Review: Mother! von Darren Aranofsky ( Spoiler )

  • Vom Schmerz des Teilens


    Am Anfang war das Feuer, aus dem Feuer entstand das Leben.
    Ein Leben, eine Zweisamkeit welche jäh erschüttert wurde als die Menschen kamen
    und das Teilen begann.


    Darren Aronofsky ( The Wrestler )erzählt eine Geschichte des
    Schmerzes und des Verlustes. Vom Schrecken der einseitigen Liebe, einstürzenden
    Hoffnungen, untergehenden Welten und legt den Finger immer tiefer ins offene
    Fleisch. In seinen besten Momenten kann Aranofsky ein Gemälde des Schreckens
    erschaffen das einen Inne halten lässt und erschaudern. Mother! ist weniger
    Unterhaltung, eher wie ein Besuch in einer Galerie: Man nimmt Platz. Vertieft
    sich in das Gemälde und hält Inne, bis sich einem die ganze Herrlichkeit
    offenbart. Aber man braucht Zeit, Geduld sehr viel Geduld.


    Der Dichter ( Javier Bardem ) und seine Frau ( Jennifer
    Lawrence ) bewohnen in der Abgeschiedenheit der Wildnis ihr zu renovierendes
    Eigenheim, nach und nach passieren Dinge, die auf den ersten Blick seltsam
    erscheinen. Nach Deutung der Symbolik aber in etwas verwandelt werden können
    das ganz nah beim Menschen selbst zu finden ist. Ein Gefühlszustand der für
    jeden erfahrbar ist, vielleicht schon mal harte Realität war. Als der Dichter
    einen Gast zum übernachten herein bittet und daraufhin immer weitere Leute sich
    ins Haus einquartieren, schrillen bei dessen Frau schon die Alarmglocken. Die
    Vorboten des Horrors die im grandiosen Finale in einem abartigen Overkill die
    Hölle über die Frau des Dichters hereinbrechen lässt. Wobei der Horror nur
    wenig mit Blut oder von ihm verschmierte Gesichtern zu tun hat. Er spielt sich
    woanders ab. Im Kopf bei der Rückkopplung der Gedanken beim Zuschauer.
    Aranofsky zeigt wie Gefühle aussehen müssten wenn man sie auf eine Leinwand
    packen könnte. Die passenden Bilder fürs Poesie Album der Ohnmacht. Worte als
    Bilder. Unfassbar seine finale Zuspitzung der Dinge.


    Nur ohne das Inne halten, ohne die Lust am entschlüsseln der
    Deutung bleibt Mother! Ein wirres Machwerk ohne wirklichen Zusammenhang. Erst
    das dechiffrieren der Ereignisse führt zu Erkenntnis das da monströses Kino
    geschaffen wurde. Beim Versuch die Ding zu entschlüsseln bleiben Spoiler nicht
    aus. Wer den Film nicht kennt sollte unbedingt folgende Reihenfolge beachten:
    Erst Film dann weiterlesen. Der Dichter ist ein Egoist. Einem dem es nicht
    genügt was er hat und nach so viel mehr giert. Ein Welteneinreiser.

    Du liebst es das ich dich liebe


    Die ungebetenen Gäste am Anfang symbolisieren nichts anderes
    als das Teilen des Ehemanns, welches seiner Frau so missfällt. Der Ruhm den ihm
    sein Schreiben eingebracht hat ist Teil seiner Persönlichkeit geworden. So darf
    man die ungebeten Gäste weniger als Personen , sondern als Symbol des Teilens
    sehen, später auch als Abspaltung von ihr nachdem sie ihm „Inspiration genug“
    war. Sie genügt ihm nicht alleine, der Ruhm, die Anerkennung das sind die Dinge
    mit denen sie nicht konkurrieren kann. So ist es auch nicht verwunderlich als
    der Dichter sagt: Die Leute sie können mich wirklich verstehen. Und sie darauf
    erwidert „aber ich liebe dich“. Anerkennung und Ruhm sind der Motor des
    Dichters, sie ist nur die Inspiration.


    Immer wieder sieht man im voranschreiten der Geschichte, im
    Haus merkwürdige Risse aus denen Blut herausquillt. Die Frau des Dichters hat
    den beiden ein Reich geschaffen, ein zu Hause . Je mehr ihr Mann sich entfernt
    und sich dem Ruhm hingibt je mehr Risse bekommt das Haus. Das Haus als Seele.
    Die Seelenwelt der Jennifer Lawrence.Noch expliziter wird es im finalen Akt als
    hundert von Menschen das Haus in Schutt und Asche legen und alle in die Brüche
    geht. Alles stirbt. Alles. Mit dieser radikalen Art des Films setzt Aranofsky
    die Seelenwelt frei. Immer weiter entfernt sich ihr Mann von ihr. Ihr Haus wird
    in Trümmern gelegt, das Haus das Heim, die Beziehung der beiden. Alles schwarz
    und grau und zerstört. Und das ist der Moment. Hier angekommen wird das
    Bild,welches Aranofsky zeichnet zum Meisterwerk. Ohne diese Deutung und einem
    Interesse des Nachdenkens beim Schauen bleibt mother jedoch wohl nur ein
    gewöhnliches Bild.

  • Hier noch ein paar Anmerkungen, auch nicht Spoiler-frei: Auf der Hand liegen natürlich auch philosophische bzw. religiöse Interpretationen. Der Dichter als Gott, der erschafft. Die Mutter zunächst als "Mutter Natur", die (und das macht es in meinen Augen ein wenig inkonsequent) zu einer Art Maria mutiert, deren Kind geopfert werden muss (das Kind wird ja tatsächlich von den Menschen/Jüngern verspeist, also eine ziemlich wörtliche Umsetzung von "Dies ist mein Fleisch..."), die ersten Besucher sind dann Adam und Eva, deren Söhne entsprechen Kain und Abel (richtig, der eine erschlägt den anderen). Und so weiter. Es wird halt viel angedeutet, eine einheitliche Interpretation gibt es nicht. Ob dies nun eine Stärke oder Schwäche ist, sei mal dahingestellt.

  • Den Film habe ich mir jetzt auch endlich mal angesehen. Aufgrund der sehr durchwachsenen Kritiken und Jennifer Lawrence war ich sehr gespannt darauf. Nachfolgend auch SPOILER.


    Was ich leider schon vorher gelesen habe ist, dass die Story des Films im Prinzip eine Neuinterpretation der biblischen Geschichte ist. Aber dieses Wissen hat beim Anschauen des Films nicht geschadet, im Gegenteil. Man kann vieles einordnen, was so vielleicht verwirrt hätte. Diese Idee von Arranofski, die er laut eigener Aussage in einem Traum hatte, gefällt mir gut und ist auch clever und spannend umgesetzt. Die schauspielerischen Leistungen hier sind toll. Lawrence und Bardem sowieso, auch Ed Harris und Michelle Pfeiffer. Die unausgesprochenen Spannungen zwischen den Akteuren und die stetig bedrohliche Atmosphäre erinnern ein bisschen an Filme von David Lynch und Lars von Trier.


    Neben der ziemlich offensichtlichen religiösen Interpretation, die sich nicht auf das christliche Weltbild beschränkt, bieten sich auch noch viele andere Lesarten an. Die von Sam Trautman erwähnte Beziehungsebene, auch Parallelen zur Politik kann man sehen. Die stets präsente Symbolik wird über den ganzen Film hinweg einer stringent logischen Haupthandlung untergeordnet, was aber eben bei anderen gefeierten Regisseuren sehr ähnlich ist. Wenn man sich daran nicht stört, ist es ein durchaus sehenswerter Film mit einem Ende, das zum Nachdenken einlädt.

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