Roman und Comic: Dr. No

  • Mittlerweile habe ich den sechsten James-Bond-Roman, "Dr. No", gelesen und auch die entsprechende Comic-Version aus dem "Daily Express". Nun kann ich Euch auch den Vergleich der beiden Versionen vorzustellen.


    Mit "Dr. No" sind die Comicmacher wieder dazu übergegangen, die Geschichte aus der dritten Person zu erzählen und nicht aus Bonds Perspektive. Mir persönlich gefällt dieser Wechsel sehr.


    Mir scheint, daß Ian Fleming an seiner Plotgestaltung aus FRWL Gefallen gefunden hat und sie für Dr. No wieder herangezogen hat. Dr. Julius No wird in einem frühen Stadium des Romans zum ersten Mal erwähnt, erscheinen tut er allerdings erst nach zwei Dritteln des Romans, und auch dann ist nur von einer großen Gestalt die Rede, die Stahlklauen als Hände hat. Dann dauert es jedoch nicht lange, bis er sichtbar mitmischt ("One million Dollars." - wie im Film). Auf dem Weg dahin gelingt es Fleming aber, No als immer bedrohlichere Figur zu formen und darzustellen, und als Leser wird man zunehmend sicherer, daß die Reise nach Jamaika kein Urlaubstrip für Bond ist.


    Die Comicmacher sind hier leider etwas die Spielverderber, denn No taucht schon zu Beginn des Comics auf, wenn man auch nur zwei Stahlklauen sieht, die ein Papier halten. No erteilt einem Mann den Auftrag, Bond zu töten, und teilt auch gleich mit, daß er im Konsulat einen Spion sitzen hat. Der Leser weiß zwar gleich, woran er ist, aber der Spannungsaufbau und die Entdeckung des Geflechts, das No aufgebaut hat, sind dahin. Dazu trägt auch bei, daß die Comicmacher das erste Kapitel des Romans komplett weglassen; darin werden Commander Strangways und seine Sekretärin Ms Trueblood von drei Negern umgebracht, und wir erfahren, daß Strangways einer Sache auf der Spur ist, die in die chinesische Ecke Kingstons führt. Mir scheint, daß es den Comicmachern wichtiger war, daß Bond möglichst schnell erscheint, als bedeutende Plotelemente beizubehalten.


    Der Roman weist wieder einige Continuity-Elemente auf; diesmal beschränken sie sich auf FRWL und LALD. Es wird auf Bonds Vergiftung durch Rosa Klebb hingewiesen. Anscheinend sind seit dieser Vergiftung drei Monate vergangen; René Mathis konnte Bond durch Mund-zu-Mund-Beatmung am Leben halten; Rosa Klebb ist nun tot. Strangways und Bond haben beim "treasure business 5 years ago" zusammengearbeitet. Vom LALD-Fall existiert auch eine Akte, die der "Colonial Secretary", Pleydell-Smith, im Konsulat hat. Im weiteren Verlauf des Romans erinnert sich Bond an Solitaire und daran, daß sie zusammen von Mr. Big kielgeholt werden sollten. Im Comic wird ebenfalls noch auf Rosa Klebbs Giftangriff verwiesen, Verweise auf LALD sind allerdings nicht enthalten.


    Die Comicmacher erlauben sich neben der frühen Einführung Dr. Nos noch ein paar andere Eigenmächtigkeiten, was die Handlung angeht. So schmuggelt jemand Bond in seinem Hotel einen giftigen Tausendfüßler ins Bett; Bond entgeht dem Anschlag, beschließt aber, Quarrel nichts davon zu erzählen, um ihn nicht zu ängstigen. Im Comic erzählt Bond bei erster Gelegenheit vom Tausendfüßlerattentat. Das gleiche gilt für eine Ladung vergiftetes Obst; Bond riecht Lunte, als er das Obst bekommt, und verschickt es an Pleydell-Smith, um es analysieren zu lassen. Er bekommt die Analyse per Telegramm, liest es und verbrennt es, damit Quarrel es nicht sieht und noch mehr Angst bekommt. Aber auch hier erzählt Bond im Comic Quarrel vom Obst und dem Telegramm mit der Analyse. Dabei ist es eine eher kleinere Abweichung, daß Bond im Comic lediglich eine Nektarine zur Analyse verschickt, im Roman jedoch den ganzen Obstkorb, den er erhält. Dazu kommt noch, daß Bond im Roman den Obstkorb in seinem Zimmer vorfindet, als er es betritt; im Comic jedoch wird ihm das Obst gebracht, während er in der Badewanne sitzt.


    Was die Comicmacher durchaus mit Recht rausgelassen haben, ist eine Ausführung Pleydell-Smiths zu Jamaika und seinen Bewohnern, die heute als rassistisch durchgehen würde. So bezeichnet er die Jamaikaner als "childlike" und "lazy"; die Briten sind "greedy, come for short-term profit and go again." Und weiter: "Portuguese Jews have become wealthy, but they are snobs. The Syrians are similar but not such good businesspeople. They have to set fire to their stocks to get liquid again! The Chinese Negroes have some of the intelligence of the Chinese and most of the vices of the black man." Ein ziemlicher Rundumschlag, den Fleming uns da serviert und der wohlweislich von den Comicmachern ausgelassen wurde.


    Abgemildert wurden – wie schon zuvor – das Auftreten Honey Riders und der Sprachgebrauch. Im Roman drücken sich Nos Schergen recht derbe aus. In einem Fall benutzt jemand in drei Zeilen dreimal das Wort „---ing“ (das auch so abgedruckt ist). So taucht das im Comic natürlich nicht auf. Später, zu Beginn von Nos Hindernisparcours, flucht Bond auch höflich vor sich hin: „Bond spat out a four-letter word.“ Bei einer späteren Station merkt Bond, dass er beobachtet wird; seine dezente Reaktion: „ --- them all!“.


    Ebenfalls nicht neu ist, daß in den Romanen die Bondgirls bei Gelegenheit mehr oder weniger nackt sind. So ist das auch hier; bei ihrem ersten Erscheinen trägt Honey außer einem Gürtel mit einem Messer dran nichts. Im Comic trägt sie einen züchtigen Bikini. Allerdings drehen die Comicschreiber diesmal den Spieß auch einmal um. Als Bond den Hindernislauf hinter sich hat und No sucht, wird er von Honey angegriffen, die ihn für einen Feind hält. Im Roman trägt sie einen Overall, um sich zu tarnen. Im Comic trägt sie einen viel gefälligeren Bikini!


    Die Zeit zwischen der Begegnung Bonds mit Honey und dem Angriff des „Drachens“ ist von den Comicmachern stark gerafft worden, da sie „nur“ aus Gehen und Reden besteht, was natürlich weniger interessant war. Von dem Zeitpunkt an wird der Romaninhalt jedoch ziemlich getreu wiedergegeben, wobei lediglich ein paar Abweichungen im Comic auffallen.


    Was leider über Bord geht, ist eine Sequenz nach Quarrels Tod. Quarrel wird vom Flammenwerfer des „Drachens“ verbrannt; bevor Bond in den Drachen geführt wird, geht er zum toten Quarrel und trauert um ihn. Bond macht sich Vorwürfe und zweifelt an sich. Er vermutet, letztlich auch für Honeys Tod verantwortlich zu sein. Dieser Abschnitt erlaubt einen kurzen Einblick in Bonds Innenleben, der im Comic leider nicht auftaucht.


    Als Bond und Honey Nos Hauptquartier erreichen, werden sie zwei Empfangsdamen übergeben. Hierbei verwundern zwei Dinge: Im Roman sind Schwester Rose und Schwester Lily Chinesinnen; im Comic sind es jedoch zwei westeuropäische Frauen. Weiterhin gibt Bond beim Empfang seine persönlichen Daten an; während er seine „cover story“ von sich gibt, verrät er jedoch Ms echten Namen. Nun muss er zwar damit rechnen, dass sein Tarnname enttarnt ist, aber gleich davon auszugehen, dass der Gegner weiß, wer sich hinter M verbirgt, ergibt keinen Sinn.


    Es ist schade, daß der Comicleser gleich zu Beginn einen Vorgeschmack auf Nos Erscheinungsbild bekommen hat, denn das nimmt seinem ersten Auftreten im Comic etwas von seiner Wirkung. Die Comicmacher haben No gut getroffen und lassen ihm auch seine Zangenhände; die Widergabe der Romanfigur ist gut gelungen. Leider haben sie sich auf der anderen Seite dazu hinreißen lassen, Honey etwas hysterischer dazustellen als sie ist. Als sie und Bond zum Abendessen in Nos Räume geführt werden, kreischt sie: „James, we´re underwater!“. Später, als No mit einer Zangenhand gegen eine seiner Kontaktlinse klopft und ein metallisches Geräusch erzeugt, schreit sie: „James, he´s not human!“. Große Buchstaben in fettem Druck verdeutlichen Honeys Hysterie, die nicht mit ihrem Charakter im Roman übereinstimmt und auch sonst im Comic nicht zu sehen ist.


    Wir erfahren im Roman einiges über Nos Biographie, was im Comic verständlicherweise stark gekürzt ist, da sie nichts zum Fortgang der Story beiträgt.


    Im weiteren Verlauf des Romans vermittelt Fleming den Lesern noch einige Male Einblicke in Bonds Innenleben. So stellt Bond verbittert fest, daß er viel zu naiv an den Fall herangegangen ist. Später, bei einigen Stationen auf Nos Hindernisstrecke, fühlt Bond sich versucht, aufzugeben, staucht sich aber selbst zusammen und mahnt sich, weiterzumachen, denn auch Honeys Leben steht auf dem Spiel. Der Comic greift nicht jede dieser Situationen auf, aber zumindest eine dieser Situationen wird auch im Comic wiedergegeben.


    Schade ist es, daß Bonds Durchlauf des Hinderniskurses im Comic stellenweise etwas verdichtet wird, nämlich dort, wo Bond mit zunehmender Hitze zu kämpfen hat und sich durch einen Haufen giftiger Spinnen mogeln muss.


    Eine weitere Abweichung im Comic, die dem Roman eher widerspricht, ist, daß Nos Wächter bemerken, daß Bond es geschafft hat, ein Feuerzeug und ein Messer zu stehlen. Die Wächter tun aber nichts, um sie ihm wegzunehmen. Angesichts der Macht, die No über seine Leute hat, gehen die Wächter da sehr leichtsinnig vor. Dazu kommt, daß im Roman nicht die Rede davon ist, daß Bonds Schmuggel bemerkt wird.


    Eine letzte Abweichung, die auffällt, besteht darin, daß Bond im Comic persönlich Honey nach New York bringt, um ihre Nasenoperation in die Wege zu leiten. Im Roman ist das nicht der Fall, da überlässt er dies Pleydell-Smith.


    Sehr schön ist es zu sehen, daß die Comicschreiber Nos Ende treu übernommen hat. Der Bösewicht wird von Bond mit Vogelmist zugeschüttet, bis er erstickt. Es hätte mich nicht überrascht, wenn das als zu unspektakulär abgeändert worden wäre, aber das ist nicht passiert.


    Insgesamt bin ich durchaus zufrieden mit der Comicwiedergabe dieses Romans; Schwachpunkte sind die eigenmächtigen Storyänderungen und der Spannungsraub, was die frühe Einbindung Dr. Nos angeht. Ansonsten ist den Comicmachern eine gute Adaption gelungen.

    The needs of the many outweigh the needs of the few or the one.
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    Live long and prosper.


    He is not really dead as long as we remember him.

  • Danke für Deinen wie immer spannenden und ausführlichen Bericht. Gibt's eigentlich irgendwo eine www-Seite, wo man sich mal ein paar Bildchen aus diesen Comics "legal" angucken kann. Ich würde gerne mal den Zeichenstil aus den Comics sehen.

  • Uff, ich glaube, auf der MI6-Seite gibt es ein paar Panels aus den Comics zu sehen. Ansonsten ist da ja noch das Buch "The illustrated history of 007", das Kronsteen vor Kurzem angeführt hat. Eventuell gibt es da im Netz auch ein paar Bilder, wenn ein Blick ins Buch angeboten wird.


    Den Daily Express direkt anzugehen, hilft leider nicht; der hat zwar ein Online-Archiv, das weit genug zurückreicht, aber man müsste ihn schon abonnieren, um die Comics alle lesen zu können. Ansonsten kann man die entsprechenden Seiten nur als sehr kleines Bild bestaunen.


    Wenn mir was konkretes einfällt oder ich mich an etwas erinnere, sage ich bescheid.

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