Mittlerweile bin ich auch wieder in der Lage, meine Gefühle in Worte zu fassen:
Meine letztendliche Enttäuschung über die Ära Craig rührt vor allem von einem Punkt her: Ein nicht eingehaltenes Versprechen.
Ich hatte seit Craigs Casting und der Entstehung des in allen Bereichen brillianten CR immer die klare Erwartungshaltung, dass man mit Abschluss dieser Origin-Story sehr wohl - und trotz allem Erfolg an den Kinokassen und im Feuilleton - sich der bekannten Figur des Film-James Bond wieder annähern würde. Meiner Erinnerung nach wurde das auch bei Promotion-Interviews damals so in Aussicht gestellt und kommuniziert, aber da mag mich mein Gehirn trügen.
Ich erwartete jedenfalls einen Bond, der dreckig, "gritty", aber trotzdem cool, charmant und letzten Endes mit der ihm ausmachenden Verve seine Missionen erfüllt.
Und ich bekam:
QOS
Nach CR gab es dann einen direkten Nachfolger und die Origin-Story war noch nicht 100% abgeschlossen (womit ja auch diese unsägliche Gunbarrel-Problematik begann, am Ede des Films VÖLLIG verschenkt).
Hmm, ok, na gut. Die Organisation Quantum und Mr. White hatte durchaus ihren Reiz und versprach in weiteren Filmen die Rolle von Spectre mit modernem Anstrich einzunehmen. QOS begann mir auch als Film nach einer desaströsen ersten Kino-Sichtung immer besser zu gefallen. Und immerhin hatte Craig-Bond hier ja mal eine richtige Mission, die er erfolgreich gestalten konnte. Der nächste Film würde das Versprechen von CR dann ja wohl qualitativ hochwertiger einlösen ...
.
.
.
Wie? Kein Wort von irgendeiner Verbrecherorganisation in Skyfall? Keine echte Mission, nur der lausigste McGuffin aller Zeiten, der nach 1 Stunde im Film kein einziges Mal mehr erwähnt wird?? Stattdessen die 1000. Neuauflage von "Bond goes rogue / This time, it's personal!"
-_-
Ab hier begann mir, Craig-Bond zum ersten Mal zu missfallen. Zumal ich mit dem depressiven Ton von SF, den ewigen Grautönen und der Ausgangslage, Bond sei plötzlich alt und ausgebrannt ebensowenig anfangen konnte, wie mit einer Story, die sich rein um persönliche Befindlichkeiten von Bonds Chefin (noch nichtmal Bond selbst!) dreht. Dafür hat man jetzt 4 Jahre gewartet?!
Auch Bond selbst erinnerte nur sehr sporadisch an den Bond von früher, am ehesten im Casino von Macau und ... nun gut, im Casino immerhin.
Am Ende dann aber immerhin die ersehnte Erneuerung, ja Untermauerung des Versprechens!
"Are you ready to go back to work, 007?" "With pleasure, M! With pleasure!"
Deutlicher kann man es dem Zuschauer doch nicht sagen: Jetzt würde es endlich richtig losgehen, mit der Ära Craig! Wird Quantum wieder vorkommen? Welche Mission wird der neue M denn nun für James haben? Spannende Zeiten!
Puh! Durchschnaufen! Nochmal 3 Jahre warten.
Spectre!
Origineller Titel ... Wen Waltz wohl spielen wird...?
Nun gut, die erste Stunde war durchaus unterhaltsam und endlich, ja, endlich war er in Ansätzen spürbar: der Bond von früher!
Besonders einprägsam fand ich hier die humorvolle, beinahe schon Mooresque Autoverfolgung durch Rom und Lucia Sciarras Rettung am Pool!
Was dann in der 2. Hälfte geschah, lässt sich für mich nicht mehr logisch rekonstruieren. Wer kam denn auf die Idee mit der Stiefbruder-Geschichte? Muss man unbedingt alle vorherigen Craigs so plump und stümperhaft hier reinmischen? Was soll eine cringy, horrorartige Folterszene, wenn alles, was sie erreicht, ist, dass Bond künftig die Gabe hat, aus 300m mit 50 km/h Seitenwind aus dem Stand ein 5-Cent-Stück zu treffen? Dass man das vielversprechende Quantum zugunsten dieser Witz-Organisation, die sie noch werden sollte, beerdigt, passt leider mittlerweile ins Gesamtbild.
Und dann das nachgeschobene Ende in London, die MI6-Scooby Doo-Gang, ein Bombenfinale, das wie aus der Feder eines 8-jährigen wirkt, eine weitere unglaubwürdige Schießübung (soviel zum Thema gritty und realistisch), eine weitere Kündigung (wie kreativ, sowas gab es vorher ja noch nie) und ein völlig bescheuertes Happy-End mit Aston Martin!
Uff, jetzt brauch ich aber nen Schnaps zum Weiterschreiben ...
und noch einen ...
6 Jahre! S E C H S !
6 Jahre musste man jetzt nach langem Hin und Her warten. Eine Zeit, in der ich einerseits Danny Boyle verflucht habe (bei dem ich nun dringend Abitte leisten muss), andererseits Grabenkämpfe für Bond in den YT-Kommentarspalten gegen die hirnverbrannten "Woke"-Spinner geführt habe und Bond sowie Craig bis aufs Blut verteidigt habe. Eine Zeit, in der wir uns anhören mussten, wie sehr sich die Produzenten freuen, den Film erneut um ein halbes Jahr zu verschieben. Eine Zeit, die durch eine Pandemie, Umweltzerstörung und Krieg genug Depression mit sich gebracht hat. Umso mehr freut man sich doch auf 2 Stunden eskapistische Bond-Unterhaltung, oder 2:43 Stunden! Richtig dran geglaubt hat aber wohl ohnehin niemand mehr - ein Funken Resthoffnung war aber noch da. Nun gut, vielleicht wird es dann immerhin so episch,wie es der Abschluss von Craigs Ära verdient: eine feierliche Zelebration und gleichzeitig die Staffelübergabe an den unbekannten nächsten!
Ich denke, ich muss niemandem erzählen, das NTTD das nicht ist. Was man nach der Kuba-Szene noch hätte hoffen können, ja sogar mit dem Umstand, dass Bond eine Tochter hat, noch hätte retten können, geht spätestens den Bach runter, wenn man besagtes Kleinkind nun eine Stunde inmitten von MGs, Kopfschüssen und widerlichen Psycho-Böse-Wichten begleiten muss.
Und der letzte Funken Hoffnung auf ein versöhnliches Ende - evtl. a la Mission: Impossible - , ja gar wenigstens auf ein halb-offenes Ende musste letzten Endes noch mit Bond pulverisiert werden.
James Bond ist TOT!
Und das nicht nur im Film, sondern ganz und gar bildlich. Stück für Stück musste man seit CR mitansehen, wie aus einem dekonstruktivistischen Ansatz eine komplette Destruktion der Filmfigur und all dessen, was sie jemals ausgemacht hat, wurde. Als jemand, der seit 20 Jahren wahnsinnig viel Zeit, Geld, Hoffnung, Verehrung und Herzblut in diese Franchise, in diese Figur, in diesen Helden gesteckt hat, fühle ich mich, als hätten die Produzenten mir hier den finalen, ultimativen Mittelfinger gezeigt.
Nun bin ich weit davon entfernt, der Typ zu sein, wütende Petitionen und Shitstürme loszutreten und "meinen" Bond zurückzufordern. Die Produzenten (und das schließt Craig mit ein) haben ihre Wahl getroffen und meine ist das nunmal nicht.
Aber das Recht zu "trauern", mich zu ärgern und mich schweren, blutenden Herzens von meinem Helden aus Kindheits- und Erwachsenen-Tagen sowie von all meinen Hoffnungen für die Zukunft der Franchise zu verabschieden, sollte man mir und jedem, dem es ähnlich geht, schon einräumen. Hier wurde einfach mit der Abrißbirne ein finaler, nicht zu kittender Riß erzeugt, der ganz offenbar auch noch den meisten Leuten gefällt! Das macht mir den Abschied nicht leichter.
Daher: Solltet ihr zu dieser Mehrheit gehören: Ich beglückwünsche und beneide euch! Ich habe mit meiner individuellen Meinung keinesfalls einen Anspruch darauf, die absolute Wahrheit, sollte es sie geben, zu beschreiben. Aber sprecht dieses Recht, es eben komplett anders zu empfinden, bitte auch nicht der Minderheit ab. Wenn ihr darauf reagieren wollt, versucht es doch mal mit Trost oder Verständnis!
Ein Wort dazu noch zum Abschluß:
Nach CR (und phasenweise QOS) hatte ich das Gefühl, es würde nie wieder einen schlechten Bondfilm geben.
Von Herbst 2006 bis ca. Mitte 2008 war ich so überwältigt von Craig und CR, dass ich mir in dieser Zeit überhaupt keinen alten Bondfilm mehr anschauen konnte, weil ich sie beinahe schon als minderwertig zu Craigs neuer Version empfand.
Wenn ich diese Zeilen heute schreibe, muss ich beinahe über mich selbst lachen, aber auch ein bißchen weinen ob dieser naiven Fehleinschätzung.
Mein Quantum Trost wird es nun sein, die Ära Craig weitestgehend auszublenden, was sicher nicht leicht wird, und mich wieder vermehrt mit den 40 Jahren Bondfilmen davor zu befassen und eventuell auch mit dem, was da in Zukunft kommen mag. Und ja, mit diesem Gedanken kann auch ich jetzt zum Abschluß endlich sagen:
Es lebe James Bond!
Danke für's Lesen, falls ihr solange durchgehalten habt! Ich bin gespannt auf eure Meinungen, Widersprüche und Ergänzungen!