Nullnullsieben Dekaden Kulturgeschichte - Beitrag zu 70 Jahren James Bond

  • Ein freundliches Hallo an die 007-Community.



    2023 jährt sich das Debüt von James Bond - der erste Roman "Casino Royale" erschien bekanntlich 1953 - zum 70. Mal. Dieses Jubiläum habe ich zum Anlass genommen und einen Artikel verfasst, der sich analytisch und kritisch mit dem Kulturphänomen 007, den Romanen und den Filmen auseinandersetzt.



    James Bonds Beitrag zur Filmgeschichte wird ebenso gewürdigt, wie der Rückbezug auf den Zeitgeist der vergangenen Jahrzehnte.

  • Nullnullsieben Dekaden Kulturgeschichte


    James Bond als Spiegelbild der Moderne


    Die Leinwand dient als Einfassung für einen Pistolenlauf. Ein Mann, den die Mündung der Waffe zielsicher erfasst und dem diese folgt, geht im Profil schnellen Schrittes vorüber. Blitzschnell wirbelt der Anzugträger herum und schießt. Sattrotes Blut sickert von oben herab und beginnt die gesamte Leinwand zu benetzten, während der Lauf unsicher zu schwanken beginnt und schließlich durch ein neues Bild überblendet wird: Ein ikonisches Intro. Vielleicht ist es sogar die markanteste, sicherlich aber die berühmteste bildliche Einleitung der Filmgeschichte.


    Man kennt diesen Effekt aus den noch jungen Tagen des Kinos. Genauso wie wenn ein Zug auf die Kamera zurast, hat es die unmittelbarste Wirkung auf den Zuschauer, wenn direkt auf ihn geschossen wird – was frühe Western schon als Stilmittel nutzten. Der Gentleman, auf den hier angelegt wird, ist eine Legende. Sein Name: Bond. James Bond. Der beste Mann Ihrer (seit 2022 Seiner) Majestät und der erfolgreichste Agent der Welt. Und die Welt ist Bonds Aktionsradius, ihre möglichst spektakuläre Rettung ist seine oberste Mission.


    Insofern hat die Pistolenlaufsequenz (im Original: Gunbarrel sequence) neben der sofortigen Einbindung des Publikums auch einen programmatischen Charakter. Bond ist eine Projektionsfläche und wir – die Welt – verfolgen ihn und seine Abenteuer auf Schritt und Tritt. Sein Schuss gilt folglich uns. Der Superspion fordert unserer Aufmerksamkeit für zwei Stunden Realitätsflucht. Und ist das nicht der eigentliche Sinn des Kinobesuchs? Wir sollen der Welt abhandenkommen, wie es Ilse Aichinger einmal formulierte. Dafür haben die Macher der Bond-Serie mit der einführenden Schablonensequenz eine geniale Metapher gefunden.


    Der Pistolenlauf dient in diesem Fall auch als ein kinetischer Kommunikationskanal. Es ist ein Korridor zwischen der Fiktion und der Wirklichkeit. Bond durchbricht durch seinen Schuss in unsere Augen die Leinwand als Barriere und zieht uns durch die sich transformierende Gunbarrel wurmlochartig aus unserem Kino-Sitz in seinen Kosmos. Und wir folgen ihm bereitwillig – seit seinem ersten Leinwand-Einsatz 1962. Die literarische Figur debütierte vor 70 Jahren – am 13. April 1953 erschien Ian Flemings Erstling »CASINO ROYALE«.


    Dieses Essay verfolgt nicht den Anspruch, das Phänomen James Bond allumfassend darzustellen. Angesichts der mittlerweile kaum mehr zu überblickenden Schar an Publikationen wäre es auch ein einigermaßen fruchtloses Unterfangen. Stattdessen versteht sich die vorliegende Abhandlung als eine Einführung, die produktive Ansätze zur Rezeption und Interpretation der Figur und der Filmreihe zu bieten gedenkt.

  • I. Sex, Snobismus und Sadismus


    Der Geburtsort von James Bond war »Goldeneye«. In seinem Anwesen auf Jamaika ersann der englische Journalist, Ex-Spion und Lebemann Ian Lancaster Fleming (1908-1964) im Januar 1952 eine Figur, die zur vielleicht einflussreichsten fiktiven Ikone des 20. Jahrhunderts avancieren sollte. In das kulturelle Gedächtnis hat sich dieser Actionheld, der die Codenummer 007 trägt, in einer Spanne von 70 Jahren mit seiner Lizenz zu Töten jedenfalls nachdrücklich eingeschrieben – oder sollte man besser sagen, eingeführt? Viele Erzählmuster, Stilmerkmale und Ingredienzien, die später den Welterfolg auf der Kinoleinwand begründen sollten, finden sich bereits in den Romanen. Flemings Geschichten gelten heute durchaus zu Recht als einigermaßen altbacken und große Literatur hatte der Schriftsteller mit seiner »Pulp Fiction« sicher auch nicht im Sinn. Aber wenn man die Faszination, die den DoppelNull-Mann umgibt, verstehen will, muss man zu den Büchern zurückgehen.


    Was machen die reißerischen Erzählungen rund um den Eliteagenten und den Schreibstil seines geistigen Vaters so einzigartig? Sean Connery sagte einmal sinngemäß, dass es ebenso lächerlich wie unmöglich sei, ein Leben wie James Bond zu führen. Seine abwegig-entrückten Abenteuer waren letztlich eine frivole Fantasielektüre für Erwachsene, eine Mär aus Sex, Snobismus und Sadismus, wie es die Kritik in den 1960er Jahren schon beschrieb. Bond ist bereits als literarische Figur ein Archetypus, der für unbedingte Pflichterfüllung sowie ungebrochene männliche Dominanz und Potenz steht, die Männer beneiden und Frauen bewundern. Er ist eine Art mythischer Halbgott wie die antiken Heroen. Daher sind alle Implikationen des Bond-Kosmos – die Obsessionen und die Sehnsüchte – konsequent olympisch gesteigert. Das Göttliche und die nach ihr strebende menschliche Hybris werden kontrastiert. Wenn Honeychile Rider in »JAMES BOND JAGT DR. NO« splitternackt den Fluten entsteigt, ist sie nicht nur eine aufregende Amazone, sondern erscheint durch die paradiesische Verträumtheit dieses Moments als eine vollkommene Göttin; sie ist wie Venus eine Schaumgeborene der See.


    Neben diesem klassischen Kanon an bildlichen Referenzen dienen Fleming auch die Feinheiten der Sprache als Chiffren für diese Art der spielerischen Synthetisierung. Ein Paradebeispiel für diese verdichteten Wortspielereien und Doppeldeutigkeiten stellen die Hauptfiguren des Romans »GOLDFINGER« dar. Der titelgebende Oberschurke heißt Auric Goldfinger – mehr Assoziationen zum begehrten Edelmetall schafft man in zwei Worten kaum. Zweimal Gold durch den lateinischen (aurum) und englischen Sprachgebrauch und der magische Finger. Wer denkt da nicht an den sagenhaften König Midas, der alles, was er mit seiner Hand berührte, zu Gold werden ließ? Damit wird auch offenkundig, dass der Antagonist nicht bloß ein spleeniger Mäzen, Philanthrop oder Goldliebhaber ist – nein, er ist ein völlig fanatischer Fetischist. Und auch die lesbische Gangsterbraut Pussy Galore lässt keinen Zweifel daran, was sie Bond – wenn man ihren Nachnamen entsprechend deutet – am Ende der Geschichte »in rauen Mengen« offerieren wird – ihre ganz unverblümt vorangestellte Weiblichkeit.


    Eine vergleichbare Bedeutung nehmen die Titel ein, für die Ian Fleming eine besondere Begabung besaß. Sie haben eine gleichermaßen eingängig-schlagende wie lyrisch-schwelgerische Komponente: »MOONRAKER/MONDBLITZ«, »FROM RUSSIA WITH LOVE/LIEBESGRÜßE AUS MOSKAU« oder »YOU ONLY LIVE TWICE/MAN LEBT NUR ZWEIMAL« – mit solchen Überschriften kann man teutonisch-träumerische Thriller treffend umschreiben. Gewiss ist das auch Flemings größte Leistung. Er hat dem Spionagethriller eine neue Spielart hinzugefügt: Glorreicher Glamour anstatt von grauer Tristesse und nüchternem Nihilismus. Sein James Bond ist ein Genießer, ein Playboy, der seinem lasterhaften Lebensstil einen ebenso großen Stellenwert in seinem Alltag einräumt wie dem aufreibenden Agentengeschäft.


    Glücksspiel, Garderobe, Delikatessen, Drinks, Luxuskarossen und Gespielinnen bedienen in einer zutatenreichen Mischung aus Exklusivität, Exotik und Erotik ein wildromantisches Fernweh. Damit stehen die Missionen des Nullnullsieben dem klassischen Abenteuergenre letztlich näher als dem Agententhriller, der sich in der Regel einem dramatischen Realismus und politischen Moralismus verschrieben hat. Diese Elemente werden ergänzt durch eine Affinität zum Technizismus und leichten Anleihen bei der Science-Fiction. Dieser latente Futurismus war für die Zeitgenossen der 1950er und 1960er Jahre bereits in den Romanen angelegt, wurde von den Verfilmungen aber bald rasant überholt. Durch die fantasiereichen und verspielten Plots wollte man sich in eine bestimmte Stimmung versetzen und in eine idealtypische Welt voller Agonie und Wollust entführen lassen. Vermutlich war das Geheimnis von Flemings Schöpfung genau dies – die Verschmelzung der artikulierten Attraktivität mit den aufgefahrenen Attraktionen.

  • II. Kalter Krieg(er)


    Bond ist eigentlich eine Figur, die einer räumlichen und zeitlichen Verortung entzogen ist. Er steht über den Dingen und agiert auf einer Meta-Ebene. Das hat der Doppel-Null-Mann vielen anderen popkulturellen Protagonisten voraus. Er ist gewissermaßen ein erwachsener Superheld. Es gibt keine überzogenen Superkräfte oder magische Fähigkeiten wie bei den ganzen Charakteren der Comic-Kultur. Zwar nutzt auch Bond die Technik, aber sie dient ihm letztlich nur als ein spektakuläres Hilfsmittel für seinen Erfolg. 007 überlebt auch ohne sie. Seine Stärken sind Instinkt, Härte, Coolness, Pflichtbewusstsein, Zielstrebigkeit, Intellekt, Killermentalität, weltmännische Lebenserfahrung und prahlerische Potenz. Bond erscheint als eine Art Halbgott, ohne dabei aber völlig unbesiegbar, unverletzlich oder gar unsterblich zu sein. Aber er ist ein titanischer Teufelskerl, der unmögliche Missionen absolviert, überirdische Schönheiten erobert und überlebensgroße Schurken niederringt. Ein solcher Archetypus besitzt eine universelle Zeitlosigkeit. Er ist der moderne Inbegriff des männlichen Heroen, eine idealtypische Ikone.


    Vor diesem Hintergrund erscheint es einigermaßen erstaunlich, dass viele Rezensenten den Doppel-Null-Agenten teilweise bis heute nur als eine Ausgeburt des Antikommunismus und als ein Kind des Kalten Krieges betrachten. Historisch mag daran wenig auszusetzen sein, denn Fleming war ein ausgesprochener Hardliner was denn Umgang mit den Sowjets anging und seine Romane spiegeln natürlich das politische Klima der 1950er und frühen 1960er Jahre wieder. In diesem Sinne war Bond durchaus ein Kalter Krieger des Westens, aber nicht so vehement wie es ihm immer wieder angedichtet wird.


    Sieht man einmal von einer einzigen Ausnahme der direkten Konfrontation – wie sie in »LIEBESGRÜßE AUS MOSKAU« stattfindet – ab, so liefert sich 007 eigentlich durchweg nur Kämpfe mit ausländischen Stellvertretern der UdSSR, mit individuellen Schurken oder nichtstaatlichen Syndikaten. In den Filmen hat man diese Tendenz noch verstärkt und den systemischen Gegner sukzessive vermenschlicht, indem es sogar zu Kooperationen mit dem KGB kommt. In »DER SPION, DER MICH LIEBTE« bekämpfen der Westen und der Osten einen gemeinsamen Gegner. In den Bondfilmen der 1980er Jahre steht dem bösartigen Sowjetfunktionär immer eine positive Figur des eigenen Lagers gegenüber, die dessen Pläne mit zu vereiteln versucht. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs geriet auch die Bondserie parallel ins Stocken.


    Irrtümlicherweise deuteten dann viele Kommentatoren diesen Umstand als Beweis dafür, dass der Superagent unverrückbar an den Referenzrahmen des Kalten Krieges gebunden und damit nach 1991 überflüssig sei. Daran zeigt sich, wie nachdrücklich die häufig eindimensionalen und klischeehaften Ansichten über 007 auch im Feuilleton nicht selten ihren Niederschlag finden. Die Zweiteilung der Welt in einen kapitalistischen und eine kommunistischen Block war keineswegs eine notwendige Bedingung für Bonds Missionen, sondern lediglich deren ursprüngliches Spielfeld, und ihr Wegfall war auch nicht ursächlich für die Krise der Filmserie zwischen 1989 und 1995. Diese lag letztlich an diversen filmwirtschaftlichen Querelen zwischen den Personen und Produktionsfirmen hinter den Kulissen. Das Bonds Überleben keineswegs an den Ost-Westkonflikt gebunden war, beweist nicht zuletzt der seinerzeit letzte Beitrag »LIZENZ ZUM TÖTEN«, der ein halbes Jahr vor dem Mauerfall in die Kinos kam und eine vom politischen Patt der Systeme völlig losgelöste Geschichte erzählt, die genauso gut auch heute noch spielen könnte.


    Dieser ständige Rückbezug auf den Kalten Krieg offenbart letztlich eine fantasielose Sicht auf die Figur des 007. Er ist ein Meta-Charakter, der wie ein astraler Archetyp über den Dingen thront – ein Übermensch im Sinne Nietzsches. Das wird nicht nur daran erkennbar, dass es 1995 eine erfolgreiche Rückkehr gab, die bis heute anhält, sondern auch an dem Aspekt der Zeitlosigkeit, die seinem Geist und der Bond-Formel innewohnt. Man kann sich den Doppel-Null-Agenten nicht nur in der Zeitspanne von 1953 bis 2023 vorstellen, sondern eben auch in der ferneren Vergangenheit und Zukunft. Im Viktorianischen Zeitalter hätte Bond bereits als britischer Weltpolizist in den Kolonien ermitteln oder im Stil von Phileas Fogg oder Sherlock Holmes Schurken vom Format eines Prof. Moriarty oder Dr. Moreau in einer von Jules Verne und H. G. Wells phantastisch erweiterten Welt jagen können.


    Der von den Bondfilmen stark beeinflusste Regisseur Christopher Nolan beweist mit seinen Science-Fiction-Thrillern »INCEPTION« und »TENET«, welche Aufgaben 007 in einer futuristischen Gesellschaft erwarten würden. Auch in den Visionen von Weltenschöpfern wie Philip K. Dick, Frank Herbert oder George Lucas kann man sich einen Superagenten vorstellen, solange eben wie Machtspiele, Klassenkämpfe, Zivilisationsbedrohung, Staatsschutz, Spionage und Geheimnisverrat eine Rolle spielen. Im Grunde könnte Francis Walsingham – der Geheimdienst-Chef von Königin Elisabeth I. – »seinen« Bond auch im 16. Jahrhundert als Baronet getarnt und mit Apparaturen nach den Entwürfen Leonardo da Vincis ausgestattet in die Schweizer Alpen entsenden, um dort ein Verschwörer-Nest gegen die englische Krone auszuheben.

  • III. Serieller Stil und flexible Formel


    An der zuvor angesprochenen zeitlichen Übertragbarkeit und thematischen Flexibilität werden die Gründe für den Erfolg und die Relevanz der Bond-Reihe erkennbar. Diese umfasst zwei Komponenten. Zum einen die Bond-Formel, die bereits früh von Kritik und Forschung beschrieben wurde, und zum anderen deren stetige kreative Abwandlung und Einbettung in einen seriellen Stil. Dass es ein Erfolgsrezept in den Romanen gibt, das in der Folge auf die Filme übertragen und in diesen dann perfektioniert wurde, haben verschiedene Autoren herausgearbeitet. Einer der frühsten Rezipienten war der SemiotikProfessor und spätere Belletristik-Bestsellerautor Umberto Eco, der bereits 1966 eine Analyse der Fleming-Bücher vorlegte.


    Eco erkannte, dass die literarischen Abenteuer von 007 einem gleichbleibenden Schema folgen und der Autor diese Schablone konsequent anwendet. Der Untersuchung entsprang die durchbuchstabierbare A.B.C.D.E.F.G.H.I.-Methode, die sich wie folgt auflösen lässt: A – »M« erteilt Bond einen Auftrag, B – der Schurke tritt auf, C – Bond oder der Schurke bringen dem jeweils anderen eine Niederlage bei, D – die Frau tritt auf, E – Bond konsumiert die Frau oder beginnt sie zu verführen, F – der Schurke nimmt Bond (mit der Frau) gefangen, G – Bond wird vom Schurken (mit der Frau) gefoltert, H – Bond besiegt den Schurken, I – Bond erholt sich und genießt die Frau, die ihn dann wieder verlässt. Für die Franchise wurden dann später noch ausführlichere und präzisere Varianten der Bond-Formel beschrieben, die auch die Strukturen des filmischen Aufbaus berücksichtigen. Stellvertretend sei der langjährige Bond-Chronist Siegfried Tesche genannt, der eine 14-stufige Bond-Formel extrahiert.


    An diesem Punkt wird deutlich, dass Ian Fleming und später auch die BondProduzenten ganz bewusst eine klassische Struktur anwenden, die – wie bereits impliziert – Bond zu einem Heros stilisiert, der eine überlebensgroße Aufgabe erfüllen muss. Interessanterweise existiert eine große Übereistimmung zwischen den einzelnen Prinzipien und Stationen der Bond-Formel und dem erzählerischen Konzept der Heldenreise wie sie Joseph Campbell in 17 Schritten definiert. Gewiss haben Bonds literarischer Vater und seine filmischen Macher sich bewusst oder unbewusst auf diese wirkmächtige Abfolge von Abenteuern bezogen. Campbells Buch »Der Heros in tausend Gestalten« von 1949 hat das Kino Hollywoods enorm geprägt und seine Thesen und Beschreibungen lieferten dem Genrefilm Handlungsanweisungen von universellem Charakter.


    Der stufige Ablauf von Reise, Naturgewalt, Verführung, Antagonismus, Prüfungen und Erlösung lässt sich aber natürlich bis in die (vor-)antike Epik zurückverfolgen. Somit sind sowohl Campbells Heldenreise wie auch die BondFormel Abwandlungen der homerischen Odyssee und ihrer Vorläufer. Auch 007 ist dieser sagenhafte Held, der mit großem Mut und Geschick Gefahren auf sich nimmt, um seine und damit unsere Welt zu retten. Die erlösende Belohnung für Bond ist dann seinem archaischen Naturell gemäß der ekstatische Intimgenuss. Die vormodernen Mythen weisen ein identitätsstiftendes Moment auf, weswegen Campbell ihre deckungsgleichen Grundthemen und Erzähletappen als existenzielle Elemente des menschlichen Selbstverständnisses begreift. Er deutet diese historischen Leitlinien als psychologische Grundpfeiler der Zivilisation. Das bedeutet, dass man diese essenzielle Narrative beständig neu anordnen und interpretieren kann.


    In diesem Sinne sind die Bondfilme moderne und postmoderne Heldenepen des industriellen und digitalen Zeitalters. Mit einem großen Unterschied: Für den klassischen Heroen erfolgt bis zum Ende der Erzählung eine psychische Transformation, ein Reife- und Erkenntnisprozess, den man als Rezipient mitzugehen und nachzuempfinden vermag. Diese Form der Erlösung gibt es für den Agenten nicht. 007 kommt nie an, er bleibt stets auf der Suche. Am Ende jeder Mission wartet auf ihn nur ein flüchtiger Wimpernschlag voll wollüstiger Wonne. Aber genau darin liegt der immerwährende Reiz der BondFormel. Strukturell ist man derart konditioniert, dass man zwar präzise erwarten kann, was unmittelbar als nächstes passieren wird, aber eben nicht auf welche Weise. Durch die stetige Abwandlung und Ausprägung des »Wie«, kann man das Interesse des Publikums immer wieder aufs Neue entfachen. Das Geheimnis liegt in der verspielten Wiederholung der wunderlichen Weltrettung.


    Daraus folgt unmittelbar die Etablierung eines seriellen Stils, der auch die äußere Form möglichst umfassend wahrt. Besonders deutlich wird dieser Aspekt an den ersten 16 Bondfilmen, die gerade einmal von fünf Regisseuren stilistisch geprägt wurden. Rundherum ist eine wohltuende Ritualisierung gewünscht. Inhalt und Verpackung verschmelzen zu einem annährend perfekten Produkt, das man alljährlich frisch und aktualisiert konsumieren kann. Der Mythos Bond bedient damit in einer massenpsychologischen Logik auch einen Mechanismus des Marktes. Oder wie ein teutonischer Tycoon 007 einmal ungemein treffend entgegnet: »Die Leute kriegen, was sie wollen.«

  • IV. Tradition in neuem Gewand


    Wenn man sich vergegenwärtigt, auf welchen traditionellen Mustern Bonds Erfolg gründet, dann kann man sein Image als geschmackvollen Garanten für klassischen Genretopp noch nachdrücklicher begreifen. Doch was folgt aus der Anlehnung an altertümliche Sagen und das Konstrukt der Heldenreise? Welche Wandlungen durchläuft 007? Und welche reinkarnative Kraft kann konservative Inhalte in das Gewand des Neuen kleiden?


    Der Rückgriff auf mythische Erzählmuster und eine archetypische Heldenfigur gibt der Bond-Serie einen zeitlosen und universellen Habitus. Wie sonst könnte man erklären, dass ein britischer Agent, der die Menschheit aus einer dezidiert westlichen Perspektive betrachtet und rettet, auf der ganzen Welt verstanden und geschätzt wird? Einen solchen Siegeszug kann man nur antreten, wenn man mit einer klaren (Bild-)Sprache übergreifende Zivilisationsthemen auf eine solch grundsätzliche und uremotionale Weise thematisiert, dass alle Menschen einen Zugang dazu finden. Dieser Erfolg des Doppel-Null-Mannes, in einer Spanne von nur wenigen Jahrzehnten Bestandteil eines nicht nur kollektiven sondern eines globalen Gedächtnisses zu werden, hat eine einmalige Qualität, die seine normative Nähe zu den Heldenerzählungen der Altvorderen noch zusätzlich unterstreicht. Der Schauspieler Adolfo Celi brachte dieses virale Vermögen von 007 einmal treffsicher auf den Punkt als er resümierte: »Ich war in den entferntesten Winkeln Afrikas und Asiens, wo nichts von der westlichen Welt ankommt, wo keiner Namen wie »Jesus« oder »Mohammed« kennt, aber ein jeder kennt James Bond.«


    In diesen Zusammenhang wird die Bedeutung seiner individuellen Fähigkeiten ersichtlich, die auf seinen Reisen und Rettungsmissionen kulturübergreifend zu kollektiven Kompetenzen verschmelzen. Dahingehend ist Bond Odysseus nicht unähnlich, der seine Abenteuer mit einer Mischung aus physischer Tatkraft, Mut, taktischer Intelligenz, Wissen und handwerklichem Können beschreitet – und sie sind beide übereinstimmend nicht zuletzt auch exzellente Schützen. Man kann diesen Heldentypus als den komplettesten begreifen. Der Agent ist eine formvollendete Macher-Persönlichkeit, die in allen Bereichen Geschick beweist und jede Situation zu antizipieren vermag. So assimiliert er fremde Gebräuche und infiltriert verwunschene Festungen (»MAN LEBT NUR ZWEIMAL«), kämpft gegen die (Raub-)Tierwelt und die unbarmherzigen Naturelemente (»LEBEN UND STERBEN LASSEN«) und muss perfide Prüfungsparcours bewältigen (»JAMES BOND JAGT DR. NO«).


    Bond verkörpert einen weitgereisten Weltbürger, der in einer Mischung aus enzyklopädischem Wissen und Erfahrung ein umfassender Kenner von Kunst und Kultur(en) ist. Zudem ist der Doppel-Null-Mann ein Muster an Stil und Etikette. 007 ist ein Ehrenmann, der den richtigen Sinn für Kleidung, Haltung und Umgangsformen mitbringt. Seine kulinarische Extraganz wird von Vorgesetzten und Feinden ebenso gefürchtet wie seine Vorliebe für Markenprodukte – gleich zweimal entlarvt er die Handlanger aufgrund ihrer mangelnden verräterischen Weinkenntnisse. Zugleich residiert Bond in den besten Hotels und tummelt sich an den Spieltischen der glamourösesten Casinos. Luxusgüter wie Anzüge, Uhren und Sportwagen werden von dem Product Placement-Pionier munter vorgeführt und künden vom Glanz des großen Geldes und gutsituierten Lebensstils. Spiegelbildlich zu vielen seiner gutbetuchten Gegner pflegt Bond in Gesellschaftskreisen ein umtriebiges Upper-Class-Gebaren, obwohl er ein nicht übermäßig wohlhabender Waise und darüber hinaus – wie einer seiner Widersacher anmerkt – nur »einer von »Ms« kultivierteren Zinnsoldaten« ist.


    Umberto Eco hat genau diesen Aspekt als Leistung der Bondromane und später auch der Filme beschrieben. Was die Menschen reizt, ist Mischung aus Fiktion und Realität. Und das Reale sind die Konsumgüter und ihr Genuss, den Fleming ausgiebig und mit detailreicher Akkuratesse beschreibt. Demgegenüber schildert der Autor den Überfall auf Fort Knox nur rudimentär – weil man das Alltägliche liebevoll aufnimmt und daneben das Phantastische mit bereichernder Leichtigkeit akzeptiert. Es ist diese minutiöse Montage-Technik, die den Bond-Mythos immer wieder in eine zeitgemäße Mode hüllt.


    007 hat sich über die Jahrzehnte stetig gewandelt. Vom rauen und desillusionierten Romancharakter über den animalisch-autoritären Sean Connery, den viril-verschmitzten George Lazenby, den lässig-ironischen Roger Moore, den trocken-gewissenhaften Timothy Dalton und den leutseligrenommistischen Pierce Brosnan bis hin zum abgeklärt-getriebenen Daniel Craig hat der Charakter viele Interpretationen erfahren. Für die kommende Dekade wird ein frischer und unverbrauchter Akteur den Staffelstab übernehmen und den Agenten in einer neue Ära führen. An einer Stelle im filmischen 007-Kosmos säuselt eine Blondine schmachtend: »Allmählich gefallen Sie mir, Mr. Bond.« – und das wird er auch weiterhin, gleichwohl welche neuen Seiten und Gesichter der Mann mit der Lizenz zum Töten von sich zeigt.

  • V. Exilant des alten Europa


    Die stetige Kombination von Tradition und Innovation darf nicht darüber hinweg täuschen, dass Bonds Wandlungsmöglichkeiten – speziell bezogen auf seine Identität und Rolle in Welt – limitiert sind. Stellvertretend kann man hier die amüsierte Anklage eines Gegenspielers ins Feld führen, der 007 seine genuin gestrige Sozialisation genüsslich vorhält: »England… das Empire… MI-6… Sie leben auch in einer Ruine. Sie wissen es nur noch nicht.«


    Ein anderer Widersacher – wie sein Vorredner ein abtrünniger Ex-Agent des Secret Service – wirft dem Doppel-Null-Mann auf vergleichbare Weise eine geradezu pathetisches Festhalten an scheinbar überkommenen Idealen und Prinzipien vor, wenn er sagt: »James Bond, der getreue Terrier Ihrer Majestät… […] Vertrauen…, was für ein altmodischer Gedanke.« Diese früheren Kollegen haben sich und ihre Agenda privatisiert und damit gleichsam kapitalisiert. Sie spionieren und töten für den Meistbietenden und damit unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausschließlich für die eigene Gewinnmarge. Bond hat ein völlig anderes Berufsethos. Er ist kein Freischärler oder Rebell, sondern ein unverrückbarer Teil des Systems – ein linientreuer Befehlsempfänger und ein Muster an staatsdienender, fragloser und unbedingter Pflichterfüllung.


    Das bringt zwei Problematiken mit sich. Primär ist 007 eigentlich keine heroische Figur, obwohl sein ganzes Auftreten dem Helden-Charakter nachempfunden ist. Der Doppel-Null-Mann ist ein kompromissloser Killer – der »Abzugsfinger Ihrer Majestät«. Seine Lizenz zum Töten ist prinzipiell unmoralisch und undemokratisch. Was unterscheidet den Agenten von einem jener politischen Attentäter, die die Zivilgesellschaft bedrohen? Das funktioniert nur, weil Bond per Definition auf der richtigen Seite steht und die Schurken eliminiert. Und falls dies einmal nicht der Fall wäre – wenn wie in »DER HAUCH DES TODES« ein irrtümlicher Tötungsauftrag ergeht – darf man darauf vertrauen, dass 007 seinem Instinkt folgt und die richtige Entscheidung trifft. Sekundär ist der Doppel-Null-Agent erkennbar eine Ausgeburt des Empires und des alten Europa.


    Bond ist damit gewissermaßen der letzte Repräsentant eines europäischen Souveräns, wo der Kontinent doch geschlossen die exekutive Kompetenz von imperialer Hegemonie spätestens mit dem Kalten Krieg und seiner Auflösung vollends eingebüßt hat. Besonders augenfällig ist das massive Gefälle zwischen Schein und Sein in Bezug auf politische Einflussnahme und nachrichtendienstliche Macht beim Vereinigten Königreich – der einstigen Weltmacht. Dieses Missverhältnis wird auch immer in der Reihe gespiegelt, wenn ein nordkoreanischer Oberst beispielsweise anmerkt: »Wir rührend, dass ihr Briten immer noch glaubt, die Weltpolizei spielen zu dürfen.«


    Zugleich wird daran überdeutlich, dass der Agent die ungebrochene Selbstverständlichkeit des englischen Empire verkörpert. Als eine Art Übermensch steht er damit auch sinnbildlich für den einstigen imperialistischen Glanz mit kolonialer Perspektive. Dieses Erbe des Empires hallt jedoch nur noch wie ein Echo in Bond nach – den dieser ist ein aufgeklärter, liberaler und moderner Brite. Als solcher ist Nullnullsieben aber auch ein konservativer Kulturkämpfer für altgediente Werte und tradierter Normen. Bond ist ein Mann von ehrhaften Ethos und integrer Identität; und damit ein Wiedergänger der verlorengegangenen Souveränität ureuropäischer Vormacht. Deshalb ist es auch fast unmöglich ihn charakterlich oder ethnisch zu verändern und umzudeuten. Somit sind all die progressiven (Besetzungs-)Vorschläge der jüngeren Zeit lediglich gut gemeint, aber keinesfalls gut.


    Folge man der heutigen Identitätspolitik würde man den klassischen Bond zerstören und eine fragmentierten beliebigen Helden übriglassen. Folglich muss man sich entscheiden: Entweder man passt 007 den neuen Diversitäts-Normen an und transformiert ihn damit zu einem völlig neuen kinetischen Konstrukt oder man entscheidet sich ihn fallenzulassen, weil sein genuiner Geist endgültig aus der Zeit gefallen ist. Letzteres wird aufgrund des finanziellen Erfolgs wohl nicht unmittelbar geschehen. Aber man sollte sich nichts vormachen. Der Zeitgeist wendet sich gegen den Weltretter wie nie zuvor: Bond ist (toxisch) männlich, weiß, heterosexuell, sexistisch, soldatisch, autoritär, materialistisch, mordlüstern sowie ein Sekundant des repressiven Sicherheitsstaates – und damit nicht zuletzt ein Exilant des alten Europa.


    Das muss man bedenken, wenn man den Agenten leichtsinnig im Hinblick auf die Ethnie, die Hautfarbe, das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung verändern möchte. Sein Selbst ist unverrückbar festgefügt und steht damit im krassen Gegensatz zum Identitätsbegriff der Gegenwart; nicht umsonst gilt sein geistiger Vater Ian Fleming heute teilweise zu Recht als chauvinistischer und rassistischer Snob. Ein Grund, warum die Originalausgaben nun zum Jubiläum in einer Edition erscheinen sollen, die mit sensiblen Korrekturen in Bezug auf den Sprachduktus und einem einleitenden Warnhinweis diesem Hintergrund Rechnung tragen. Vielleicht schaffen es die Filmemacher in naher Zukunft gewisse Konventionen sachte zu korrigieren. Schon die Verschiebungen der Craig-Ära waren ein vorsichtiges Wagnis. Folglich ist auch weiterhin ein feines Fingerspitzengefühl vonnöten, denn ansonsten lebt Nullnullsieben nicht lange genug, um an einem anderen Tag zu sterben.

  • VI. Seismograph der westlichen Welt


    Kommt man zu dem Schluss, dass James Bond eine Gallionsfigur für den verlorenen europäischen Autoritarismus darstellt, wird deutlich, wie wenig er inhaltlich eigentlich noch in die Gegenwart passt. Aber der Agent bleibt relevant, weil er sich nicht in der Abbildung dieses Aspekts erschöpft. 007 steht auch für die geostrategische Ideologie der NATO-Länder, die konsumkapitalistische Dominanz der Industriestaaten und ihrer weiterhin im Wesentlichen weißen Leitkultur. Das macht ihn zu einem präzisen Gradmesser für den politisch-gesellschaftlichen Zustand des Westens. Je nach Zeitgeist und Weltlage ändert der Doppel-Null-Mann seinen Blick und seine Position in Bezug auf anglobritische Allianzen und globale Konflikte.


    In den 1960er, 1970er und 1980er Jahren kämpfte 007 primär gegen Individualisten mit anarchischer Agenda oder gegen Geheimorganisationen wie S.P.E.C.T.R.E. Zugleich blieben in der Logik des Kalten Krieges aber natürlich die kommunistischen Länder der systemische Feind. Das wird daran deutlich, dass auch eigenständige Akteure wie Goldfinger, Scaramanga oder Zorin dem Wirken der Sowjets indirekt Vorschub leisten. Sind die meisten dieser Schurken in den Fleming-Romanen Auslandsagenten der UdSSR, wird dieser Aspekt in den Filmen zum Teil gemindert. Scaramanga und Zorin agieren zwar durchweg autark, sind aber immerhin ehemalige Agenten des Ostens, mit dem sie geschäftlich noch immer in Verbindung stehen. Gleiches gilt für Rosa Klebb, die für Blofeld arbeitet, aber früher dem KGB vorstand. Die Botschaft bleibt damit mit der Flemings vergleichbar: Solche finsteren Figuren findet man vor allem auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Trotzdem sind die Bondfilme ab 1977 einer generellen Entspannungspolitik verpflichtet, die die Russen teils als zivilisierte Mitspieler im Wettstreit der Systeme zeichnet. So kommt es mehrfach zu Partnerschaften und Kollaborationen, auch wenn es in »OCTOPUSSY« und »DER HAUCH DES TODES« noch einmal zu einer Form von antisowjetischer Agitation kommt. Prinzipiell sind die Bond-Macher der realpolitischen Annäherung oft voraus.


    Neben Russland ist vor allem die Volksrepublik China ein ideologischer Feind – der immer konspirativ im Hintergrund bleibt. Dahinter steckt die diffuse Angst vor der »gelben Gefahr«, die spätestens seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts in der westlichen Kultur tief verwurzelt zu sein scheint. Diese Furcht wird nun durch die Kulturrevolution, den »Großen Sprung nach vorn« und Chinas Streben nach der Atombombe genährt. Im Westen scheint man in dem chinesischen Kommunismus eine größere Gefahr zu sehen, als in dem sowjetischen Pendant. In den Bondfilmen ist dieser Kulturkampf vor allem in den Anfangsjahren präsent. So ist Dr. No zwar S.P.E.C.T.R.E.-Mitglied, aber eben auch ein chinesischer Wissenschaftler, der die Atomkraft instrumentalisiert. Die Volksrepublik liefert Goldfinger einen Sprengkopf und technisches Personal für seinen Angriff auf Fort Knox, während sie in »MAN LEBT NUR ZWEIMAL« als dritte Macht im Dunkeln agiert, die die USA und die Sowjetunion zum Krieg anzustacheln beabsichtigt. Nicht zuletzt wird die menschenverachtende Politik Chinas auch in dem Umstand symbolisiert, dass Schurken wie Blofeld, Stromberg oder Drax eine Vorliebe für Mao-Anzüge besitzen.


    Solange der Ost-West-Konflikt akut blieb, stand der Westen auch geschlossen und durch Ideale vereint zusammen. Die Glorifizierung des Freiheitskampfes der Mudschaheddin und der »War on Drugs«-Politik der Reagan-Regierung in den beiden Dalton-Beiträgen Ende der Achtziger Jahre erscheint dafür symptomatisch. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs gehen eine Orientierungslosigkeit und eine schleichende Desillusionierung einher. In »GOLDENEYE« wird das deutlich, wenn es an einer Stelle heißt: »Wieso haben wir all die Diktaturen gestürzt, all diese Regime sabotiert? […] Alles wofür du Leib und Leben riskierst, hat sich geändert.« Diese Worte kommen zwar von einem Verräter, aber die Tendenz erscheint klar: Man beginnt, die eingeübten Mantras und eigenen Ideologien zu hinterfragen. (NATO-)Verbündete sich zwar noch Mitstreiter, aber mehr aus Gewohnheit, denn aus ideeller Überzeugung. Der Kitt der Allianzen löst sich, während die Kritik an den Machenschaften der CIA und der eigenen Geheimdienste sich bahnbricht, wie es in »EIN QUANTUM TROST« und »SKYFALL« erkennbar wird. Der Westen muss sich eingestehen, dass er seine Ideale verloren hat oder sie hinsichtlich seiner dominant-hegemonialen Rolle in der Welt stets nur wie ein Feigenblatt vor sich hertrug.


    Folglich richtet sich die Nabelschau nach innen. Die westliche Welt hat ihr Selbstverständnis verloren und weiß nicht mehr, für was sie eigentlich (und vor allem vereint) steht – auch die Feindbilder verschwimmen zusehends. Seit »LIZENZ ZUM TÖTEN« ist Bond immer persönlich involviert, seine Metier und seine Methoden werden ständig infrage gestellt. Zugleich nagen Selbstzweifel an ihm. Er ist zu einem Gezeichneten geworden, der scheitern kann. Umso stärker die identitätsstiftende Ideologie des Westens versagt, desto mehr verkrampft Nullnullsieben in seiner Funktion als Weltpolizist. In seine tagesaktuelle Gussform ergießt sich der geistige Zustand der westlichen Gemeinschaft.

  • VII. Dekaden Dämmerung


    »A brave new world.« – könnte man meinen, wenn man Bonds Verhältnis zum aktuellen Zeitgeist beschreiben wollte. Kann 007 sich verändern und sich abermals erfolgreich für eine neue Dekade transformieren? Grundsätzlich bewies er bislang ein valides Können bei der Anpassung an den jeweiligen Zeitgeist, der Abbildung von Umbruchsphasen und der leisen Ahnung unmittelbar bevorstehender sanfter und schwerer Umwälzungen. Wird der sich beständig verjüngende Lebemann wieder eine erfolgreiche Frischzellenkur absolvieren und am Puls der sich nun manifestierenden neuen Ära bleiben?


    In der Vergangenheit war Bond darin ein wahrer Meister. Anhand seiner Filmographie kann man gewissermaßen die Genese der westlich dominierten zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und des frühen 21. Jahrhunderts nachempfinden. Die beiden ersten Bondfilme 1962/63 markierten den Übergang von den politisch und gesellschaftlich erstarrten 1950er Jahren in ein Jahrzehnt des Aufbruchs. Der Kalte Krieg wurde nicht nur filmisch auf Nebenkriegsschauplätze (Balkan/Istanbul) verlagert, sondern auch der freie Geist einer Epoche des Eskapismus war spürbar, während die Missionen Nummer 3 und 4 1964/65 bereits den Sog der Swinging Sixties mit ihrem Lifestyle und visionären (Technik-)Design einfingen.


    Ab 1965 verschob sich der Fokus zudem mehr hin zu einem materialistischen Futurismus, der dann – um die Themen einer bevorstehenden atomare Eskalation und der bahnbrechenden Eroberung des Weltraums kreisend – in »MAN LEBT NUR ZWEIMAL« (1967) kulminierte. Die Bondstreifen von 1969 und 1971 bildeten dann kongenial die nur innerhalb weniger Jahre vollzogene Umbruchszeit von der 68er-Flower-Power-Zeit hin zu der ernüchternden Desillusionierung Anfang der 1970er Jahre ab. Die stilvollen Sechziger Jahre waren ebenso passe wie die alten Gewissheiten von vor 1968. Es war eine Sollbruchstelle für Vertrauen und Idealismus, die Eigenverantwortung, Skeptizismus und Paranoia begünstigte. Nicht von ungefähr entlarvt ein abgeschmackter selbstparodistischer Bond in »DIAMANTENFIEBER« die Mondlandung in verspielter Verschwörer-Manier als Hoax.


    Besonders symptomatisch bildeten die 007-Filme der Siebziger Jahre die Entwicklungen in der Welt ab. In den ersten Roger Moore-Missionen 1973/74 sind die Rohstoff- und Finanzkrisen der Zeit und die ständige Suche nach Orientierung in einer unsicherer werdenden Welt mit ungewisser Zukunft omnipräsent. Das wird auch durch die unterschwellige Thematisierung der Probleme in den USA (afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung) und in Asien (Kambodscha/Vietnam) deutlich. Demgegenüber widmeten sich die beiden Gigantomie-Bondstreifen 1977/79 – dem aktuellen Zeitgeist und einem Blick in die Zukunft simultan Rechnung tragend – globalen und existenzialistischen Themen. Maritime und sphärische Welten standen in einem austarierten Spannungsfeld von Utopie und Dystopie im Blickpunkt des Interesses. Mit den Achtziger Jahren und den Jahrgängen 1981, 1983 und 1985 wurden der Rückfall in den konfrontativen Konservativismus in Großbritannien und Amerika und eine Wiederverschärfung des Kalten Krieges durch Computerlenksysteme und Raketenabwehrschirme zum Thema. Ebenso spielte der zeitgleiche Verfall auf Retroabenteuer (»INDIANA JONES«-Filme) und den pionierhaften KonzernTechnizismus (»ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT«, »TRON«) eine bedeutende Rolle.


    Glasnost und Perestroika läuteten eine Entspannungsperiode ein. Man spürte, dass sich die 1980er Jahre dem Ende entgegen neigten. Trotz der Thematisierung des letzten großen Stellvertreter-Krieges zwischen den Machtblöcken richteten die Bondfilme von 1987 und 1989 ihr Augenmerk mit anglo-russischen Allianzen, kriminellen Kartellen und nihilistischem Neoliberalismus bereits prophetisch auf die Zeit nach dem Ost-West-Konflikt. Nach einer Phase des unbändigen Umbruchs für die globale Geopolitik fand sich 007 in 1990er Jahren in einer neuen Welt wieder. Die Missionen der Jahre 1995, 1997 und 1999 waren geprägt von einer Melange aus Vintage und Progression. Waffenschmuggel, Rohstoffscharrer und Machtmissbrauch durch privatwirtschaftliche Potentaten standen im Fokus, während man Anlauf nahm, um mit der Jahrtausendwende in ein Zeitalter der tricktechnischen Revolution zu starten. Mit »STIRB AN EINEM ANDEREN TAG« (2002) hielten eine überfordernde Computerspiel-Ästhetik und die zeitgenössische Realitätsflucht in den Effektzauber von am Rechner perfekt durchdesignten Welten Einzug.


    In den 007-Streifen von 2006/08 spiegelte sich eine durch den 9/11-Terrorismus und durch internationale Staats- und Bankenkrisen verunsicherte Gesellschaft, die zu politischer Paranoia und einer Zersplitterung des Westens führte. Die jüngsten Jahrgänge 2012, 2015 und 2021 führen die zeitgleiche Verzahnung und Diffusion der Zivilgesellschaft durch die digitalen Medien vor, die täuschender Transparenz, populistischer Egomanie und viraler Verrohung Vorschub leistet. Man darf gespannt sein, welche Kommentare der Agent mit den Nachfolgern von »KEINE ZEIT ZU STERBEN« zum gesellschaftspolitischen Diskurs beisteuern wird – vorausgesetzt, dass er sein einmal gegebenes Versprechen nie wieder bricht: »Ich war nie weg.«

  • VIII. Wiederholung als Prinzip


    Viele Zuschauer und Kritiker sind sich einig, dass die Bondfilme eigentlich einem Theaterstück gleichen, das alljährlich in Nuancen abweichend wiederaufgeführt wird. Lars-Olav Beier meinte in Bezug auf die Reihe einmal treffend, dass »nach vielen Variationen des Immergleichen sich alles in Wohlgefallen auflöst«. Für die meisten Rezipienten dürfte die Bond-Serie einer großen Wundertüte gleichen. Man kennt einige der reizvollen Situationen und spektakulären Highlights, aber könnte wohl kaum sagen, in welchen Filmen diese nun konkret vorkamen. Die Franchise präsentiert sich durch die BondFormel und den seriellen Stil als ein geschlossener Block, in dem den einzelnen Filmbeiträgen keine so große Bedeutung beikommt wie bei anderen Kinomarken.


    Zwar besitzen diverse Bondstreifen eine prägnantere Relevanz für die Filmhistorie und die Serie sowie ihre Entwicklung als andere, aber das generelle Prinzip folgt dem Erfolgsmuster, der Kette stets ein neues Glied hinzufügen zu wollen. Es geht um konstante Kontinuität und tradierte Tradition. Bond avanciert damit gewissermaßen simultan zum dynastischen Ahnherrn und Erben des Action-Genres. Das hat ihm von vielen Zeiten gleichsam Bewunderung wie Kritik eingebracht. Die Faszination liegt vor allem darin, in einem eng gefassten Rahmen zaghafte Neujustierungen vorzunehmen und einen sensiblen Sinn für verspielte Varianz an den Tag zu legen, ohne dabei Gefahr zu laufen, sich nur stur zu kopieren. In diesem ausgesprochen schmalen Aktionsradius nicht nur zu bestehen sondern auch auftrumpfen zu können, liegt eine große Kunst. Es ist ein Drahtseilakt zwischen der Tradition und der Progression, bei dem man sich in schwindelerregender Fallhöhe weder zu stark nach der klassisch-konservativen noch zu sehr nach der innovativreformerischen Seite neigen darf.


    Oftmals ist dieses Unterfangen den Machern innerhalb der Bond-Reihe gelungen, aber beileibe nicht immer. Zu Recht werden einige Serieneinträge als beliebige und belanglose Werke eingeschätzt. Aber auch diese erkennbar schwachen Jahrgänge weisen nicht selten eine besonders intensive Assimilierung von Zeitgeistphänomenen in Kultur und Gesellschaft auf. Und aufgrund des hohen technischen Produktionsstandards der hinter der Marke stehenden Firma Eon Productions Ltd. gilt die Regel: Auch ein schlechter Bondfilm überragt noch immer einen beträchtlichen Teil der sonstigen Mitbewerber innerhalb des Genres. Bei 007 bemüht man sich folglich nicht nur um ein hohes künstlerisches Level, sondern ist auch bestrebt, den Agenten in seiner eigenen Liga spielen zu lassen. Das hat in 1960er und 1970er Jahren sehr gut funktioniert, aber seit den frühen 1980er Jahren hat Bond diesen Nimbus wegen den massiven Änderungen im Blockbuster-Kino mehr und mehr eingebüßt. Der Branchenprimus von einst spielt heute nur noch oben mit.


    In diesem Sinne muss man auch die immer wieder zögerliche Mutlosigkeit bei der Gestaltung neuer Bondstreifen und die Entstehung inspirationsloser Beiträge deuten. Im Zweifelsfall ist den Machern am Ende der finanzielle Erfolg wichtiger als der künstlerische Anspruch. Und Nullnullsiebens größtes Pfund ist nun einmal seine lange Tradition. Da wärmt man lieber einmal zu viel und zu plakativ klassische Zutaten und klischeetriefende Trademarks auf, als Gefahr zu laufen, das Publikum zu verlieren. Letztlich ist das ja auch der richtige Ansatz, denn Bond lebt von der Formelhaftigkeit, den seriell ausgeprägten Stilblüten und den liebgewonnen Macho-Manierismen. Auch wenn sich am Ende alles in Wohlgefallen auflöst, bleibt Wiederholung doch das oberste Prinzip. Insofern könnte man mit einem abgewandelten Ausspruch antworten: »Wir haben schon alles gesehen, nur noch nicht von 007.«

  • IX. Quantität und Qualität


    Wenn im vorherigen Abschnitt das Spannungsfeld zwischen regelmäßigem Filmnachschub und künstlerischen Anspruch angerissen wurde, erscheint es mehr als angebracht, das allgemeine Verhältnis von Quantität und Qualität bei den Filmbeiträgen der James Bond-Franchise einmal eingehender zu betrachten. Unter Kinoenthusiasten und Filmliebhabern gibt es diese verbreitete Vorstellung, die auch andere Künste betrifft, das besonders qualitätsvolle und hochkarätige Werke in der Regel eine langen Vorlauf brauchen und erst in einen intensiven künstlerischen Prozess entstehen – getreu dem Motto: »Gut Ding will Weile haben.«


    Dieser Ansatz ist jedoch nur eine mögliche Bedingung für gelungene Kunst, aber keinesfalls ein unausweichliches Gesetz. Es gibt mindestens ebenso viele Beispiele, wo immenser Zeitdruck und gedrängte Eile ein wegweisendes Werk hervorbrachten. Das gilt auch für die Filmgeschichte. Man denke nur an Alfred Hitchcock, der mit »VERTIGO – AUS DEM REICH DER TOTEN«, »DER UNSICHTBARE DRITTE« und »PSYCHO« Meisterwerke bisweilen im Jahrestakt schuf. Im Genrefilm und dem Blockbuster-Kino ist bei einer solchen Veröffentlichungs-Frequenz schnell von Fließbandproduktion und Dutzendware die Rede. Einen solchen Ruf hat sich auch die James Bond-Serie gleich zu Beginn eingehandelt. Die Filme werden in der Öffentlichkeit nicht selten als weitgehend ambitionslos heruntergekurbelte Massenprodukte wahrgenommen. Ein berechtigter Vorwurf?


    Zumindest in den ersten 27 Jahren entstanden in schneller Abfolge 16 Bondstreifen – die ersten vier sogar in jährlichem Turnus. Aber sagt das etwas über die Qualität der einzelnen Beiträge aus? Die vier Missionen von 1962 bis 1965 gelten allesamt als stilbildende Klassiker der Reihe und auch als die besten Bondfilme überhaupt, während einige spätere Serieneinträge, die im Abstand von zwei oder drei Jahren ins Kino kamen, deutlich weniger gelungen sind. Nun beruhten die frühen Streifen noch auf den Romanen von Fleming und eine Franchise hat zumeist in ihrer Startphase die meiste Frische und Innovationskraft, aber dessen unbenommen offenbart diese Erkenntnis, dass der Vorwurf von inflationärer Fertigung und dem damit einhergehenden Qualitätsverschleiß häufig zu Unrecht erhoben wird.


    Noch deutlicher wird dies, wenn man sich den jüngeren Abschnitt der Reihe betrachtet. In den 34 Jahren seit 1989 wurden gerade einmal neun neue 007-Filme in die Kinos gebracht. Das bedeutet, im Schnitt werden die Bondstreifen der Gegenwart alle dreieinhalb Jahre veröffentlicht. Paradoxerweise gelten die Abenteuer des Agenten noch immer als plumpe Popcorn-Produkte der Filmindustrie. Auf die schwankende Klasse der einzelnen Beiträge haben die länger werdenden Produktionsphasen offensichtlich keinen nennenswerten Effekt. Nur zwei bis drei Einsätze aus der Periode von Pierce Brosnan bis Daniel Craig werden gemeinhin über dem Serienschnitt eingeordnet, während weitaus mehr Filme der »Fließband«-Ära 1962-1989 wertgeschätzt werden.


    Der Veröffentlichungsrhythmus ist im Hinblick auf die künstlerische Finesse ein Mythos, aber nicht hinsichtlich des finanziellen Erfolgs. Denn die Distanzen zwischen den Beiträgen wachsen auch deswegen, weil Produktion und Verleih erkannt haben, dass eine längere Entwöhnung danach wieder mehr Zuschauer für einen neuen Kinostreich in die Säle lockt. Aber die sich rasant digitalisierende Medienlandschaft und einschneidende Ereignisse wie die Corona-Pandemie unterlaufen diese Strategie nun sukzessive. Die zweite Produzentengarde um Michael G. Wilson und Barbara Broccoli wird die Verantwortung über die Bond-Familie bald an die dritte Generation übergeben. Die Erben müssen sich gut überlegen, wie sie 007 dann ausrichten wollen. In der Welt der Streaming-Dienste und Multimedia-Plattformen gelten andere Ansprüche an Labels hinsichtlich Verfügbarkeit, Imagepflege und dem Nachschub von Novitäten.

  • X. Zeiten ändern sich, Mr. Bond


    »Diamonds are forever.« – aber ist es die 007-Reihe auch? Gefühlt war Bond für den heutigen Zuschauer immer da – konstant präsent. Ein alter Klassiker, der stets aufs Neue unerschütterlich seinen Weg geht und turnusgemäß eine neue Mission im Kino erlebt. Bei näherer Betrachtung sind die Filme trotz des Erfolges nicht solche Selbstläufer wie man zu meinen glaubt. Auch hier lohnt ein genauerer Blick zurück und nach vorn, um zu erkennen, dass das FranchiseWesen auch mit einem weltmännischen Womanizer an der Spitze ein äußerst fragiles Gebilde sein kann. Bereits nach den epochemachenden frühen Bondbeiträgen der 1960er Jahre stand die Serie auf der Kippe. Sean Connery war der Rolle überdrüssig, aber er war Bond – eine untrennbare Symbiose. Würde das Publikum einen anderen 007 akzeptieren?


    Der Australier George Lazenby konnte sich 1969 nicht durchsetzen. Und obwohl Connery für einen Film zurückkehrte, schwebte die Unsicherheit über der Reihe. Dann folgte Roger Moore dem Schotten nach. Die frühen 1970er Jahre waren eine Umbruchszeit, die auch für die Bondfilme schwierig war. Mit den zwei großen Blockbustern »DER SPION, DER MICH LIEBTE« und »MOONRAKER – STRENG GEHEIM« schaffte es Moore nicht nur das Erbe Connerys erfolgreich anzutreten, sondern auch den Nachweis zu erbringen, dass bei Nullnullsieben – wie bei jeder überlebensgroßen fiktiven (Bühnen-)Figur – die Darsteller sich den Staffelstab übergeben können. Erst dadurch wurde die James Bond-Reihe in letzter Konsequenz wirklich zu einer Serie.


    Zugleich drohte der etablierten Marke in den 1970er und 1980er Jahren durch einen erbitterten Konkurrenten Ungemach. Kevin McClory war im Besitz der Rechte an »FEUERBALL«, der Organisation S.P.E.C.T.R.E. und Bonds Erzfeind Ernst Stavro Blofeld. Die Produzenten und McClory überzogen sich wechselseitig mit Klagen und versuchten die Filmprojekte der jeweils anderen Partei zu behindern. Die Ambitionen des Iren waren insofern auch existenzbedrohend für die Broccoli-Familie, da dieser gerichtlich versuchte, das alleinige Verfilmungsrecht an der Figur James Bond zu erstreiten. Auch wenn dieses Unterfangen erfolglos blieb, gelang es McClory 1983 seinen eigenen Bondfilm ins Kino zu bringen – das Remake »SAG NIEMALS NIE«. Danach konnte der Ire zwar keinen Stich mehr setzen, aber blieb ein steter Unruheherd. Erst nach dessen Tod 2006 einigte man sich mit den Erben und erhielt den Rechtestock zurück.


    Die unsicherste Phase für Bonds Überleben war aber sicherlich die Zeit zwischen 1989 und 1995. Hinter den Kulissen hatten Rechteverhandlungen und Finanzspekulationen die Reihe auf Jahre blockiert, während die Welt sich rasant wandelte. Es kamen ein neuer Darsteller und eine neue Produzentengeneration an Bord. Aber die Serie war nie wieder dieselbe. Die beiden verpassten regulären Missionen 1991 und 1993 mit Timothy Dalton fehlen der Franchise als Entwicklungsschritte bis heute. »GOLDENEYE« war dann 1995 ein Achtungserfolg, aber eben auch einer mit ängstlich angezogener Handbremse. Die gerissene Traditionslinie wird seitdem ohne die alte Selbstgewissheit mit fasernder Naht fortgeführt. Die Produktionen gestalten sich langwieriger, die zeitlichen Abstände zwischen den Beiträgen wachsen zusehends. Seit 1995 waren fast alle neuen Bondstreifen zitternde Zangengeburten.


    Und auch die eineinhalb-jährige Verschiebung des jüngsten Teils hat endgültig gezeigt, dass sich auch die alteingesessenen Bondfilme der neuen Zeit anpassen müssen. In einer sich radikal wandelnden Medienwelt kann der Agent nicht mehr auf den Kinosaal als alleinigem Einsatzort beharren. Was die Zukunft für 007 bereithält, kann man nur spekulieren. Es wäre aber ratsam, wenn Bond sich – einer Lebensweisheit seines alten Lehrmeisters »Q« folgend – nicht nur auf sein schier grenzenloses Glück verlassen würde. Die Devise lautet: »Immer einen Fluchtweg offenhalten.«

  • XI. Zielpunkt Zukunft


    Wenn eingangs davon gesprochen wurde, dass Bond auch im Elisabethanischen oder Viktorianischen Zeitalter oder gar in ferner (Cyber-)Zukunft sein Aktionsfeld haben könnte, dann ist das primär aus einem situativen Standpunkt aus gedacht und nicht retrospektiv zu verstehen. 007 und seine Erfolgsformel haben einen zeitlosen Gestus, aber sie funktionieren stets am besten in der jeweiligen Gegenwart. Durch die Assimilierung des aktuellen Zeitgeistes verändern sich der Doppel-Null-Mann und seine Welt, prägen diesen zugleich mit und legen in der Rückschau dadurch exemplarisch gewisse Strömungen eines konkreten Zeitabschnitts und einer Dekade offen. Das betrifft zwar auch gesellschaftliche Umbrüche, aber eben nur zum Teil. Grundsätzlich findet sich in den Filmen eine Mixtur aus klassischer und tagesaktueller Ideologie, aber der glorifizierte Glamour einer Welt, die sich durchweg »larger than life« gebärdet, kann nur bedingt auf die soziale Realität Bezug nehmen.


    Was die Bond-Reihe jedoch auf exzellente Art und Weise nachzuzeichnen versteht, das sind das momentane politische Klima, die geostrategische Situation aus Sicht des Westens und technologische Innovationsschübe. Zwar erlebt Nullnullsieben seine Abenteuer natürlich stets im hier und jetzt, aber anders als bei vielen anderen Action-Helden erschöpfen sich die futuristischen Elemente meist nicht in technischen Spielereien, sondern sind nicht selten in einen Gesamtentwurf von bestehenden Tendenzen und baldigen Entwicklungen eines industriellen Trend- und Fortschrittdenkens eingebettet. Dadurch heben sich die James Bond-Streifen von anderen Filmen des Genres erkennbar ab, ohne dabei den Bezug zur Gegenwart zu verlieren oder dezidiert ein Science-Fiction-Sujet zu verfolgen. 007-Produzent Albert R. Broccoli kommentierte dieses Spezifikum der Serie einmal sehr treffend mit der Anmerkung, dass Bonds Missionen sich »fünf Minuten in der Zukunft« ereignen würden. Dazu passt, dass nach der partiellen Retrogestaltung der Craig-Ära Amazon als neuer Teilhaber der Marke 007 bereits angekündigt hat, demnächst wieder verstärkt auf Zukunftsvisionen und Science Fiction-Themen setzen zu wollen.


    Auch die scheinbar absurdesten Voraussagen der der Bondfilme werden irgendwann zumindest partiell Realität, wie das Beispiel »MOONRAKER – STRENG GEHEIM« zeigt. 44 Jahre später fliegen Milliardäre wie Elon Musk, Jeff Bezos oder Richard Branson in den Orbit und eröffnen kommerzielle ShuttleTouren, simultan gedenkt Donald J. Trump eine eigene schlagkräftige »Space Force« im All patrouillieren lassen, während die Volksrepublik China eine eigene Weltraumstation aufbaut und die erste Generation der Laserwaffen entwickelt. Was bleibt folglich von diesen Nullnullsieben Dekaden Kulturgeschichte? Francis Fukuyama löste in den 1990er Jahren ein lautes Echo aus, als er nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vom »Ende der Geschichte« sprach, was den Beginn einer idealen Zivilisationsordnung im Geiste Gene Roddenberrys zu implizieren schien. Oftmals ist es gar nicht entscheidend, ob diese Einlassungen das Diktum des Faktischen erfüllen. Denn vielfach liegt ihr wahrer Kern und der größere Erkenntnisgewinn in dem, was sie über die gegenwärtigen Strömungen des Zeitgeists aussagen, indem sie entstehen und den sie kennzeichnen.


    James Bond war stets ein Spiegelbild seiner Zeit und ein empfindlicher Seismograph für dämmernde Dekaden und epochale Umbrüche. Er ist damit nicht nur ein schillernder Bestanteil der Filmgeschichte oder ein singulärer Vertreter der Popkultur, sondern sein enormer Einfluss weist darüber hinaus. Bond ist eine der ganz wenigen Mythen, den die Moderne hervorgebracht und in einer globalen Dimension geprägt hat. Seinen schlagkräftigsten Slogan darf man in seiner stur mantrahaften Wiederholung und seinem annährend apodiktischen Anspruch daher als generationsübergreifendes Gesetz der Gegenwart begreifen:


    »James Bond will return.«

  • Wow, sehr beachtlich. Brauche mehr Zeit, um das durchzulesen, sage aber jetzt schon danke für die Arbeit und das Posten hier. Schöne Feiertage!

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