener sofort Bescheid, dass er ihnen ein Zimmer richtet und bei Sir Henry
    anruft.“





    „Danke.“





    „Dann folgen sie mir bitte, Senor Bond. Sie dürfen mich
    Juanita nennen.“ Juanita ging zur Tür. Bond folgte ihr. „In Ordnung, Juanita.
    Ich heiße James.“ Er schaute sich beim Verlassen des Zimmers noch einmal um.
    Alle hatten sich an den kleinen Tisch gesetzt, an dem Diego einige Dokumente
    aus der Aktentasche hervorholte. Er schloss die Tür. Juanita redete kurz mit
    dem Diener und schaute den Agenten dann verführerisch an, als sich der Diener
    wieder entfernte. „Ich weiß schon, was wir nun tun könnten“, hauchte sie.





    „Ich bin ganz der ihre“, erwiderte Bond lächelnd und schlang
    einen Arm um Juanitas Hüfte. „Ich wollte schon immer in die Schönheiten Kubas
    eintauchen.“





    „Sehr schön“, lächelte Juanita. „Genau das habe ich auch
    vor. In der Bahia de Santa Clara gibt es wunderschöne Korallenriffe. Wir haben
    genug Tauchgeräte hier und es ist nur ein Katzensprung bis zum Strand.“





    Juanita ging zu einem Lagerraum und holte dort
    Taucherbrillen, Sauerstoffflaschen und
    Handtücher hervor. „Sie haben Badezeug dabei, James?“ Bond nickte. „Gut,
    dann gehe ich schon einmal mit einigen Sachen vor. Ihr Zimmer ist im Obergeschoss,
    das erste links.“ Sie schnappte sich die Handtücher und ein Tauchgerät und ging
    mit aufreizendem Hüftschwung zur Terrassentür. Bond sah ihr beeindruckt nach.





    7 – Rushhour





    James Bond tauchte aus dem warmen, klaren Wasser auf und
    ging über den weichen, weißen Sand zum Badehandtuch. Zwei Stunden lang hatte er
    nun die Schönheit der Korallenriffe und Juanitas genossen. Graziös spazierte
    Juanita vor ihm her, legte das Tauchgerät ab und ließ sich auf das Handtuch
    sinken. Sie war schlank und sehr sportlich.



    Bond legte ebenfalls ab und sich neben ihr. Lächelnd strich
    er eine schwarze Strähne aus ihrem gebräunten Gesicht. „Du schwimmst sehr gut.“





    „Das ist nicht alles, was ich sehr gut kann“, gab sie keck
    zurück.





    „Ich weiß.“ Der Agent beugte sich zu ihr hin und küsste sie
    zärtlich. Doch gerade als Juanita ihren Arm um ihn legen wollte, brach er ab
    und schaute hoch. Eine Person stand neben einer Palme und beobachtete die
    beiden. Als Bond seinen Blick in die Richtung lenkte, verschwand sie schnell
    wieder. „Was hast du, James?“





    „Nichts“, antwortete Bond schnell und widmete sich wieder
    der schönen Kubanerin. Die Person hatte auffallende Ähnlichkeit mit Havanna
    gehabt. Doch was konnte sie hier wollen? Was war der Grund, dass sie hier
    herumschlich? Fragen über Fragen. Seit seiner Ankunft in Kuba schien sich alles
    mehr und mehr zu verkomplizieren. Sir Henry verdächtigte Perez, doch schien der
    freundliche, kahle Kubaner kein Motiv zu haben. Martinez verdächtigte Sir
    Henry, der sich für die Vergewaltigung seiner Tochter durch Perez rächen wollen
    könnte. Doch schien dies für Perez unvorstellbar zu sein. Havanna hätte
    dasselbe Motiv wie ihr Vater und zudem noch Aussicht auf ein beträchtliches
    Erbe wie Raoul bemerkte. Bonds Verdacht war ja, dass genau dieses Erbe Ansporn
    für den verschuldeten Chevalier war. Oder war das doch zu weit hergeholt?
    Sperrte sich Bond tatsächlich gegen die Verdächtigung von Sir Henry und
    Havanna? Das schien jedenfalls Martinez zu denken. Martinez’ Kaffeeplantagen
    waren bis jetzt noch kein Opfer der Anschläge. Zufall oder Absicht? Steckte
    Martinez hinter alldem? Bond seufzte. Er würde wohl wieder eine Nachtschicht
    einlegen müssen. Doch zuvor brauchte er etwas Abstand, um seine Gedanken zu
    ordnen. Lächelnd blickte er Juanita an und streichelte über ihren wohlgeformten
    Körper.





    Mit Einbruch der Dunkelheit kamen Bond und Juanita vom
    Strand zurück. Die Vereinigung tagte immer noch im Arbeitszimmer. Bond duschte,
    zog sich um und nahm dann allein mit Juanita ein kleines Abendessen, bei dem
    sie noch einmal die Vorfälle zur Sprache brachten. „Hast du eigentlich einen
    Verdacht wer hinter den Anschlägen stecken könnte, Juanita?“





    „Nun ja“, begann Juanita. „Wenn da nicht das Problem wäre, dass
    die Bombenleger von Sir Henrys Konto bezahlt worden sind, wäre die Lösung
    einfach. Es gibt viel Terror gegen Kuba. Kuba ist ein kommunistisches Ziel in
    Reichweite der USA und dann gibt es natürlich noch die Exilkubaner in Florida,
    die das Land während der Revolution verlassen haben und den alten Zuständen
    nachtrauern. Sie wissen vielleicht von der Invasion der Schweinebucht 1961.
    Mein Vater hat dabei seine ganze Familie verloren.“





    „Ist mir bekannt“, nickte Bond.





    „Seitdem hat sich nicht viel verändert, nur die Maßnahmen
    sind subtiler geworden.“ Juanita seufzte. „Der nächste Schicksalsschlag für
    meinen Vater war dann der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991, ein herber Schlag
    für die kubanische Wirtschaft. Seitdem ist hier die Perioda especial in Kraft,
    die die genaue Zuteilung von Strom, Wasser und dergleichen regelt. Zu bestimmten
    Zeiten wird der Strom in den Dörfern einfach abgestellt. Als Tourist merkt man
    solche Dinge natürlich nicht. Die Hotels hängen ständig am Netz. Dass dafür
    viele Leute ohne Energieversorgung auskommen müssen ist kaum bekannt, aber
    immerhin kommt durch den Tourismus einiges an Geld ins Land. Mein Vater liebt
    sein Land und die Bewohner. Es mag sein, dass er dadurch zum Ziel der Anschläge
    geworden ist. Ich will nicht sagen, dass er überzeugter Sozialist oder
    Kommunist ist, aber er ist ein Kind dieser Insel und er setzt sich vielfältig
    sozial ein, spendet für Schulen, Krankenhäuser und dergleichen. Dazu hat er
    sich mit Gleichgesinnten zusammengetan und die Pflanzervereinigung gegründet.“





    „Ein sehr engagierter Mann, dein Vater“, bemerkte Bond und
    wurde nachdenklich. „Es ist natürlich durchaus möglich, dass der Terror gegen
    die Pflanzer politisch motiviert ist. Sir Henry hat sicher noch Kontakte in die
    USA. Aber trotzdem, ich kann es mir einfach nicht vorstellen.“





    Juanita zuckte mit den Schultern. „Nun, das ist deine Sache,
    aber wenn du die Wahrheit ans Licht bringen willst, musst du jede Möglichkeit
    mit einbeziehen.“ Sie trank ihren Kaffee aus und verließ das Speisezimmer. Bond
    seufzte, Juanita hatte ja Recht. Er schälte sich noch eine Orange, aß sie in Gedanken
    versunken und ging dann auf sein Zimmer. Dort zog er sich um, griff sich
    Taschenlampe und Taschenrechner und begann mit der Durchsuchung des Hauses. Im
    ersten Stock waren nur Schlafzimmer, also ging er die Treppe hinunter in den
    unteren Flur.





    Bond schlich sich zur Tür des Arbeitszimmers und lauschte.
    Die Pflanzer waren immer noch am Debattieren. Der Geheimagent trat einen
    Schritt zurück und schaute sich um. Niemand war zu sehen oder zu hören.
    Schattengleich glitt er lautlos zur nächsten Tür und drückte auf die Klinke.
    Die Tür war offen und Bond schlüpfte in den Raum. Er ließ den matten Schein
    seiner Taschenlampe durch das Zimmer gleiten und schaute sich um. Anscheinend
    war es ein zweites, kleineres Arbeitszimmer. Es gab ein Bücherbord, einen
    Schreibtisch mit PC und einen Safe. Bond pfiff leise. „Das trifft sich ja gut.
    Aber eins nach dem anderen.“





    Bond lauschte und hörte nur die Stimmen von Perez und den
    anderen im Raum nebenan. Er setzte sich auf den Bürostuhl und fuhr den Computer
    hoch. Dann wühlte sich der Agent durch die Dateien, die aber allesamt nichts
    Besonderes enthielten, nur Schriftverkehr, Abrechnungen und dergleichen.
    Schließlich gelangte Bond an den Ordner ‚Private’, doch als er ihn öffnen
    wollte erschien eine Passwortabfrage. „Hätte ich mir denken können“, raunte
    Bond entmutigt und schaltete den PC wieder ab.





    Bond stand auf und ging zum Safe. Er war gesichert durch
    eine elektronische Zahlenkombination. Bond holte den Taschenrechner hervor und
    scannte die Tasten. Nach den bekannten zwei Signaltönen erschienen vier Ziffern
    auf dem Display: 1269. Bond klappte den Rechner zu und steckte ihn weg. Er
    drückte die vier Nummerntasten und wollte den Safe öffnen, doch dieser blieb
    verschlossen. „Sauerei“, fluchte Bond. „Sonst funktionieren Qs Spielereien doch
    auch immer perfekt.“ Er wollte sich schon abwenden, als ihm plötzlich der
    rettende Gedanke durch den Kopf schoss. Natürlich! Das Gerät konnte zwar anhand
    der Fingerabdrücke erkennen, welche Tasten gedrückt worden waren aber nicht in
    welcher Reihenfolge!



    Lächelnd wendete sich Bond wieder dem Safe zu und überlegte.
    1269… 1962, das könnte die Lösung sein. Das Jahr der Kuba-Krise würde sich
    Perez sicher gut merken können. Bond probierte die Kombination aus und der Safe
    sprang tatsächlich auf. Na also! Er griff sich die Dokumente und sah sie kurz
    durch, doch viel konnte er nicht daraus herauslesen. Bond verfluchte sich
    innerlich, dass er nicht besser spanisch konnte. Allerdings schien es sich um
    Korrespondenz zwischen Perez und einem gewissen Coronel Adoro zu handeln. Was
    könnte Perez mit einem kubanischen Oberst zu tun haben? Bond schaute die
    Dokumente weiter durch und fand noch einen Pachtvertrag für einen Leuchtturm.
    Er strich sich nachdenklich durch das Haar. Was könnte Perez mit einem
    Leuchtturm wollen? Oder war das auch nur ein Teil von Perez’
    Subventionierungsarbeit? Wäre auch gut möglich, eigentlich sogar sehr
    wahrscheinlich. Bond packte alles wieder ordnungsgemäß in den Safe und schloss
    ihn wieder. Das Bargeld darin interessierte ihn nicht. Schließlich war er
    Geheimagent und kein Einbrecher.



    Schritte auf dem Flur ließen Bond auffahren. Rasch sah er
    sich um. Eine gute Fluchtmöglichkeit bot sich durch die Terrassentür. Schnell
    eilte er hin, da wurde auch schon die Türklinke heruntergedrückt. Eilig entschwand
    Bond nach draußen und presste sich neben dem Fenster an eine Wand. Langsam
    lugte er in das Arbeitszimmer herein. Es war nur der Diener, der nach dem
    Rechten sah und auch gleich wieder ging. Bond atmete erleichtert aus.



    Doch sofort wurde er erneut aufgeschreckt. Es polterte und
    klirrte. Irgendjemand schien einen der Terracotta-Blumentöpfe umgeworfen zu
    haben. Bond blieb regungslos an der Wand stehen und schaute sich um.



    Tatsächlich stakste da eine dunkle Gestalt mit einem
    Revolver durch den Garten. Bond war nicht der Einzige, dem diese Gestalt
    aufgefallen war, denn nur wenige Schritte entfernt öffnete sich eine
    Terrassentür und Miguel Cruz kam hinaus. Er sah sich kurz um, entdeckte die
    Gestalt und überwältigte sie rasch. Er nahm ihr den Revolver ab und zerrte sie
    ins Licht. Es war Sir Henry!





    „Lass den Alten laufen“, ertönte eine Stimme aus dem
    Konferenzzimmer und Cruz schubste Westham von sich weg. „Verzieh dich!“





    Sir Henry hob drohend seine geballte Faust und verschwand
    wieder im Dunkeln, während Cruz in das Zimmer zurückging und die Tür schloss. Bond
    strich sich durch das Gesicht. Was hatte das denn nun wieder zu bedeuten? Erst
    Havanna am Strand und dann Sir Henry im Garten… war er nun doch in eine
    Privatfehde hineingeraten?





    Bond seufzte und ging wieder zur Arbeitszimmertür. Doch
    diese war von dem Diener verschlossen worden. So drehte er sich wieder um,
    lauschte und schlich sich auf der Suche nach einer offenen Tür oder einem
    offenen Fenster um das Gebäude herum.



    Als er auf der Frontseite angekommen war öffnete sich
    plötzlich die Haustür und geistesgegenwärtig presste Bond sich wieder an die
    Mauer. Ein Mann trat aus dem Haus auf den Schotterplatz, sah sich in alle
    Richtungen um, bemerkte Bond jedoch nicht. Es war Diego, der Verwalter von
    Perez, der sich heimlich davon machte.





    „Interessant“, sagte Bond leise und entschied sich Diego zu
    folgen. Er wartete bis der Kubaner einen gebührenden Vorsprung hatte, trat dann
    aus dem Schatten der Villa und heftete sich an Diegos Fersen.



    Über den Schotter vor Perez’ Haus ging es zur Landstraße,
    die um diese Zeit wie leergefegt war. Ein laues Lüftchen ging und eine Wolke schob
    sich langsam vor den vollen Mond. Von der Küste her hörte man das leise
    Rauschen des Wassers und das leichte Rascheln der Palmzweige. Diego schien es
    recht eilig zu haben. Er hatte Bond immer noch nicht bemerkt und hielt auf ein
    bestimmtes Gebäude zu. Als sie näher kamen erkannte Bond es. Es war das Haus
    von Sir Henry! „Das wird ja immer interessanter“, bemerkte Bond und folgte dem
    Kubaner weiterhin.



    Dieser ging um das Haus herum zur Hintertür. Dabei streifte
    er ein Gebüsch und etwas fiel aus seiner Jackentasche. Diego schien es nicht
    bemerkt zu haben, denn er ging ohne zu zögern weiter. Bond folgte ihm bis zu
    diesem Gebüsch, blieb stehen und schaute noch zu wie Diego durch die offene
    Hintertür das Haus betrat. Kurze Zeit später flammte das Licht in einem Zimmer
    des Obergeschosses auf. Ein Schatten erschien am Fenster und zog die Vorhänge
    vor. Bond verzog nachdenklich das Gesicht und bückte sich. Er schaltete seine
    Taschenlampe an und hatte Diegos Verlust schnell gefunden. Es war ein Kondom.
    „Na sieh mal einer an“, ließ Bond verlauten ehe es ihm wie Schuppen von den
    Augen fiel. Sofort stand er senkrecht da. Havanna! Aber wie konnte das sein? War
    sie nicht noch ganz verschreckt durch Perez’ Übergriff? Er hatte ihr Gespräch
    mit dem Chevalier doch belauscht. Oder war Havanna in Wahrheit eine skrupellose
    Femme fatal, die ihren Körper benutzte um an ihre Ziele zu gelangen?





    Bonds Gedankengänge wurden aber jäh unterbrochen als er eine
    schwankende Gestalt auf der Landstraße ausmachte. Sir Henry kam also nach
    Hause. Bond entschied sich, ihm entgegenzugehen. An der Auffahrt zum Haus
    trafen sie sich. Sir Henry stolperte in Bonds Arme und ließ seinen Flachmann
    fallen. „Nanu. Was, was machen sie denn hier, 007?“ Westham rieb sich die
    Augen.





    „Das ist jetzt nicht so wichtig, Sir Henry. Viel wichtiger
    ist was sie hier anstellen. Bewaffnet bei Perez herumschleichen. Was soll das?
    Haben sie das nötig, Sir Henry?“





    „Sie… sie haben mich gesehen?“, gluckste Sir Henry.
    „Irgendjemand muss, muss doch was tun um Pez… um Perez aufzuhalten. Sonst…
    sonst legt er uns noch alle um. Sie, mich, Havanna! Ich wollte dem ein Ende
    bereiten! Ein Ende! Jawohl!“





    „Haben sie Beweise dass Perez hinter den Anschlägen steckt?“





    „Beweise? Pah! Wer braucht schon Beweise, wenn er die Lizenz
    zum Töten hat. Ich war… ich bin berühmt für meinen untrüglichen Instinkt!
    Jawohl!“ Westham hustete.





    Bond tat es weh, Sir Henry so zu sehen. „Sie gehören ins
    Bett, Sir Henry. Sie müssen sich erst einmal ausschlafen. Das hätte ganz schön
    ins Auge gehen können bei Perez. Kommen sie.“ Er stützte Westham und bugsierte
    ihn zum Haus.





    „Perez steckt hinter allem“, rief Sir Henry. „Nur er! Nur,
    nur er! Niemand sonst, nein, nein, sonst keiner. Havanna und Damien sind liebe
    Kinder. Lieb!“





    „Ruhig, Sir Henry“, meinte Bond leise. „Geben sie mir lieber
    den Hausschlüssel.“





    Westham seufzte herzzerreißend, griff in seine Hosentasche
    und gab Bond den Schlüssel. Bond schloss auf. „Wo ist ihr Zimmer, Sir Henry?“





    „Oben rechts“, hustete Westham. Bond schloss die Tür hinter
    sich und brachte Sir Henry auf sein Zimmer. Doch so sehr er sich bemühte dies
    lautlos zu bewerkstelligen, konnte er es nicht verhindern, dass Westham an eine
    Kommode stieß und ein bronzener Obstteller auf den Boden schepperte.
    Schließlich wuchtete der britische Agent seinen Vorgänger in das weiche
    Himmelbett. „Perez macht sich selbstständig… loswerden, loswerden will er mich…
    töten“, murmelte Westham noch, während ein Tropfen Speichel auf das hellblaue
    Satinkissen tropfte bis er schließlich einschlief.



    Bond lehnte sich gegen die Wand und massierte sich die
    Schläfen. Er atmete tief durch. Viel hatte er schon erlebt und noch mehr
    durchgemacht in seinen Jahren beim MI6. Aber nichts war so schmerzlich wie eine
    Legende so kläglich enden zu sehen. Noch dazu verstrickt in einem Gespinst, das
    noch undurchdringlich schien und immer verworrener wurde. Im Geiste ging Bond
    noch einmal alles durch und er blieb bei Martinez hängen, Martinez und seine
    Kaffeeplantage. Noch dazu wenn man bedenkt wie gezielt die früheren Anschläge
    waren. Die Lösung musste einfach auf den Feldern der Plantagen selbst zu finden
    sein.





    Langsam riss Bond sich los und verließ Westhams
    Schlafzimmer. Sich hier noch einmal umzusehen würde sicher nichts bringen.
    Diego und Havanna sind sicher nach dem Lärm der Obstschale aufmerksam geworden.
    Bond seufzte, ging die Treppe hinab und verließ das Haus. Sollte er sich
    wirklich so in Havanna geirrt haben?



    Lustlos schlenderte er über die Landstraße, die ihm nun gar
    nicht mehr so romantisch erschien wie noch vor kurzem als er Diego zu seinem
    Stelldichein verfolgt hatte, sondern nur noch trostlos. Das sanfte, beruhigende
    Rauschen und die angenehme kühle Nachtluft waren ihm egal. Er hatte heute Abend
    Entdeckungen gemacht, die er lieber niemals gemacht hätte. Bond presste die
    Lippen zusammen als er seinen Fuß auf den Schotter von Perez’ Villenvorplatz
    setzte. Er atmete noch einmal tief durch und sah sich um. Er musste immer noch
    einen Weg finden ungesehen wieder ins Haus zu kommen. Langsam näherte er sich
    wieder dem Gebäude. Auf der Frontseite war alles zu, also schlich er an der
    Wand vorbei zur Ecke. Schritt setzte er sachte vor Schritt. Doch als er um die
    Ecke trat musste er einen Aufschrei unterdrücken und fasste sich ins Gesicht.
    Dieses unerträgliche Brennen. Pfefferspray!





    Mühsam versuchte Bond die Augen zu öffnen. Er hangelte nach
    seiner Walther und zog sie. Das einzige was er noch ausmachen konnte war eine
    männliche Gestalt, die zwischen den Häusern einer kleinen Ansiedlung in der
    Nähe verschwand. Was war das nur für eine Nacht. Leise fluchend tastete sich
    Bond die Wand entlang zu einem Wasserhahn für Gartenschläuche, den er am frühen
    Abend neben der Tür zum Strandweg gesehen hatte. Er fand ihn schließlich,
    kniete sich hin und drehte ihn auf. Er fing das erfrischende, kalte Wasser mit
    seinen Händen auf und wusch sich die Augen und das Gesicht aus. Langsam aber
    stetig verebbte das Brennen. Bond drehte den Hahn zu und ließ sich an der Wand
    auf den weichen Sand sinken. „Rushhour auf Kuba“, lächelte Bond müde. „Und das
    mitten in der Nacht.“ Bond brauchte nicht lange zu überlegen wer dieser Mann
    jetzt war. Es gab nur eine Möglichkeit, Chevalier Damian de Stroy. Damit wäre heute
    wirklich das gesamte Haus Westham auf den Beinen gewesen. Obwohl der Fluchtweg
    schon merkwürdig war. Die Siedlung lag in entgegen gesetzter Richtung zum Haus
    der Westhams. Aber Bond hielt den Chevalier für einen überaus intelligenten
    Menschen. Es wäre nur wahrscheinlich, dass er in die falsche Richtung flieht
    nur um Verwirrung zu stiften.

  • Schleppend richtete Bond sich wieder auf und fand
    schließlich Zugang zum Haus über ein Küchenfenster. Rasch ging er in sein
    Zimmer und legte sich ins Bett. Und diesmal war es ihm egal wenn irgendwo Gas
    entweichen und ihm langsam sein Leben nehmen würde. Er fühlte sich wie in einem
    bösem Traum. Diese Sache nahm ihn emotional mehr mit als er sich eingestehen
    wollte. Eigentlich müsste er bei M darum bitten, dass der Fall von jemand
    anderem untersucht werden sollte. Doch auch das würde nichts bringen. Bond
    wusste genau, dass M ihm den Fall gegeben hatte weil sie viel Vertrauen in
    seine Erfahrung und sein Können hatte und sie genau wusste, dass er für diesen
    Fall der Beste war. Bond wälzte sich noch lange herum ehe er in einen
    traumlosen Schlaf fiel.





    8 – Ein Bombentag





    „Guten Morgen“, grüßte James Bond müde, als er sich an den
    wohl gedeckten Frühstückstisch in Perez’ Speisezimmer niederließ. Die kalte
    Dusche, die er sich eben noch gegönnt hatte, hatte ihn zwar erfrischt, konnte
    seinen Gemütszustand jedoch auch nicht ändern. Er nahm sich vom Toast und goss
    sich Kaffee ein, den er schwarz trank. Alle waren um den Tisch versammelt,
    Perez und seine Tochter, die drei Pflanzer – anscheinend hatten sie nach der
    langen Sitzung sofort hier übernachtet - und Diego, der Verwalter. Alle
    schienen den Tag frohen Mutes begonnen zu haben, nur Diego wirkte etwas nervös.





    „Guten Morgen, Senor Bond“, lächelte Perez väterlich. „Ich
    hörte sie hatten gestern noch einen schönen Abend.“





    „Danke, der Abend war wirklich sehr angenehm. Nur die Nacht
    hätte besser sein können. Ich habe schlecht geschlafen.“ Bond nahm einen
    Schluck vom Kaffee. Er war recht stark und Bond konnte langsam wieder seine
    erwachenden Lebensgeister fühlen.





    „Sie sehen auch gar nicht gut aus“, bemerkte Martinez und
    schaute Bonds Gesicht an, das noch leicht geschwollen war. „Eine Allergie?“





    „Wird schon wieder“, blockte Bond ab und biss in seinen
    Toast, den er zuvor mit Honig versüßt hatte.





    „Sicher, sicher. Das kommt gar nicht in Frage, dass sie
    jetzt hier auch noch ausfallen. Sie werden schon Licht in diese Sache bringen“,
    verkündete Perez optimistisch, während Juanita sich etwas Grapefruitsaft ins
    Glas goss.





    „Haben sie schon Pläne für den heutigen Tag, Senor Bond?“,
    fragte nun Silva.





    „Nun“, begann Bond. „Ich werde mich wohl etwas in der
    Umgebung umsehen und mich noch einmal mit den Westhams befassen.
    Irgendetwas scheint da wirklich nicht zu
    stimmen.“ Doch schnell wechselte er das Thema. „Und sie haben ihre Sitzung
    vertagt? Oder sind sie die Nacht noch zum Ergebnis gekommen?“





    „Oh, nein. Mittlerweile ist alles geklärt. Die Verluste
    durch die Anschläge können wir ganz gut kompensieren und unser neues Projekt
    wird bald ohne Probleme starten können“, erzählte Perez offenherzig.





    „Ein neues Projekt?“, fragte Bond interessiert.





    „Nichts besonderes“, antwortete Martinez schnell und Bond
    schaute zu ihm. „Ein wenig expandieren, die Plantagen umgestalten und
    dergleichen eben. Effektivitätssteigerung, besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis
    und so weiter. Die Gesetze der Marktwirtschaft dürften sie als Kapitalist
    sicher kennen“, gab er mit einem Hauch von Sarkasmus von sich.





    Das Klirren eines Glases und das Umfallen eines Stuhles
    jedoch hielten Bond von einer Antwort ab. Juanita war aufgesprungen und
    unterdrückte einen Schrei. Ihr frischer Grapefruitsaft benetzte den Boden. Bond
    folgte ihrem Blick. Ihr Vater hatte sich ans Herz gegriffen und war am Röcheln.
    „Vater!“





    „Ich rufe den Arzt“, rief der junge Diener, den die
    Geräusche ins Zimmer gelockt hatten, und eilte wieder hinaus. „Merkwürdig“,
    dachte Bond und schaute sich um. Silva wirkte echt besorgt, Cruz war
    aufgestanden und hatte seinen Arm um Juanita gelegt um sie zu beruhigen.
    Interessanter waren da schon Diegos und Martinez’ Reaktionen. Der Verwalter
    schien wirklich unerfreut über dieses Ereignis zu sein, aber es schien ihm
    dabei komischerweise gar nicht so recht um Perez zu gehen. Doch um was dann?
    Martinez hingegen konnte nichts erschüttern. Man hätte Perez sicher auch direkt
    neben ihm niederschießen können und er hätte keine Miene verzogen. Bond nahm
    sich vor bei Raoul nach weiteren Informationen über Martinez zu fragen und
    schaute zurück zu Perez, der blass in seinem Stuhl hing.





    Eine halbe Stunde später schloss Juanita die Tür von Perez’
    Schlafzimmer und ging wieder hinunter in den Speisesaal, wo die Herren noch
    warteten. „Nun? Was ist mit deinem Vater, Juanita?“, fragte Cruz, der sofort
    bei ihr war und sie zu ihrem Stuhl führte.





    „Ein Herzanfall. Bereits sein zweiter“, erzählte sie und
    ließ sich kraftlos in den Stuhl sinken. Juanita stützte ihren Kopf auf ihre
    Hand ab. Ihr schwarzes Haar umspielte die gebräunte Haut des Unterarms wie ein
    vorzeitiger Trauerflor. Silva blickte sie an. „Wie ist denn das möglich? Juan
    erzählte mir vorgestern noch von seiner letzten Untersuchung. Alles schien in
    Ordnung zu sein. Die Medikamente hätten angeschlagen.“





    Erschöpft erwiderte Juanita seinen Blick. „Ich weiß es auch
    nicht. Der Arzt ist noch bei ihm und nimmt Blut ab. Vielleicht bringt das Licht
    ins Dunkel.“





    „Welches Dunkel? Wir kennen doch Juans Lebensweise. Er lebt
    gerne und gut und ist durch den ersten Infarkt schon vorbelastet. Selbst mit
    den Medikamenten bleibt er ein Risikopatient“, merkte Diego schüchtern an.
    „Oder etwa nicht?“





    Martinez tönte dagegen: „Aber es ist doch sehr seltsam, dass
    unser Freund gerade jetzt umkippt wo gestern Nacht noch der bewaffnete Sir
    Henry hier herumgeschlichen ist!“





    „Sie glauben also wirklich an einen Mordversuch?“, fragte
    Bond. Juanita schluckte.





    „Sir Henry hätte ihn doch schon die Nacht niedergeschossen,
    wenn wir ihn nicht bemerkt hätten. Und wenn sie mir nicht glauben, dass er hier
    war, Cruz hat seinen Revolver an sich genommen.“ Martinez sah zu Cruz, der den
    Revolver aus einer Tasche seines Sakkos hervorholte und auf den mittlerweile
    leeren Tisch legte.





    Bond brauchte gar nicht hinsehen, er wusste auch so, dass es
    wirklich Sir Henrys Revolver war. „Man sollte wirklich erst einmal die
    Blutuntersuchung abwarten. Trotzdem werde ich Sir Henry auch noch einmal unter
    die Lupe nehmen.“





    „Recht so“, nickte Martinez.





    „Ich darf mich dann jetzt auch empfehlen“, sagte Bond. „Hier
    kann ich ohnehin nichts mehr tun. Ich werde mich dann heute Abend noch einmal
    melden.“





    „Gut. Ich begleite sie dann hinaus“, bot Silva an, aber Bond
    lehnte ab. „Bemühen sie sich nicht. Ich kenne den Weg.“ Silva nickte und Bond
    verließ den Raum. Doch statt zum Ausgang ging Bond zum Konferenzraum. Dort
    hielt er inne und sah sich noch einmal um. Niemand war zu sehen oder zu hören.
    Rasch öffnete er die Tür und schlüpfte in das Zimmer. Zielstrebig ging er zur
    Wand und holte Notizblock und Stift hervor. Er studierte die Karte der
    Plantagen und machte sich eine kleine Skizze dazu. Dann steckte er den Block
    wieder ein und verließ das Zimmer. Der Agent schloss die Tür hinter sich.
    Gerade noch rechtzeitig, denn schon wurde er von Silva entdeckt. „Sie sind ja
    immer noch da. Ausgang doch nicht gefunden?“





    „Doch, doch. Ich dachte nur, ich hätte ein Geräusch gehört.“





    „Verfolgungswahn? Übervorsichtigkeit? Wahrscheinlich eine
    Berufskrankheit der Geheimagenten“, bemerkte Silva dazu. „Bei Sir Henry trifft
    wohl mittlerweile Ersteres zu. Zu ihren Gunsten will ich mal hoffen, dass es
    bei ihnen die Vorsicht ist. Aber auch nicht verwunderlich, wenn man bedenkt,
    dass hier nachts der bewaffnete Nachbar herumgeschlichen ist. Wenn ich sie nun
    doch hinausbegleiten dürfte?“





    „Natürlich“, antwortete Bond, denn schließlich hatte er
    mittlerweile das was er wollte. „Sie glauben also auch, dass Sir Henry hinter
    den Anschlägen steckt, Senor Silva?“





    „Ich weiß es nicht. Genau sagen, kann ich nur, dass ich es
    nicht bin. Und warum sollte einer von uns Pflanzern der Vereinigung Schaden
    zufügen? Sir Henry hat meiner Meinung nach das beste und das einzige Motiv.
    Rache für die Vergewaltigung seiner Tochter.“





    Bond nickte nachdenklich und schwieg. Sollte es wirklich so
    einfach sein? Irgendwie konnte er das nicht so recht glauben. An der Haustür
    verabschiedete sich Bond dann von Silva, der noch einmal sein Bedauern über den
    Vorfall ausdrückte, und ging zu seinem Jaguar. Er sah wirklich durch den
    abgesplitterten Lack sehr ramponiert aus. Aber so lange das alles blieb konnte
    Q ja zufrieden sein. Bond lächelte, schloss die Fahrertür auf und setzte sich
    auf den Fahrersitz. Er schaute noch einmal nach rechts zu Silva. Dieser war,
    wie zu erwarten, schon wieder ins Haus gegangen und hatte die Tür geschlossen.



    Bond holte sein Handy hervor und rief Raoul an. Dieser
    meldete sich nach dem zweiten Klingeln. „Ja?“





    „Bond hier. Guten Morgen, Raoul. Ich bräuchte ein paar
    Informationen.“





    „Nur zu. Fragen sie ruhig. Ich helfe ihnen gerne soweit ich
    kann.“





    „Danke. Ich wüsste gerne mehr über die Pflanzer,
    insbesondere über Leon Martinez.“





    „Tja. Eigentlich gibt es da nicht viel zu erzählen. Außer
    vielleicht, dass sich Cruz und Silva genauso wie Perez auch von unten
    hochgearbeitet haben und Familienmitglieder während der Invasion der
    Schweinebucht verloren. Cruz war zwar damals noch nicht geboren, aber sein
    Vater gehörte schon zur Vereinigung. Er ist vor zwei Jahren an Altersschwäche
    gestorben. Cruz und Juanita Perez sind übrigens verlobt. Martinez ist
    tatsächlich ein interessanterer Fall. Er sticht in so fern heraus, dass seine
    Familie schon immer zu den reichsten Pflanzern der Insel gehört hat und er
    während der Invasion keine Verluste zu beklagen hatte. Man dachte auch, dass er
    wie viele andere aus der Oberschicht in die USA emigrieren würde, doch dem war
    nicht so. Viele glaubten, dass er nur blieb, weil er ein Agent der CIA ist und
    deshalb als Spion bleiben musste. Andere sagten, er würde es eher mit dem KGB
    halten. Wenn sie mich fragen ist beides Quatsch. Perez würde sich nicht mit
    einem CIA-Agenten zusammentun und Verbindungen mit dem KGB hätten wir damals
    schon längst aufgespürt. Es gab nie Verdachtsmomente gegen ihn. Martinez ist
    reich, hart und arrogant, aber absolut sauber.“





    „Ich bin mir da nicht so sicher, Raoul“, gab Bond seine
    Bedenken zum Besten. „Ich werde mich mal auf seiner Plantage umsehen.“





    „Dann seien sie bitte vorsichtig, Mr. Bond.“





    „Keine Sorge. Ich melde mich dann später wieder. Ende.“ Bond
    legte auf und holte den Zettel mit der kleinen, abgezeichneten Karte hervor.
    Nachdem er diese studiert hatte, startete er den Wagen und fuhr über einige
    Landstraßen ins Innere Kubas.

  • Schließlich erreichte Bond die Kaffeeplantagen, parkte
    seinen Wagen an einem schattigen Wäldchen, stieg aus und nahm sich noch einmal
    die Karte vor. Nach seinen Berechnungen müsste er ganz nahe an dem zentralen
    Punkt der Plantagen sein, an dem auch schon bei allen anderen die
    Sprengladungen hochgegangen waren. Bond steckte die Karte wieder weg und sah
    sich um. Ein paar einfache kubanische Arbeiter waren auf den Feldern
    beschäftigt und ein voller Pferdewagen bog gerade auf die Landstraße. Bond
    wandte sich ab und lenkte seine Schritte zu einem Trampelpfad, der sich
    zwischen den Feldern hindurchschlängelte. Hörte er anfangs noch die Stimmen der
    Arbeiter und das Rascheln der Kaffeesträucher so wurde es mit jedem Schritt
    ruhiger. Vorsichtig blickte sich Bond immer wieder um, doch es war nichts
    Auffälliges zu sehen. Doch schließlich stockte er. Er war an einer Reihe
    besonders dicht stehender Kaffeesträucher angekommen, an denen sich der Pfad
    gabelte und mit leichter kreisartiger Neigung daran vorbei führte. Das musste
    das zentrale Areal sein, das auch schon bei Cruz, Silva und Perez in Flammen
    aufgegangen war!



    Vorsichtig und geschickt arbeitete er sich an den
    Kaffeesträuchern vorbei und stieß auf ein weiteres Hindernis. Ein großes Netz,
    in das Blätter von Kaffeesträuchern eingearbeitet waren. Bonds Gehirn schaltete
    sofort und noch ehe er das Netz zur Seite geschlagen hatte und diese
    versteckten Feldern betrat, war ihm klar was er hier vorfinden würde – Mohn. So
    ähnlich hatte auch Dr. Kananga alias Mr. Big seine Felder auf San Monique
    getarnt und natürlich sah Bond seine Überlegung sofort bestätigt. Hier war
    tatsächlich ein riesiges Mohnfeld versteckt und Bond hatte keinen Zweifel
    daran, dass selbiges auch auf den anderen Plantagen der Pflanzervereinigung
    vorzufinden gewesen war. Damit war schon einmal ein Geheimnis gelüftet, die
    Pflanzervereinigung war in Wirklichkeit ein Drogenkartell! Bond schluckte. Sein
    Herz schnürte sich zu. Diese Entdeckung war nichts weiter als ein weiteres
    Indiz für Sir Henrys Schuld! Es lag durchaus im Bereich des Möglichen, dass Sir
    Henry Selbstjustiz gegen die Verbrecher verüben würde. Er war psychisch
    durchaus dieses Verhaltens fähig, wie Bond selbst letzte Nacht leidvoll hatte
    feststellen müssen. Aber es konnte nicht sein! Es durfte einfach nicht sein,
    dass dieser ehemalige Topagent ihrer Majestät nun dem Wahn verfallen war, immer
    noch die Lizenz zu Töten zu besitzen! Was wäre wenn er, James Bond, selbst
    einmal den Blick für die Realität verlieren würde? Schmerzlich kam ihn sein
    Rachefeldzug gegen Sanchez in den Sinn, der seinen besten Freund Leiter
    verstümmelt und dessen Ehefrau Della ermordet hatte. Ihm wurde die Lizenz
    entzogen, doch dennoch hatte er sich mit unerbittlicher Härte und so wie sonst
    auch immer, als hätte er die Lizenz noch, an Sanchez’ Fersen geheftet.



    Wütend schlug er mit der geballten Faust gegen den Stamm
    eines Baumes, der wohl dafür angepflanzt worden war, um das Netz über den
    Mohnfeldern mitzuhalten, als sein Blick auf ein kleines, tickendes Kästchen fiel,
    das hinter dem Baum in einem Strauch versteckt war. Eine Zündladung! Und der
    Zähler zeigte gerade mal 35 Sekunden an! Ein Rascheln ließ Bond auffahren. In
    etwa 10 Metern Entfernung platzierte gerade ein grobschlächtiger Kubaner eine
    weitere Sprengladung. Der Kubaner sah auf, die Blicke der Männer begegneten
    sich für den Bruchteil einer Sekunde und wie von der Tarantel gestochen sprang
    der Kubaner auf und hechtete zu dem Ring aus Kaffeesträuchern, Bond dicht
    hinter ihm her. Kaum hatte der Kubaner das Netz erreicht, war Bond auch schon
    bei ihm und versetzte ihm einen präzisen Faustschlag auf das Kinn. Der Mann
    ging zu Boden, rappelte sich aber sofort auf und sprang auf Bond. Die beiden
    rangelnden Männer verhedderten sich immer mehr in dem Netz! Zwei weitere gut
    gezielte Haken von Bond ließen den Kubaner zurücktaumeln und im Netz hängen
    bleiben. Ein Seil schlang sich um sich seine Kehle und drückte ihm die Luft ab.
    Bond, aus dessen Mundwinkel etwas Blut tropfte, packte den Kubaner am Kragen
    und drückte ihn an den Baum, hinter ihm. Das Seil löste sich wieder etwas.
    „Helfen sie mir, Senor“, röchelte der Mann.





    „Wer ist ihr Auftraggeber?“ kam es hart von Bond. „Los!
    Reden sie!“





    „Martinez! Martinez!“ brachte der Kubaner mühsam hervor.





    „Danke.“ Bond verpasste dem Bombenleger zum Abschied noch
    einen Kinnhaken, befreite seinen Arm von dem Netz und kämpfte sich auf den
    Trampelpfad. Zu spät bemerkte er die Fessel an seinem rechten Fuß. Er
    strauchelte und fiel vornüber auf den erdigen Boden. Vergeblich strampelte er
    mit seinem Bein um das Netz los zu werden. Es musste ihm einfach gelingen! Mehrere
    ohrenbetäubende Explosionen ertönten just in dem Moment, in dem Bond sich
    abrollen konnte. Doch so schnell er auch war eine Feuerzunge erwischte ihn noch
    und setzte den Rücken seines Hemdes in Flammen. Wankend kämpfte Bond sich von
    den brennenden Mohnfeldern weg durch die Kaffeesträucher auf den Feldweg, wo er
    sich sofort hinwarf und hin und her rollte um das Feuer auf seinem Rücken zu
    ersticken.



    Atem- und kraftlos blieb er schließlich auf dem Rücken, Arme
    und Beine von sich gestreckt, liegen und atmete langsam und tief durch. Er nahm
    alles nur noch wie durch Watte wahr. „Eine Fensterscheibe, einmal Autolack und
    ein neues Hemd“, war das letzte, was er dachte bevor er in eine Art
    Dämmerschlaf fiel.





    Bond wusste nicht, wie lange er auf dem Feldweg gelegen
    hatte bis mit den geschäftig durcheinander redeten Feldarbeitern wieder etwas
    Leben in sein Bewusstsein kam. Mühsam richtete er sich auf. „Nein, nein danke.
    Mir geht es gut. Nein, ich brauche keinen Arzt, nein. Ich bin der englische
    Detektiv, ja. Nein, danke.“





    Es dauerte noch eine ganze Weile bis sein Kopf wieder
    vollständig klar war und er sich aus der Traube der kubanischen Pflücker gelöst
    hatte. Doch schließlich ging er wieder aufrecht über den Weg zurück zu seinem
    Jaguar. Martinez also! Doch was könnte der Grund für sein Handeln sein? Nun,
    das würde er, James Bond, schon herausfinden. Laut Karte war Martinez’ Haus
    nicht weit weg. „Martinez, ich komme“, murmelte Bond grimmig als er den
    Schlüssel ins Zündschloss steckte und den Wagen startete.





    9 – Natürliche
    Auslese





    Nach einer zehnminütigen Fahrt erreichte James Bond das Haus
    des Kaffeeplantagenbesitzers Leon Martinez. Es war ein dunkler, klobiger
    Steinbau, der ganz im Gegensatz zu den hellen und freundlichen Villen von Perez
    und Sir Henry stand. Einige massive graue Säulen vor der Front des Hauses gaben
    einen kleinen Anschein von Luxus. Die Dunkelheit wurde von den hohen Bäumen
    ringsherum – das Haus lag in einem Wald – nur noch verstärkt.



    Langsam stieg Bond aus seinem Jaguar und schloss ihn ab. Ihm
    war unbehaglich zu Mute. Die Zeit, die er am Rande der Ohnmacht, auf dem
    Feldweg liegend verloren hatte war kostbare Zeit gewesen, die seine Gegner
    sicher für sich genutzt hatten. Er griff zu seiner Walther und schlich langsam
    zum Hauptportal. Vorsichtig griff er an die Klinke der schweren Holztür. Zu
    seiner großen Verwunderung war nicht abgeschlossen. Behände schlüpfte er in das
    Gebäude. Der Flur war dunkel. Anscheinend waren alle Vorhänge zugezogen. Ein
    dicker Teppich schluckte jedes Geräusch. Es dauerte eine Weile bis sich Bonds
    Augen an die Schwärze gewöhnt hatten, doch schon bald erkannte er die Schemen einer
    Kommode und der Garderobe und nahm von der rechten Seite aus einen kleinen
    Lichtschimmer war. Er musste durch eine offene Tür scheinen. Bonds ganzer
    Körper, jeder einzelne Muskel war angespannt. Langsam bewegte er sich in
    Richtung dieser Tür, trat sie mit einem kräftigen Fußtritt auf und machte einen
    schnellen Schritt in den ebenfalls abgedunkelten Raum hinein, die erhobene
    Waffe erst nach links, dann nach rechts gedreht bis er die dunkle Gestalt
    hinter dem Schreibtisch ins Visier nahm. Martinez’ Stimme erklang. „Sie kommen
    später als ich dachte, Senor…“, Martinez stockte kurz. „Bond.“





    „Keine Bewegung, Martinez!“ Bond hielt seine Waffe weiterhin
    auf Martinez’ Schatten hinter dem Schreibtisch gerichtet.





    „Keine Sorge, Senor Bond. Ich bleibe ganz ruhig und das
    würde ich ihnen auch raten. Sie wissen also mittlerweile, dass ich die Schergen
    gedungen habe um die Felder in Rauch aufgehen zu lassen. Wie bedauerlich.“
    Martinez blieb ganz ruhig, beinahe beängstigend ruhig.





    „Sie sagen es. Der Anschlag auf ihre eigene Plantage kam
    leider etwas zu spät!“





    „Künstlerpech“, seufzte Martinez.





    „Und nun reden sie! Warum das alles? Sprechen sie oder meine
    Waffe wird sprechen!“ Martinez’ stoische Ruhe machte Bond langsam nervös.
    Instinktiv versetzte er seinen Körper wieder in Anspannung.





    „Aber, Senor Bond. Wie ich sie kenne haben sie doch sicher
    schon eine eigene Theorie über die ganze Sache. Also, was sagt ihnen ihre
    langjährige Geheimdiensterfahrung?“





    „Dass sie ein ganz mieser Schuft sind, Martinez“, entgegnete
    Bond harsch.





    „Oh, oh. Höre ich da etwa Sympathie für den augenscheinlich
    vertrottelten Sir Henry heraus?“ Martinez lachte hämisch. „Ich sagte ihnen
    schon einmal, dass ich ihnen Sachen über Sir Henry erzählen könnte, da würden
    sie Augen machen!“





    „Das ist sicher nichts gegen das, was ich über sie schon
    weiß, Martinez! Sie sind Mitglied des, wie ich annehme, größten kubanischen
    Drogenkartells und benutzen in schamlosester Weise die Vergewaltigung von Sir
    Henrys Tochter durch Perez um sich in diesem Geschäft selbstständig zu machen
    und den Verdacht auf Sir Henry fallen zu lassen. Pfui! Mit dem Zerstören der
    Mohnfelder ihrer Geschäftspartner mögen sie vielleicht der Welt noch einen
    guten Dienst erwiesen haben, aber ihre eigenen Felder haben sie nur gesprengt,
    weil sie gemerkt haben, dass ich ihnen misstraue! Sicher haben sie irgendwo im
    Geheimen noch viele weitere versteckte Mohnfelder!“





    „Dann, fürchte ich, werden sie doch unwissend sterben
    müssen, Senor Bond!“ Blitzschnell drehte sich Bond nach rechts und gab einen
    Schuss ins Dunkle ab. Ein Stöhnen, das Krachen eines Mikrofons auf den harten
    Steinboden, das hohe Klirren des zersplitternden Glasmonokels und schließlich
    der dumpfe Aufprall eines schweren Körpers zeugten von Bonds Treffsicherheit.



    Bond atmete tief aus, ging zum Fenster und zog die Vorhänge
    zurück. Das Licht, das jetzt ungehindert in das Zimmer schien, fiel auf den
    Schreibtisch mit der Puppe, einer wirklich beeindruckenden Kopie von Martinez,
    die im Dunkeln wirklich nicht von ihm zu unterscheiden war, und seinem toten
    Körper in der Ecke. Sein Gesicht war vor Überraschung verzerrt. Gerade noch
    rechtzeitig hatten Bonds geschärfte Sinne das leise Klicken vernommen, als
    Martinez seinen Revolver entsicherte, der nun unbenutzt bei der Leiche auf dem
    Boden lag. Erst jetzt fand Bond die Zeit um über Martinez’ Worte nachzudenken.
    Unwissend sterben… Sachen über Sir Henry erzählen… Irgendetwas war da, was Bond
    noch nicht wusste. Doch er würde es herausfinden! Er musste es einfach
    herausfinden! Nicht für den Auftrag, nicht für M. Nein, noch nicht einmal für
    Sir Henry oder ihre Majestät, der Königin. Ganz allein für sich. Er wollte
    diese Geschichte so schnell wie möglich geklärt haben, wieder ruhig schlafen
    können.



    Bond ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Gitterstäbe
    waren vor den Fenstern und die Tür war sehr stabil und hatte ein komplexes Schloss.
    Der Raum war nur spärlich mit einem Schreibtisch und einigen Aktenschränken
    eingerichtet und weder einen Teppich auf dem Boden noch Bilder an den Wänden.
    Ein Safe war auch nicht auszumachen. Bond trat zu Martinez’ Leiche, beugte sich
    zu ihr herab und durchsuchte dessen Weste. Er förderte einen kleinen
    Schlüsselbund zu Tage und öffnete damit einen der mit Staub bedeckten
    Aktenschränke. Er griff sich einige Akten und ging sie rasch durch. Leise pfiff
    er. Er hatte Beweise gefunden, die Martinez eindeutig als ehemaligen
    KGB-Agenten entlarvten! Doch wie passte das zusammen? Nachdenklich legte er die
    Akten wieder weg und ging noch die anderen Schränke durch, was jedoch keine
    neuen Erkenntnisse brachte. Bond verließ das Zimmer um den Rest des Hauses zu
    durchsuchen, doch auch das brachte kein Ergebnis. Als er das Haus durch die
    Haustür wieder verlassen wollte, stockte er. Wie war das als er dieses Haus
    betreten hatte? Es war eindeutig eine Falle aufgebaut worden. Doch war sie
    wirklich für ihn gewesen? Diese kurze Pause, die Martinez gemacht hatte,
    nachdem er ‚Senor’ gesagt hatte sprach eindeutig dagegen. Wen wollte Martinez
    also loswerden, wenn nicht ihn, Bond?





    Ein metallenes Geräusch ließ James Bond auffahren. Er
    blickte zur Ecke des Hauses und nahm eine mittelgroße, schlanke, männliche
    Gestalt wahr. „Stehen bleiben!“ Rasch hastete er mit gezogener Waffe um die
    Ecke und sah sich aufmerksam um, doch nichts war mehr zu sehen oder zu hören.
    Hatte er sich etwa geirrt? Doch halt! Vor seinen Füßen lag etwas. Bond bückte
    sich und hob eine kleine Sprühflasche auf, Pfefferspray. „Na, sieh mal einer
    an. Der nette Herr von letzter Nacht scheint ja auch ziemlich weit
    herumzukommen“, bemerkte er zu seinem Fund.





    Wieder im gemütlichen Fahrersitz seines Jaguars angekommen, zückte
    Bond sein Handy um wieder Raoul anzurufen. Er war der einzige Verbündete, auf
    den er wirklich zählen konnte in diesem wirren Gespinst aus Verbrechen,
    Verdächtigungen und Mordversuchen. Raoul meldete sich auch jetzt nach dem
    zweiten Klingeln. „Ja?“





    „Bond hier.“





    „Mr. Bond! Bin ich froh, dass sie noch leben“, echte
    Erleichterung erklang in Raouls Stimme. „Mich erreichte die Nachricht von dem
    Anschlag auf Martinez’ Plantage und befürchtete schon, es hätte sie erwischt.“





    „Das hätte es auch tatsächlich beinahe“, gab Bond zu. „Ich
    war schon ganz Feuer und Flamme für meine Martinez-Theorie. Ich erwischte den
    Bombenleger und eine Feuerzunge erwischte mich noch, aber es geht mir gut.“





    „Bene. Was haben sie herausgefunden?“





    „Der Bombenleger wurde von Martinez angeheuert, als ich
    diesen in seinem Haus aufsuchte ging ich in eine Falle, die aber nicht für mich
    aufgebaut worden war. Na ja, jedenfalls konnte ich Martinez noch rechtzeitig
    erledigen bevor er mich erschossen hätte. Die Durchsuchung seines Hauses ergab,
    dass er wirklich ein Ex-KGB-Agent war. Seine Täuschung muss perfekt gewesen
    sein.“





    „Was sie nicht sagen.“ Raoul war wirklich überrascht. „Aber
    für wen könnte die Falle aufgebaut gewesen sein, wenn nicht für sie?“





    „Warten sie ab, Raoul, es kommt noch besser. Martinez hat
    auf den vernichteten Feldern Mohn angebaut und ich nehme an, das dies auch bei
    den anderen Pflanzern der Fall ist.“ Raoul war sprachlos. „Was die Frage
    angeht, wen Martinez erwartet hat, so könnte es Sir Henry gewesen sein oder
    jemand anderes aus der Vereinigung, der Martinez auf die Schliche gekommen ist.
    Ich hege nämlich die Vermutung, dass Martinez die Anschläge initiiert hat um
    seine Geschäftspartner loszuwerden und allein den großen Reibach zu machen.“





    „Meinen sie wirklich?“ fragte Raoul, dem etwas in Bonds
    Tonfall seltsam vorgekommen war, vorsichtig nach.





    „Nein, ehrlich gesagt nicht“, erwiderte Bond etwas müde.
    „Ich trug auch Martinez diese Theorie vor und er war so befriedigt über meine
    Unkenntnis, das dies einfach nicht sein kann, auch wenn die Tatsachen für diese
    Theorie sprechen.“ Bond seufzte. „Allerdings habe ich auch einen konkreten
    Verdacht, wen er erwartet haben könnte. Ich sah einen Mann verschwinden und
    fand eine Dose Pfefferspray.“ Bond erzählte von seiner Nachtwanderung am
    letzten Tag und Raoul hörte aufmerksam zu. „Und da der Chevalier pleite ist,
    könnte er durchaus versucht haben, Martinez wegen seiner Machenschaften zu
    erpressen“, schloss Bond.





    „Sie sind wirklich sicher, dass der Chevalier der Mann mit
    dem Pfefferspray ist?“

  • „Nun, ich habe den Mann nicht erkannt, weder diese Nacht
    noch eben. Aber es scheint plausibel.“





    „Das tut es allerdings“, meinte Raoul langsam. „Also müssen
    wir jetzt nur noch die Erpressung des Chevaliers nachweisen und die Pflanzer
    wegen Drogenhandels dran bekommen und der Fall ist geklärt?“





    „Ich hoffe es“, meinte Bond und atmete tief aus. „Am Besten
    treffen wir uns erst einmal bei Westham. Es wäre mir lieb, wenn sie auch vor
    Ort wären, Raoul.“





    „Ehrensache“, bekräftigte Raoul und legte auf.





    Eine halbe Stunde später bog Bond von der Landstraße ab und
    fuhr die Auffahrt hinab zu Westhams Haus. Er parkte seinen Wagen und stieg aus.
    Raoul war schon da. Er saß auf einer Holzbank vor dem Haus und rauchte eine
    seiner Zigarren. Bond trat zu ihm. „Ich hoffe, sie warten noch nicht lange.“





    „Nein, ich bin auch erst wenige Minuten hier“, gab der
    vollbärtige Kubaner Auskunft. „Aber es scheint niemand hier zu sein. Keiner
    macht die Tür auf. Nicht einmal das Dienstbotenehepaar. Sehr merkwürdig.“





    Bond strich sich nachdenklich über das Kinn, als der blaue
    Lotus Elise von Havanna auf den Hof fuhr. Sie saß am Steuer und der Chevalier
    saß neben ihr. „Zwei der Herrschaften hätten wir dann schon einmal wieder“,
    bemerkte Bond und wartete, bis die beiden ausgestiegen waren.





    „Mr. Bond, Senor Raoul“, nickte Havanna den beiden Männern
    höflich zu. „Was machen sie hier draußen? Warten sie auf uns?“





    Bond hob die Augenbrauen. „Wir warten auf jeden, der uns
    einlässt, Miss Westham.“





    Havanna runzelte die Stirn. „Das ist aber merkwürdig. Unsere
    Dienstboten sind zwar auf dem Lande wegen einer kranken Verwandten, aber Vater
    müsste doch zuhause sein. Hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen!“ Eilig griff
    sie nach ihrem Hausschlüssel und eilte zur Tür. Bond, Raoul und de Stroy
    folgten ihr. „Vater? Vater!“ rief sie vom Flur aus. „Er ist bestimmt zu Hause.
    Er wollte sich doch hinlegen.“ Flehend blickte sie zu dem Geheimagenten.
    „Helfen sie mir, das Haus zu durchsuchen, Mr. Bond?“





    Bond nickte und die vier teilten sich auf. Raoul und der Chevalier
    durchsuchten das Erdgeschoss und Havanna und Bond gingen ins Obergeschoss. Sir
    Henrys Schlafzimmer war leer, obwohl das Bett benutzt worden war. Er musste
    sich tatsächlich hingelegt haben. Bond ging in den nächsten Raum. Es war ein
    recht hübsch möbliertes Zimmer mit einem Doppelbett. Auch wenn Bond sonst eher
    nur eine Nase für Damenparfüms hatte erkannte er doch den Geruch, der ganz
    leicht in der Luft lag. Es war das Rasierwasser von Diego, Perez’ Verwalter.
    Hier war also das Liebesnest, in dem er letzte Nacht mit… Havanna… Bond kniff
    die Augen zu und ballte die Fäuste. Er konnte oder wollte immer noch nicht an
    die Theorie mit Havanna als femme fatal glauben. Sein Blick schweifte weiter
    durch den Raum und blieb an einem Paket mit Zigarillos hängen. Ein lauter Ruf
    Raouls riss ihn jedoch aus seinen Beobachtungen. Zeitgleich mit Havanna
    erreichte er die Treppe und zusammen eilten sie nach unten, wo sich ihnen vor
    dem Speisezimmer auch der Chevalier anschloss. Raouls Stimme kam aus dem Teil
    des Hauses, in dem die Umbauarbeiten waren. „Ich habe ihn gefunden! Es ist
    fürchterlich!“





    Bond lief voraus, Havanna und de Stroy dicht hinter ihm. Er
    erreichte den Flur, der nach Baumaterialien stank und auch dementsprechend
    schmutzig aussah. An einem Stützpfeiler vorbei zwängte er sich durch einen
    Mauerdurchbruch zu Raoul. Es war das Zimmer, in dem sich Perez an Havanna
    vergangen hatte. Die Mauer, die zur Terrasse führte war schon komplett
    eingerissen und mit einem Gerüst und Stützpfeilern versehen worden. Mauersteine
    und Zementsäcke lehnten an den noch bestehenden Wänden. Der Anblick, der sich
    jedoch Bond bot war ungleich furchtbarer und ließ ihm wirklich den Atem
    stocken. Blut hatte sich mit dem Staub und dem Mörtel auf dem Boden vermischt
    und mitten im Raum lag mit zerschmettertem Schädel ein kubanischer Schläger. An
    der Wand lehnte mit glasigen Augen, einer blutverschmierten Schaufel in der
    Hand und einem Dolch im Herzen Sir Henry Westham!





    10 – Der Fallstrick





    James Bond war zwar fassungslos von dem Anblick des toten
    Sir Henry Westham, aber geistesgegenwärtig genug, um sich umzudrehen und auf
    die Reaktion von Havanna und de Stroy zu achten. Havanna schien betroffen zu
    sein, doch noch ebenso unnahbar wie früher. Wie eine richtige englische Lady
    versuchte sie anscheinend ihre Gefühle nicht zu zeigen und so gefasst wie
    möglich zu wirken. Der Chevalier dagegen versuchte nicht nur gefasst zu wirken,
    er war es auch. Es schien als ließe ihn der Anblick völlig kalt. Ja, de Stroy
    erinnerte Bond sogar an Martinez und dessen Reaktion oder besser
    Reaktionslosigkeit bei Perez Herzanfall am Morgen. Ein verfluchter Tag war das.
    Perez ans Bett gefesselt, Martinez und Westham tot! Wie würde das noch weiter
    gehen? Aber wie sollte man dem ein Ende machen? Wie konnte man dem ein Ende machen?
    Bond seufzte und sein Blick fiel wie in Trance wieder zu dem toten Sir Henry.
    Der Chevalier legte einen Arm um Havanna und führte sie hinaus. Raoul folgte
    Bonds Blick auf den Leichnam des ehemals besten Agenten ihrer Majestät. „Er hat
    noch tapfer gekämpft und einen der Angreifer erledigt“, bemerkte er.





    „Ja, das hat er“, wiederholte Bond leise. „Ein
    hinterhältiger Tod. Es ist ein Wurfmesser. Er war vollkommen schutzlos.“ Er
    deutete auf die fehlende Mauer. „Es muss ein sehr guter Schütze gewesen sein.“





    Raoul nickte. „Es tut mir Leid für sie, Mr. Bond.“





    „Danke. Es wird mir ein weiterer Ansporn sein, die Fäden, in
    die der unglückliche Sir Henry verstrickt, war zu entwirren.“





    Raoul nickte und klopfte schweigend und freundschaftlich auf
    Bonds Rücken. Bond atmete noch einmal tief durch und verließ dann mit Raoul das
    Zimmer. Raoul wollte gerade wieder etwas sagen, als Bonds erhobener Zeigefinger
    zu dessen Mund ging. „Psst!“





    Raoul hielt inne und horchte. Im Nebenzimmer schienen sich
    Havanna und de Stroy zu unterhalten. Leise pressten sich Bond und Raoul an die
    Wände neben der Zimmertür und lauschten. Deutlich vernahmen sie die Stimme des
    Chevaliers. „Wir müssen jetzt handeln, Havanna! Entweder wir oder er. Bis jetzt
    hatten wir Pech.“





    „Aber…“, kam Havannas unschlüssige Antwort. „Ja, ja du hast
    wohl Recht, Damien. Er hat uns den Kampf angesagt und wir müssen uns wehren.
    Vor allem jetzt… wo Vater tot ist. Aber was können wir tun?“





    „Es hat nicht geklappt an ihn persönlich heranzukommen, nun
    müssen wir an sein Geld!“ De Stroys Augen funkelten auf bei der Erwähnung von
    Geld.





    „Aber wie?“





    „Na, überleg doch mal. Wir lassen unsere Beziehungen
    spielen. Schwarzenberg. Ruf ihn an! Sofort! Wir müssen schnell handeln!“





    Ein Luftzug ließ die Tür zufallen, rasch entfernten sich
    Bond und Raoul aus dem Flur und verließen das Haus. Raoul setzte sich wieder
    auf die Bank und paffte einige dunkle Wölkchen in die Luft. „Was nun?“





    „Gute Frage. Der Name Schwarzenberg sagt ihnen nichts?“
    Raoul schüttelte den Kopf. „Klingt nach einem deutschen Namen. Bringt uns nicht
    weiter. Rekapitulieren wir noch einmal was wir wissen. Fangen wir bei Sir Henry
    an. Ihm wird die Bezahlung der Bombenleger angehängt, wir wissen aber
    mittlerweile, dass zumindest der letzte Attentäter auf Geheiß von Martinez
    gehandelt hat. Sir Henry fühlte sich von Perez bedroht, wollte ihn töten und
    liegt nun selber tot in seinem Haus. Perez ist offenkundig der Geschädigte,
    vergewaltigte Westhams Tochter, hatte einen Herzanfall und hat scheinbar ein
    Drogenkartell ins Leben gerufen.“





    „Wieso scheinbar?“, unterbrach ihn Raoul.





    „Dass der letzte Attentäter Martinez als Auftraggeber
    nannte, beweist nicht, dass er auch die anderen Plantagen angegriffen hat. Er
    selbst sprach auch nur von ‚den Feldern’ ohne präzise zu werden. Zudem können
    wir nicht eindeutig sagen ob auf den zerstörten Feldern der anderen wirklich
    Mohn angebaut wurde. Es wäre durchaus möglich, dass Martinez seine Felder
    sprengen ließ, damit ich nicht hinter seinen Drogenhandel komme und die anderen
    wirklich von jemand anderem attackiert wurden und nichts von dem Mohn wussten.“





    „Ich bitte sie, Mr. Bond“, verzog Raoul das Gesicht, während
    er auf seiner Zigarre herumkaute. „Perez und die anderen Pflanzer sind doch
    nicht blöd.“





    „Das nicht, aber vergessen sie nicht, dass Martinez ein
    verdammt gewitzter Hund war. Denken sie daran, dass er jahrelang KGB-Agent war
    ohne dass irgendjemand darauf gestoßen ist und an die geschickt aufgebaute
    Falle. Ich könnte jetzt verdammt leicht selbst tot auf dem Steinboden von
    Martinez’ Haus liegen. Und vielleicht hat Perez ja auch Verdacht gegen Martinez
    geschöpft und ist deshalb jetzt ans Bett gefesselt.“





    „Verdammt, sie könnten Recht haben“, nickte Raoul und
    grinste dann. „Dann könnte ich mit meiner Theorie, dass Havanna hinter den Anschlägen
    steckt um sich wegen der Vergewaltigung zu rächen und zu erben, doch noch Recht
    haben. Die eben von Havanna erwähnte Kampfansage könnte dann gut diese
    Vergewaltigung sein.“





    Bond nickte langsam und strich etwas Staub von seiner Hose.
    „Mit der Vergewaltigung haben sie wahrscheinlich Recht. Bei der Geldfrage sehe
    ich eher den Chevalier als treibende Kraft.“





    „Bleibt noch die Frage wie jetzt Westhams Tod in die Sache
    hereinpasst“, ergänzte Raoul.





    Bond überlegte und blickte in den Himmel, wo ein paar weiße
    Schönwetterwolken langsam und sanft vorbeizogen. „Nun, eigentlich gibt es da
    zwei Möglichkeiten. Perez oder jemand anderes aus der Vereinigung glaubt, dass
    Sir Henry hinter den Anschlägen steckt – was nicht verwunderlich ist, nachdem
    er sogar bewaffnet bei Perez herumgeschlichen ist – und will ihn deshalb
    loswerden. Die andere Möglichkeit wäre der geldgierige Chevalier, der erben
    will.“





    Raoul ließ sich alles noch einmal durch den Kopf gehen und
    klopfte Asche von seiner Zigarre. „Diese ganze Theorie setzt aber dann voraus,
    dass der Herzanfall von Perez keine natürliche Ursache hatte.“ Er blickte zu
    Bond auf.





    Bond zuckte mit den Schultern. „Nicht zwangsläufig. Aber ich
    denke wir sollten Perez trotzdem jetzt einmal einen Besuch abstatten. Zudem
    muss ich dringend duschen und mich umziehen und mein Koffer ist noch in Perez’
    Haus.“ Raoul nickte und stand auf.





    Juanita Perez stand hinter dem Fenster eines kleinen Salons,
    aus dem man die Einfahrt und den Hof überblicken konnte und starrte wie gebannt
    nach draußen. Als sie den geschundenen Jaguar des britischen Agenten kommen
    sah, lief sie sofort hinaus und ihm entgegen. Bond war kaum ausgestiegen als
    Juanita ihn erreichte. „James! Endlich bist du wieder da!“ Ihr Blick fiel auf
    das verbrannte Hemd und Bonds rußige Haut. „Bei Gott, was ist dir denn
    passiert?“





    „Ich habe ein wenig zu sehr mit dem Feuer gespielt. Aber was
    ist los, Juanita?“





    Raoul stieg aus, hielt sich aber im Hintergrund während
    Juanita antwortete. „Die Ergebnisse der Blutuntersuchung sind schon da, James.
    Mein Vater wurde vergiftet oder so etwas in der Art. Jemand hat ihm ein
    Medikament untergeschoben, das entgegengesetzt seiner Herzschwäche wirkt. Etwas
    was zwar anderen mit einer anderen Art von Herzbeschwerden helfen würde, aber
    bei ihm tödlich wirkt. Zum Glück war der Arzt so schnell da. Er hat genau das Richtige
    getan und ihm das Leben gerettet.“





    Bond und Raoul tauschten einen kurzen betroffenen Blick und
    Bond wandte sich sofort wieder an Juanita. „Diese Erkenntnis hilft uns
    ungemein. Lass uns hineingehen an einen ruhigen Ort, wir müssen etwas mit dir
    besprechen.“





    Juanita schaute ihn kurz fragend an, nickte dann aber und
    führte beide in den kleinen Salon, in dem sonst nur noch Cruz saß. „Nur mit
    dir“, bat Bond Juanita, die daraufhin Cruz hinausschickte und ihm noch einen
    Kuss auf die Wange gab. Es stimmte ja. Juanita und Cruz waren verlobt! Dann war
    er, Bond, wohl nur ein kleines Abenteuer für sie gewesen. Er taxierte Cruz.
    Wusste er davon oder ahnte er etwas? Cruz warf Bond einen missmutigen Blick zu
    und verließ den Salon. Juanita, Bond und Raoul setzten sich in die Sessel und
    Bond begann. „Zuerst einmal musst du wissen, dass Martinez tot ist.“





    Juanita sah ihn entgeistert an. „Das ist doch nicht möglich!
    Heute Mittag war er doch noch hier bei uns…“





    „Trotzdem ist es wahr. Und jetzt habe ich einige Fragen. Ist
    dir an Martinez irgendetwas Besonderes aufgefallen?“





    Juanita sah Bond genau an. „Warum?“





    „Bitte antworte mir zuerst, Juanita“, entgegnete Bond
    unnachgiebig.





    Juanita zögerte und überlegte, Bond weiter im Blick
    behaltend. „Nun… Also, da ist schon etwas. Er hatte sich zwar der
    Pflanzervereinigung angeschlossen, blieb aber alleiniger Herr über seinen Grund
    und Boden. Er legte uns immer nur Berichte vor und hielt uns von seinem Grund
    und Boden fern. Allerdings waren seine Abrechnungen immer tadellos und wir
    hatten keinen Grund ihm zu misstrauen. Es gibt halt solche Menschen, die das
    Heft ungern aus der Hand legen.“





    „Wir haben herausgefunden, warum Martinez alles vor euch
    verschlossen hat.“





    Juanita warf den Kopf zurück. Ihr Haar fiel verführerisch
    nach hinten. „Ach, warum denn?“





    „Martinez war ein ehemaliger KGB-Agent, nun Drogenhändler
    und hat auf versteckten Feldern Mohn angebaut.“





    „Was du nicht sagst!“ Juanita schaute Bond mit großen Augen und
    beinahe herausfordernd an. „Dann ist es ja wohl gut, dass er jetzt tot ist.
    Aber was soll das mit den Anschlägen zu tun haben?“





    „Nichts“, antwortete Raoul und Juanita schaute zu ihm. „Aber
    es könnte etwas anderes erklären. Halten sie es für möglich, dass ihr Vater
    hinter Martinez’ Machenschaften gekommen ist und dass Martinez hinter dem
    Anschlag von heute Morgen stecken könnte?“





    Juanita schüttelte den Kopf und war sehr ernst. „Nein. Wenn
    mein Vater irgendetwas über Martinez herausgefunden hätte, wüsste ich das auch.
    Ich versichere ihnen beiden, dass Leon Martinez keinen Grund gehabt hätte
    meinen Vater zu beseitigen.“





    „Also doch der Westham-Clan“, brummte Raoul. Bond dagegen
    lehnte sich nachdenklich zurück. Er war sich noch nicht sicher, was er von Juanitas
    Antworten und Verhalten halten sollte. Juanita wollte den Herren gerade etwas
    zu trinken anbieten, als es an der Tür klopfte. „Ja?“





    Der junge Diener trat herein. „Telefon, Senorita. Ein Senor
    Schwarzenberg.“





    Juanita stand auf und Bond schnellte wieder nach vorne.
    „Schwarzenberg? Wer ist das?“





    Juanita blickte von der Türschwelle aus zurück. „Unser
    Schweizer Bankier.“ Dann drehte sie sich wieder um und verließ gefolgt von dem
    Diener das Zimmer. Raoul wandte sich Bond zu. „So langsam nimmt die Geschichte
    Formen an.“





    Bond nickte langsam. „Ja, ich bin gespannt was Juanita uns
    nach dem Gespräch zu berichten hat.“ Gemeinsam warteten sie in stiller
    Eintracht, nur einmal kurz von Bond unterbrochen. „Ehe ich es ganz vergesse,
    Raoul. Könnten sie mir Informationen über einen Coronel Adoro besorgen? Es mag
    sein, dass es nicht mehr wichtig ist, aber ich würde mich doch besser fühlen,
    wenn wir das überprüften.“

  • „In Ordnung“, nickte Raoul. Sie brauchten nicht mehr lange
    warten bis Juanita wiederkam. Energisch wandte sie sich an Bond. „Jetzt handeln
    sie endlich, Senores! Wissen sie was Schwarzenberg mir eben berichtet hat?
    Havanna Westham, die eine alte Schulfreundin von ihm ist wollte ihn mit einer
    alten Unterschlagung und um der alten Zeiten willen erpressen, das Konto der
    Vereinigung zu sperren und das Geld auf ein Konto der Westhams zu transferieren.
    Ich habe ihm versprochen, das zu regeln. Nun unternehmen sie etwas gegen diese
    verbrecherische Familie! Es steht doch jetzt sicher außer Frage, dass Havanna
    meinen Vater umbringen wollte, weil er sie unter Alkoholeinfluss angefasst hat!“





    Raoul sprang aus dem Sessel auf. „Hoffentlich erwischen wir
    sie noch.“





    Bond erhob sich langsamer. „Ich lasse dich nur ungern
    alleine hier zurück, Juanita. Es ist gut möglich, dass ihre Rache und seine
    Geldgier Havanna und de Stroy hierher treiben.“





    „Hab um mich keine Angst, James“, meinte Juanita mit einer
    natürlichen Lockerheit. „Miguel ist ja auch noch da.“





    Damit gab James Bond sich schließlich zufrieden und fuhr mit
    Raoul zu dem Hause Westhams. Dort verabschiedete er sich von ihm. „Nein, danke,
    Raoul. Sie können mir hier nicht helfen. Sorgen sie dafür dass alle möglichen
    Fluchtwege überwacht werden, Häfen und Flughäfen und vergessen sie Coronel
    Adoro nicht.“





    Raoul verzog zwar etwas besorgt das Gesicht, nickte aber
    dennoch. „Viel Glück, Mr. Bond!“





    11 – Die Fäden
    entwirren sich





    Nachdem Raoul gefahren war betrat James Bond das Haus der
    Westhams, das nicht abgeschlossen war und fand Havanna schließlich schweigsam
    im Salon an der geöffneten Terrassentür stehen. Sie blickte sich nicht um als
    er eintrat. „Du weißt es also jetzt“, sagte sie tonlos.





    „Ja. Du standest gestern Abend hinter der Palme als ich mit
    Juanita tauchen war.“





    „Bahia de Santa Clara am Sabana-Archipel mit den vielen Korallenriffen,
    seit 1997 ein PSSA, ein besonders schützenwertes Meeresgebiet, wie auch das
    Great Barrier Reef“, gab sie mit der Geschäftsmäßigkeit einer Fremdenführerin und
    der Monotonie einer Computeransage Auskunft.





    Bond trat zu ihr. „Schau mich an, Havanna.“ Zögerlich wandte
    sie ihm ihr müdes, ausgezehrtes Gesicht zu. „Warum das alles, Havanna? Warum?“





    Havanna vergrub schluchzend ihr Gesicht in Bonds Schultern.
    „Ich kann es dir nicht sagen, James. Ich kann es nicht…“ Zärtlich schlang der
    Agent einen Arm um Havanna und streichelte über ihren Rücken.





    „Aber ich kann es ihnen sagen“, tönte plötzlich eine
    männliche Stimme hinter Bond. Bond wendete sich langsam um und sah den
    Chevalier mit einer erhobenen und entsicherten kleinen Pistole. Langsam trat de
    Stroy in den Raum. Erschreckt und gleichzeitig irgendwie schlafwandlerisch
    trennte sich Havanna von Bond. „Lassen sie ihre Waffe fallen und schieben sie
    sie mit ihrem Fuß zu mir herüber“, befahl der Chevalier. Bond lotete seine
    Chancen ab, kam zu dem Entschluss, dass er keine hatte und leistete den
    Befehlen de Stroys Folge. Er holte seine Walther aus dem Schulterhalfter und
    schob sie dem Chevalier herüber. „So ist es gut Mr. Bond. Und sie glauben also
    wirklich alles zu wissen? Erzählen sie doch mal, es wird sicher ganz amüsant
    werden.“





    „Sie Schwein! Ich hätte heute schon einmal Martinez
    angespuckt. Sie würde ich zweimal bespucken!“





    „Aber Mr. Bond. Warum denn diese Wut? Diese verzerrten Züge
    entstellen nur ihr hübsches Gesicht.“ De Stroy lächelte Bond anzüglich an und
    fuhr dann mit arrogantem und ebenso amüsiertem Tonfall fort. „Ich nehme an zu
    dem Zeitpunkt hielten sie Martinez für den Schuldigen und jetzt halten sie mich
    für den Schuldigen. Sie werden ihre Meinung schon bald revidieren müssen, es
    ist doch sicher schön für sie zu sehen, dass sie stündlich klüger werden.“ Er
    grinste. „Wissen sie, die Wahrheit ist nichts weiter als eine Illusion,
    aufgebaut aus gut verkauften Lügen. Sie müssen hinter die Wahrheit schauen. Aber
    lassen sie mal hören, was sie für die Wahrheit halten, alter Freund.“





    Bond musste sich heftig zusammenreißen, um den Chevalier
    nicht einfach anzuspringen. Havanna stand nur apathisch daneben. „Ihre
    überheblichen Worte können mich auch nicht mehr täuschen, de Stroy! Es steht
    außer Frage, dass sie sich Sir Henrys Geld und das Geld der Pflanzervereinigung
    unter den Nagel reißen wollten um ihre Schulden loszuwerden. Mit Havanna, die
    praktischerweise noch von Perez vergewaltigt worden war – ich könnte mir gut
    vorstellen, dass sie da auch ihre Finger im Spiel haben – und dem Verwalter
    Diego, der mit ihnen seinen homosexuellen Neigungen frönte – der Geruch seines
    Rasierwassers war in dem Schlafzimmer mit ihren Zigarillos – fanden sie zwei
    exzellente Verbündete, die sie schamlos ausnutzten! Havanna schob ihrem Vater
    die gefälschten Rechnungen unter die Nase um die Bombenleger zu bezahlen und
    Diego mischte Perez das falsche Medikament unter! Martinez dagegen ist an
    seinen eigenen kriminellen Machenschaften gescheitert. Wahrscheinlich haben sie
    ihn erpresst und sollten in die Falle gehen, in die ich hineingetappt bin!“





    Der Chevalier nickte anerkennend. „Durchaus nicht schlecht
    für einen Geheimdienstler. Sie haben Fantasie, das muss man ihnen lassen. Sie
    gäben bestimmt auch einen guten Verbrecher ab.“ Bond erwiderte nichts. Mit
    hartem Ausdruck blickte er de Stroy an. „Fangen wir mit dem an, was stimmt. Ja,
    ich habe ein Verhältnis mit Diego. Sie ahnen gar nicht wie schwer man es als
    Homosexueller auf Kuba hat. Die gesellschaftlichen Sanktionen pressen ihn in
    sein ‚normales’ Leben mit Frau und Kindern. Und ich lüge nicht, wenn ich sage,
    dass wir einiges füreinander empfinden. Und es stimmt, dass er ein wertvoller
    Verbündeter im Hause Perez ist und auch den Mordanschlag für mich verübt hat.
    Was sie nicht wissen ist, dass er ebenfalls einen Anschlag auf Juanita verübt
    hat. Leider kam es nicht dazu, dass sie den vergifteten Grapefruitsaft trank.“





    Bond nickte. „Das erklärt Diegos Nervosität an dem Morgen
    und den Umstand, dass er so unerfreut war. Nicht weil Perez einen Anfall hatte,
    sondern weil Juanita ihr Glas fallen ließ!“





    „Das haben sie richtig erkannt. Es war sehr einfach und
    ungefährlich Perez ein falsches Medikament unterzuschieben oder den Saft zu
    vergiften. Juanita ist die Einzige im Hause, die Grapefruitsaft trinkt. Aber
    machen wir weiter. Selbstverständlich ist auch Havanna meine Verbündete aber
    nicht wegen der Vergewaltigung mit der ich wirklich nicht das Geringste zu tun
    habe. Und es hat auch keiner von der Familie Westham mit den Anschlägen auf die
    Plantagen zu tun. Es wird ihnen sicher wehtun, die volle Wahrheit zu erfahren,
    aber leider kann ich sie da jetzt nicht schonen“, höhnte de Stroy hämisch,
    immer noch die Pistole auf Bond gerichtet. „Die Wahrheit ist, dass Sir Henry
    Westham, ehemaliger 007 im Dienste ihrer Majestät, einer der führenden
    Drogenbarone Europas ist oder vielmehr war – Gott hab ihn selig. Die
    Pflanzervereinigung baute an und Sir Henry verarbeitete und vertrieb den Stoff.
    Eine sehr fruchtbare Partnerschaft, in die ich gerne mit eingestiegen bin, bis
    Perez den Entschluss fasste, sich von uns loszusagen. Zuerst ließ er von
    Schwarzenberg, den er mit sehr viel Geld bestochen hatte, die gemeinsamen
    Konten sperren, dann verging er sich an Havanna um einen Schuldigen zu bekommen
    für die von Martinez in Auftrag gegebenen Anschläge auf die eigenen Plantagen
    um die Mohnfelder zu vernichten. Perez hortete Geld für ein eigenes großes
    Projekt, das wohl kurz vor dem Abschluss steht. Perez fingierte
    Handwerkerrechnungen für die Attentäter, damit es so aussieht als würde Sir
    Henry sie bezahlen. Schließlich wollte er meinen Onkel auch noch von Killern
    beseitigen lassen. Es hieß Perez oder mein Onkel. Wie man sieht hat Sir Henry
    den Kürzeren gezogen. Der Gasanschlag auf sie und die Autos auf der Küstenstraße
    waren beides Mordanschläge auf Sir Henry. Dass sie in sein Zimmer einquartiert
    wurden ergab sich kurzfristig und mein Onkel saß in ihrem Wagen, was ihm damals
    sicherlich das Leben gerettet hat. Etwas tumb versuchte Sir Henry dann bei
    Perez einzudringen und ihn zu erschießen, meine Methode Perez loszuwerden war
    da schon eleganter hat aber leider auch nicht funktioniert. Dass sie in diesen
    Bandenkrieg mit hineingezogen worden sind tut mir aufrichtig leid.“ Das Grinsen
    de Stroys verriet ganz eindeutig das Gegenteil.





    „Lügen, Lügen! Alles Lügen!“ schrie Bond.





    „Nein, Damien hat Recht… es ist die Wahrheit… die Wahrheit“,
    kam es leise von Havanna.





    Der Chevalier zuckte mit den Schultern. „Tja, so sieht es aus,
    Bond. Es heißt zwar, man soll nicht schlecht über Tote sprechen, aber mir
    bleibt leider nichts anderes übrig als dem noch etwas drauf zu setzen.“ De
    Stroy fuhr wieder so arrogant wie eben fort: „Sir Henry war ein skrupelloser
    Mensch, anders kann man es nicht sagen.“





    „Zieh Vater nicht immer so in den Dreck, Damien!“





    „Es ist nun einmal Tatsache. Das weißt du genauso gut wie
    ich. Du hast von allem gewusst und seine Geschäfte gedeckt.“ So schnell wie
    Leben in Havanna gekommen war, verschwand es auch wieder. Kraftlos sackte sie
    in sich zusammen und kauerte sich auf den Boden. De Stroy schüttelte mit dem
    Kopf. „Zurück zu Sir Henry. Seine Freundschaft mit Perez begann damit, dass
    beide während der Kubakrise heimlich zwei der russischen Atomraketen beiseite
    schafften. Der Grund warum er sich danach lange Jahre weigerte nach Kuba
    zurückzukehren. Er hatte immer die Angst, doch noch erwischt zu werden.“ Der
    Chevalier machte eine kurze Pause und räusperte sich. „Sir Henrys Ruhm fußt in
    Wahrheit nur darauf, dass er immer genau wusste wann er wen bestechen,
    liquidieren oder Bestechungsgeld annehmen musste, um den Fall zu einem raschen
    und zufrieden stellenden Ende zu bringen. Als er sich schließlich verliebte und
    heiratete gab er diese Praxis auf, was natürlich dazu führte, dass er seine
    Aufträge etwas langsamer zu Ende brachte. Nach seiner Entlassung aus dem
    Geheimdienst stieg er mit Perez’ Hilfe in das Drogengeschäft ein. Ursprünglich
    baute nur Perez für ihn an, später wurde für diesen Zweck die Vereinigung
    gegründet. All das hätten sie schon längst aufgedeckt haben können, wenn sie
    nicht im Landhaus am Safe von meinem Onkel überrascht worden wären. Alle
    Beweise für seine Machenschaften liegen immer noch dort drin. Tja, so kann es
    gehen.“ De Stroy machte eine bedauernde Geste mit den Händen und richtete die Pistole
    danach wieder genau auf Bond, der unfähig war etwas zu sagen. „Nun kennen sie
    die Wahrheit und das was sie für die Wahrheit gehalten haben. Urteilen sie also
    selbst wie ich meine Lügen verkauft habe.“





    „Zu teuer!“ Ein Schuss ertönte und de Stroys Pistole fiel klappernd
    zu Boden. Bond und der Chevalier schauten sich reflexartig nach der Stimme mit
    dem deutlichen russischen Akzent um, nur Havanna blieb kauernd auf dem Boden
    und starrte auf die Fliesen. Auf der Terrasse stand ein mittelgroßer Mann mit
    braunem Haar, einem ebenmäßigen, hellen und jugendlichen Gesicht und blitzenden
    graublauen Augen. Er hatte einen rauchenden Revolver auf den Chevalier
    gerichtet. „Aprewski“, entfuhr es Bond.





    „Ganz recht, Mr. Bond“, nickte der Mann dem englischen
    Agenten freundlich zu und trat in den Salon. „Andrej Aprewski. Meine Schwester
    Anna hat mir schon einiges von ihnen berichtet. Sie trafen sie vor kurzem in
    Österreich, nicht wahr?“





    „So ist es“, nickte Bond.





    „Stehen sie ruhig auf und holen sie sich ihre Walther
    wieder, Mr. Bond. Und verzeihen sie mir meine Attacke mit dem Pfefferspray und
    dass sie beinahe in der Falle umgekommen wären, die für mich aufgestellt war.“
    Bond bückte sich nach seiner Pistole und sah Andrej fragend an. „Nein, keine
    Erklärungen jetzt, Mr. Bond. Dafür haben wir später noch Zeit. Jetzt will ich
    erst diesem freundlichen Herren hier eine Frage stellen.“ Er nickte in Richtung
    des Chevaliers, den er während der ganzen Zeit unverwandt angeschaut hatte. De
    Stroy schien das alles nicht geheuer zu sein, seine Mundwinkel zuckten jedoch
    weiterhin amüsiert. „Fragen sie nur, Mr. Aprewski, ich habe heute sowieso
    meinen wahrheitsliebenden Tag.“





    Andrej hielt ihn genau im Blick. „Was wissen sie über das
    Projekt von Perez? Sind sie irgendwie daran beteiligt?“





    „In keiner Weise. Ich wäre froh, wenn es Perez’ Projekt gar
    nicht geben würde. Es ist sehr geschäftsschädigend“, gab der Chevalier zurück.
    „Ich vermute nur, dass es mit den geklauten Atomraketen von damals
    zusammenhängt.“





    Bond hatte derweil seine Pistole wieder in den Halfter
    gesteckt. Er war professionell genug um seinen Schock über Sir Henrys wahres
    Leben zu verdrängen und sich nun ganz auf die Geschichte mit den Atomraketen zu
    konzentrieren. „Ich bin sicher, der PC von Perez könnte uns weitere Auskünfte
    geben. Man bräuchte nur das Passwort für den privaten Bereich.“





    „Ich weiß“, nickte Andrej. „Und ich habe auch bereits das
    Passwort. Es lautet ‚Rache’. Ein geschickt platziertes kleines Insekt mit dem
    Namen Wanze in Perez’ Schlafzimmer flüsterte es mir als Perez es vom
    Krankenbette aus seiner Tochter verriet. Ich habe die entsprechenden Dateien
    sogar schon auf CD gespielt. Ich hatte nur noch keine Gelegenheit sie mir
    anzusehen, was sie hier trieben war mindestens ebenso interessant“, grinste er.





    „Wen interessieren denn bitteschön irgendwelche Dateien oder
    Atomraketen?“ fuhr der Chevalier mit ruhiger, überlegener Stimme dazwischen.
    „Perez soll für seinen Verrat bezahlen und das unterschlagene Geld wieder
    herausrücken. Ich brauche es dringend um meine laufenden Kosten zu decken.“
    Seine Augen funkelten böse. „Und wenn sie beide nichts unternehmen, dann werde
    ich höchstpersönlich Perez und seiner Tochter den Hahn abdrehen.“ De Stroy
    nutzte eine kleine Unaufmerksamkeit Andrejs, der seine Waffe etwas gesenkt
    hatte, sofort um sich mit einer raschen Bewegung seine Pistole wieder zu
    greifen und auf die beiden Agenten zu richten. „Verflucht sei mein
    fehlgeschlagener Anschlag von heute morgen. Ich werde nicht tatenlos zusehen
    wie Perez mein Drogenimperium zerstört. Und jeder, der sich mir dabei in den
    Weg stellt wird sterben! Ein angenehmer Nebeneffekt vom Tod des Alten, das nun
    alles mir zufällt, Havanna ist reif für die Klapsmühle“, grinste de Stroy
    diabolisch und richtete sich auf, „ich sollte Perez fast dankbar sein…“ Weiter kam
    er nicht. Seine Augen weiteten sich und sein Kopf fiel in den Nacken. Ein
    Wurfmesser hatte sich von vorne in sein Herz gebohrt! Sein lebloser Körper fiel
    zu Boden, Blut sickerte auf den Läufer. Bond und Andrej blickten gleichzeitig
    durch die offene Terrassentür nach draußen. Etwas entfernt im Garten stand eine
    hämisch grinsende Juanita, umringt von kubanischen Schlägern, die mit
    Maschinengewehren bewaffnet waren.

  • „Perez – Westham, 2 zu 0“, konnte Bond noch sagen, bevor die
    Geschosse der Gewehre die hohen Fenster zersplitterten. Rasch griff Bond nach
    Havannas Arm und sprang hinter ein Sofa. Der Russe suchte derweil Deckung
    hinter einem umgestürzten Tisch. Die Einschläge der Maschinengewehre ließen
    Holz absplittern und Federn aus dem Polster hervorstieben. Tapfer erwiderten
    die beiden Agenten das Feuer. „Bringen sie Havanna hier heraus! Ich gebe ihnen
    Feuerschutz“, rief Bond.





    Andrej nickte und kroch langsam rückwärts hinter das Sofa,
    während Bond mit einem Gezielten Schuss einen der Schützen erlegte. Dann
    presste er sich ganz eng an die Rückseite des Sofas, um das leere Magazin
    seiner Walther auszuwechseln. In der Zeit feuerte der Russe einige gezielte
    Schüsse ab und traf einen der Kubaner am Bein, der daraufhin umknickte und in
    die Salve seines Nebenmannes geriet. Dann griff er sich rasch Havanna und
    arbeitete sich so schnell und gefahrlos wie möglich zur Tür des Salons vor,
    wobei Bond zur Ablenkung wieder weiter auf die Schützen schoss. „Zum Wagen!“





    Als Andrej und Havanna unbeschadet den Flur erreicht hatten,
    machte sich auch Bond bereit für seine Flucht. Er kauerte hinter dem Sofa, die
    Kugeln schlugen unnachgiebig über ihm in der Wand ein, und er atmete noch
    einmal tief durch. Er sammelte all seine Kräfte, sprang in Richtung Tür und
    rollte sich geschickt im Flur ab. Die Salven der Maschinengewehre folgten ihm,
    trafen ihn jedoch glücklicherweise nicht. Schnell lief er durch das Haus der
    Westhams zum Hof. Dort hatten sich Havanna und Andrej hinter Bonds Jaguar
    verschanzt. Von Perez’ Schergen war niemand zu sehen, doch konnte Bond sie
    hinter sich im Haus hören. „Einsteigen!“ Bond zückte seinen Schlüssel und
    öffnete im Laufen den Wagen. Havanna, Andrej und schließlich auch Bond stiegen
    ein, gerade als der erste Kubaner aus der Haustür kam und die Fliehenden mit
    einer Salve aus seinem Maschinengewehr bedachte, doch die exzellente Panzerung
    des Autos lenkte alle Kugeln ab. „Zeit etwas mehr für meine Schadensstatistik
    zu tun.“ Bond startete den Jaguar, fuhr zur Einfahrt und blickte sich um. Ein
    Zielkreuz war in der Heckscheibe erschienen, immer mehr bewaffnete Kubaner
    kamen aus dem Haus. Der britische Agent machte sich rasch an die
    Zieleinstellung, drückte auf einen Knopf, eine Rakete löste sich neben dem
    Auspuffrohr und schlug genau im Eingangsbereich des Hauses ein! Eine gewaltige
    Explosion folgte, die die Kubaner zu Leichen und das Haus der Westhams zu einem
    Renovierungsfall machte. „Man muss ja schließlich seinem Ruf als Zerstörer
    gerecht bleiben“, grinste Bond und lenkte den Wagen zur Landstraße.





    12 – Bond geht ein
    Licht auf





    „Und nun zu ihnen, Aprewski“, wandte James Bond sich an den
    jungen, russischen Agenten. Zu dritt saßen sie in Raouls luxuriösem und
    stickigem Büro, Bond, Raoul und Andrej. Für Havanna hatte man ein Hotelzimmer
    gebucht, in dem sie sich jetzt ausruhte. Bond und Raoul waren übereingekommen,
    dass für sie keine Gefahr mehr bestünde, denn Juanita hatte sich ja jetzt an
    dem wirklichen Initiator des Giftanschlages gerächt. Bond hatte derweil
    geduscht und sich umgezogen. Es galt nun herauszufinden worin Perez’ Projekt
    bestand. Auf Anweisung von Bond hatte Raoul das Haus von Perez durchsuchen
    lassen, doch die Vögel waren schon ausgeflogen. Bei den Gutshäusern von Silva
    und Cruz war es das Gleiche gewesen. Das einzige Fundstück war die Leiche von
    Diego in einem alten Lagerhaus. Auch er hatte ein silbernes Wurfmesser im
    Herzen stecken.





    Andrej schaute zu Bond. „Ich weiß, ich habe ihnen einiges zu
    erklären“, sprach er mit seinem harten russischen Akzent. Raoul musterte ihn
    etwas misstrauisch.





    „Dann schießen sie bitte los.“





    „Nun, sie haben doch sicher beide von dem Attentat auf
    Gorbatschow und von unserem vermissten Nachrichtentechniker gehört, nicht
    wahr?“ Raoul und Bond nickten zustimmend. „Die Spuren dieser beiden Fälle
    trafen sich und ich wurde auf diese Geschichte angesetzt. Die Hinweise führten
    mich nach Kuba, zu Perez. Deshalb schlich ich letzte Nacht bei seinem Haus
    herum und habe ihnen die Ladung Pfefferspray verpasst. Leider habe ich nicht
    gesehen, wer da um die Ecke kam. Jedenfalls suchte ich für meine Ermittlungen
    Hilfe bei einem unserer Ex-KGB-Agenten, Leon Martinez. Nun, leider steckte er
    mit Perez unter einer Decke und baute diese Falle für mich auf. Vielleicht war
    es mein Glück, dass sie hineintappten, Mr. Bond. Ich weiß nicht ob ich so schnell
    reagiert hätte. Jedenfalls gelang es mir mit Hilfe des Arztes eine Wanze in
    Perez’ Schlafzimmer anzubringen und so erfuhr ich das Passwort für seinen
    Computer. Die Gelegenheit die Dateien zu überspielen ergab sich, als Juanita
    das Haus verließ, um Sir Henry umzubringen. Hier sind sie.“ Er holte die CD aus
    der Innentasche seiner Jacke und ließ sie auf Raouls Schreibtisch fallen.





    „Hüte dich vor den Russen, auch wenn sie Geschenke bringen“,
    gab Raoul düster zum Besten.





    Andrej lächelte. „Ich bitte sie. Im Zeitalter des
    internationalen Terrorismus, sollten solche geheimdienstlichen Kleinkriege doch
    längst überholt sein. Ich will unseren Nachrichtentechniker zurück und sie
    wollen… ich habe zwar keine Ahnung, was genau sie wollen, aber uns allen ist
    doch daran gelegen, diese Atomraketen unschädlich zu machen.“





    Bond nickte. „Mein Auftrag lautet eine zweite Kubakrise zu verhindern...“
    Und Sir Henrys Unschuld zu beweisen, sinnierte er weiter. Ja, er hatte Sir
    Henrys Unschuld an den Anschlägen auf die Plantagen bewiesen, aber auf Kosten
    der Aufdeckung einer noch größeren Schuld Sir Henrys… Bond schluckte. Wer
    wusste davon? Sir Henry, Martinez und de Stroy waren tot. Mit den anderen
    Pflanzern würde er auch noch abrechnen. Und Havanna? Havanna würde nichts tun,
    was dem Andenken an ihren Vater Schaden zufügen würde. Unter den Teppich
    kehren, jawohl. Sir Henry Westham war eine Legende, die man nicht antasten
    durfte! Ein Mann, der auch Bonds Vorbild gewesen war. Man musste es im Bericht
    ja nicht erwähnen, könnte gut dem Chevalier die ganze Sache anhängen… Bond
    strich sich über das Kinn. Nein! Nein. Martinez würde sich in seinem Grab noch
    totlachen, wenn Bond jetzt Sir Henrys wahres Leben vertuschen würde, so wie der
    tote Pflanzer und ehemalige KGB-Agent vorausgesagt hatte. Den Triumph durfte er
    ihm auch nach seinem Tode nicht gönnen. Und er würde Lügen auch nicht als
    Wahrheit verkaufen, wie es de Stroy ausgedrückt hatte. Er würde M einen
    wahrheitsgetreuen Bericht vorlegen und sie musste entscheiden wie weiter zu
    verfahren sei.





    Raoul schaute besorgt zu dem nachdenklichen Bond. „Ist
    etwas, Mr. Bond?“





    „Nein, es ist alles Ordnung. Alles ist in bester Ordnung“,
    antwortete Bond mit zufriedenem Gesichtsausdruck und ging rasch weiter im Text.
    „Lassen sie uns jetzt mal auf die CD schauen.“





    Raoul nickte, griff nach der CD und schob sie in das
    CD-Laufwerk seines Computers. „Was ist noch nicht verstehe, ist, was würde
    Perez durch den Tod Gorbatschows gewinnen?“





    Bond blickte ernst aus dem Fenster. „Ganz klar. Rache. Der
    Zusammenbruch der Sowjetunion ist auf Gorbatschows Politik zurückzuführen.
    Seitdem ist hier die Perioda especial in Kraft, wie mir Juanita berichtete.“ Er
    nickte wissend. „Wahrscheinlich hat Perez auch die Produkte von Bacardi
    verseucht, dem führenden Clan der Exilkubaner, auf die er seit der Invasion der
    Schweinebucht, bei der seine ganze Familie umgekommen ist, einen unbändigen
    Hass hat. Silva und Cruz werden sich ihm aus ähnlichen Gründen angeschlossen
    haben, während der eiserne Kommunist Martinez in Perez’ Plänen sicher einen
    gewaltigen Schlag gegen den Kapitalismus und gegen die USA gesehen hat.“





    „Dann könnte eines seiner Ziele Florida sein, wo eigentlich
    alle Exilkubaner leben“, überlegte Raoul und begann mit dem Überprüfen der
    Dateien. „Ah, wer sagt es denn“, grinste er breit. „Das hier ist Schriftverkehr
    von Perez mit ihrem verschwundenen Techniker, Aprewski.“





    „Zeigen sie mal her.“ Andrej stand auf und blickte auf den
    Monitor. „Tatsächlich. Und es ist eindeutig herauszulesen, dass eine der beiden
    Raketen irgendwo in Miami liegt. Leider steht hier nichts über die zweite.“
    Enttäuscht blickte er Bond an.





    „Es hilft nichts“, seufzte Bond. „Wir müssen herausfinden wo
    sich Perez’ Kommandozentrale befindet. Wir wissen nicht, wann er zuschlägt, wo
    die zweite Bombe ist und ob wir die erste rechtzeitig finden und entschärfen
    können.“





    Raoul zündete sich eine Zigarre an, lehnte sich zurück und
    schlug die Beine übereinander. „Ich würde die Bombe in Miami in dem Viertel mit
    dem größten Anteil an Exilkubanern suchen. Wir müssen jetzt alles versuchen.“





    „Das sehe ich genauso“, nickte Bond und gab seinen Platz am
    Fenster auf. „Was ist mit Coronel Adoro?“ Andrej hörte derweil aufmerksam zu.





    „Nun, nach derzeitiger Sachlage würde ich sagen ein
    Volltreffer“, berichtete Raoul. „Castro-Anhänger und Nationalist durch und
    durch. Ich bin sicher so ein Typ würde Perez’ Pläne auch ohne Rückendeckung von
    oben unterstützen.“





    „Wo ist der Oberst zurzeit?“





    Raoul beugte sich vor und schaute in die Akte vor ihm. „Im
    Moment hat er das Kommando über einen Leuchtturm, den Piedras del Norte.“





    Bond blickte Raoul überrascht an. Ein Leuchtturm! „Das ist
    es. Ich habe in Perez’ Safe einen Pachtvertrag für einen Leuchtturm gefunden.
    Ein sichereres und unauffälligeres Plätzchen wie so einen bewachten Leuchtturm
    kann Perez ja eigentlich gar nicht finden für eine geheime Basis. Ich nehme an,
    den Touristen ist der Zutritt auf das Gelände verwehrt?“





    „Si, das ist es in der Tat, Mr. Bond“, nickte Raoul und
    stieß eine graue Rauchwolke aus. „Aber ist so ein Leuchtturm nicht ein wenig
    klein?“





    „Das muss nichts heißen“, entgegnete Bond. „Vielleicht steht
    er auf einem alten Bunker.“ Dieser Überlegung musste Raoul Recht geben. „Wo
    befindet sich der Leuchtturm genau?“





    Raoul stand auf und ging zu der verblichenen Kubakarte an
    der Wand. Mit seiner Zigarrenhand deutete er auf einen bestimmten Punkt. „Hier.
    Am Ende der Landzunge, die von Varadero aus abgeht. Am Besten zu erreichen wohl
    vom Land aus. Ein Motorboot wäre zu viel Aufsehen. Mit ihrem Auto können sie so
    ungefähr bis hierher fahren.“





    „Also heute Abend stürmen wir den Leuchtturm. Wir haben
    gerade noch genug Zeit für ein gutes Abendessen und zum Ausrüsten. Und sie
    leiten alles in die Wege, damit die Bombe in Miami gefunden wird, Raoul.“ Raoul
    und Andrej nickten mit ernsten Gesichtern. Bond lehnte sich an eine Wand und
    blickte zur Decke. Noch vor wenigen Tagen in London war er enttäuscht gewesen,
    dass die Welt in Bewegung und er nicht dabei war und nun fand er sich doch
    mitten im Weltgeschehen wieder.





    Bond und Havanna bewohnten dieselbe Suite im Hotel,
    allerdings eine mit zwei Schlafzimmern. Sie aßen erst gemeinsam zu Abend und
    danach beobachtete Havanna, wie sich der Agent für seine nächtliche Mission
    ausrüstete. Sie stand auf dem kleinen Balkon der Suite und schaute zu Bond
    hinein, der gerade ein schwarzes Oberteil aus seinem kleinen Koffer, der auf
    dem großen Bett stand, holte und überzog. „Du denkst immer noch an meinen
    Vater, nicht wahr?“





    Bond hielt inne und nickte schließlich. Havanna trat zu ihm.
    „Ich weiß, es ist schwer für dich die Wahrheit über ihn erfahren zu haben, aber
    du bist nicht wie er. Du bist ganz anders. Du hast einen stärkeren und besseren
    Charakter, James. Du wirst nie so enden wie er. Du wirst nie so ein Wrack
    werden oder dich mit kriminellen Mitteln durchs Leben schlagen oder deine
    Langeweile damit vertreiben. Das weiß ich ganz genau.“ Sie schaute dem Agenten
    tief in die Augen. Dieser erwiderte zärtlich den Blick und lächelte.





    „Danke, Havanna.“ Er wollte den Arm um sie schlingen, doch
    sie entzog sich ihm. „Ich kann nicht“, sagte sie tonlos und schluckte.





    Bond nahm sanft ihre Hand. „Hab keine Angst, Havanna. Liebe
    kann auch etwas sehr Schönes sein.“





    Havanna wandte sich zu Bond um. Nun war es an ihr dankbar zu
    lächeln. „Pass heute Nacht gut auf dich auf, James! Piedras del Norte, 19 m
    hoch, erbaut 1857.“ Zum ersten Mal erblickte er das Glitzern von Lebensfreude
    in ihren Augen. Wie schön sie doch in diesem Moment war!





    Die Nacht war sternenklar und eine laue Brise herrschte, als
    der schwarze Jaguar hinter einem verlassenen Bootshauses parkte und zwei dunkel
    gekleidete Männer ausstiegen. „So einen Wagen hätte ich auch gerne“, seufzte
    Andrej.





    „Gibt es beim russischen Geheimdienst denn keine
    Entwicklungsabteilung für solche Gefährte?“ fragte Bond sofort nach.





    „Doch, sicher“, antwortete der russische Agent. „Doch im
    Moment hat der Geheimdienst mehr damit zu tun zu debattieren ob SWR und FSB,
    also Auslands- und Inlandsgeheimdienst, wieder zusammengefasst werden sollen.“





    Langsam arbeiteten sie sich in Richtung des Leuchtturmes,
    dessen Licht sie schon am Himmel sehen konnten, vor. Immer darauf bedacht, die
    Schritte so geräuschlos wie möglich zu setzen und jedes nur ein wenig
    auffällige Geräusch sofort zu registrieren. Doch schließlich gelangte der Leuchtturm
    ohne Probleme in ihr Blickfeld. Es schien keine Absperrungen oder anderweitige
    Vorkehrungen zu geben, nur ein paar Wache haltende kubanische Soldaten. Im
    Schutze einiger Palmen trennte sich Andrej in der Nähe des Leuchtturmeinganges
    von Bond und schlich in weitem Bogen um den Leuchtturm herum. So lange es ging
    hielt Bond den Russen im Blickfeld um ihm notfalls Feuerschutz zu geben. Ohne
    Probleme platzierte Andrej eine kleine Sprengladung und kehrte unbeschadet zu
    Bond zurück. „Fertig?“ flüsterte er Bond zu. Dieser nickte. Andrej zückte einen
    kleinen Sender und zündete die Sprengladung. Die Explosion zog natürlich sofort
    die Aufmerksamkeit der Soldaten auf sich und die beiden Geheimagenten nutzten die
    Zeit der Ablenkung sofort aus, um zu der kleinen Tür des Gebäudes zu sprinten.
    Der Turm war rund und weiß angestrichen und das Leuchtturmwärterhaus war sehr
    herunterkommen. Das Dach, das aus roten Dachziegeln bestand, fehlte zur Hälfte.
    Man würde wahrlich nicht vermuten, hier das geheime Hauptquartier eines Schurken
    zu finden.



    Bond und Andrej pressten sich an die Wände neben der Tür.
    Der Engländer ging mit erhobener Pistole zuerst hinein, während der Russe die
    Tür sicherte und Bond dann rückwärts folgte. „Nun?“ Andrej sah sich um.





    „Nichts besonderes“, gab Bond zurück. Und tatsächlich war es
    nur eine kleine heruntergekommene Stube mit alten Holzmöbeln. Immer noch nichts
    was auf besondere Aktivität schließen ließ. Bond stieß Andrej leicht an der
    Schulter. Dieser schaute auf und folgte Bonds Blick bis zu einem kleinen,
    versteckten roten Knopf. Bond drückte ihn und am anderen Ende des Raumes fuhr
    ein Wandstück zurück. Rasch postierten sich die beiden Agenten mit erhobenen
    Waffen rechts und links daneben. Ein Lichtschein fiel aus der Öffnung, doch
    nichts weiter passierte. Beide machten einen Schritt zur Öffnung hin und
    zielten mit ihren Waffen hinein. Hinter der Öffnung befand sich eine metallene
    Wendeltreppe. „Nach dir, James“, verlangte Andrej höflich.





    „Danke“, erwiderte Bond und so stiegen sie nacheinander
    gemeinsam in die Höhle des Löwen.

  • 13 – Piedras del
    Morte





    Vorsichtig stahlen sich James Bond vom britischen Secret
    Service und Andrej Aprewski vom russischen SWR die Wendeltreppe hinunter bis
    sie schließlich an einen schmalen Gang gelangten. Er stieg an und schien in
    eine Höhle zu führen und es war deutlich der Geruch von Meerwasser zu riechen.
    Auf der rechten Seite befand sich eine Stahltür. „Ich würde sagen, wir müssen
    durch die Tür“, befürchtete Andrej und Bond stimmte ihm zu. Während Bond die
    Tür sicherte, versuchte Andrej sie zu öffnen. Die Tür war tatsächlich nicht
    abgeschlossen. Als sie von oberhalb der Wendeltreppe ärgerliche Stimmen hörten,
    betraten sie beide hastig den anschließenden Raum und mussten sofort die Waffen
    senken und die Arme vor die Augen reißen. Gleißendes Licht blendete sie. Hinter
    ihnen wurde die Stahltür geschlossen und verriegelt.





    „Senor James Bond und Senor Andrej Aprewski“, ertönte Perez’
    Stimme, die sich immer noch ein wenig schwach anhörte. „Ich heiße sie herzlich
    willkommen im Piedras del Norte oder besser im Piedras del Morte, wie ich
    meinen kleinen Stützpunkt diese Nacht nenne. Nach all den Jahren ist der Tag
    der Abrechnung endlich da und ich freue mich, dass sie sich extra die Mühe
    gemacht haben die Stunde meiner Rache gemeinsam mit mir zu verbringen. Ich
    wusste schon die ganze Zeit, dass sie ein netter Kerl sind, Senor Bond.“





    Die Scheinwerfer wurden ausgeschaltet und nachdem sich Bonds
    Augen wieder erholt hatten, blickte er sich um. Er stand auf einer metallenen
    Balustrade mit einer einfachen, waagerechten Strebe als Geländer in mittlerer
    Höhe, die einmal rings um den rechteckigen Raum herumführte. Über Leitern
    konnte man den Erdboden erreichen. Der Raum war ausgestattet mit
    Computerterminals und einigen technischen Apparaten. An einer Seite des Raumes
    war ein einfacher metallener Aufzug angebracht. Neben ein paar Technikern war
    hier eine ganze Wachmannschaft von kubanischen Soldaten. Der Oberst stand neben
    einem großen Monitor vor einem hohen Schrank. Es war ein älterer Mann mit
    grauen Haaren, einem grauen Schnurrbart und einem wettergegerbten Äußeren.
    Perez, immer noch von dem Herzanfall gezeichnet, saß im Rollstuhl an einem
    runden Terminal auf einem erhöhten Podest. Seine Tochter und die anderen
    Pflanzer standen bei ihm.





    „Jetzt lassen sie bitte beide die Waffen fallen“, befahl der
    kahle Perez, der in ein Mikrofon sprach. Beide Agenten leisteten dem wohl oder
    übel Folge, da mehrere Gewehre auf sie gerichtet waren. „Und ich fürchte, dass
    sie ganz umsonst hierher gekommen sind, Senor Aprewski. Ich fürchte der
    Professor weilt nicht mehr unter den Lebenden. Sie haben sicher den Gang
    bemerkt, der zu einem Ausstieg am Meer führt. Ich fürchte, der gute Professor
    war ein Nichtschwimmer.“





    „Schwein!“





    „Das ist durchaus möglich“, entgegnete Perez, der nichts von
    seiner freundlichen Art verloren hatte. „Aber er wird nicht das einzige
    Todesopfer diese Nacht sein, das auf mein Konto geht. Wissen sie, das
    Verseuchen der Produkte von Bacardi war nur eine kleine Spielerei. Dass
    Gorbatschow das Attentat überlebt hat ärgert mich dagegen schon mehr. Aber ich
    will sie nicht mit Belanglosigkeiten langweilen. Diese Nacht geht es um sehr
    viel mehr. Zwei Bomben werden diese Nacht losgehen und niemand wird das mehr
    verhindern können. Und hätte meine Tochter diesen schleimigen de Stroy schon
    etwas eher erwischt und wenn Martinez’ Falle so funktioniert hätte wie sie
    sollte, wären sie völlig ahnungslos gewesen, Senor Bond. Niemand hätte jemals
    herausgefunden, dass die Bomben von hier aus gezündet worden sind über ein
    System auf das ich sehr stolz bin. Entwickelt unter anderem von Sir William
    Otterborough.“ Nun sah Perez Bond genau an. Dieser verzog das Gesicht. Er hatte
    doch gewusst, dass der Selbstmord von Sir William und das Verschwinden des
    russischen Nachrichtentechnikers in Zusammenhang standen. „Wir erpressten ihn
    und er hat uns dafür zwei sehr nützliche kleine Maschinchen gebaut. Sein
    Gewissen trieb ihn schließlich in den Selbstmord. Diese beiden Maschinchen sind
    an den Zündern der Bomben befestigt und reagieren äußerst empfindlich auf
    Störungen im elektromagnetischen Wellenfluss.“ Perez schaute von Bond zu
    Aprewski. „Der Professor versorgte uns schließlich mit der Möglichkeit so eine
    kleine Störung selbst herzustellen. Schauen sie selbst.“ Perez drehte sich zum
    Monitor und drückte einen Knopf. Es war nun eine Aufnahme des Leuchtturmes zu
    erkennen. Perez drückte einen weiteren Knopf und eine Antenne spross aus dem
    Dach des Turmes. „Es ist ganz einfach.“ Perez freute sich wie ein kleines Kind.
    „Wir senden von hier aus ein kleines Störsignal hinauf zu den amerikanischen
    Fernsehsatelliten und bumm! Während alle Fernsehzuschauer nur einen kurzen Riss
    im Bild mitkriegen explodieren unsere Bomben.“





    „Gratulation“, meinte Bond sarkastisch. „Wir wissen, dass
    eine Bombe in Miami ist. Wo macht es denn noch bumm?“





    Perez überlegte einen Augenblick. „Da sie ja sowieso keinen
    Zugriff zu den Bomben haben, kann ich es ihnen ja auch verraten. Die zweite
    Bombe wird in Washington detonieren. Beim CIA im Hauptquartier, bei Präsident
    Bush im weißen Haus, irgendwo dort. Und wieso sollte man Kuba verdächtigen? Die
    Islamisten geben einen viel besseren Sündenbock ab.“





    „Nur, dass niemand die Islamisten verdächtigen wird, Perez“,
    konterte Bond. „Es gibt noch mehr, die von ihren Machenschaften wissen, außer
    Aprewski und mir.“





    „Das ist mir wohl bewusst“, nickte Perez. „Nur wird Havanna
    niemand Glauben schenken. Sie ist für die Behörden nur eine arme Irre. Und
    Raoul…“ Perez wandte sich Coronel Adoro zu. „Zeig ihnen Raoul.“





    Der Oberst trat zur Seite und öffnete die Tür des Schrankes.
    Raouls weit aufgerissene Augen und sein schmerzhaft verzerrter Mund strahlten
    pures Entsetzen aus. Wie ein Brett fiel sein toter Körper auf den Boden. In
    seinem Rücken steckte auf Herzhöhe ein weiteres von Juanitas Wurfmessern.





    „Schwein!“ wiederholte Andrej.





    „Das werden sie büßen, Perez!“ drohte Bond wütend und doch
    mit einem unheilvollen Gefühl der Beklemmung. Nun hatte er keine Rückendeckung
    mehr. Andrej und er waren die einzigen, die Perez noch aufhalten konnten.





    Perez ging nicht auf die beiden ein. „Und selbst wenn man
    auf meine Spur kommt“, entgegnete er müde. „Ich hatte meine Rache und bin alt
    und krank. Nachdem die Zündung der Bomben erfolgt ist, werde ich diesen ganzen
    Komplex sprengen und mit ihm in Rauch aufgehen. Und sie beide zusammen mit mir,
    dafür wird gesorgt werden.“





    Juanita war hinter ihren Vater getreten und schlang zärtlich
    ihre Arme um ihn. Cruz und Silva grinsten hämisch in die Richtung der beiden
    Geheimagenten. Der Coronel hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt und
    stand militärisch aufrecht ohne eine Regung in seinem dunklen Gesicht. Perez
    schaute verträumt zur Decke. „Bei Gott, wie lange hat es gedauert, bis ich den
    Plan vollständig ausgearbeitet hatte und wir das nötige Geld beisammen hatten.
    Zu keinem anderen Zweck schlug ich Sir Henry den Einstieg in das Drogengeschäft
    vor und ich gründete die Vereinigung um Mitstreiter zu finden. Doch nun ist es
    endlich so weit! All die Jahre des Wartens haben sich ausbezahlt!“ Perez fing
    sich wieder und blickte warmherzig zu Bond. „Irgendwelche passenden Worte,
    Senor Bond, bevor ich auf den Zauberknopf drücke?“





    Bonds Blick fiel auf den roten Knopf vor Perez, der schon
    seine Hand danach ausgestreckt hatte. Seine Augen wanderten flink zu Andrej und
    ein kurzer Blickwechsel genügte, um ein wortloses Einverständnis zwischen den
    beiden Agenten zu erzielen. Wann war Bond eigentlich das letzte Mal mit einem
    anderen Agenten gemeinsam im Einsatz gewesen? War es mit Felix Leiter? Nein,
    später noch ein paar Mal mit Alec Trevelyan. Mit grimmigem Gesichtsausdruck
    dachte er an diesen Linzer Kosaken, der auch nur Rache wollte. Doch nun hatte
    er das Gefühl, sich wirklich auf diesen Russen verlassen zu können, der jetzt
    neben ihm das gleiche Schicksal teilte. „Nun, Senor Bond, was sagen sie?“
    wiederholte Perez.





    „Schade für sie!“ rief Bond und in einem waghalsigen Manöver
    beugten sich Bond und Andrej hinab und griffen nach ihren Waffen. Die Kugeln
    der kubanischen Soldaten zischten dicht an ihren Köpfen vorbei. Die Agenten
    setzten zum Sprung an, schossen und sprangen die Balustrade hinab hinter ein
    Computerterminal, dass ihnen wenigstens von einer Seite Deckung bot. Rasch
    wendeten sie sich noch oben und erledigten mit zwei gezielten Schüssen die
    beiden Soldaten, die eben noch neben ihnen gestanden hatten. Ein aufgeregtes
    Durcheinander brach aus. „Erschießt sie!“ rief der Oberst durchdringend. Funken
    stieben von dem Computerterminal auf, dass von den Kugeln der Gewehre getroffen
    wurden. Juanita blickte sich etwas orientierungslos um, bis sie eine
    Feuchtigkeit an ihrer Hand spürte, die immer noch auf Perez’ Brust lag. Blut!





    „Vater!“ schrie sie außer sich. Doch Perez war tot.
    Getroffen von Bonds erster Kugel. Rasch blickte sie sich um, sah auf das
    Computerterminal, doch an der Stelle des roten Knopfes waren nur noch
    verschmauchte und rauchende Leitungen. Hier war der erste Schuss von Andrej
    hingegangen. Mit unbändiger Wut hastete sie, während die Schießerei tobte, zu
    einem roten Hebel an der Wand und umfasste ihn. „Du wirst hier nicht mehr
    lebend herauskommen, James! Dies ist der Hebel für die Selbstzerstörung! Wir
    werden alle zusammen untergehen!“





    Die Soldaten hielten inne und sahen sich erschreckt an. Sie
    war eindeutig verrückt geworden! Bond und Andrej nutzten geistesgegenwärtig die
    Unaufmerksamkeit und spurteten zum Aufzug. Juanita zog den Hebel herunter.
    „Lasst sie nicht entkommen!“ rief der Coronel durch den Raum, der erfüllt war
    von verstörten Soldaten, die versuchten aus diesem Grab zu entkommen. Eine
    Explosion ließ das Gewölbe erzittern. Bond erreichte mit Andrej den Aufzug,
    drückte auf die Taste nach oben und gerade noch sehen wie Miguel Cruz zu
    Juanita Perez eilte, sie sanft in den Arm nahm und küsste bevor die Decke
    herunter brach und alle im Raum unter sich begrub.





    Bond atmete tief durch und schaute zu Andrej, der mit
    ängstlicher Miene nach oben schaute. Nun konnte auch Bond es hören. Ein Grollen
    und eine weitere Explosion! Der Aufzug stoppte und geriet in Schieflage. Andrej
    konnte sich gerade noch halten, doch Bond verlor den Boden unter den Füßen und
    rutschte ab. Immer weiter auf die züngelnden Flammen zu, die aus der zerstörten
    Zentrale des Todes kamen und sich unnachgiebig nach oben schlängelten. Im
    letzten Moment spürte Bond einen festen Griff um seinen Arm und eine Kraft, die
    ihn hochzog. „Danke“, brachte er atemlos hervor, als er wieder einigermaßen
    sicher auf der Metallplatte des Aufzuges stand.





    „Aber es hilft nichts, wir werden ersticken“, mutmaßte
    Andrej. Bond schaute sich um und erblickte einen Riss in der Erdwand. „Dort!“





    Langsam nahm der dunkle Rauch ihnen Atem und Sicht doch mit
    gemeinsamen Kräften schafften sie es den Riss zu vergrößern. Hinter dieser Wand
    war augenscheinlich der Gang der zu dem Ausstieg am Wasser führte. Eilig
    schlüpften sie durch das Loch und bahnten sich ihren Weg durch den dunklen,
    schmalen Gang so gut sie konnten. Als die Leiter und das Ausstiegsloch schon in
    Sichtweite waren stieß Andrej an einen Stein, strauchelte und fiel zu Boden. Es
    war wieder ein Grollen zu hören. Schnell wendete Bond sich um, griff Andrejs
    Hand und half ihm auf. Eine weitere Explosion ertönte und eine Wolke aus Staub
    und kleinen Steinen kam den beiden aus Richtung des Höhleninneren entgegen.
    Gerade noch rechtzeitig erklettern sie die Leiter und hievten sich aus dem
    kleinen Ausstiegsloch bevor der Gang ganz in sich zusammenfiel!





    Hustend ließen sich die beiden Agenten auf dem sandigen
    Boden nieder. Bond blickte sich um und sah den Leuchtturm. Rauch stieg aus dem
    Wärterhaus und die kubanischen Soldaten beratschlagten noch verwirrt was wohl
    geschehen sei. „In die Richtung möchte ich nicht zurück“, bemerkte Bond.





    „Brauchen wir auch nicht“, sagte Andrej, der in Richtung
    Meer geschaut hatte. „Perez selbst hat wie ein Vater für uns gesorgt.“





    Bond schaute nun auch zum Wasser. An einem kleinen Steg lag
    ein Motorboot mit dem Emblem der Perez-Pflanzergesellschaft. Andrej war schon
    aufgesprungen und half nun auch Bond hoch.





    James Bond hatte sofort bei seiner Ankunft im Hotel mit M in
    London Kontakt aufgenommen und ihr berichtet. Danach hatte er geduscht und
    lange geschlafen. Havanna war während dieser ganzen Zeit ganz still gewesen.
    Das Läuten des Telefons riss ihn schließlich aus seinem Schlummer. Er griff vom
    Bett aus zum Hörer. „Ja, Bond.“





    Am anderen Ende war M. „Ich beglückwünsche sie zu dem
    erfolgreichen Abschluss ihrer Mission, Bond. Ich sollte vielleicht doch langsam
    einmal damit anfangen ihren Instinkten zu vertrauen.“ Bond wollte erst aus
    Höflichkeit protestieren, doch M ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Was Sir Henry
    angeht so haben wir – der Minister, der Stabschef und ich – und dazu
    entschlossen das wahre Leben Sir Henrys nicht publik zu machen. Es liegt nicht
    im öffentlichen Interesse und würde auch nur zum Schaden seiner Tochter gehen.“





    „Seine Tochter, da erinnern sie mich an etwas“, murmelte
    Bond und ein Klicken ertönte in der Leitung.





    „Bond? 007? Bond? Bond!“ rief M immer wieder in das Telefon,
    doch Bond hatte unwiderruflich aufgelegt. Mit einem Seufzen ließ sie ebenfalls
    den Hörer auf die Gabel fallen. Bond würde sich doch nie ändern.





    M und Bond legten auf. Havanna trat in sein Schlafzimmer.
    Bond richtete sich auf und fuhr sich durch das Haar. „War das M?“ fragte sie.
    Bond nickte. „Und?“





    „Sie schien sehr befriedigt“, antwortete er.





    „Nur ich war es noch nie“, flüsterte Havanna traurig und
    setzte sich zu dem Agenten auf das Bett. „Ich bin so froh, dass du alles heil
    überstanden hast, James.“ Bond lächelte sie sanft an und streichelte sachte
    ihre Wange. Langsam lächelte sie ebenfalls. „Damien sagte damals, dass du ein
    gut aussehender, charismatischer und begehrenswerter Mann seiest. Er hat
    vollkommen Recht, nur wollte ich mir das damals noch nicht eingestehen.“
    Havanna ließ sich rückwärts auf das Bett gleiten und schaute direkt in Bonds
    Augen. „Bitte zeig mir, wie schön Liebe sein kann…“ Bond beugte sich über sie
    und gab ihr einen zärtlichen Kuss.







    THE END



    BUT



    JAMES BOND WILL RETURN



    IN



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