DER VILLAIN: Raoul Silva

  • Ich glaube, dass zwei Member hier selten so „produktiv“ aneinander vorbeigeschrieben haben wie Mr. Fogg und Scarpine: Phileas‘ Analogien sind bestechend, gleichzeitig ist Scarpines Verweis auf die „Weltlichkeit“ der Bond-Filme evident. Wohl dem, der Beides haben kann: Natürlich ist Silva in erster Linie ein menschlich nachvollziehbarer Bösewicht, und auf dieser Ebene stimme ich Felix durchaus bei, dass es klug war, Silva nicht zu Ms leiblichem Sohn zu machen, da gerade diese soapige Nähe ihn wieder von Bond entfremdet hätte. Gerade dass Silvas Verhältnis zu M mit dem Bonds vergleichbar ist, macht die Figurenkonstellation in SF doch erst so faszinierend. Phileas‘ Überlegungen bzgl. Silva als satanische Figur widersprechen der „menschlich-psychologischen“ Auslegung Silvas nicht, sondern verschaffen dieser einen mythologischen Überbau, den Otto-Normal-Zuschauer gar nicht bewusst erkennen muss, um ihn intuitiv doch wahrzunehmen und zu goutieren.

  • Hätte diese Mutter/ Sohn-Variante im fertigen Film Platz gefunden, wäre SF viel von seiner Tiefgründigkeit abhanden gekommen! Das symbolisch gebrauchte Wort "Mutter" für die extreme Bindung eines Waisen an einen Dienstherrn - quasi als Ersatz für bisher fehlende Familie - wäre durch seine biologische Bedeutung als Symbol unbrauchbar geworden. Die Fragwürdigkeit Silvas, geboren aus dem Verlust dieses einzigen Halts in seinem Leben, hätte dann auch nicht mehr irgendwie auf Bond bezogen werden können. Auch dessen Bindung an M übersteigt ja alle anderen Beziehungen und ist daher durchaus wert, auf Gründe und Haltbarkeit abgeklopft zu werden. Wäre also M Silvas leibliche Mutter gewesen, so hätte Bonds Auftrag nur noch beruflich bestanden, und man hätte James Bond nicht so kennenlernen können, wie SF es letztlich ermöglicht hat.

    Die (...) potentielle Mutter-Sohn-Verbindung Ms
    und Silvas beispielsweise, hätte ich (...) als nun
    tatsächlich flaches Fahrwasser empfunden (...), da sie uns den Blick auf Bonds eigenes Drama verbaut hätte.

    Grundsätzlich kann man sowas immer als ein Hineininterpretieren abtun, aber meistens, wenn Filme überdurchschnittlich erfolgreich sind - und das war Skyfall ja nun mal - gibt es einen Subtext, der Menschen alters- und kulturübergreifend angesprochen hat. Ein großer Teil des Erfolgs ist sicher dem Medienrummel um das große Jubiläum geschuldet, aber ich glaube, dass diese Elemente klassischer Epen da auch eine große Rolle spielten.


    Wohl dem, der Beides haben kann: Natürlich ist Silva in erster Linie ein menschlich nachvollziehbarer Bösewicht, und auf dieser Ebene stimme ich Felix durchaus bei, dass es klug war, Silva nicht zu Ms leiblichem Sohn zu machen, da gerade diese soapige Nähe ihn wieder von Bond entfremdet hätte. Gerade dass Silvas Verhältnis zu M mit dem Bonds vergleichbar ist, macht die Figurenkonstellation in SF doch erst so faszinierend. Phileas‘ Überlegungen bzgl. Silva als satanische Figur widersprechen der „menschlich-psychologischen“ Auslegung Silvas nicht, sondern verschaffen dieser einen mythologischen Überbau, den Otto-Normal-Zuschauer gar nicht bewusst erkennen muss, um ihn intuitiv doch wahrzunehmen und zu goutieren.

    Die symbolische Sohnschaft der beiden Kontrahenten ähnelt noch anderen klassischen Kontrahenten.
    Ich möchte an dieser Stelle auf andere mögliche (wie Martin es so schön ausdrückte) Subtexte hinweisen: Einerseits - wie im Thread Skyfall - Der Film schon erwähnt - : Der Umgang unserer beiden Hauptfiguren mit Ms Verrat/ Die Kapitäne Ahab und Boomer im Film Moby Dick (1956).
    Andererseits, und hier könnte möglicherweise die Ursache für die Verschiedenheit von Bonds und Silvas Reaktion liegen: Das Drama um den ersten Mordfall. Kain und Abel. Kain (der Mörder) war Ackerbauer. Seine Bindung an die Erde war existentiell. Abel war Viezüchter, demzufolge Nomade, d. h. er zog mit seiner Herde umher, was bedeutet, dass für ihn die Bindungslosigkeit existentiell war.
    Ich bin nicht der Ansicht, dass letzterer Text hier zugrundeliegt. Dennoch hilft die Begebenheit aus Genesis 4 vielleicht, die Ursache für Silvas Unfähigkeit, M zu vergeben (wie Bond es tat), zu ergründen. Silvas Bindung war dergestalt, dass ein Loslassen ihm die Existenz zu nehmen schien. Bond konnte loslassen! Was ihm Vergebung ermöglichte.
    Loslassen - Vergeben - Erlösung finden


    Ich bitte die Vertreter der Weltlichkeit der Bond-Filme (das hast Du schön gesagt, Feifefiz) um Verzeihung, mir erscheint jedoch die in mythologischen Texten manifestierte Erfahrung oft hilfreich zu sein beim Verständnis für heutige Handlungen.

  • Lehnt Eon religiöse Bezüge wirklich so rigoros ab? LALD ging ziemlich freizügig mit Voodoo-Elementen um. FYEO hat auch eine ziemlich religiöse Bildsprache: Ein sich bekreuzigender Priester gleich zu Beginn, das Treffen mit Q in einer Kirche und schließlich das Finale im Kloster. Und bei SF finde ich es mit den Kreuzen im Titel, dem direkten Verweis auf Auferstehung und dem Showdown in einer Kapelle eigentlich auch ziemlich offensichtlich. Man tut mit einem religiösen Subtext ja eigentlich auch niemandem weh, zumal er vielen Zuschauern nicht mal direkt auffällt.


    Eigentlich nicht. Aber die Bond-Produzenten sind ja sehr darum bemüht niemandem auf die Füße zu treten. Für Autoren und Regisseure gibt es hier einige No-Gos. Das haben einige Mitwirkende (u.a. Michael Apted, Paul Haggis, Neal Purvis & Robert Wade) ja auch später bestätigt. Bekannt ist ja die berühmte John Landis-Anekdote zu "The Spy Who Loved Me", wo Broccoli den Autoren feuerte, weil der eine Szene schrieb, in der sich Bond auf der Flucht vor Verfolgern in entsprechender Position hinter einem Kreuz verstecken sollte. Die von dir genannten Beispiele sind zwar relevant, aber ich würde sie nicht zu hoch bewerten. Die Voodoo-Thematik dient ja mehr als effekthascherisches Horror- und Spannungselement. Damit tut man niemandem weh, weil Voodoo-Puppen und Vodoo-Horror schon lange zum Inventar der popkulturellen bzw. filmischen Mottenkiste gehören. Das ist eigentlich ein alter Hut.


    Bezüglich "For Your Eyes Only" kann ich dir erstmal nicht widersprechen, würde aber auch hier dies nicht überinterpretieren wollen. In der Pretitle befindet sich Bond auf einem Friedhof und besucht das Grab seiner Frau. Den Auftritt des Priesters mit anschließender Bekreuzigung habe ich immer so verstanden, dass beim Zuschauer Spannung erzeugt werden soll. Der Priester erzählt Bond, dass ihn ein Helikopter abholt und bekreuzigt sich dann. Nimmt man Moores mimische Reaktion hinzu, so wird einem sofort klar: Hier stimmt was nicht. Den Helikopter hat nicht der MI6 geschickt. Gleich wird es brenzlig. Also für mich mehr ein Spannungselement als ein religöser Hinweis. Man kann es aber auch anders sehen. Bezüglich der Q-Szene und dem Kloster, kann man es natürlich auch so sehen, dass Bondfilme ihre Locations teils auch klischeeartig präsentieren. Die Orthodoxie ist untrennbar mit Griechenland verbunden und das Kloster in erster Linie ein reißerisches Villain-Hideout (vor allem durch die spannende Erklimmung Bonds).


    Ansonsten würde Bond wohl auch nie gegen eine Sekte antreten. Das wäre den Machern zu prekär. Dasselbe gilt ja auch für Politisches. Anders als Jack Bauer wird Bond wohl auch nie gegen arabische Terroristen zu Felde ziehen. Es gibt also Tabus und Grenzen und die würde ich in Bezug auf Religion beim Franchise als sehr eng ansehen. Die von dir genannten Beispiele würden da eher nicht darunter fallen, aber ein Erzengel Bond der den gefallenen Engel/Teufel Silva erschlägt? Das ist schon deutlich stärkerer Tobak (auch wenn man damit sicher keine religiösen Gefühle verletzt). Aber dem Gelegenheitszuschauer dürfte dies wohl kaum aufgefallen sein. Falls Sam Mendes diese Deutung tatsächlich beabsichtigt hat - was dein Hinweis auf seinen Erfahrung mit klassischen Theaterstoffen ja bekräftigt - so stechen die religiöse Bezüge kaum heraus. Man muss schon Titel, Titelsequenz, Plot und Figurenzeichnung miteinander verknüpfen und auf Mr. Foggs Bibelkenntnisse zurückgreifen können, um zu dieser Deutung zu kommen. Und welcher Zuschauer tut dies schon? Vielleicht hat Mendes diese Botschaft ja so verschlüsselt, um sie an Barbara und Michael vorbei zu schleusen? :D

  • Dann müsste Bond ja sowas wie der Erzengel Michael sein, der die Schlange erlegt. Ich glaube nicht, dass die Macher an soetwas gedacht haben, zumal bekannt ist, dass sie religiöse Bezüge scheuen wie der Teufel das Weihwasser.

    Die Symbole sind auch dem literarischen James Bond nicht ganz fremd:


    Commander James Bond, CMG, RNVR! CMG = Companion of The Most Distinguished Order of Saint Michael and Saint George

    Das Ordenszeichen wird als einziges von allen Mitgliedern des Ordens getragen. (...) Knight Commanders und männliche Companions tragen das
    Abzeichen an einem um den Hals gelegten Band.(...) Das Ordenszeichen selbst ist ein siebenarmiges,(...) Malteser-Kreuz. Die Vorderseite zeigt
    den Heiligen Michael auf den Teufel tretend;
    auf der Rückseite ist der Heilige Georg zu sehen, der vom Rücken eines Pferdes aus einen Drachen tötet.
    Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/O…t._Michael_and_St._George


    Wenn ich es mal salopp formulieren darf: Mit Skyfall im wahrsten Sinne des Wortes - Back to the Roots!

  • Ansonsten würde Bond wohl auch nie gegen eine Sekte antreten. Das wäre den Machern zu prekär. Dasselbe gilt ja auch für Politisches. Anders als Jack Bauer wird Bond wohl auch nie gegen arabische Terroristen zu Felde ziehen. Es gibt also Tabus und Grenzen und die würde ich in Bezug auf Religion beim Franchise als sehr eng ansehen. Die von dir genannten Beispiele würden da eher nicht darunter fallen, aber ein Erzengel Bond der den gefallenen Engel/Teufel Silva erschlägt? Das ist schon deutlich stärkerer Tobak (auch wenn man damit sicher keine religiösen Gefühle verletzt).


    Die genannten Elemente sind natürlich alle sehr spielerisch eingesetzt. Ich glaube auch nicht, dass Bond mal gegen Islamisten oder auch nur eine Sekte antreten würde, die an Scientology erinnert oder ähnliches. Auch wenn er sich in TLD quasi mit Mujaheddin (wörtlich übersetzt Heilige Krieger) gegen Kommunisten zu Felde zieht, und Sanchez in LTK einen esoterischen Kult für Drogenhandel benutzt. Vielleicht muss man da unterscheiden zwischen direkten Handlungselementen und unterschwelligen Andeutungen.


    Wie Mr. Fogg schon schreibt war das auch Fleming nicht so fern. In OHMSS gibt es mehrere Namen mit religiösem Bezug. Einmal Theresa, nach einer Heiligen benannt, Marc-Ange Draco, dessen Vorname an Arcangel, also Erzengel erinnert, und den Henchman Toussaint, was "alle Heiligen" bedeutet.

  • Bei Silva sind mir die Hinweise einfach zu vage, um in ihm einen schlangenhaften Satan zu sehen.

    Eine Deiner Eigenschaften (, die ich neben der Bond-Begeisterung mit Dir teile): Du bist stur wie ein Esel! Das finde ich überaus sympathisch. Aber Achtung! Ich begründe das jetzt "mythologisch": Eines der Attribute Gottes ist die Allmächtigkeit. Lediglich ein einziges Mal hat er sie eingeschränkt oder sogar auf sie verzichtet: Als er den Menschen schuf, stattete er ihn mit Freiheit aus. Denn Liebe ohne Freiheit ist nicht möglich. Und er will Liebe!
    Trotz erdrückender Beweislast sprichst Du nach wie vor von "vage". Du übst Dein Recht auf Freiheit aus! Es kann letzten Endes kein zwingendes Argument in dieser Frage (noch weniger in wichtigeren Dingen) geben. Ein solches würde Deine Freiheit einschränken.
    Ich habe mir natürlich überlegt, wie Du aus o. a. Widerspruch rauskommen könntest (Dass Du das nicht auf sich beruhen lässt und - noch weniger - klein beigibst, habe ich gewusst!). Und ich will Dir was sagen: Die von Dir angefügte Erläuterung hätte ich Dir auch empfohlen - sie ist die Beste Lösung. Und - um Dir noch etwas entgegenzukommen - sie ließ sich im Grunde schon Deinen Posts entnehmen. Aber ich habe noch einen langen Weg vor mir bis ich so weit bin, dass ich so eine delikate Steilvorlage nicht ausnutze. :ka:

    "Das Auge sieht, was es sehen will." sagt Tom Hanks so schön und bringt in der entsprechenden Verfilmung auf den Punkt, was Dan Brown einem für einen (wenn auch spannenden) Unsinn auftischt.

    Mit dieser Deiner Aussage lassen sich meine o. a. Ausführungen gut resümieren. (Besonders gefällt mir Deine hier zum Ausdruck gebrachte Kritik an Dan Brown - was auf eine weitere Gemeinsamkeit deutet.)

  • So langsam ist aber mal gut!


    Ich hab mit dem Drehbuchautor gemailt und er hat mir bestätigt: "Die Inspiration für Silva kam, als ich mir mehrere Stunden am Stück mein Genital angeschaut habe!"


    Jetzt ist es raus, wir habens geklärt, HURRA!

    Es hätte mich genauso wenig überrascht, wenn die Herren Dich vor Augen gehabt hätten!

  • (...) SF ist in der Tat auch ein belangloser Titel, da er nur auf das Haus beruht, hättest du den letzten Film auch "Gartenstr. 16b" nennen können. Sonst ist mit dem Titel ebenfalls nicht viel anzufangen.

    Auch auf die Gefahr, mich zu wiederholen: "Skyfall" ist bestimmt kein belangloser Titel, lieber Spree, sondern symbolisiert u. a. die Herausforderung, mit der zwei ähnliche Charaktere auf verschiedene Weise umgehen.

    (...) Welcher Grund führte zum Titel Skyfall?
    Meine Vermutung: Die Offenbarung des Johannes war Ideen-Lieferant. (...)

  • Mein lieber Mr. Fogg,


    du hast natürlich völlig recht und ich entschuldige mich hiermit für meine unüberlegte und überspitzt formulierte Aussage. Der von dir beschriebene psychologische Hintergrund des Titels war mir in der Hitze des Gefechts entfallen.
    Gleichwohl ist das aber auch eins der Hauptprobleme, die ich mit SF habe (dem Film UND dem Titel): vieles ist mir zu hintergründig geraten und wirkt deshalb auf mich (wieder: in der Hitze des Gefechts sprich des Films) zu wenig spür- und greifbar. Ich habe es lieber mit etwas mehr Fleisch auf dem Knochen. Nichtsdestotrotz ist mir bewusst, dass das, was ich Kleingeist subjektiv als Schwäche empfinde, eigentlich die größte Stärke des Films ist. Trotz alledem bleibt es für mich ein Bondfilm, der sein gewohntes flacheres Fahrwasser für meinen Geschmack nicht zu weit verlassen sollte. Die gesunde Mischung macht es aus, die jeder natürlich ein Stück weit anders ansetzt. Aber deswegen haben wir hier ja auch immer wieder etwas um uns zu unterhalten. Und das ist ja mindestens genauso reizvoll wie die Filme selbst.

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