Mastermind
Ian Flemings
James Bond 007
in
einer
Agentengeschichte
von
Thorsten Beckmann
1 – Cox Orange
James Bond, Agent im Geheimdienst ihrer Majestät, verbrachte einen wohlverdienten dreiwöchigen Urlaub mit der russischen Agentin Anna Aprewski in Florenz, nachdem sie zusammen die Detektivagentur Argus, die sich als weltweit agierender Spionagering entpuppte, ausgehoben hatten. So verloren sie sich zwischen den geschichtlichen Renaissancebauwerken der Stadt, flanierten über die Piazza della Signoria und den Domplatz, bewunderten das burgartige Palazzo Vecchio und den Dom Santa Maria del Fiore, spazierten an den Ufern des Arno und nahmen auch noch einige Tage vom italienischen Karneval mit. Ausflüge in die ländliche Toskana rundeten die Aktivitäten ab, einzig um die Uffizien machte der britische Agent einen Bogen. „Warum sollen wir uns die Kunstsammlungen nicht auch noch gönnen, James?“
„Nun, sagen wir ich habe einen kleinen Museenkomplex seit ich vor einigen Jahren in Venedig ein Glasmuseum zerlegt habe. Und das schönste Kunstwerk bist sowieso du“, lächelte Bond und gab Anna einen Kuss auf die Stirn. Gemeinsam gingen sie ins Grand Hotel zurück wo ihnen der Empfangschef eine aktuelle Tomorrow und eine Mitteilung reichte. Bond bedankte sich und begab sich mit der hübschen Russin auf ihre Suite, die sie unter den Decknamen Mr. und Mrs. Fleming bewohnten. „Arbeitsteilung, Mrs. Fleming?“ Bond reichte Anna die Zeitung und griff selbst zu dem Brieföffner auf dem Sekretär.
„Dass du nach der Carver-Affäre immer noch diese Zeitung liest, erstaunt mich, James“, äußerte sich die Agentin und schlug die Zeitung auf.
„Seit der Carver-Affäre“, verbesserte sie der Brite. „Mittlerweile ist der Tomorrow durchaus ein sehr seriöser Hort der Information.“ Er setzte sich auf das Bett und öffnete den Umschlag. Anna überflog derweil die Schlagzeilen. „Skandal um Wahl in der Ukraine.“ „Zwei weiße Tiger aus dem Besitz der beiden Las-Vegas-Showmagier Siegfried und Roy gestohlen.“ „Papst gibt in Rom Gebeine zweier Kirchenväter an den orthodoxen Patriarchen von Konstantinopel zurück.“ „Sexskandal um führende CIA-Mitglieder.“ „Tragischer Unfall beim Mastersonprojekt, russische Sabotage vermutet.“ „Überläufer in Paris ermordet. Gibt es einen Maulwurf in der Sécurité?“
„Hör mal her James“, unterbrach Anna Bond beim Lesen der Nachricht und wiederholte die letzten drei Schlagzeilen. „Das klingt ganz nach der Welle des Terrors von der Miss Allison sprach. Die Arme der Agentur Argus scheinen auch nach ihrem Ende noch sehr weit zu reichen. Und es ist dasselbe Schema. Es muss etwas inszeniert und dann anschließend an die Presse weitergegeben worden sein. Ansonsten würden solche Meldungen die Öffentlichkeit doch gar nicht erst erreichen.“
Bond nickte ernst. „Es scheint als hätte A. R. Gus, bzw. Gus Hartmann auch noch nach seiner Verhaftung gute Kontakte nach draußen.“
„Darauf kannst du wetten“, bestätigte Anna und las weiter. „Hier: Hartmann-Erbe nach sensationellem Prozess freigesprochen. Und: Die Verdachtsmomente gegen den der Gehilfenschaft beschuldigten Bankier Schwarzenberg konnten nicht zu einer Anklage erhärtet werden. Was sagt man dazu?“
„Eigentlich war das zu erwarten. Bates und Miss Allison geben doch gute Sündenböcke ab, noch dazu wo sie beide tot sind. Und die Beweise sind in der Agentur in Flammen aufgegangen. Schwarzenberg zahlt wegen Behinderung polizeilicher Ermittlungsarbeit ein Bußgeld und die Sache ist gegessen. Zudem gehören beide der Schicht an, die sich exzellente Anwälte leisten können.“ Bond seufzte. „Außerdem habe ich gerade andere Probleme. Diese Nachricht ist von M. Wie spät ist es?“
Anna blickte auf ihre Uhr. „Viertel nach zwei. Warum?“
„Weil ich mich um zwei bei M melden sollte.“ Bond verzog das Gesicht und griff zu seinem Laptop. „Hätte Q mir gesagt, dass dieses Ding auch noch andere Funktionen hat als Daten zu überprüfen, dann hätte ich es nach dem Kontrollieren der CD sicher sofort entsorgt. Nicht einmal im Urlaub hat man seine Ruhe.“ Die Russin sah ihn fragend an. Bond stellte den Laptop auf den Schreibtisch und klappte ihn auf. Nachdem der Computer hochgefahren war machte der Brite einige Eingaben und Ms Antlitz erschien auf dem Bildschirm. Anscheinend hatte sie eine Kamera in ihrem Büro. An dem Laptop war ebenfalls eine Kamera angebracht. „Sie können auch nie pünktlich sein, 007“, begann M kühl.
„Hätte ich gewusst, dass sie mich sprechen wollen, dann hätte ich…“
„Ist schon in Ordnung, Bond“, unterbrach ihn M, nun etwas versöhnlicher. „Ich weiß ja, dass noch zwei Tage Urlaub übrig haben und bedaure die Störung auch sehr, aber trotzdem habe ich einen Auftrag für sie, wo sie schon gerade in Florenz sind. Wir bräuchten dann nicht extra jemanden herschicken und könnten die Sache rasch erledigen.“
Der Agent nickte. „Gut, ich höre.“
„Andrew Cox.“ Das Bild eines dunkelhaarigen Mannes mittleren Alters erschien. Er hatte brutale Züge, einen Dreitagebart und ein vernarbtes Gesicht. Bond prägte sich das Aussehen genau ein. „Waffenhändler aus Dover, hat sich nach Florenz abgesetzt und sich ins Hotel Nizza in der Via del Giglio 5 einquartiert. Er ist extrem gefährlich.“ M erschien wieder auf dem Bildschirm. „Bei seiner Flucht wurden zwei Zollbeamte schwer verletzt, außerdem hat er einen MI6-Mitarbeiter auf seinem Gewissen. Passen sie also auf, 007. Notfalls gebe ich unserer Station in Italien Bescheid, dass die ihnen noch jemanden zur Seite stellen.“
Bond schüttelte den Kopf. „Nein danke. Ich will das mit so wenig Aufsehen wie möglich über die Bühne bringen.“
„Viel Glück, Bond.“ M schaltete ab und auch James Bond ließ den Laptop herunterfahren. Anne schaute etwas beunruhigt zu ihm. „Möchtest du das wirklich alleine durchziehen?“
„Ja“, nickte Bond hart. „Was soll schon großartig passieren? Schlimmer als der Hinterhalt in der Agentur Argus kann es nicht werden. Hier weiß ich wenigstens mit wem ich es zu tun habe.“ Er zog sich das Schulterhalfter an. „Wie M sagte, wir werden die Sache rasch erledigen.“
„Soll ich mitkommen?“
„Nein, Anna. Ich möchte nicht, dass du dich wegen unserer Angelegenheiten in Gefahr begibst. Du bist beim russischen Geheimdienst angestellt und nicht beim Secret Service.“ Der Agent zog sich eine helle Jacke über, blickte Anna in die Augen und umfasste sanft ihre Schultern. „Ich werde den Job ausführen und heil zu dir zurückkommen, das verspreche ich!“
Anna schaute Bond an. Sie lächelte, doch in ihrem Blick lag etwas Trauriges. „Ich denke schon jetzt so ungern an übermorgen, wenn wir uns wieder trennen müssen. Dass ich dich überhaupt wieder sehen und dann noch drei wunderschöne Wochen mit dir erleben durfte, war sowieso schon mehr als ich mir je erträumt hätte.“
„Mir geht es genauso“, gab der Brite zu. „Ich werde auf mich aufpassen und dich auch nach unserem gemeinsamen Urlaub nie wieder vergessen.“ Er schlang zärtlich seine Arme um Anna, beugte sich vor bis ihre samtweichen Lippen die seinen berührten und küsste sie leidenschaftlich und liebevoll. Nur sehr zögerlich lösten sich beide wieder voneinander. „Nimm deinen Wagen mit, James. Man weiß ja nie.“
James Bond fuhr vom Hotel den Arno entlang über die Lungarno Amerigo Vespucci und bog nach links in die Via del Moro ab. Er brauchte der Straße nur zu folgen, denn sie ging nach einer Kreuzung in die Via del Giglio über. Das Nizza war schließlich ein kleines Hotel mittlerer Qualität mit einer sehr häuslichen Atmosphäre. Bond wandte sich an die südländische Dame an der Rezeption. „Sie wünschen, Signor?“
„Bei ihnen soll ein gewisser Mr. Cox abgestiegen sein. Er ist ein Geschäftsfreund von mir und ich habe eine wichtige Nachricht für ihn.“
„Ich wehre mich gegen den Ausdruck ‚abgestiegen’, Signor. Wir führen ein seriöses Haus. Aber einen Mr. Cox gibt es hier nicht. Tut mir leid.“
Bond lächelte entschuldigend. „Verzeihung, natürlich. Aber ich habe gesicherte Informationen, dass sich Mr. Cox hier aufhält.“ Er beschrieb ihn. Die Augen der Empfangsdame hellten sich auf. „Ach so, sie meinen Mr. Wilson. Ja, der logiert hier. Zimmer…“ Sie hielt kurz inne, so als wäge sie etwas ab. „Zimmer 24 im zweiten Stock. Er dürfte zugegen sein. Soll ich sie anmelden?“
„Nein, danke. Das wird nicht notwendig sein“, entgegnete Bond und ließ sich die Treppe zeigen. Auf dem Flur vor dem Zimmer zückte er seine Pistole und klopfte an die Tür. „Zimmerservice!“
„Herein.“ Bond drückte die Klinke hinab, trat die Tür auf und machte mit erhobener Waffe einen schnellen Schritt in das Zimmer. Er konnte gerade noch zwei kräftige Männer erkennen ehe aufsteigender Rauch ihm den Atem und die Sicht nahm. „Rauchbombe. Nicht sehr originell und in dieser Ausführung sehr klein, aber dafür auch sehr effektiv wenn sie einen unvorbereitet trifft“, höhnte einer der Schläger, während der zweite Bond einen Hieb in den Bauch verpasste. Stöhnend krümmte sich der Agent und ließ die Waffe fallen. Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss. Er spürte wie sich zwei starke Arme von hinten um seine Oberarme schlossen und ihn in einem stahlharten Griff festhielten. Langsam lichtete sich der Rauch und gab den Blick auf das kleine Zimmer mit den weißen Wänden und den dunklen Möbeln frei. Vor dem Agenten stand grinsend ein grobschlächtiger Schläger. „Nimm das, elender Schnüffler!“
Unabwendbar sauste seine Faust auf Bonds Gesicht zu, der geistesgegenwärtig seinen Kopf zur Seite schmiss. Der überraschte Ausruf und der etwas schwächer werdende Griff des Schlägers hinter ihm, gaben ihm nun die Oberhand. Er bündelte seine Kräfte, benutzte den zweiten Schläger als Rückhalt, drückte sich vom Boden hab, gab dem ersten Schläger mit beiden Beinen einen kräftigen Tritt und warf anschließend den Zweiten über seine Schultern. Ächzend schlugen beide auf dem Boden auf. Bond hechtete zu seiner Waffe, strauchelte und fiel. Der Erste hatte seine Beine umfasst. Der andere rappelte sich auf und griff zu einem schweren hölzernen Beistelltisch. Bond gelang es noch gerade rechtzeitig sich frei zu strampeln, dem Ersten einen Tritt zu geben und sich zur Seite zu rollen, bevor der Tisch splitternd neben ihm auf dem Boden aufschlug. Er nutzte die wenigen Sekunden dieser kleinen Verschnaufpause um seine Walther zugreifen als der Beistelltisch abermals drohend über ihm niederging, um seinen Schädel zu spalten. Ohne groß zu überlegen drückte er seinen Zeigefinger gegen den Abzug. Das gurgelnde Geräusch, das dem Knall folgte gab ihm die Gewissheit, dass er getroffen hatte. Der Schläger sackte in sich zusammen und blieb reglos liegen. Doch kaum hatte Bond sich wieder aufgerichtet, traf ihn die harte Faust des anderen Schlägers im Gesicht und ein zweiter Schlag traf seinen rechten Unterarm. Abermals ließ der Agent seine Waffe fallen. Den nächsten Schlag parierte er und konterte seinerseits mit einem gut gezielten Kinnhaken. Mit vor Wut verzerrtem Gesicht holte der Schläger aus, um den Agenten mit einem donnernden Schlag das Bewusstsein zu rauben. Geschickt wich Bond aus, die Faust traf das Fenster. Glas splitterte, Blut breitete sich auf der Hand des Schlägers aus. Der Agent reagierte schnell, glitt hinter den breiten Mann und beförderte ihn mit einem gezielten Tritt nach draußen. Ein kurzer Schrei, dann das Auftreffen eines Körpers auf dem Pflaster. Bond atmete tief durch, deponierte seine Waffe wieder im Halfter und verließ den Raum.
„Haben sie gefunden, was sie suchten, Signor?“ fragte die Empfangsdame mit einem Anflug von Unbehagen als Bond wieder bei ihr erschien, sichtlich angegriffen und mit etwas Blut am Mundwinkel.
„Nein“, entgegnete Bond kalt. „Und sie täten gut daran mir den wirklichen Aufenthaltsort von Mr. Cox-Wilson zu nennen oder ich muss ihrem hübschen Körper ernstlich Leid antun!“
„Es… es tut mir leid“, die Frau senkte den Kopf. „Ich sollte jeden, der nach ihn fragte in dieses Zimmer schicken. Er hat mir ein gutes Trinkgeld gegeben. Sein Zimmer ist dort hinten.“ Sie zeigte in einen kleinen Gang. „Zimmer 8.“
„Danke.“ Bond nickte und wiederholte an diesem Zimmer seine Prozedur, allerdings ohne sich als Zimmerservice auszugeben und mit der Einberechnung etwaiger unangenehmen Überraschungen. Als er in das Zimmer trat war es leer und das Fenster offen. Vorsichtig schaute er hinaus. Cox kniete bei dem Schläger, dessen Blut ein kleines Rinnsal gebildet hatte. Der Waffenhändler schaute auf, erblickte Bond am Fenster und zückte seine Maschinenpistole. Gerade noch rechtzeitig konnte der britische Agent zurückweichen. Zischend schlugen die Kugeln in die gegenüberliegende Wand. Bond hörte das Starten eines Motors und wagte einen weiteren Blick auf die Straße. Cox war in einen alten Lancia gestiegen und trat aufs Gaspedal. Rasch stieg der Brite aus dem Fenster und hechtete zu seinem Aston Martin. Gehetzt stieg er ein und drehte den Schlüssel im Zündschloss um. „Na komm schon, komm schon, starte…“
Schließlich sprang der Motor an und Bond folgte dem fliehenden Cox vorbei an dem Kloster Santa Maria Novella und dem Bahnhof durch die Straßen hinaus aus der Stadt. Gekonnt steuerten beide ihre Autos durch den dichten Verkehr bis sie eine leere Landstraße erreichten. Es war eine typische Alleestraße der Toskana mit Pinien und Zypressen an beiden Seiten. Immer wenn Bonds Aston näher kam beschleunigte Cox weiter. Es war unglaublich was er aus dem alten Wagen alles herausholte. Er musste den Motor frisiert oder gar einen leistungsfähigeren ganz neu eingebaut haben. Bond drückte auf einen Knopf, seine Frontscheinwerfer klappten weg und gaben die Mündungen von zwei Maschinengewehren frei. Er feuerte eine Salve auf den Lancia ab, ein Rücklicht zerplatzte. Doch die hügelige Landschaft stand einem genauen Zielen im Weg. „Mit Q habe ich noch ein ernstes Wörtchen zu reden“, grummelte Bond. Von wegen Standardausführung für Routinemissionen, nur MGs und Kugelsicherheit… Q hatte wirklich keine Ahnung von den Bedürfnissen an der Front. Bond hätte den Jaguar vielleicht wirklich etwas pfleglicher behandeln sollen, aber es war nicht seine Schuld, wenn seine Gegner ihn mit Widerhaken in die Zange nahmen. Er atmete tief aus und konzentrierte sich wieder auf den Lancia vor ihm. Der Aston schloss immer mehr auf, anscheinend war der Wagen seines Gegners nun vollständig ausgereizt. Bond gab eine weitere Salve ab. Ein Hinterreifen des Lancias platzte, das Auto kam ins Schlingern. Cox versuchte verzweifelt gegenzulenken, doch es war zu spät! Der Wagen geriet auf die Gegenfahrbahn und prallte frontal gegen die Ladefläche eines Obstlasters und explodierte. Bond stoppte. Der Laster kollidierte mit einer Zypresse am Straßenrand und kippte auf die Seite. Unzählige Obstkisten fielen von der Ladefläche, rotbäckige Äpfel mit hellen Einsprengseln kullerten über die Fahrbahn in alle Richtungen.
„Cox Orange, wie passend.“ Der britische Agent stieg aus, griff sich einen vorbeirollenden Apfel und biss genüsslich hinein.